[430] Rom. Zimmer des Doktor Faust auf dem Aventin. Eine Lampe brennt.
FAUST erhebt sich vom Schreibtische.
Unselge Nacht, willst du denn nimmer enden?
– Weh mir, sie hat erst eben angefangen –
Noch schlugs kaum elf. Zurück zur Arbeit also.
– – Zur Arbeit! Zum Studieren! Schmach und Jammer!
Tödlicher Durst und nie gestillt! Sandkorn
Zum Sandkorn sammeln, grenzenlose
Und immer grenzenlosre Wüsten um
Sich her zu bauen, und sodann darin
Sich lagern, schmachtend und verzweifelnd! – Ha,
Ein Raubtier wird man, bloß um sich zu nähren!
Empfindungen, Gedanken, – Herzen, Seelen –
Den Menschen und das Leben, – Welt und Götter,
Ergreift es und erwürgt es sich zur Beute,
Und schreit vor Zorn und Hunger, wenn es kaum
Zehn Tropfen Bluts in ihren Adern findet.
– Wer hat gestrebt wie ich? Wo ist der Pfad
Der Kunst, der Wissenschaft, den ich nicht schritt?
Weit ferner, kühner (ohne Rühmen darf
Ichs sagen) drang ich darauf fort als all
Die Herren, die beim ersten Meilenstein
Umkehren, voll von ihrer Reise Wundern,
Und als gelehrte, selbstzufriedne Toren,
Von größern Toren angestaunt, sich brüsten!
– Ich aber wanderte und wanderte –
Es blieb die Sonne hinter mir zurück,
Und nur ein paarmal merkt ich, daß sie trübe,
Fast wie ein rotgeweintes Mutterauge,
Mir durch die Nebel nachsah. Weg mit ihr!
Es war ein schönres Licht, nach dem ich suchte!
Und schau, da ist das Ziel: vor mir der Abgrund,
In den die Ströme der Gedanken, des
Gefühles, brausend niederschäumen, ohne Rückkehr,
In dessen Brodem sich des Zweifels Hyder,[430]
Mit roter Zunge giftig flammend, windet
Und mästet! –
Golgatha,
Du Schädelstätte, wo das Licht der Welt
Der Todesnacht sich hingab, daß es sie
Verkläre – Auch dein Strahl dringt nicht hieher!
– Du großes Buch, du Bibel (Fels des Glaubens sagt man),
Von Varianten voll und Doppelsinn,
Voll Weisheit und voll sonderbarer Sprüche,
Mit keinem sichren Laubdach überwölben
In diesem dunklen Sturm mich deine Blätter;
Welk, trocken, fallen sie wie Laub des Herbstes,
Und wenn ichs nicht im Innern spüre, führen
Nicht tausend Bibeln, tausend Paradiese,
Nicht alle Ewigkeiten mich zum Heil! –
– – O, welche Flammenschrift brennt mir im Haupte?
»Nichts glauben kannst du, eh du es nicht weißt,
Nichts wissen kannst du, eh du es nicht glaubst!«
Kein irdscher Geist, der dieses Rätsel ahnt,
Und nicht nach seiner Lösung seufzte, – Keiner,
Der sie gefunden, – Selig die, die schwach
Genug sind, um vom Schein geblendet, Schein
Für Licht zu halten, – blindlings glauben, weil
Sie blindlings hoffen! Die schlaftrunknen Seelen!
– Doch lieber will ich unter Qualen bluten,
Als glücklich sein aus Dummheit! – Erdball, Boden,
In dem ich wurzeln muß, der mich geboren –
Ein ausgerißner, ausgedorrter Stamm
Bin ich, wenn ich in deinem Mark den Fuß
Nicht fassen, Kraft und Freude nicht draus ziehn kann,
Wenn ich entwurzelt mich in jenen Abgrund,
Der bläulich über unsren Scheiteln dämmert,
Voll der bigotten Hoffnung stürzen soll,
Daß dort in wüster Unermeßlichkeit
Und Ferne, aufzufinden sei, was ich
Im nahen, engen Raum nicht finde!
Nah!
Was ist mir näher als das Vaterland?
Die Heimat nur kann uns beseligen,
Verräterei, die Fremde vorzuziehn!
Nicht Faust wär ich, wenn ich kein Deutscher wäre![431]
– O Deutschland! Vaterland! Die Träne hängt
Mir an der Wimper, wenn ich dein gedenke!
Kein Land, das herrlicher als du, kein Volk,
Das mächtger, edler als wie deines! Stolz
Und stark, umkränzt von grünen Reben, tritt
Der Rhein dem unverdienten Untergang
In Niederlandens Sand entgegen, – kühn
Und jauchzend, stürzt die Donau zu dem Aufgang –
Unzählge deutsche Adern rollen grad
So stolz und kühn als Deutschlands Ströme! – Schau,
Hoch über dem eiszackigen Gebirg
Tirols, erhebt der Adler sich zur Sonne,
Als wäre da sein heimatlicher Horst, –
Die Berge schrumpfen unter seinem Blick
Zu Stäubchen ein, – tief unten aber in
Tirols beengten Tälern, schlägt für Kaiser
Und für Ehre manches Herz weit höher als
Der Adler wagt zu steigen –
Selbst dies Rom,
Wer wars der diesen Käfig brach, in dem
Die Nationen römisch erst, und dann
Papistisch siegen lernten? Ha, hier war es,
Wo Alarichs, des gotischen, wo Karls,
Des fränkschen Landsmanns, wo der Hohenstaufen
Siegsrauschende Paniere flatterten,
Geliebkost von der heißen Luft, die einst
Die Kön'ge tötete!
Hier ist es, wo
Sankt Peters Kuppel sich emporgewölbt,
Den Blick der Menschheit ins Endlose auf-
Zufangen, – schmählich jetzt geborsten vor
Dem Donnerrufe, der aus Wittenberg,
Aus meiner Vaterstadt, aus Luthers Munde,
All meiner Zeitgenossen größten, über
Die Alpen furchtbar herklang!
– Und – doch o doch! –
Auch Luther, du! den Wahn hast du verjagt,
Zermalmt, zernichtet hast du wie der Blitz,
Nur etwas andres, Wahrheit, die besteht,
Beruhigt, hast du nicht gegeben – Offner
Als je tut sich vor dem enttäuschten Auge[432]
Die Tiefe auf – Zertrümmern, mit den Trümmern
Ein Trümmerwerk erbaun, das kann der Mensch,
Das kann er mit den Körben oder Eimern,
Durch die er Stein zum Steine, Tropfen trägt
Zum Tropfen, die er Kunst und Wissenschaft
Benennt!
Aus Nichts schafft Gott, wir schaffen aus
Ruinen! Erst zu Stücken müssen wir
Uns schlagen, eh wir wissen, was wir sind
Und was wir können! – Schrecklich Los! –
– Doch sei's!
Es fiel auch mir und folg ich meinen Sternen! –
Deutschland! Vaterland! – und nicht einmal –
Im Schlachtfeld konnt ich für dich kämpfend fallen –
Du bist Europas Herz – ja ja, zerrissen,
Wie nur ein Herz es sein kann!
– – Roma du!
Dem Vaterland entfloh ich, als es mich
Nicht konnt befriedigen, – Ich floh zu dir,
In mir die ganze Menschheit aufzunehmen,
Und mich in dem Genuß zu sättgen, – denn
Du Rom! bist der zerbrochne Spiegel der
Umfassendsten Vergangenheit, und Heldenbilder,
Im Glanz des Blutes der Nationen und
Der eingebornen Bürger funkelnd, tauchen
Aus dieses Spiegels Scherben mehr und mehr,
Je tiefer man hineinblickt, gleich den Sternen
Aus dunkler Nacht! – Du bist die Stadt, wo sich
Im Augenblick Jahrtausende verschmelzen:
Papst auf dem Kapitol, und auf dem Pantheon
Efeu von gestern!
Roma, Herrscherin
Der Welt! Weh, dreimal Weh ihm, der gleich mir
Zu dir gekommen, daß du ihn erhebest!
Die Reiche alle sanken hin vor dir zu Staub –
– Warum? weiß niemand! Denn du warst nicht besser
Als sie! – Und als dein Schwert nun alles
Dir errungen, fielst du auch mit allem wieder
In Nacht und Barbarei – Aus dieser quoll[433]
Ein neues Blut, ein neues Licht hervor, –
Umsonst hast du gestritten und gewürgt –
Der Klang nur von zerrißnen Geistesfesseln,
Die du um halb Europa wandest, ist
Geblieben – Frankreichs, Spaniens,
Italiens Sprachen!
Haben denn die Schlachten,
Hat der Ruin der Völker nur den Zweck
Von Märchen, die erfunden zur Belehrung?
Sind Weltbegebenheiten weniger
Als Weltgeschichte? Jammer über uns!
Denn die Geschichte hat die Menschheit nie
Gebessert! – Nur ein Don Juan vermag
Inmitten unter der Zerstörung Lava
An Millionen Blumen sich vergnügen,
Und nicht bedenken, daß es viele zwar,
Doch alle auch vergänglich sind, – daß wohl
Zerstreuung, aber keine Sicherheit
Und Ruhe da zu finden, wo die Eine,
Die Unverwelkliche nicht blüht! –
So sei's denn!
Länger ertrag ichs nicht! Ich sucht die Gottheit,
Und steh am Tor der Hölle – doch noch kann
Ich weiter schreiten, weiter stürzen, wär
Es auch durch Flammen – Ziel, ein Endziel muß
Ich haben! – Gibt es einen Pfad zum Himmel,
So führt er durch die Hölle, mindestens
Für mich –
Wohlan, ich wag es!
Nicht erlernt
Ich die Magie, mit der ich an den Wurzeln
Des Erdballs rütteln, Sterne löschen kann
(Nur meine Zweifel nicht), auf daß sie nutzlos
Als Theorie versaure – Ha, dort liegt
Mein Höllenzwinger (ach! kein Herzbezwinger!) –
Windsbrausen hinter der Szene. Faust tritt ans Fenster.
Hum,
Spürt ihrs, was ich beginne, Elemente?
Bleich glänzt der Mond und furchtsam fliehn
Die Wolken unter ihm dahin –
Er tritt wieder zurück, nimmt den Höllenzwinger, einen mit[434] Ketten umwundenen Folianten, aus dem Verschluß, und legt ihn auf den Tisch.
Laß fliehen!
– Aufschlag ich es das Buch der Tiefe –
Er schlägt den Höllenzwinger auf; sogleich erlöscht das auf seinem Tische brennende Wachslicht.
Was da? Erlöscht das irdsche Licht? Meinthalben!
Nichts konnt es bei zahllosen Nachtwachen,
Am Pulte überstanden, mir erhellen –
– Ein andres ewges Licht, aus jenen Schachten,
Worin die Mittagssonne sich auf stets
Verdunkeln würde, ruf ich mir zu Diensten!
– Herauf, und leuchte mir!
An der Stelle, wo Fausts Licht erloschen ist, steigt eine glutrote Flamme auf und leuchtet ihm während der ganzen folgenden Szene. Faust faßt sich, wie schwindelnd, an die Stirne.
Weh! Funken der Hölle!
Bin ich verloren?
Mut! Mut! vorwärts!
In den Höllenzwinger blickend.
Welche
Schriftzüge! Ich, ich selbst wars, der sie malte –
Und jetzt! – Verwünscht, der Mensch erkennt nur dann,
Wann ers bereits getan hat, das was er
Getan, und Teufelshände
Sind öfters unsichtbar im Spiel! –
Wieder im Anschauen des Buches verloren.
– Wie giftiges Gewürme windet, dreht
Sichs hier – dazwischen schwefelhafter Schimmer!
– O Unheil und Verzweiflung! Was sind Tiger?
Was sind Alligatoren, Krokodile?
Nichts! nichts! 'Ne Albernheit, ein wahrer Spaß
Hiergegen! – Dampf umweht mich, den kein sterblich
Gemüt erträgt!
Vom Buch auffahrend und in die Leere starrend.
Ich sehe sie: die Pforten
Der Hölle! Ehern, brennend heiß, – vom Feuer,
Das hinter ihnen lodert, hoch gerötet
Gleich glühnden oder überschminkten Wangen
Der Jungfraun oder Huren! – Alles eins![435]
Weh dem, der je zurückblickt!
An klopf ich, bebt' die Erd auch auf! – Adieu
Ihr Engel, lieben Kinder, gute Nacht!
Fort mit den Träumen, womit ihr mich oft
Umgaukelt habt und bitterlich getäuscht, –
Erwachen, wissen, daß ich wach bin, will
Ich, sei es auch durch Stich der Höllenqualen!
Feierlich und sehr ernst, die Hand auf den Höllenzwinger gelegt.
Satan! bei jenem Namen, welcher dir
Allein gebührt, – vor dem du stets erbleichst,
Der ewig donnernd dir im Herzen rollt, –
Den nie ein Mensch gehört, – der größer ist
Als du, der du ihn trägst, – der hier gezeichnet
Steht, ruf ich dich, erschein, erschein und leist
Mir deine Dienste!
Wieder in die Leere starrend
Ha! auseinander fahren
Die Schreckenspforten! – Welch Gerassel! –
Ein Flammenstrom stürzt ein auf meine Brust –
– Armselge Flammen, – ihr, ihr wärt's, mit denen
Die Gottheit die Verruchten droht zu strafen?
O meine Brust brennt heißer als wie ihr!
– Doch schau! Da kommt es! kommt es! Eine Schlange
Mit gelbem Auge, – schuppig, – mit dem Schweif
Die Sterne peitschend und den Tartarus,
Bewegt sich her – die Luft wird mir zu enge –
Ich kann nicht atmen – schon umklammert
Das Ungeheur mein Haus, mich von der Welt
Absondernd, wie der Meeresarm das fern
Entlegne Eiland!
Die Glocke schlägt zwölf Uhr nachts. Faust horcht auf.
Weh mir, dieses war
Der letzte Klang, der hoch vom Turm, mir aus
Der Menschheit Kreis entgegenschallt! – Sie hat
Geschlagen, meine letzte, unter Menschen
Menschlich verlebte Stunde!
Es wird dreimal stark an die Tür gepocht, jedesmal begleitet von einem heftigen Donnerschlage.
Horch! das sind
Die Glockenschläge, die ich fortan höre! – –
– Er naht, der Feind! – Nicht Hülfe ruf ich! – Eher[436]
In Tod und Ohnmacht, als in Furcht! – Herein!
Er stürzt ohnmächtig auf einen Sessel.
Ein Ritter, mittleren Alters, bleichen Gesichts, nach Sitte des sechzehnten Jahrhunderts, jedoch durchaus schwarz gekleidet, tritt herein.
DER RITTER.
Wie? in Betäubung fällt der stolze Rufer,
Da wir uns nähern? Also viel Geschrei
Und wenig Kühnheit –
Den Faust rüttelnd.
Hund, erwache!
FAUST aus der Betäubung sich aufrichtend.
Wer –
Wer nennt mich Hund? – Du Viper? Zittre vor
Dem Fußtritt deines Herrn.
DER RITTER.
Herr, Herr, Ihr lagt
Vor Eurem Knecht in tiefer Ohnmacht!
FAUST.
Einmal,
Und nimmer wieder! Nur mein Körper, nicht
Mein Geist war schwach. Dein Anblick war abscheulich.
DER RITTER.
Der Torheit! Nicht das Auge, nur der Geist
Dahinter, sieht! Entschuldigt Eure Schwäche
Nicht mit der reinen Brill in Eurem Haupte.
FAUST.
Wo denn die Trennung zwischen Geist und Körper?
DER RITTER.
Eh ich Euch Antwort gebe, muß ich wissen,
Wozu Ihr mich berieft? auf welcherlei
Bedingungen?
FAUST.
Wer mit dem Teufel dingt,
Der wird betrogen.
DER RITTER.
Auch der weise Faust?
FAUST.
Er wird es darauf wagen.
DER RITTER.
Gut, so greift
Das Nächste und erreicht dadurch die Ferne.
Hier meine Hand – Nur nicht davor gezagt –
Ihr seid ja kein Trabant von ihm, mit dem
Sie einst gerungen hat, und ringen soll,
Bis meine Herrschaft sieget oder seine!
FAUST.
Des Renommisten! Du bist längst besiegt!
DER RITTER.
Besiegt? Ha, Frevler – –
Wieder mit Kälte und Ruhe.
[437]
Ja, wir stürzten – Zufall
Entscheidet oft das Los der Schlachten, – List
Bewältigte uns auch, – Er wollte herrschen,
Ich wollt es auch, der Gleichberechtigte –
Doch ich war offen, und Er heuchelte –
Er hieß die Fesseln »Liebe« und sieh da,
Es waren Toren allerwärts, die über
Dem Klang des Wortes den der Kette nicht
Vernahmen – doch die Nacht ist unerschöpflich,
Das Licht bedarf der Nahrung und erlischt
Deshalb gar leicht aus Mangel. – Sterne, Sonnen
Verkohlen, Liebe sättigt sich, – es dringt
Das alte Dunkel, womit wir die Welt,
So weit sie sich auch dehnt, umlagern, schnell
Hervor, wo etwas einbricht. – Er muß sich
Schon wieder wehren, und wir greifen wieder
An! Dicht am Himmel, keinen Fingerbreit
Davon entfernt, stehn unsre Throne. – Zeig
Das Herz mir, sei's auch ausgestopft und glatt
Gesalbt mit gleißendsten Erbauungen
Des Katechismus, das in seinen Schlünden
Nicht auch für uns ein winklig Plätzchen hätte!
FAUST.
Du sprichst von Finsternis, und ich will Helle!
DER RITTER.
He, Doktor! ists die Nacht nicht, die das Licht
Gebärt? Steh ich nicht hier, weil jener Schein,
Womit sie Euren Horizont umfärben,
Nur Blendwerk ist auf schwarzem Grunde? Wollt
Ihr jene Lava-Adern nicht erspüren,
Die in der Nächte tiefster rollen, alles
Entzündend, aber alles auch entzückend?
FAUST.
O welche Wonne! welcher Hochgenuß!
Könnt ich euch fühlen, tiefste Pulse der
Natur!
DER RITTER.
Ihr sollt sie fühlen, Doktor –
Für sich.
wenn
Du dir dabei den Finger nicht verbrennst.
FAUST.
Gewagt, gewonnen! Ewigkeiten weg
Für Augenblicke! Lieber bare Münze[438]
Als zweifelhafte Schuldanweisung für
Die Zukunft! Du bist mein in diesem Leben,
Ich dein im Tode! –
Dafür aber fodr ich
Die ganze Kraft, die dir als Cherub einwohnt,
Fodr ich, daß du mit deinen mächtgen Flügeln
Mich von des Wissens Grenzen zu dem Reich
Des Glaubens, von dem Anfang zu dem Ende,
Hinüber suchst zu tragen, – daß du Welt und Menschen,
Ihr Dasein, ihren Zweck mir hilfst enträtseln, –
Daß du (der Theorie nur halber, denn
Die Praxis geb ich auf, seit ich mich dir
Ergeben) mir, und wärs beim Schein der Flammen,
Den Weg zu zeigen suchst, auf dem ich Ruh
Und Glück hätt finden können!
DER RITTER.
Kleinigkeit!
Sehr große Kleinigkeit!
FAUST für sich.
Zweideutler!
'Ne Kleinigkeit – doch warum eine große?
DER RITTER.
Doch erst ersuch ich dich (wir stehn ja nun
Auf du und du) um ein paar Tropfen Bluts,
Das Pakt zu unterschreiben. Hier Feder,
Hier Papier!
FAUST.
Alles bei der Hand? Viel Vorsicht!
DER RITTER für sich.
Und desto wen'ger Nachsicht!
FAUST verwundet sich an der Hand, und unterschreibt das Papier mit seinem Blute. Dann gibt er es dem Ritter zurück.
Nimm sie hin
Die alberne Formalie.
DER RITTER für sich.
Er ist mein!
Laut.
Nun sollst du –
FAUST.
Soll? Sklav, welch frecher Ton?
Was soll ich? Wer befiehlt mir?
DER RITTER.
Doktor, Meister,
Ich lieg vor dir im Staube!
FAUST.
Lieg und zittre!
Für sich.
Ha,
Die Schlange! Krümmt sie sich nicht nieder, wie
Zum Sprunge? O wie furchtbar wird sie sich
Aufrichten, wenn die Zeit dazu gekommen! –
DER RITTER.
Mein lieber Doktor, wissen willst du, was[439]
Das Glück ist? Glück ist die Bescheidenheit,
Mit der der Wurm nicht weiter strebt zu kriechen,
Als seine Kraft ihn trägt, – Glück ist es, gleich
Dem Don Juan (von dem du viel magst lernen)
Stets zu genießen und den Magen nicht
Verderben, – Unglück ist es, daß dein Geist
Zu schwach ist zur Verdauung irdischer
Gesunder Speisen, und daher Luftbilder
Aufschnappt –
FAUST.
Und Glück ist es für Euch, Herr Ritter,
Daß Ihr so traurig liegt vor mir am Boden,
Daß ich mich schäme, für das geifernde
Salbadern, das Ihr auskramt, Euch zu züchtgen. –
– Elender Tor, was du da sprichst, das prüft
Ich längst. – Wo denkst du hin? Gut weiß ich es:
Die Hölle ist der beste Prediger
Der Christenheit, – man fürchtet sie! – Doch nur
Der aufgeblasne stolze Teufel selbst
Kann wähnen, daß der Faust, vor dem er wimmert,
Von ihm sich schrecken ließe!
DER RITTER.
Wimmert! Wimmert!
Man wimmert auch nach Rache! – Wimmert! – O
Ihr meine Hände reckt euch auseinander,
Und packt ihn und durchkrallet seine Brust!
FAUST.
Ruhig! Droh mit den Tatzen nicht! Ich möchte
Drauf schlagen! Noch bin ich der Herr! – Erfüll
Das Paktum!
DER RITTER sich erhebend.
Leicht geschehn! Du brauchst nicht weit
Zu fliegen – willst du glauben, willst du lieben,
Nun so verlieb dich in die Donna Anna,
Das schönste Weib, das je in Rom gewandelt.
Den ganzen Rummel hast du dann auf einmal:
Denn wer verliebt ist, seufzt und hofft, und glaubt
Und jauchzt!
FAUST.
Entriß ich dich dem Schwefelpfuhl,
Daß ich in eines Mädchens Kreis mich bannen,
Daß ich Stecknadeln lösen sollte, statt
Der Riegel, womit die Geheimnisse[440]
Des Alls verschlossen sind?
DER RITTER.
Es kommt die Stunde,
Wo dir der Donna Anna Busennadel
Weit mehr verschließt, als dir die Welt kann geben!
FAUST.
Hinweg! – die Welt durchgründet! –
Hoch, die Kuppe
Umstäubt von Sonnen, wie von Flocken Schnees,
Erhebt sich über uns der Äther – Dunkel
Und immer dunkler, ein schwarzfinstres Auge,
Aus dem verborgne Tücke späht und droht,
Tut sich die Tiefe auf –
DER RITTER.
Sie tuts! – Du bebst?
FAUST.
Was beben! Freude klopft in meiner Brust!
Umfasse mich! – Hinunter zu der Hölle – dann
Zurück zu der Gestirne Höhen! – Hat
Die Tiefe festen Grund, so soll mein Fuß
Ihn treten, hat die Höhe freie Aussicht,
So soll mein Auge darin schwelgen!
DER RITTER.
Recht!
Nur fürcht ich, daß dein Fuß am Grund
Der Tiefe schwankt, und daß dein Auge, bei
Der Aussicht von der Höhe, schwindelt.
FAUST.
Wer war es, der die Pulse der Natur
Erst eben noch mir zeigen wollte?
DER RITTER.
Doktor,
Ich war es! Doch bedenke, Menschlein, – nur
In Übergängen wirds dir ungefährlich,
Den Anblick der entschleierten Natur
Zu tragen. Wenn du da, wo im Gewühl
Die Sonnen fliegen, die Kometen lodern,
Milchstraßen gleich Heerstraßen hin zum Thron
Der Geisterfürsten flammen, plötzlich einsam
Wirst wandeln, wird es, mit Vergunst zu sagen,
Dir ohngefähr ergehen, wie der Katze
Im Regenwetter. Ängstlich wirst du laufen,
Mit trockner Pfote Obdach zu erreichen!
Du wirst mir leid tun.
FAUST.
Durch den Staub der Bücher
Bin ich gekrochen, und bin nicht erstickt –
Frei atm ich in der Glut des Firmaments!
– Dein Mitleid spar – ich mags nicht – hab ich Leid,[441]
So solls mein eignes sein – ein fremdes würd
Es nur verdoppeln, Ritter!
DER RITTER.
Kräftig
Gesagt! – So faß mich! – Schau, mein Mantel weht
Um dich gleich einem Rabenfittig – Treu
Wird er uns in der Schwebe halten – Erde
Zur Seite! – Horch, es nahen Tritte – Erst
Hinunter, dann hinauf, wie du geboten!
Er versinkt mit Faust.
Der Gouverneur, Don Octavio und Diener treten ein.
DER GOUVERNEUR.
Das ist des Zauberers Gemach. – Ha, welch
Ein Dampf! Ein Dämon muß es sein, der hier
Geatmet hat!
DON OCTAVIO.
Wie Pesthauch qualmts!
DER GOUVERNEUR.
Faust ist
Verschwunden. – Hat das Zimmer einen Ausgang?
DON OCTAVIO.
Ich sehe nur die Tür, durch die wir kamen.
DER GOUVERNEUR.
So fuhr er zu der Hölle!
DON OCTAVIO.
Vater, bleich
Und bleicher werdet Ihr!
DER GOUVERNEUR.
Auch du erbleichst!
DON OCTAVIO.
Hier ist nicht gut sein – Fort!
Während er den Gouverneur wegführt, wendet er sich noch einmal um zu den Dienern.
Die Fenster öffnet! –
– – Beinahe glaub ich selbst an Zauberei.
Alle ab.
[442]
Buchempfehlung
Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.
54 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro