39. Lust Liedlein bey dem Ypserfluß

[348] 1.

Ach du schöne klare Quell /

schnell' und hell!

fließ in süssen Freuden!

an dir wolle für und für /

Lust und Zier

mit viel Freuden weiden.


2.

Deiner Ufer Graß-Smaragd /

mir behagt /

vor das Türk Gewebe.

Was ist Gold und Seiden Wust /

ohne Lust?

Freud' und Freyheit lebe!


3.

Wann Aurora / in der Früh

sprengt die Blüh /

komm ich / sie zu grüssen;

opffer einen klingel-Reim /

in geheim;

eh Hitz-Strahlen schiessen.
[349]

4.

Mit dem hellen Demant-Thau /

ist die Au

durch und durch versetzet.

Niemand stillt den Himmel-Pracht

bey der Nacht /

er bleibt unverletzet.


5.

Hier sih' ich an allem Ort /

meinen Hort /

Hoffnung / so mein Leben.

Biß zum Westen von dem Ost /

muß mein Trost

mir vor Augen schweben.


6.

Ich vergönn / der Kronen Pracht /

Ehr und Macht /

dem / den sie belieben:

denke / bey der klaren Bach /

Tugend nach /

mich in ihr zu üben.


7.

Weil das Geld ein Sorgen-Nest:

ist das bäst /[350]

die Begierde fliehen;

mit der frischen Fischer-Schaar /

ohn Gefahr

Fisch davor beziehen.


8.

Nimm die Blumen an den Rand

um den Strand /

vor die edlen Steine:

sie sind / ohne Meeres-Reiß /

jedem Preiß /

gleich so schön von Scheine.


9.

In dem weissen Blüte-Buch /

ich aufsuch

die Erschaffungs-Wunder:

setze dann an jedes Blat /

an die statt /

Lob und Preiß darunter.


10.

Deiner Sänger Lufft gethön /

klingt so schön:

über Feld-Trompete /

die nur Blut und Mord bereit.

Dieser Streit

Lobt Gott in die Wette.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 348-351.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon