[91] Ländliche Gegend mit Felsen und Bäumen. Links im Vorgrunde eine Hütte. Neben der Tür eine Bank. Sommerabend.
Hörnertöne erschallen aus der Ferne.
MIRZA kommt aus der Hütte.
Horch! War das nicht Hörnerschall?
Ja, er ists! er kommt, er naht!
Doch so spät erst! – Warte, Wilder,
Du sollst mirs fürwahr entgelten!
Unerbittlich will ich sein,
Schmollen will ich, zürnen, schelten,
Und nur spät – erst spät verzeihn.
Ja, verzeihn! Das ist es eben,
Darin liegt das Maß des Unglücks.
O, man sollte grollen können,
Grollen, so wie andre fehlen,
Lang und unabänderlich,
Daß Verzeihung Preis der Beßrung
Und nicht Lohn des Fehlers schiene.
Denn es ist fürwahr nicht billig,
Daß die Strafe der Beleidgung
Nicht einmal so lange währe,
Ach, als der Beleidgung Schmerz.
Könnt ich trotzig sein wie er,
O, ich weiß, er wäre milder!
Doch, wo bleibt er? Dort herüber
Schien des Hornes Ton zu kommen.
Zurücktretend und nach allen Seiten blickend.
Dort vom Hügel steigt ein Mann
Mit des Weidwerks Raub beladen.
Ob ers ist? – Die Sonne blendet.
Scheidend an der Berge Saum
Schüttet sie, in Glut versunken,
Ihres Brandes letzte Funken
Durch die abendliche Flur
Auf des späten Wandrers Spur.[91]
Jetzo wendet er das Antlitz.
Rustan!? – – Armes, oft getäuschtes Herz!
Wohl ein Jäger schreitet her,
Rasch beflügelnd seine Schritte,
In der lauten Doggen Mitte,
Wohl ein Jäger, doch nicht er.
Trage, wunder Busen, trage,
Bist des Tragens ja gewohnt!
Setzt sich.
Abend ists, die Schöpfung feiert,
Und die Vögel aus den Zweigen,
Wie beschwingte Silberglöckchen,
Läuten aus den Feierabend,
Schon bereit, ihr süß Gebot,
Ruhend, selber zu erfüllen.
Alles folgt dem leisen Rufe,
Alle Augen fallen zu;
Zu den Hürden zieht die Herde,
Und die Blume senkt in Ruh
Schlummerschwer das Haupt zur Erde.
Ferne her vom düstern Osten
Steigt empor die stille Nacht;
Ausgelöscht des Tages Kerzen,
Breitet sie den dunkeln Vorhang
Um die Häupter ihrer Lieben
Und summt säuselnd sie in Schlaf.
Alles ruht, nur er allein
Streift noch durch den stillen Hain,
Um in Berges dunkeln Schlünden,
Was er hier vermißt, zu finden;
Und mich martert hier die Sorge
Und mich tötet hier die Angst.
Jener Jäger, Kaleb ists,
Sieh, sein Weib eilt ihm entgegen
Mit dem Kleinen an der Brust.[92]
Wie er eilt, sie zu erreichen!
Und der Knabe streckt die Hände
Jauchzend nach dem Vater aus. –
Ihr seid glücklich – ja, ihr seids!
Sie versinkt in Nachdenken.
Massud kommt aus der Hütte.
MASSUD.
Mirza!
MIRZA.
Rustan!
MASSUD.
Ich bins, Mirza.
Mädchen, lässest du den Vater
In der Dämmrung so allein?
MIRZA.
Ach, verzeiht, ich wollte sehen –
MASSUD.
Ob er komme?
MIRZA.
Ach, ja wohl.
MASSUD.
Nun, und –?
MIRZA.
Keine Spur.
MASSUD.
's ist spät.
MIRZA.
Nacht beinahe. Alle Jäger
Ringsum aus der ganzen Gegend
Sind zurück schon von den Bergen.
Glaubt mir, denn ich kenne alle,
Die in jenen Bergen jagen,
Muß ich sie nicht täglich zählen,
Wenn den letzten ich erwarte?
Alle Jäger sind zurück,
Er allein streift noch im Dunkeln.
MASSUD.
Ja, fürwahr, ein wilder Geist
Wohnt in seinem düstern Busen,
Herrscht in seinem ganzen Tun
Und läßt nimmerdar ihn ruhn.
Nur von Kämpfen und von Schlachten,
Nur von Kronen und Triumphen,
Von des Kriegs, der Herrschaft Zeichen
Hört man sein Gespräch ertönen,
Ja, des Nachts, entschlummert kaum,
Spricht von Kämpfen selbst sein Traum.
Während wir des Feldes Mühn[93]
Und des Hauses Sorge teilen,
Sieht man ihn bei Morgens Glühn
Schon nach jenen Bergen eilen.
Dort, nur dort im düstern Wald
Ist des Rauhen Aufenthalt,
Du bist, alles ist vergessen,
Und es scheint ihm hohe Lust,
Mal die Wildheit seiner Brust
An des Waldes Wild zu messen.
Das ist ein unselig Treiben!
Ich beklage dich, mein Kind.
MIRZA.
Scheltet drum ihn nicht, mein Vater,
War er doch nicht immer so.
O, ich weiß wohl eine Zeit,
Wo er sanft war, fromm und mild,
Wo er stundenlange saß
Auf dem Grund zu meinen Füßen,
Bald des Hauses Arbeit teilend,
Bald ein Märchen mir erzählend,
Bald – o glaubt mir, lieber Vater,
Er war damals sanft und gut.
Hat er seither sich verändert,
Ei, er kann sich wieder ändern,
Und er wirds, gewiß, er wirds!
MASSUD.
Wähnst du, mich zu überzeugen
Und kannst es dich selber nicht.
MIRZA.
Glaubt, mein Vater, dieser Sklave,
Zanga, er trägt alle Schuld.
Seit er trat in unsre Hütte,
Seit erklang sein Schmeichelwort,
Floh die Ruh aus unsrer Mitte
Und aus Rustans Busen fort.
Rustan, wahr ists, schon als Knabe
Horcht' er gerne großen Taten,
Übt' er gerne Ungewohntes,
Wollt er gerne, was er kann,
Wär das schlimm? Er ist ein Mann.
Stets doch hielt er die Gedanken[94]
In des Hauses frommen Schranken
Und gebot dem raschen Mut.
Zanga kam. Sein Hauch, verstohlen,
Blies die Asche von den Kohlen
Und entflammte hoch die Glut.
O, ich habe sie belauscht!
Oft, wenn Rustan mir versprochen,
Nicht zu gehen nach den Bergen
Und er still und ruhig saß;
Da trat Zanga vor ihn hin,
Und von Schlachten hört ichs tönen
Und von Kämpfen und von Siegen.
Hoch empor und immer höher
Stieg die Glut in Rustans Wangen,
Jede seiner Fibern zuckte
Und die Hände ballten sich,
Aus den tiefgezognen Brauen
Schossen Blitze wilden Feuers
Und zuletzt – da sprang er auf,
Langte von der Wand den Bogen,
Warf den Köcher um den Nacken,
Und hinaus – hinaus zum Walde! –
MASSUD.
Armes Kind! und achtet nicht,
Hart und sorglos, der Verkehrte,
Deines Kummers, deiner Angst.
MIRZA.
Angst? Warum denn Angst, mein Vater?
O, ich weiß, der starke Rustan
Kennt nicht Furcht und nicht Gefahr.
Dann ist Zanga ja mit ihm.
MASSUD.
Doch nur zwei.
MIRZA.
Er zählt für viele.
MASSUD.
In der Nacht –
MIRZA.
Er kennt den Pfad.
MASSUD.
Wie so leicht ein wildes Tier –
MIRZA.
O, es flieht das Wild den Jäger!
MASSUD.
Oder gar –
MIRZA.
Was, Vater, was?[95]
Sprecht es aus und tötet mich!
MASSUD.
Armes Kind, das ist dein Los,
Wenn dich, wie ich sonst wohl dachte,
Einst an ihn ein festres Band –
MIRZA.
Vater, es wird kühl, wir wollen
In die Hütte doch zurück.
Eh wirs denken, kommt auch er.
MASSUD.
Nun, so seis denn, wie es ist.
Die dort oben mögen walten!
Was ihn heut zurückehält,
Denk ich wohl beinah zu wissen.
MIRZA.
Wie, ihr wißt? O sprecht!
MASSUD.
Dein Derwisch,
Der besorgte, fromme Mann,
Der dort haust in jenem Walde,
Sandte kaum nur schnelle Botschaft,
Mir zu melden, daß man sage,
Rustan habe Streit erhoben
Auf der Jagd mit einem Weidmann.
MIRZA.
Streit? Mit wem?
MASSUD.
Mit Osmin, heißt es,
Unsers Emirs ältstem Sohn,
Der am Hof zu Samarkand
In des Königs Kammer dienet,
Und, mit Urlaub bei dem Vater,
Sich den Jägern beigesellt.
Rustan schlug nach ihm und –
MIRZA.
Mehr noch?
MASSUD.
Und sie griffen zu den Waffen.
MIRZA.
Waffen?
MASSUD.
Doch man schied sie schnell,
Und der Streit ward ausgetragen.
MIRZA.
Doch vielleicht –
MASSUD.
Sei ruhig, Kind!
Osmin ist schon heimgekehrt
Und nichts weiter zu besorgen.
Aber Rustan ahnet wohl,
Daß mir Kunde seiner Raschheit,[96]
Und er scheut, mir zu begegnen.
Kaum wirds vollends Nacht, so schleicht er,
Seines Oheims Blick vermeidend,
Leise wohl in sein Gemach.
Darum, Mirza, laß uns gehn,
Unsre Gegenwart, bedünkt mich,
Hielt ihn wohl so lange fern.
MIRZA.
Und ihr zürnt ihm?
MASSUD.
Sollt ich nicht?
Siehst du mich schon flehend an?
O, ich weiß wohl, jedes Wort,
Tadelnd, rauh zu ihm gesprochen,
Wie ein Pfeil aus schwachen Händen,
Prallt von seinem starren Busen
Und dringt in dein weiches Herz.
Komm nur, komm! Ich will nicht schelten
Beide in die Hütte ab.
Pause. – Dann schleicht Zanga, nach allen Seiten umherspähend, herein.
ZANGA.
Kommt nur, Herr, die Luft ist rein!
Rustan tritt auf mit Bogen und Köcher.
ZANGA.
Munter, Herr, was soll das heißen!
Warum düster und beklommen?
Was ist Arges denn geschehn?
Daß ihr einem platten Jungen,
Der recht unverständig prahlte,
Euch zu höhnen sich erfrechte,
Etwas unsanft mitgespielt,
Das ist alles. Und was weiter?
Euer Oheim wird wohl schelten:
Sei es drum. Gönnt ihm die Lust!
RUSTAN.
Glaubst du, daß ich seine Worte,
Seines Tadels Ausbruch scheue?
Nimmer brauch ich zu erröten,
Was ich tat, kann ich vertreten,
Könnt ichs nicht, ich wär nicht hier.
Nicht der Schmerz, den mir sein Zürnen,
Der, den es ihm selber kostet,
Macht mich seinen Anblick fliehn.[97]
Könnt er all doch seine Sorge,
Seine Angst um mich, mit einem,
Einem Feuergusse strömen
Auf dies unverwahrte Herz,
Und dann kalt und ruhig bleiben,
Bei des Wilden Tun und Treiben,
Hier! Er kühle seinen Schmerz!
Aber, daß ich sehen muß,
Wie der Nahverwandten Wünsche,
Gleich entzügelt wilden Pferden,
Nord- und südenwärts gespannt,
An dem Leichnam unsers Friedens,
Raschgespornt, zerfleischend reißen;
Daß ich sehe, wie wir beide,
Bürgern gleich aus fremden Zonen,
Bang uns gegenüberstehn,
Sprechen und uns nicht begreifen,
Einer mit dem andern zürnend,
Obgleich Lieb in beider Herzen,
Weil, was Brot in einer Sprache,
Gift heißt in des andern Zunge,
Und der Gruß der frommen Lippe
Fluch scheint in dem fremden Ohr,
Das ruft diesen Schmerz empor.
ZANGA.
Nun, so lernt denn seine Sprache,
Er wird eure nimmer lernen!
Und wer weiß! – An Lektionen
Läßts der alte Herr nicht fehlen.
Bleibt im Land und nährt euch redlich!
Auch die Ruhe hat ihr Schönes!
RUSTAN.
Spotte nicht! Denk an Osmin!
Gleicher Lohn harrt gleicher Frechheit.
Ha, bei Gott! es soll kein Prahler
Trotzig vor mich hin sich stellen
Und mich mit den Augen messen,
Den verschämten, keuschen Degen
Wiegend auf den glatten Schenkeln.
Er solls nicht, wenn nicht sein Kopf[98]
Härter ist als Osmins Schädel,
Tüchtger ist als diese Faust.
Bin ich nichts, ich kann noch werden,
Rasch und hoch ist Heldenbrauch;
Was ein andrer kann auf Erden,
Ei, bei Gott, das kann ich auch!
ZANGA.
Herr, ihr sprecht nach meinem Herzen!
RUSTAN.
Wie so schal dünkt mich dies Leben,
Wie so schal und jämmerlich.
Stets das Heute nur des Gestern
Und des Morgen flaches Bild.
Freude, die mich nicht erfreuet,
Leiden, das mich nicht betrübt,
Und der Tag, der stets erneuet,
Nichts doch als sich selber gibt.
O, wie anders dacht ichs mir,
In entschwundnen, schönern Tagen!
ZANGA.
's ist auch anders, muß ich sagen.
Nur Geduld, es wird schon kommen!
Zeit tut alles, Zeit und Mut.
Jener Fürst von Samarkand,
Den Osmin als Herrn genannt,
War, wie ihr, des Dorfes Sohn,
Jetzt von Macht und Glanz umgüldet;
Ihr seid aus demselben Ton,
Aus dem Glück die Männer bildet
Für den Purpur, für den Thron.
RUSTAN.
O, es mag wohl herrlich sein,
So zu stehen in der Welt
Voll erhellter, lichter Hügel,
Voll umgrünter Lorbeerhaine,
Schaurig schön, aus deren Zweigen,
Wie Gesang von Wundervögeln,
Alte Heldenlieder tönen,
Und vor sich die weite Ebne,
Lichtbestrahlt und reich geschmückt,
Die zu winken scheint, zu rufen:
Starker, nimm dich an der Schwachen![99]
Kühner, wage! Wagen siegt,
Was du nimmst, ist dir gegeben!
Sich hinabzustürzen dann
In das rege, wirre Leben,
An die volle Brust es drücken,
An sich und doch unter sich.
Wie ein Gott an leisen Fäden
Trotzende Gewalten lenken;
Rings zu sammeln alle Quellen,
Die, vergessen, einsam murmeln,
Und in stolzer Einigung,
Bald beglückend, bald zerstörend,
Brausend durch die Fluren wälzen. –
Neidenswertes Glück der Größe!
Welle kommt und Welle geht,
Doch der Strom allein besteht!
ZANGA.
Recht! Der Strom allein besteht!
RUSTAN.
Schon mein Vater war ein Krieger,
Meines Vaters Vater auch,
Und so fort durch alle Grade.
Ihr Blut pocht in diesen Adern,
Ihre Kraft stählt diese Faust,
Und ich soll hier müßig träumen?
Schauen, wie sich jedermann
Lorbeern pflückt vom Feld der Ehre,
Früchte bricht vom Lebensbaum,
Und mich selbst zur Ruh verdammen?
ZANGA.
Ihr sollt nicht, beim Himmel, nicht!
Wenn ihr wollt, ei, Herr, so handelt.
Ja, wenn die da drin nicht wären!
Dieser Oheim, diese Muhme
Hängen euch wie schwere Fesseln –
RUSTAN.
Laß uns von was anderm sprechen,
Von was anderm, Zanga.
ZANGA.
Seht ihr!
Da kommt euer weiches Herz
Und der Vorsatz ist zum Henker.
O, daß ich euch draußen hätte,[100]
Draußen aus dem dumpfen Tale,
Auf den Höhen, auf den Gipfeln,
In der unermeßnen Welt!
Herr, ihr solltet anders sprechen!
Seht nur erst ein Schlachtgefild,
Hört nur erst Trompeten klingen,
Und es soll euch Kraft durchdringen,
Wie sie diese Adern füllt.
Herr, ich war mal auch so wählig,
Als ich, freilich jung genug,
Meine ersten Waffen trug.
Ging im Kopf mir hin und her,
War das Herz mir zentnerschwer,
Als es hieß: dem Feind entgegen!
Schlugs da drin mit harten Schlägen,
Und die Nacht
Vor der Schlacht
Ward gar bange zugebracht.
Doch beim ersten Sonnenstrahl
Ward mirs klar mit einemmal.
Ha! da standen beide Heere,
Zahllos, wie der Sand am Meere,
Still und stumm
Weit hinum,
Düster, wie das Nebelgrauen,
Das noch lag auf Feld und Auen,
Durch den Duftqualm sah mans blitzen,
Von dem Strahl der Eisenspitzen,
Und als jetzt der Nebel wich,
Zeigte Roß und Reiter sich.
Da fühlt ich mein Herz sich wandeln,
Jeder Zweifel war besiegt,
Klar wards, daß in Tun und Handeln,
Nicht in Grübeln, 's Leben liegt.
Und als nun erschallt das Zeichen,
Beide Heere sich erreichen,
Brust an Brust,
Götterlust![101]
Herüber, hinüber,
Jetzt Feinde, jetzt Brüder
Streckt der Mordstahl nieder.
Empfangen und geben,
Der Tod und das Leben
Im wechselnden Tausch,
Wild taumelnd im Rausch.
Die Lüfte erschüttert,
Die Erde zittert
Von Pferdegestampf,
Laut toset der Kampf.
Die Gegner, sie wanken,
Die Gegner, sie weichen!
Wir mutig und jach
Den Fliehenden nach,
Über Freundes und Feindes Leichen.
Jetzt auf weitem Feld
Der Würger hält,
Überschaut die gefallenen Ähren,
Doch kann er der Freude nicht wehren.
Sieg! rufet es, Sieg!
Herr, das heißt leben! Es lebe der Krieg!
RUSTAN.
O, halt ein, du tötest mich!
ZANGA.
Wenn so ein Gefangener,
Ein Verkaufter spricht, ein Sklave,
Was muß erst – doch still! Genug!
Er zieht sich zurück.
Mirza kommt aus der Hütte.
MIRZA.
Rustan!
RUSTAN.
Ha, man kömmt!
MIRZA.
Du bist es.
Konntest du so lange weilen?
O, wir zitterten um dich.
RUSTAN.
Ist es denn so ungewöhnlich?
MIRZA.
Ungewöhnlich? Das wohl nicht,
Aber schmerzlich drum nicht minder.
Sag ich mir gleich jeden Morgen:[102]
Spät erst wird er wiederkehren,
Hoff ich dich noch immer früh,
Und der Wunsch und die Erwartung
Sind gar reich an Möglichkeiten.
Weil du ruhig bist und sorglos,
Glaubst du denn, wir wärens auch?
Immer fließen meine Tränen,
Was auch die Erfahrung spricht,
Für den Mut gibts ein Gewöhnen,
Aber für die Sorge nicht.
Warum wendest du dich ab?
RUSTAN.
Horch! mich dünkt, dein Vater ruft!
MIRZA.
Ich soll gehn? O, komm du mit!
Du bist heiß, die Nachtluft kühl,
Und der müde Fuß will Ruhe.
RUSTAN.
Laß nur! Hier –
MIRZA.
Nicht doch! Du sollst!
In der Hütte ruht sichs besser
Und das Abendessen wartet.
Komm! Der Vater zürnt nicht mehr,
Alles ist vergessen. – Komm!
Mit Rustan in die Hütte ab.
ZANGA.
Deut mir eins der Liebe Werke,
Ob Verlust sie, ob Gewinn?
Gibt dem Weibe Männerstärke
Und dem Manne – Weibersinn!
Seis! Man muß nicht gleich verzweifeln!
Er folgt ihnen.
Das Innere der Hütte.
Im Mittelgrunde ein Tisch mit den Resten einer Abendmahlzeit und Licht, an dessen einem Ende Massud nachdenklich sitzt. Rechts im Hintergrunde ein Ruhebett.
Mirza führt Rustan herein, bald nach ihnen Zanga.
MIRZA.
Hier ist Rustan, lieber Vater,
Seht, er hatte sich verirrt.
Wo? – Ei, gleichviel! Er ist hier.
Ja, die Wege dort im Walde
Sind verworren und verschlungen;[103]
Bricht der Abend noch herein,
Braucht es Glück, den Pfad zu finden.
Nun, er fand ihn, Dank dem Himmel!
Künftig eilt er wohl ein wenig,
Sieht er sich die Sonne neigen.
Setze dich!
Da Rustan neben dem Alten niedersitzen will, sich zwischen beide drängend.
Nicht hier. Nein, dorthin!
Ich muß bei dem Vater sitzen.
Seht doch! 's ist mein Ehrenplatz.
Rustan setzt sich an das andere Ende des Tisches.
MASSUD sanft, doch ernst.
Rustan!
MIRZA rasch einfallend.
Vater, könnt ihrs glauben?
Racha, unsre Magd will wissen –
MASSUD.
Liebe Tochter –
MIRZA.
Wollt ihr Wein?
MASSUD.
Gönne mir ein Wort mit ihm.
Nur ein Tor verhehlt den Brand,
Wir, mein Kind, wir wollen löschen.
MIRZA.
Ihr verspracht mir –
MASSUD.
Fürchte nichts,
Doch es muß einmal zur Sprache.
Sohn, seit lange schon bemerk ich,
Daß du unsern Anblick meidest.
Die Bewohner dieses Hauses
Und ihr stilles Tun und Treiben
Scheint dir nicht mehr zu gefallen.
Auf den Bergen ist dein Lager,
In den Wäldern deine Wohnung,
Und das Heulen wilder Tiere,
Sturmbewegter Bäume Dröhnen
Scheint dir lieblicher zu tönen,
Als der Nahverwandten Wort.
Rauh und düster ist dein Wesen,
Zank und Hader dein Geschäft.
Heute nur, ich habs vernommen,[104]
Daß du mit Osmin im Walde
Streit erregt –
ZANGA der sich um den Tisch beschäftigt hat, einfallend.
Erregt? Mit Gunst,
Das kann ich euch besser sagen.
MASSUD.
Du?
ZANGA.
Ich habs mit angesehn.
MASSUD.
Hüte dich!
ZANGA.
Ei, wahr ist wahr!
Und erlaubt ihr, so erzähl ichs.
MIRZA.
Hört ihn, Vater, mir zulieb!
ZANGA.
Mittag war es und die Jäger,
Von der Arbeit Last zu ruhn,
Kamen alle, wie sie pflegen,
Auf dem Wiesengrund zusammen,
Um am Rand der klaren Quelle
Mit des Weidsacks kargem Vorrat
Und Gespräch sich zu erlaben.
Unter ihnen war Osmin;
Ein verwöhnter, trotzger Junge,
Der von Öl und Salben duftet,
Wie 'nes Blumenhändlers Laden.
Der tat denn gar breit und vornehm,
Sprach von seinen Heldentaten,
Seinem Glücke bei den Weibern,
Wie des Königs Tochter selber
Bei der Tafel nach ihm schiele,
Und was denn des Zeugs noch mehr.
Meinem Herrn dort stieg die Röte
Ungeduldig ins Gesicht,
Doch, ob kochend, dennoch schwieg er.
Aber als Osmin nun fortfuhr,
Daß der Fürst von Samarkand,
Hart bedrängt von Feindeshand,
Seine Tochter und ihr Erbe,
Seines weiten Reiches Krone
Gerne gönnte dem zum Lohne,[105]
Der ihn rette aus der Not,
Und mein Herr, von Glut ergriffen,
Angeregt von dem Gedanken,
Solcher Tat und solchen Lohns,
Aufsprang und voll Eifer fragte:
Wo der Weg nach Samarkand?
Da schlug Osmin auf ein Lachen,
Und vor Rustan hin sich stellend,
Rief er aus: Ei, welch ein Helfer!
Heil dir, Fürst von Samarkand!
Guter Freund, bleibt fein zu Hause,
Hinterm Pfluge zeigt die Kraft!
Da –
RUSTAN aufspringend.
Bei Gott! Ich mags nicht denken,
Daß er lebt, der das gesagt!
MASSUD.
Sohn, nur ruhig!
RUSTAN.
Ruhig, ich?
Und fürwahr, hat er nicht recht?
Was hab ich getan noch, um mich
Solchen Werks zu unterwinden?
Er hat recht, hat heute recht,
Morgen nicht mehr, leb ich noch!
Oheim, gebt mir Urlaub!
MASSUD.
Wie?
RUSTAN.
Seht, mich duldets hier nicht länger.
Diese Ruhe, diese Stille,
Lastend drückt sie meine Brust.
Ich muß fort, ich muß hinaus,
Muß die Flammen, die hier toben,
Strömen in den freien Äther,
Drücken diesen heißen Busen
An des Feindes heiße Brust,
Daß er in gewaltgem Anstoß
Breche oder sich entlade,
Muß der aufgeregten Kraft
Einen würdgen Gegner suchen,
Eh sie gen sich selber kehrt[106]
Und den eignen Herrn verzehrt.
Seht ihr mich verwundert an?
Nur ein Tor verhehlt den Brand,
Spracht ihr selber, laßt mich löschen!
Gebt mir Urlaub und entlaßt mich!
MASSUD.
Wie, du wolltest?
RUSTAN.
Was ich muß.
MASSUD.
Und denkst nicht –
RUSTAN.
Es ist bedacht.
MASSUD.
So vergiltst du unsre Liebe?
RUSTAN.
Nimmer sie hinfür mißbrauchen,
Das ist alles, was ich kann.
MASSUD.
Rauh und dornicht ist der Pfad.
RUSTAN.
Sei es! Führt er nur zum Ziele.
MASSUD.
Und das Ziel, es ist verderblich.
RUSTAN.
Also sagt man, ich wills kennen.
Was man weiß, befriedigt nur.
MASSUD.
Diese, mich willst du verlassen?
RUSTAN.
Lange nicht, kehr ich zurück
In der Teuern liebe Mitte,
Teile wieder eure Hütte,
Oder ihr mit mir mein Glück.
MIRZA.
Rustan!
RUSTAN.
Mirza! Ich verstehe!
Doch wir sehen uns ja wieder,
Doppelt glücklich, doppelt froh!
MASSUD.
Magst du ihre Tränen schauen
Und dich kalt –?
RUSTAN.
Ich kann nicht anders!
MASSUD.
Wisse denn nun auch das Letzte,
Diese hier, sie liebt dich!
RUSTAN.
Mirza!
Hier auch – doch es ist beschlossen.
Niemals, oder deiner wert!
MIRZA.
Rustan!
MASSUD.
Halt! So meint ichs nicht!
Kann er deiner, Kind, entraten,
Massuds Tochter bettelt nicht.[107]
Zieh denn hin, Verblendeter,
Ziehe hin, und mögest du
Nie der jetzgen Stunde fluchen!
RUSTAN.
Heute noch?
MASSUD sich abwendend.
Sobald du willst!
RUSTAN.
Zanga, nach den Pferden!
ZANGA.
Gern!
MASSUD.
Wozu diese hastge Eile?
Halt! Es ist jetzt dunkle Nacht,
Ungebahnet sind die Pfade
Und gefahrvoll jeder Schritt,
Davor wahr ich dich zum mindsten.
Schlaf noch einmal hier im Hause,
Denk noch einmal, was du willst,
Trifft der Tag dich gleichen Sinnes,
Nun, wohlan! so ziehe hin!
Mirza, komm! wir lassen ihn.
MIRZA.
Vater! nur dies einzge Wort.
Rustan, jener alte Derwisch,
Der dort wohnt in nahen Bergen,
Und den du, ich weiß, nicht liebst,
Ja, kaum einmal wolltest sehen,
Während er besorgt um dich,
Er versprach mir, heut zu kommen,
Und nur erst glaubt ich zu hören
Seines Saitenspieles Ton,
Das er führt auf allen Wegen.
O versprich mir, eh du scheidest,
Ihn zu hören, ihn zu sprechen.
Erst wenn fruchtlos, zieh mit Gott.
RUSTAN.
Und wozu?
MIRZA.
Die letzte Bitte.
RUSTAN.
Kommt er morgen früh genug,
Mag er wie die andern sprechen.
MASSUD.
Nun zur Ruh, laß ihn sich selbst.
Jedem Sprecher fehlt die Sprache,
Fehlt dem Hörenden das Ohr.
Gute Nacht denn!
[108] Er geht mit Mirza.
MIRZA.
Rustan!
RUSTAN.
Zanga!
Morgen früh die Pferde!
ZANGA.
Wohl!
Er folgt den beiden. Alle drei ab.
RUSTAN.
Sie sind fort! – Es pocht doch ängstlich! –
Sie ist gar zu lieb und gut. –
Ob auch! – Fort! – Ich bin erhört,
Und was lang als Wunsch geschlummert,
Tritt nun wachend vor mich hin.
Seid gegrüßt, ihr holden Bilder,
Seid mit Jubel mir gegrüßt!
Ich bin müd, die Stirne drückt,
Mattigkeit beschleicht die Glieder.
Nach dem Lager blickend.
Nun wohlan! Noch einmal ruhn
In dem dumpfen Raum der Hütte,
Kräfte sammeln künftgen Taten,
Dann befreit auf immerdar.
Er sitzt auf dem Ruhebette, Harfentöne erklingen von außen.
Horch! Was ist das? Harfentöne?
Wohl der alte Klimprer nah?
In halb liegender Stellung, mit dem Oberleibe aufgerichtet. Er spricht die Worte des Gesanges nach, die sich jetzt mit den Harfentönen verbinden.
Schatten sind des Lebens Güter,
Schatten seiner Freuden Schar,
Schatten Worte, Wünsche, Taten;
Die Gedanken nur sind wahr.
Und die Liebe, die du fühlest,
Und das Gute, das du tust,
Und kein Wachen als im Schlafe,
Wenn du einst im Grabe ruhst.
Possen! Possen! Andre Bilder
Werden hier im Innern wach.
[109] Er sinkt zurück. Die Harfentöne währen fort.
König! Zanga! Waffen! Waffen!
Mehrstimmige leise Musik greift in die Harfentöne ein. Zu des Bettes Häupten und Füßen tauchen zwei Knaben auf. Der eine, bunt gekleidet, mit verlöschter Fackel, der zweite, in braunem Gewande, mit brennender. Über Rustans Bette hin nähern sie einander die Fackeln. Die des Buntgekleideten entzündet sich, der Dunkle verlöscht die seine gegen die Erde.
Da öffnet sich die Wand des Hintergrundes. Wolken verhüllen die Aussicht. Sie heben sich. Die Gegend, in der der zweite Akt spielt, wird sichtbar, von Schleiern bedeckt. Auch diese schwinden. Ein erster, ein zweiter. Die Gegend liegt offen da. Neben dem im Vorgrunde stehenden Palmbaum hebt sich in weiten Ringen eine große, goldglänzende Schlange, bis zu seinen untersten Blättern hinanstrebend, nach und nach empor. Rustan macht eine Bewegung im Schlafe.
Der Vorhang fällt.
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro