Dritter Aufzug

[656] Halle wie in den vorigen Aufzügen.


BERTHA sitzt am Tische, den Kopf in die Hand gestützt.

Liebe das sind deine Freuden,

Das Besitz ist deine Lust?

Wie sind dann der Trennung Leiden,

Und wie martert der Verlust?


Sinkt in ihre vorige Stellung zurück.

Pause – Jaromir öffnet die Seitentüre rechts, und will schnell zurück da er jemanden erblickt.


BERTHA.

Jaromir! – Du weichst zurück?

Weichst vor mir zurück? – O bleib!

Wie hab ich um dich gezittert,

O Geliebter, wie gebebt!

Sprich, wie fühlst du dich?

JAROMIR scheu und düster.

Gut! Gut!

BERTHA.

Gut? O daß ichs glauben könnte!

Jaromir, wie siehst du bleich!

Gott! Am Arm die Binde –[656]

JAROMIR.

Binde?

BERTHA.

Hier!

JAROMIR.

Ei Scherz!

BERTHA.

Ein blutger Scherz!

Sieh das Blut hier an dem Ärmel.

JAROMIR.

Hats geblutet? Possen, Possen!

BERTHA.

Reiß mich doch aus dieser Angst!

Wo wardst du und wie verwundet?


Ihre Augen begegnen den seinigen, er wendet sich schnell ab.


BERTHA.

Du erbebst? du kehrst dich ab?

JAROMIR einige Schritte sich entfernend.

Nein, ich kann nicht, kann nicht, kann nicht!

Seh ich diese reinen Züge,

Senkt zu Boden sich mein Blick

Und der finstre Geist der Lüge

Kehrt zur finstern Brust zurück.

Hölle! eh du das begehrst,

Laß zuvor dies Herz sich wandeln,

Und soll ich als Teufel handeln,

Mache mich zum Teufel erst!

BERTHA.

Jaromir, ich laß dich nicht!

Steh mir Rede, gib mir Antwort!

Wo wardst du und wie verwundet?

JAROMIR mit gesenktem Aug.

Schlafend ritzt ich mich am Arme.

BERTHA.

Schlafend? Du hast nicht geschlafen!

Sieh, ich war in deiner Kammer,

Du warst fort, das Fenster offen!

JAROMIR erschreckend.

Ha!

BERTHA.

Geliebter, laß michs wissen!

O du weißt nicht, welche Bilder

Schwarz vor meine Seele treten.

Heiß sie weichen! Heiß sie fliehn!

Wo wardst du und wie verwundet?

JAROMIR mit Bedeutung.

Du begehrsts, so sei es denn!


Mit Absätzen.


Angelangt in meiner Kammer

Hört ich schießen, klirren, schreien –[657]

Deinen Vater wußt ich unten –

Wollte helfen – schützen – retten –

Weiß kaum selbst mehr was ich wollte.


Gefaßter.


Wie ich nun so sinnend stehe,

Da gewahr ich einer Linde,

Die die frostentlaubten Aste

Bis zu jenem Fenster streckt.

Ich ergriff die starken Zweige,

Die sie hilfreich bot, und steige,

Unbesonnen, unbedacht

Rasch hinunter in die Nacht.

Hundert Schritte kaum gegangen –

Fällt ein Schuß – Ob Freund, ob Feind –

Weiß ich nicht – genug – er traf.

Da erwacht ich zur Besinnung,

Sah mit Schreck was ich gewagt.

Weiter gehen schien gefährlich,

Drum eilt ich zurück zur Linde,

Die herab mir half, und finde

Auch den Rückweg so zurück.

BERTHA.

Und bei allen dem befiel dich

Auch nicht ein, nicht ein Gedanke

Nur an mich, an meinen Schmerz.

Einem Einfall hingegeben,

Wagtest lieblos du dies Leben,

Das zugleich das meine ist.

O, du fühlst nicht so wie ich!

Wenn dich gleiche Sehnsucht triebe,

Wüßtest du wohl, daß die Liebe

Auch das eigne Leben ehrt,

Weils dem Teuern angehört.

JAROMIR an seinem verwundeten Arm zerrend.

Tobe, tobe, heißer Schmerz,

Übertäube dieses Herz!

BERTHA.

Warum zerrst du so am Arme?

Deine Wunde –

JAROMIR.

Ist verbunden!

BERTHA.

Rauh die Schärpe umgewunden![658]

Harter, fühle meine Schmerzen,

Wenn du deine auch nicht fühlst.


Hier ist Balsam – hier ist Linnen –

Mir den Arm! Ich will ihn heilen.

Reich mir ihn; ich will versuchen,

Ob es mir vielleicht gelingt,

Einen jener lieben Blicke,

Ein Geschenk in schönern Tagen,

Jetzt als Lohn davonzutragen.

Jaromir, ich wills versuchen,

Ob die Hand hier mehr erreicht,

Als dies Herz voll heißer Triebe,

Ach und ob dein Dank vielleicht

Reicher ist, als deine Liebe.


Die Schärpe ablösend.


Sieh doch nur, die schöne Schärpe,

Die ich mühevoll gestickt,

Und auf die, statt reicher Perlen,

Manche Träne frommer Liebe,

Dir einst teurer Schmuck, gefallen,

Sieh, wie ist sie doch zerrissen.

Ach, zerrissen, wie mein Herz!


Sie verbindet ihn. Die Schärpe fällt vor ihr auf den Boden hin.


BERTHA.

Immer stumm noch, immer düster!

Ach du bist so sonderbar.

Im Gesichte wechselt Glut

Mit des Todes fahler Farbe,

Gichtrisch zuckt der bleiche Mund

Und dein Aug sucht scheu den Grund.

Gott, du schreckst mich!

JAROMIR wild.

Schreck ich dich?

BERTHA.

Gütger Himmel, was war das?

JAROMIR.

Horch! – Im Vorsaal – Hörst du? Tritte!

Fort!

BERTHA.

Bleib doch!

JAROMIR.

Nein, nein, nein!

Horch, man kömmt! – Schnell fort! fort! fort!


Eilt ins Gemach zurück.
[659]

BERTHA.

Ist ers noch? Ists noch derselbe?

Wie er bebte und erblich,

Wie sein Aug zu Boden sank!

Himmel! Wie ers auch verhehle,

Schwer ist noch sein Körper krank,

Oder – schwerer seine Seele.

EIN SOLDAT kömmt, ein abgerissenes Stück von einer Schärpe in der Hand.

Ihr verzeiht! Ist hier mein Hauptmann?

BERTHA.

Nein, mein Freund.

SOLDAT.

Wo mag der sein?

Erst war er bei unsern Posten,

Und jetzt nirgends aufzufinden.

Glaubt ihn schon zurückgekehrt

Um der Ruhe hier zu pflegen.

BERTHA.

Und mein Vater? –

SOLDAT.

Ist bei ihm!

Habt nicht Angst, mein holdes Fräulein.

An den Räubern ists zu zittern,

Denn wir sind auf ihrer Spur.

Zielte Kurt ein bißchen schärfer,

Oder hatt ich beßres Glück,

War der Räuberhauptmann unser.

Ja der Hauptmann! Staunt nur Fräulein.

Ei, ich war ihm nah genug

Um ihn wieder zu erkennen!

Wie er da so um die Mauern

Und durch die Gebüsche kroch,

Da schoß Kurt nach ihm, und brav,

Denn, bei meiner Treu, es traf,

Hier, am Arme.

BERTHA.

Gott! – Am Arme?

SOLDAT.

Ja, am Arm, 's floß Blut darnach.

Taumelnd wankt er hart und schwer,

Und es wollt uns fast bedünken,

Jetzt müss er zu Boden sinken.

Wie ich ihn so wanken sehe,

Ich hervor, und auf ihn hin.

Hart faßt ich ihn an am Gürtel[660]

Und am Hals mit starker Hand,

Trotz dem Sträuben, trotz dem Ringen,

Meint es müsse mir gelingen:

Doch bald war er aufgerafft,

Packte mich mit Riesenkraft,

Wie ich mich verzweifelt wehrte,

Mußt ich dennoch auf die Erde

Und der Höllensohn verschwand.

Ob wir rasch gleich nach ihm setzen,

All umsonst, und dieser Fetzen,

Blieb statt ihm in meiner Hand.


Das Stück der Schärpe hinhaltend.


BERTHA es erkennend.

Ha!


Sie läßt ihr Schnupftuch auf die Erde fallen, so daß es die am Boden liegende Schärpe bedeckt, und steht zitternd.


SOLDAT.

Ei ja, mein schönes Fräulein.

Glaubt, fürwahr es ist kein Scherz

Dem da in den Weg zu treten.

Ich war lang in seinen Klauen,

Und noch jetzt denk ich mit Grauen,

Mit Entsetzen jener Zeit.

Wenn er so nach seiner Weise

Stand in der Gefährten Kreise,

Mit dem dunkel glühnden Blick,

Wie da nicht ein Laut entschwebte,

Und der Mutigste selbst bebte,

Und der Ungestümste schwieg.

Bis er mächtig dann begann:

Frisch, Genossen, drauf und dran!

Jeder zu den Waffen eilte,

Und der wilde Haufen heulte,

Daß es bis gen Himmel drang

Und die Gegend rings erklang.

Und dann fort der ganze Troß,

Er vorauf auf schwarzem Roß,

Wie des Teufels Kampfgenoß,

Heiß von Wut und Rachgier glühend,

Blitze aus den Augen sprühend.[661]

Wo der Haufe sich ließ sehen

Wars um Menschenglück geschehen;

Nichts verschonte ihre Wut,

Alles nieder! Menschenblut

Rauchte auf der öden Stätte

Mit den Trümmern um die Wette.

Schaudert ihr? Es ist darnach.

Doch gekommen ist der Tag,

Wo auch ihnen wird ihr Lohn

Und der Henker wartet schon.

BERTHA.

Weh!

SOLDAT den Fetzen auf den Tisch werfend.

Da lieg, unnützes Stück.

Will noch mal hinaus zum Tanz,

Und was gilts, ich bring ihn ganz!

Gott befohlen, schönes Fräulein!


Ab.


BERTHA.

Weh mir, weh! – Es ist geschehn!


In den Sessel stürzend, und die Hände vors Gesicht schlagend.


JAROMIR die Türe öffnend.

Ist er fort? – Was fehlt dir, Bertha?

BERTHA deutet mit abgewandten Blicken auf das am Boden liegende Schnupftuch hin.

JAROMIR es aufhebend.

Meine Schärpe!

BERTHA hält ihm das abgerissene Stück vor, mit bebender Stimme.

Räuber!

JAROMIR zurücktaumelnd.

Ha!

Nun wohlan, es ist geschehn!

Wohl, der Blitzstrahl hat geschlagen,

Den die Wolke lang getragen,

Und ich atme wieder frei.

Fühl ich gleich es hat getroffen,

Ist vernichtet gleich mein Hoffen,

Doch ists gut, daß es vorbei!

Jene Binde mußte reißen

Und verschwinden jener Schein;

Soll ich zittern das zu heißen,

Was ich nicht gebebt zu sein?

Nun brauchts nicht mehr zu betrügen,[662]

Fahret wohl ihr feigen Lügen,

Ihr wart niemals meine Wahl:

Daß ich es im Innern wußte,

Und es ihr verschweigen mußte,

Das war meine giftge Qual.

Wohl, der Blitzstrahl hat geschlagen,

Das Gewitter ist vorbei;

Frei kann ich nun wieder sagen

Was ich auf der Brust getragen,

Und ich atme wieder frei. –


Ja ich bins, du Unglückselge,

Ja ich bins, den du genannt!

Bins den jene Häscher suchen,

Bins dem alle Lippen fluchen,

Der in Landmanns Nachtgebet

Hart an an dem Teufel steht;

Den der Vater seinen Kindern

Nennt als furchtbares Exempel,

Leise warnend: Hütet euch,

Nicht zu werden diesem gleich!

Ja ich bins, du Unglückselge,

Ja ich bins, den du genannt!

Bins den jene Wälder kennen,

Bins den Mörder: Bruder nennen,

Bin der Räuber Jaromir!

BERTHA.

Weh mir, wehe!

JAROMIR.

Bebst du Mädchen?

Armes Kind, schon bei dem Namen

Faßt es dich mit Schauder an?

Laß dich nicht so schnell betören,

Was du schauderst anzuhören,

Mädchen, das hab ich getan!

Dieses Aug, des deinen Wonne,

War des Wanderers Entsetzen;

Diese Stimme, dir so lieblich,

War des Räuberarms Gehilfin

Und entmannte bis er traf;[663]

Diese Hand, die sich so schmeichelnd

In die deinige getaucht,

Hat von Menschenblut geraucht!


Schüttle nicht dein süßes Haupt,

Ja, ich bins, du Unglückselge!

Weil die Augen Wasser blinken,

Weil die Arme kraftlos sinken,

Weil die Stimme bebend bricht,

Glaubst du, Kind, ich sei es nicht?

Ach der Räuber hat auch Stunden,

Wo sein Schicksal, ganz empfunden,

Solche Tropfen ihm erpreßt.

Bertha, Bertha, glaube mir,

Dessen Augen jetzt in Weinen

Fruchtlos suchen nach den deinen,

Ist der Räuber Jaromir!

BERTHA.

Himmel! Fort!

JAROMIR.

Ja, du hast recht!

Fast vergaß ich, wer ich bin!

Feige Tränen fahret hin!

Darf ein Räuber menschlich fühlen?

Darf sein heißes Auge kühlen

Einer Träne köstlich Naß?

Fort! Von Menschen ausgestoßen,

Sei dir auch ihr Trost verschlossen,

Dir Verzweiflung nur und Haß!

Wie ich oft mit mir gestritten,

Wie gerungen, wie gelitten,

Darnach frägt kein Menschenrat.

Vor des Blutgerichtes Schranken

Richtet man nicht die Gedanken,

Richtet man nur ob der Tat!


Nun, so weiht mich eurem Grimme,

Willig steig ich aufs Schafott,

Doch zu dir ruft meine Stimme,

Auf zu dir du heilger Gott![664]

Du hörst gütig meine Klagen,

Dir Gerechter will ichs sagen,

Was mein wunder Busen hegt,

Du, mein Gott, wirst gnädig richten,

Und ein Herz nicht ganz vernichten,

Das in Angst und Reue schlägt.


Unter Räubern aufgewachsen,

Groß gezogen unter Räubern,

Früh schon Zeuge ihrer Taten,

Unbekannt mit milderm Beispiel,

Mit dem Vorrecht des Besitzes,

Mit der Menschheit süßen Pflichten,

Mit der Lehre Lebenshauch,

Mit der Sitte heilgem Brauch;

Wirst du wohl den Räuberssohn,

Wirst Gerechter ihn verdammen,

Menschenähnlich, schroff und hart,

Wenn er selbst ein Räuber ward!

Ihn verdammen, wenn er übte,

Was die taten, die er liebte,

Und an seines Vaters Hand,

Dem Verbrechen sich verband.

Weißt du doch, wie beim erwachen

Aus der Kindheit langem Schlummer,

Er mit Schrecken sich empfand,

Seinem schwarzen Lose fluchte,

Zweifelnd einen Ausweg suchte,

Suchte, Himmel, und nicht fand.

Weißt du doch, wie seit den Stunden,

Als ich sie, ich sie gefunden,

Die mich nun bei dir verklagt,

Meinem wüsten Tun entsagt;

Weißt du – Doch wozu die Worte!

Wie mein Herz auch schwellend bricht,

Bleibt versperrt des Mitleids Pforte,

Du weißt alles, ewges Licht,

Und die Harte hört mich nicht.[665]

Ab von mir bleibt sie gewendet. –

Nun wohlan, so seis vollendet!

Ach, geendet ists ja doch!

Ob mein Blut die Erde rötet:

Hat doch sie mich schon getötet,

Henker, sprich! Was kannst du noch?


Geht rasch der Türe zu.


BERTHA aufspringend.

Jaromir! – Halt ein!

JAROMIR.

Was hör ich?

Das ist meiner Bertha Blick!

Ihre Stimme tönt mir wieder,

Und auf goldenem Gefieder

Kehrt das Leben mir zurück.


Auf sie zueilend.


Bertha! Bertha! Meine Bertha!

BERTHA.

Laß mich!


Sie eilt fliehend gegen den Vorgrund. Jaromir erreicht sie und faßt ihre Hand, die sie nach einigem Widerstreben in seiner läßt. Sie steht mit abgewandtem Gesichte.


JAROMIR.

Nein, ich laß dich nicht!

Ach soll denn der Unglückselge,

Kaum dem Schiffbruch nur entgangen,

Dem die Kraft schon schwindend sinkt,

Treibend auf der Wasserwüste,

Denn umklammern nicht die Küste,

Die ihm reich entgegenblinkt?

Nimm mich auf, o nimm mich auf!

Was aus meinem frühern Leben

Noch mir hafte, noch mir bliebe,

Alles, bis auf deine Liebe,

Als unwürdig deinem Blick,

Stoß ichs in die Flut zurück;

Als ein neues, reines Wesen,

Wie aus meines Schöpfers Hand,

Lieg ich hier zu deinen Füßen

Um zu lernen, um zu büßen.


Ihre Kniee umfassend.
[666]

Nimm mich auf! O nimm mich auf!

Mild, wie eine Mutter, leite

Mich, dein Kind, wies dir gefällt,

Daß mein Fuß nicht strauchelnd gleite

In der neuen, fremden Welt.

Lehr mich deine Wege treten,

Glück gewinnen, Glück und Ruh,

Lehr mich hoffen, lehr mich beten,

Lehr mich heilig sein, wie du!


Bertha, Bertha, und noch immer,

Und noch immer fällt kein Blick

Auf den Flehenden zurück?

Meine Bertha, sei nicht strenger,

Als der strenge Richter, Gott;

Der mit seiner Sonne Strahlen

In des Sünders letzten Qualen

Noch vergoldet das Schafott. –

Ha ich fühle – dieses Beben –

Ja – du bist mir rückgegeben!


Die schwach sich Sträubende in seine Arme ziehend.


Bertha! Mädchen! Gattin! Engel!


Aufspringend.


Stürze jetzt die Erde ein!

Ist doch hier der Himmel mein!

BERTHA.

Jaromir, ach Jaromir!

JAROMIR.

Fort jetzt Tränen, fort jetzt Klagen!

Mag das Schicksal immer schlagen,

Wenn dein Arm mich, Teure, hält,

Trotz ich einer ganzen Welt.


Meine Schuld ist ausgestrichen,

Jubelnd bin ich mirs bewußt,

Und Gefühle, längst verblichen,

Blühen neu in dieser Brust.


Wieder bin ich aufgenommen

In der Menschheit heilgem Rund,[667]

Und des Himmels Geister kommen

Segnend den erneuten Bund.


Unschuld mit dem Lilienstengel,

Liebe mit der goldnen Frucht,

Hoffnung, jener Friedensengel,

Der sich jenseits Kronen sucht.


Nun stürmt immer, wilde Wogen,

Schwellt in himmelhohen Bogen,

In des Hafens sichrer Hut

Lach ich der ohnmächtgen Wut.


Und nun höre, meine Bertha!

Lange noch, eh ich dich kannte,

Dacht ich schon auf künftge Flucht.

Weit von hier, am fernen Rhein

Ist ein Schloß, ein Gütchen mein,

Gelder, Wechsel stehn bereit,

Fertig wie mein Wink gebeut.

Dorthin, wo mich niemand kennt,

Wo man mich: von Eschen nennt,

Nach dem stillen Gütchen hin,

Dahin, Bertha, laß uns fliehn.

Dort fang ich auf neuer Bahn

Auch ein neues Leben an,

Und nach wenig kurzen Jahren,

Dünkt uns was wir früher waren

Wie ein altes Märchen, kaum

Klarer als ein Morgentraum.

BERTHA.

Fliehen soll ich?

JAROMIR.

Kann ich bleiben?

Kann ich fliehen ohne dich?

BERTHA.

Und mein Vater?

JAROMIR.

Weib, und ich?

Wohl so bleib, auch ich will bleiben!

Hier, hier sollen sie mich finden,

Fassen, würgen, fesseln, binden,[668]

Hier vor deinem Angesicht.

Wohl, so bleib du gute Tochter,

Pflege deinen grauen Vater,

Führ lustwandelnd ihn hinaus,

Hin zu jener schwarzen Stätte,

Wo auf sturmdurchwehtem Bette

Im durch dich vergoßnen Blut

Dein ermordet Liebchen ruht.

Zeig ihm dann am Rabensteine

Jene modernden Gebeine –

BERTHA.

Ach, halt ein!

JAROMIR.

Du willst?

BERTHA halb ohnmächtig.

Ich will!

JAROMIR.

So hab Dank, hab Dank, mein Leben!

Schnell jetzt fort, ich kann nicht weilen;

Hier wird mich ihr Arm ereilen,

Meine Spur ist schon entdeckt.

Dieses Schloß wird man durchspüren,

Sie durch die Gemächer führen

Denn ihr Argwohn ist geweckt.

Abwärts suchen jetzt die Späher,

Dieses Schlosses Außenwerke,

Seine halbverfallnen Gänge

Sind dem Räuber längst bekannt.

Dorthin will ich mich verbergen,

Bis der Augenblick erscheint,

Der auf ewig uns vereint.


Wenn erschallt die zwölfte Stunde

Und kein lebend Wesen wacht,

Nah ich leise, leis im Bunde

Mit der stillen Mitternacht.


Im Gewölbe, wo in Reihen

Deiner Väter Särge stehn,

Führt ein Fenster nach dem Freien,

Dort, mein Kind, sollst du mich sehn –
[669]

Und schnell eil ich, wenn das Zeichen

Von der lieben Hand erschallt,

Schnell dahin, wo unter Leichen,

Mir dies liebe Leben wallt.


Dort an deiner Väter Särgen,

Die Verdacht und Argwohn fliehn,

Soll die Liebe sich verbergen,

Und dann schnell ins Weite hin!


Also kommst du?

BERTHA leise.

Ja, ich komme!

JAROMIR.

Also willst du?

BERTHA.

Ja, ich will!

JAROMIR.

Jetzt leb wohl, denn ich muß fort;

Daß sie uns nicht überraschen.

Lebend soll man mich nicht haschen.

Doch noch eins! Kind, schaff mir Waffen!

BERTHA.

Waffen? Waffen? Nimmermehr!

Daß du von Gefahr gedrängt,

Selber nach dem eignen Leben –

JAROMIR.

Sei nur unbesorgt, mein Kind.

Seit ich weiß wie du gesinnt,

Seit ich deinen Schwur gehört,

Hat mein Leben wieder Wert.

Auch bedürft es nicht der Waffen.

Um mir Freiheit zu verschaffen,

Wär dies Fläschchen wohl genug.

BERTHA.

Fort dies Fläschchen!

JAROMIR.

Kind, warum?

BERTHA.

Glaubst du denn, mir würde Ruh,

Glaubst ich könnt es bei dir wissen

Ohne daß mein Herz zerrissen?

JAROMIR.

Machts dich ruhig, nimm es hin!


Das Fläschchen auf den Tisch werfend.


Doch nun schaff mir Waffen, Waffen!

BERTHA.

Waffen? Ach woher?[670]

JAROMIR.

Ei, hängt nicht,

Hängt denn nicht an jener Mauer

Dort ein Dolch?

BERTHA.

Ach, laß ihn, laß ihn!

Zieh ihn nicht aus seiner Scheide,

Unglück hängt an dieser Schneide.

Von dem Dolche, den du siehst,

Ward der Ahnfrau unsers Hauses

Einst in unglückselger Stunde

Eingedrückt die Todeswunde.

Als ein Zeichen hängt er da

Von dem nächtlichen Verhängnis,

Das ob unserm Hause brütet.

Blutges hat er schon gesehn,

Blutges kann noch jetzt geschehn!


Die Ahnfrau erscheint hinter den beiden, die Hände, wie abwehrend, gegen sie ausgestreckt.


BERTHA.

Was starrst du so gräßlich hin?

Mann du zitterst? Ich auch bebe!

Grabesschauer faßt mich an,

Leichenduft weht um mich her!


Sich an ihn schmiegend.


Ich erstarre! Ich vergehe!

JAROMIR.

Laß mich! – Diesen Dolch da kenn ich!

BERTHA.

Bleib zurück! Berühr ihn nicht!

JAROMIR.

Sei gegrüßt, du hilfreich Werkzeug!

Ja du bists, fürwahr du bists!

Wie ich dich so vor mir sehe

Tauchen ferner Kindheit Bilder,

Lang verborgen, lang entzogen

Von des Lebens wilden Wogen,

Wie der Heimat blaue Berge,

Auf aus der erinnrung Flut. –

An dem Morgen meiner Tage

Hab ich dich schon, dich gesehn.


Seitdem durch die Nacht des Lebens

Schwebtest du mir gräßlich vor[671]

Wie ein blutig Meteor.

In der flucherfüllten Nacht,

Als ich auf der ersten Stufe

Meinem furchtbaren Berufe

Scheu die erstlinge gebracht,

Da sah ich mit bleichem Schrecken

In der Wunde, die ich schlug,

Statt des Dolches, den ich trug,

Deine, deine Klinge stecken.

Und seit jenem Schreckenstag

Blieb dein Bild mir immer wach!

Sei gegrüßt, du hilfreich Werkzeug!

Lockend seh ich her dich blinken,

Und mein Schicksal scheint zu winken.

Du bist mein! Drum her zu mir!


Drauf losgehend.


BERTHA zu seinen Füßen.

Ach, halt ein!

JAROMIR immer unverwandt auf den Dolch blickend.

Weg da! – Zurück!


Er nimmt den Dolch. Die Ahnfrau verschwindet.


JAROMIR.

Was ist das? Was ist geschehn?

Als du dort noch flimmernd hingst,

Schien von deiner blutgen Schneide

Auszugehn ein glühend Licht,

Das durch der Vergangenheit

Nachtumhüllte Nebeltäler,

Scheu, mit mattem Strahle flammte.

Und Gestalten, oft gesehn,

Wie in einem frühern Leben

Fühlt ich ahnend mich umschweben.

Diese Hallen grüßten mich

Dies Gerät schien mir zu winken,

Und in meines Busens Gründen

Schien ich mir mich selbst zu finden.

Und jetzt ausgelöscht, verweht,

Wie ein Blitzstrahl kommt und geht.

BERTHA.

Diesen Dolch! O leg ihn hin![672]

JAROMIR.

Ich, den Dolch? Nein, nimmermehr!

Er ist mein, ist mein, ist mein!

Ei fürwahr ein tüchtig Eisen!

Wie ich ihn so prüfend schwinge

Wird mit eins mir guter Dinge

Und mein innres Treiben klar.

Wens mit dir, mein guter Stahl,

Mir gelingt so recht zu fassen,

Der wird mich wohl ziehen lassen

Und kömmt nicht zum zweitenmal.

Nun leb wohl, leb wohl mein Kind!

Mutig! Froh! Die Zukunft lacht!

Und gedenk! – Um Mitternacht!


Mit erhobenem Dolche ins Seitengemach ab.


Ende des dritten Aufzuges.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 656-673.
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