Fünfter Aufzug

[688] Schloßzwinger. Von allen Seiten halbverfallene Werke. Links an einer Wand des Vorgrundes ein Fenster in der Mauer. Im Hintergrunde ein Teil des Wohngebäudes mit der Schloßkapelle.


JAROMIR kommt durch die Nacht.

So, – Hier ist der Ort, das Fenster!

Hier in diesen wüsten Mauern

Will ich tiefverborgen lauern,

Bis des Glückes Stunde schlägt.


Auf und ab gehend.


Fort, ihr marternden Gedanken,

Schlingt nicht eure dunkeln Ranken

In dies weichliche Gefühl![688]

Pfui! Der nie dem Tod gezittert,

Fest und mutig, den erschüttert

Loser Bilder leichtes Spiel! –


Ha, und wenn ich ihn erschlug,

Ihn der mich erschlagen wollte,

Was ists, daß ich zittern sollte?

Hat die Tat nicht Grund genug?

Hab ich ihm den Tod gegeben,

Wars in ehrlichem Gefecht,

Ei, und Leben ja um Leben,

Spricht die Sitte, spricht das Recht!

Wer ists, der darob errötet,

Daß er seinen Feind getötet,

Was ists mehr? – Drum fort mit euch,

War ich sonst doch nicht so weich! –


Und wenns recht, was ich getan,

Warum faßt mich Schauder an?

Warum brennt es hier so heiß,

Warum wird mein Blut zu Eis?

Warum schiens, als ich es tat,

In dem schwarzen Augenblicke,

Teufel zögen mich zur Tat,

Gottes Engel mich zurücke!


Als ich fliehend in den Gang,

Der Verfolger nach mir sprang,

Schon sein Atem mir im Nacken,

Jetzt mich seine Hände packen,

Da riefs warnend tief in mir,

Deine Waffen wirf von dir

Und dich hin zu seinen Füßen,

Süß ists durch den Tod zu büßen!

Aber rasch, mit neuer Glut

Flammt empor die Räuberwut

Und ruft ungestüm nach Blut.

Vor den Augen seh ichs flirren,[689]

Hör es um die Ohren schwirren,

Geister, bleich wie Mondenglanz,

Wirbeln sich im Ringeltanz,

Und der Dolch in meiner Hand

Glühet wie ein Höllenbrand!

Rette, ruft es, rette dich!

Und blind stoß ich hinter mich.

Ha es traf. Ein wimmernd Ach

Folgt dem raschen Stoße nach,

Mit bekannter, süßer Stimme,

Mit erstorbner Klagestimme.

Bebend hör ich sie erschallen.

Da faßt ungeheure Angst

Mich mit kalten Eises-Krallen.

Wahnsinn zuckt mir durchs Gehirn.

Bebend such ich zu entweichen

Mit dem blutigen Kains-Zeichen

Flammend auf der Mörderstirn.


All mein Ringen, all mein Treiben

Kann den Ton nicht übertäuben,

Immer dröhnt mir dumpf und bang

In das Ohr sein hohler Klang;

Und mag ich mirs immer sagen:

Deinen Feind hast du erschlagen;

Ruft der Hölle giftger Hohn:

Das war keines Feindes Ton! –


Doch wer naht dort durch die Trümmer,

Eilig schreitend auf mich zu?

Tor! Den Rückweg findst du nimmer,

Ich muß fallen, oder du.

Denn wenn einmal nur der Tiger

Erst gesättigt seine Wut,

Bleibt die Gierde ewig Sieger

Und sein Innres schreit nach Blut.


Er zieht sich zurück.

Boleslav kommt.
[690]

BOLESLAV.

Gott sei Dank! Es ist gelungen,

Ledig bin ich meiner Haft,

Doch von Mauern noch umrungen

Und schon schwindet meine Kraft.

Daß ich ihn doch finden könnte,

Ihn, den Teuern, den ich suche,

Meinen, seinen, unsern Sohn.

Werf ich mich mit Jaromir

Zu des mächtgen Vaters Füßen,

O dann muß der Richter schonen,

Trifft desselben Schwertes Streich,

Doch den Sohn mit mir zugleich.

JAROMIR hervortretend.

Das ist meines Vaters Stimme!

BOLESLAV.

Jaromir! – du bists?

JAROMIR.

Ich bins.

BOLESLAV.

Sei gesegnet!

JAROMIR.

Großen Dank!

Ei, behaltet euren Segen,

Räubers Segen ist wohl Fluch.

Und woher des Wegs, mein Vater?

Welcher Dietrich, welche Leiter

Führt euch in des Sohnes Arm?

BOLESLAV.

Ach, ich war in Feindeshänden.

An dem Weiher dort gefangen,

Ward ich in das Schloß gebracht.

Doch benutzend die Verwirrung,

Die des Grafen jähe Krankheit

Unter seine Diener streute,

Sucht ich Rettung, und entsprang.

JAROMIR.

Und entsprangt? Ihr seid mein Mann!

Seht, so hab ich auch getan;

Denn uns blüht kein Glück, uns beiden,

Unter unbescholtnen Leuten,

In des Waldes Nacht und Graus,

Fühlt ein Räuber sich zu Haus.

Recht mein Vater! Wackrer Vater!

Würdig eines solchen Sohns.[691]

BOLESLAV.

Solchen Sohns? – Er weiß noch nicht! –

Jaromir, du nennst mich Vater!

JAROMIR.

Soll ich nicht? – Wohl, tauschen wir!

Nehmt den Vater ihr zurück,

Doch erlaßt mir auch den Sohn!

BOLESLAV.

Wozu mag noch Schweigen frommen,

Ist die Stunde doch gekommen,

Wo die Hülle fallen muß.

Nun wohlan denn, so erfahre

Das Geheimnis langer Jahre:

Wer dir gab des Lebens Licht.

Laß den Dank nur immer walten,

Denn ich habe dirs erhalten,

Wenn auch gleich gegeben nicht.

JAROMIR.

Ha! – Wenn gleich gegeben nicht?

Nicht gegeben? Nicht gegeben?

BOLESLAV.

Nein, mein Sohn, nicht mehr mein Sohn.

JAROMIR.

Nicht dein Sohn? – Ich nicht der Sohn

Jenes Räubers Boleslav?

Alter Mann, ich nicht dein Sohn?

Laß michs denken, laß michs fassen,

O es faßt, es denkt sich schön!

Ich gehörte mit zum Bunde,

Den verzweifelnd ich gesucht,

Und Gott hätte in der Stunde

Der Geburt mir nicht geflucht?

Meinen Namen nicht geschrieben

Ein in der Verwerfung Buch,

Dürfte hoffen, dürfte lieben

Und mein Beten ist kein Fluch?


Boleslav hart anfassend.


Ungeheuer! Ungeheuer!

Und du konntest mirs verhehlen,

Sahst mich giftge Martern quälen,

Sahst des Innern blutgen Krieg,

Ha, und deine Lippe schwieg!

Schlichst dich kirchenräuberisch

In des reinen Kinderbusens[692]

Unentweihtes Heiligtum;

Stahlst des teuren Vaters Bild

Von der gottgeweihten Schwelle,

Setztest deines an die Stelle!


Ungeheuer! Ungeheuer!

Wenn ich im Gebete kniete,

Und des Dankes Gegenstand,

Der, mir selber unbekannt,

In dem heißen Herzen brannte,

Lebensschenker, Vater nannte,

Segen auf ihn niederflehte,

Schlichst du dich in die Gebete,

Eignetest dir, Mörder, du,

Meiner Lippen Segen zu!

Sprichs noch einmal, sprich es aus,

Daß du dir den Vaternamen

Wie ein feiger Dieb gestohlen,

Mörder! Daß ich nicht dein Sohn!

BOLESLAV.

Ach mein Sohn –

JAROMIR.

Sprich es nicht aus!

Deine Zunge töne Mord,

Aber nicht dies heilge Wort! –

Nicht dein Sohn! Ich nicht dein Sohn!

Habe Dank für diese Nachricht!

Mörder! Darum haßt ich dich,

Seit ich Gottes Namen nenne,

Seit ich Gut und Böses kenne.

Darum bohrten deine Blicke

Sich wie Meuchelmörder-Dolche

In des Knaben warme Brust,

Darum faßt ihn kalter Schauder,

Wenn du mit den blutgen Händen

Seine vollen Wangen strichst,

Dich zu ihm herunter neigtest,

Auf erschlagne Leichen zeigtest,

Und dein Mund mit Lächeln sprach:

Werd ein Mann, und tu mir nach![693]

Und ich Tor, ich blinder Tor,

Ich verstand des eignen Innern

Tief geheime Warnung nicht,

Rang mit meinem weichen Herzen,

Rang in fruchtlos blutgem Ringen

Um ihm Liebe abzudrängen

Für des Mannes greises Haar,

Der der Unschuld Henker war.

Bösewicht, gib mir zurück,

Was mir die Geburt beschieden,

Meiner Seele goldnen Frieden,

Meines Daseins ganzes Glück,

Meine Unschuld mir zurück!

BOLESLAV.

Gott im Himmel! Höre doch!

JAROMIR.

Und wo ist, wer ist mein Vater?

Führ mich hin zu seinen Füßen.

Laß ihn einen Landmann sein,

Der mit seiner Stirne Schweiß

Seiner Väter erbe dünget.

Hin zu ihm! An seiner Seite,

Will ich gern, ein Landmann nur,

Mit der sparsamen Natur

Ringen um die karge Beute,

Legen meiner Tränen Saat

Mit dem Samen in die Erde,

Froh wenn mir die Hoffnung naht,

Daß noch beides grünen werde.

Laß ihn einen Bettler sein;

Ich will leiten seine Schritte,

Teilen seine dürftge Hütte,

Teilen seine Angst und Not,

Teilen sein erbettelt Brot;

Will, wenn späte Sterne blinken,

Auf den nackten Boden sinken,

Und mich reich und selig dünken,

Reicher als kein König ist,

Wenn der Schlaf mein Auge schließt.

Sprich, wo ist er? Führ mich hin![694]

BOLESLAV.

Nun wohlan, so folge mir!

Nicht ein niedrig dunkler Landmann

Nicht ein Sklav in Bettlertracht,

Nein, ein Mann von Rang und Macht,

Den des Landes Höchste kennen

Und den Fürsten Bruder nennen,

Dem der ersten Haupt sich beugt,

Jaromir, hat dich gezeugt.

Heiß den düstern Mißmut fliehn,

Denn dein Los ist nicht so herbe,

Stolz sieh auf den Boden hin,

Du trittst deiner Väter erbe,

Bist ein Graf von Borotin!

JAROMIR zusammenfahrend.

Ha! –

BOLESLAV.

Deiner Kindheit erstes Lallen

Hörten dieses Schlosses Hallen,

Hier hast du das Licht erblickt,

Und bei des Besitzers Küssen

Hast du ohne es zu wissen

Vaters Brust ans Herz gedrückt.

JAROMIR schreiend.

Nein!

BOLESLAV.

Es ist so wie ich sagte!

Komm mit mir hinauf zu ihm.

Des Gesetzes rauhe Stimme,

Hart und fürchterlich dem Räuber,

Mildert seinen strengen Ton

Gegen jenes Mächtgen Sohn!

Komm mit mir, weil es noch Zeit.

Hart verletzt liegt er darnieder

Und wer weiß, ersteht er wieder,

Denn nur jetzt, in dieser Nacht,

In des Schlosses düstern Gängen,

Unsrer Brüder Spur verfolgend

Traf ihn eines Flüchtgen Dolch.

JAROMIR.

Teufel! Schadenfroher Teufel!

Tötest du mit einem Wort?

Glaubst du, weil ich keine Waffen?[695]

Die Natur, die halb nichts tut,

Gab mir Krallen, gab mir Zähne,

Gab zu der Hyäne Wut

Mir auch Waffen der Hyäne!

Natter, laß mich dich zertreten,

Senden dich ins Heimatland!

Können deine Worte töten,

Besser kanns noch diese Hand!


Auf ihn losgehend.


BOLESLAV.

Er ist rasend! Rettung! Hilfe!


Fliehend ab.


JAROMIR.

Wär es wahr? Ha, wär es wahr,

Was des Untiers Mund gesprochen?

Und wovon schon der Gedanke,

Nur das Bild der Möglichkeit,

Meine raschen Pulse stocken,

Mir das Mark gerinnen macht.

Wär es Wahrheit? – Ja, es ist!

Ja, es ist! es ist! es ist!

Ja! tönts durch die dumpfen Sinne,

Ja! heults aus dem finstern Innern

Und die schwarzen Schreckgestalten,

Die vor meiner Stirne schweben,

Neigend ihre blutgen Häupter,

Winken mir ein gräßlich Ja!

Ha und jener Klageton,

Der erscholl in blutger Stunde

Aus des Hingesunknen Munde,

Er ist meinem Ohre nah

Und seufzt wimmernd, sterbend: Ja!


Er mein Vater, er mein Vater!

Ich sein Sohn, sein Sohn und – Ha!

Wer spricht hier? Wer sprach es aus?

Aus das Wort, das selbst ein Mörder,

In des Herzens tiefste Falten

Bleich und bebend sich verbirgt.[696]

Wer sprachs aus? Sein Sohn und Mörder!

Ha, sein Sohn, sein Sohn und Mörder!


Die Hände vors Gesicht schlagend.


Was die Erde Schönes kennet,

Was sie hold und lieblich nennet,

Was sie hoch und heilig glaubt,

Reicht nicht an des Vaters Haupt.

Balsam strömt von seinen Lippen

Und auf wem sein Segen ruht,

Der schifft durch des Lebens Klippen

Lächelnd ob der Stürme Wut.


Doch wer in der Sinne Toben,

Gottesräuberisch, verrucht,

Gegen ihn die Hand erhoben

Ist verworfen und verflucht.

Ja, ich hör mit blutgem Beben

Wie der ewge Richter spricht:

Allen Sündern wird vergeben,

Nur dem Vatermörder nicht!


Sprenge deine starken Fesseln

Giftges Laster, komm hervor

Aus der Hölle offnem Tor.


Laß sie los, die schwarzen Scharen,

Die so lang gebunden waren.

Hinterlist mit Netz und Stricken,

Lüge mit dem falschen Wort,

Neid, du mit den hohlen Blicken,

Mit dem blutgen Dolche Mord!

Meineid mit dem giftgen Mund,

Gotteslästrung, toller Hund,

Der die Zähne grimmig bleckt

Gegen den, der ihn gepflegt.

Brecht hervor, durchstreift die Welt

Und verübt was euch gefällt.

Was ihr auch getan, getrieben,[697]

Ungestraft mögt ihrs verüben,

Euer Tun reicht nicht hinan,

Nicht an das, was ich getan!


Ha, getan! – Hab ichs getan?

Kann die Tat die Schuld beweisen,

Muß der Täter Mörder sein?

Weil die Hand, das blutge Eisen,

Ist drum das Verbrechen mein?

Ja ich tats, fürwahr ich tats!

Aber zwischen Stoß und Wunde,

Zwischen Mord und seinem Dolch,

Zwischen Handlung und erfolg

Dehnt sich eine weite Kluft,

Die des Menschen grübelnd Sinnen,

seiner Willensmacht Beginnen,

Alle seine Wissenschaft,

Seines Geistes ganze Kraft,

Seine brüstende erfahrung,

Die nicht älter als ein Tag,

Auszufüllen nicht vermag.

Eine Kluft, in deren Schoß,

Tiefverhüllte, finstre Mächte

Würfeln mit dem schwarzen Los

Über kommende Geschlechte.


Ja, der Wille ist der meine,

Doch die Tat ist dem Geschick,

Wie ich ringe, wie ich weine,

Seinen Arm hält nichts zurück.

Wo ist der, der sagen dürfe:

So will ichs, so seis gemacht!

Unsre Taten sind nur Würfe

In des Zufalls blinde Nacht.

Ob sie frommen, ob sie töten?

Wer weiß das in seinem Schlaf!

Meinen Wurf will ich vertreten,

Aber das nicht was er traf![698]

Dunkle Macht, und du kannsts wagen

Rufst mir Vatermörder zu?

Ich schlug den, der mich geschlagen,

Meinen Vater schlugest du! –


– Doch wer hält dies Bild mir vor?

Ha, wer flüstert mir ins Ohr?

Halt! Laß mich die Kunde teilen!

Wunden, sprichst du, Wunden heilen

Und Verwundete genesen.

Habe Dank du gütges Wesen,

Segensbote habe Dank!

Mit der Hoffnung auf sein Leben

Hast du meines mir gegeben,

Das verzweifelnd schon versank.

Ja, er wird, er muß gesunden,

Heilen müssen jene Wunden,

Die der Hölle giftger Trug,

Nicht der Sohn dem Vater schlug.


Ich will hin zu seinen Füßen,

Will die blutgen Male küssen,

Und des Schmerzes heiße Glut

Kühlen mit der Tränen Flut.


Nein, in jenen düstern Fernen,

Waltet keine blinde Macht,

Über Sonnen, über Sternen

Ist ein Vateraug das wacht;

Keine finstern Mächte raten

Blutig über unsern Taten,

Sie sind keines Zufalls Spiel,

Nein, ein Gott, ob wirs gleich leugnen,

Führt sie, wenn auch nicht zum eignen,

Immer doch zum guten Ziel.

Ja, er hat auch mich geleitet,

Wenn ich gleich die Hand nicht sah,

Der die Schmerzen mir bereitet,[699]

Ist vielleicht in Wonne nah.


Die Fenster der Schloßkapelle haben sich währenddem erleuchtet, und sanfte, aber ernste Töne klingen jetzt herüber.


Was ist das? – Habt Dank! Habt Dank!


Säuselt, säuselt, holde Töne,

Säuselt lieblich um mich her,

Sanft und weich, wie Silberschwäne

Über ein bewegtes Meer.


Schüttelt eure weichen Schwingen,

Träufelt Balsam auf dies Herz,

Laßt die Himmelslieder klingen,

Einzuschläfern meinen Schmerz.


Ja, ich kenne eure Stimme,

Ihr sollt laden mich zum Bund,

Der mich rief in Donners Grimme,

Ruft mich jetzt durch euren Mund.


Laßt ihr mich Verzeihung hoffen?

Ihr tönt fort und sagt nicht: Nein,

Seht die Pforten stehen offen,

Friedensboten ziehet ein!


Die Töne nehmen nach und nach einen immer ernsteren Charakter an und begleiten zuletzt folgende Worte.


CHOR von innen.

Auf, ihr Brüder!

Senkt ihn nieder

In der Erde stillen Schoß,

In der Truhe

Finde Ruhe,

Die dein Leben nicht genoß.

JAROMIR.

Ändert ihr so schnell das Antlitz

Unerklärte Geisterstimmen?

Habt so lieblich erst geschienen,

Zoget ein, wie Honigbienen,

Und jetzt kehrt ihr fürchterlich[700]

Euren Stachel wider mich!

Das sind keine Friedensklänge,

Ha, so tönen Grabgesänge!

Dort in der Kapelle Licht –

Stille Herz! Weissage nicht!

Ich will sehen, sehen, sehen!

Sollt ich drüber auch vergehen.


Er klettert an verfallenem Gestein bis zum Kapellfenster empor.


GESANG fährt fort.

Hat hienieden

Auch den Frieden

Dir dein eigen Kind entwandt,

Dort, zum Lohne,

Statt dem Sohne

Reicht ein Vater dir die Hand.


Und den Blinden

Wird er finden

Wie er Abels Mörder fand,

Das Verbrechen

Wird er rächen

Mit des Richters schwerer Hand.

JAROMIR wankend und bleich zurückkommend.

Was war das? – Hab ich gesehn?

Ist es Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit,

Oder spiegeln diese Augen

Nur des Innern dunkle Bilder

Statt der lichten Außenwelt?


Starr und dumpf in wüstem Graus

Lag das weite Gotteshaus,

Seine leichenblassen Wangen

Mit des Trauers Flor umhangen;

Am Altar des Heilands Bild

Abgewandt und tief verhüllt,

Als ob Dinge da geschehen,

Dies ihn schaudre anzusehen.

Und aus schwarzverhülltem Chor[701]

Wanden Töne sich empor,

Die um Straf und Rache baten

Über ungeheure Taten.

Und am öden Hochaltar,

Ringsum eine Dienerschar,

Lag, umstrahlt von dumpfen Kerzen,

Eine Wunde auf dem Herzen,

Weit geöffnet, blutig rot,

Lag mein Vater bleich und tot.

Wie, mein Vater? Mag ichs sagen?

Nein, lag der, den ich erschlagen,

Denn, was auch die Hölle spricht,

Nein, er war mein Vater nicht!


Bin ich ja doch nur ein Mensch,

Meine Taten, wenngleich schwarz,

Sind ja doch nur Menschentaten,

Und ein Teufel würde beben,

Gält es eines Vaters Leben.

Hab ich doch gehört, gelesen

Von der Stimme der Natur,

Wär mein Vater es gewesen,

Warum schwieg sie damals nur?

Mußte sie nicht donnernd schreien,

Als der Dolch zum Stoß geneigt,

Halt! Dem deine Hände dräuen,

Mörder, der hat dich gezeugt!

Und wenn sie, sie die ich liebe,

Liebe? – Nein die ich begehre,

Wenn sie meine Schwester wäre,

Woher diese heiße Gier,

Die mich flammend treibt zu ihr?

Schwester? Schwester! Toller Wahn!

Zieht es so den Bruder an?

Wenn uns Hymens Fackeln blinken,

Wir uns in die Arme sinken,

In des Brautbetts Bindeglut,

Dann erst nenn ich sie mein Blut.
[702]

Mir wird Tag. Die Nebel schwinden,

Es erhellet sich die Nacht.

Was ich suchte will ich finden,

Was ich anfing sei vollbracht!

Glaubst du, Wünsche können retten,

Und entsühnen kann ein Wort?

Nie muß man den Weg betreten,

Wer ihn trat, der wandle fort.

Sie muß ich, ja sie besitzen,

Mag der Himmel Rache blitzen,

Mag die Hölle Flammen sprühn

Und mit Schrecken sie umziehn.

Wie der tolle Wahn sie heiße,

Weib und Gattin heißt sie hier

Und durch tausend Donner reiße

Ich die Teure her zu mir.


Hier der Ort und hier das Fenster!

Die Entscheidungsstunde naht

Und mahnt laut mich auf zur Tat.


Im Hinaufsteigen.


Schauderst, Liebchen? Sei nicht bange!

Sieh, du harrest nicht mehr lange,

In des Heißgeliebten Arm

Ruht sichs selig, ruht sichs warm!


Durchs Fenster hinein. Hauptmann kommt mit Soldaten, die Boleslav führen.


HAUPTMANN.

Suche nicht mehr zu entrinnen,

Du hast Sorgfalt uns gelehrt!

Ruhig und nicht von der Stelle!

Aber wo ist dein Geselle?

Hier, sprachst du, verließest du ihn?

BOLESLAV.

Ja, mein Herr!

HAUPTMANN.

Er ist nicht hier!

SOLDAT.

Herr, an jenem kleinen Fenster

Sah ich es von weitem blinken,

Und es wollte mich bedünken,

Daß ein Mensch in voller Hast[703]

Durch die enge Öffnung steige.

Und ich wette, Herr, er wars;

In des Schlosses innern Gängen

Suchet er wohl Sicherheit.

HAUPTMANN.

Wohl, nicht mehr kann er entweichen,

Wo er sei, an jedem Ort

Soll die Rache ihn erreichen.

Und nun folgt mir! Eilig fort!


Ab mit den Soldaten.

Grabgewölbe. Im Hintergrunde das hohe Grabmal der Ahnfrau mit passenden Sinnbildern. Rechts im Vorgrunde eine erhöhung, mit schwarzem Tuch bedeckt.


JAROMIR kommt.

So! Hier bin ich! – Mutig! Mutig! –

Schauer weht von diesen Wänden,

Und die leisgesprochnen Worte

Kommen meinem Ohre wieder

Wie aus eines Fremden Mund. –


Wie ich gehe, wie ich wandle,

Ziehet sich ein schwarzer Streif,

Dunkel wie vergoßnes Blut

Vor mir auf dem Boden hin,

Und ob gleich das Innre schaudert,

Sich empöret die Natur,

Ich muß treten seine Spur.


Seine Hände begegnen sich.


Ha, wer faßt so kalt mich an? –

Meine Hand? – Ja, 's ist die meine.

Bist du jetzt so starr und kalt,

Sonst von heißem Blut durchwallt,

Kalt und starr wie Mörderhand,

Mörder, Mörder, Mörderhand!


Vor sich hinbrütend.


Possen! – Fort! Gebt euch zur Ruh!

Fort, es geht der Hochzeit zu!

Liebchen, Braut, wo weilest du?

Bertha, Bertha, komm![704]

DIE AHNFRAU tritt aus dem Grabmale.

Wer ruft?

JAROMIR.

Du bists! Nun ist alles gut,

Wieder kehret mir mein Mut.

Laß mich Mädchen dich umfangen,

Küssen diese bleichen Wangen –

Warum trittst du scheu zurück,

Warum starrt so trüb dein Blick,

Lustig Mädchen, lustig Liebe!

Ist dein Hochzeittag so trübe?

Ich bin heiter, ich bin froh,

Und auch du sollsts sein, auch du!

Sieh mein Kind, ich weiß Geschichten,

Wunderbar und lächerlich,

Lügen, derbe, arge Lügen,

Aber drum grad lächerlich.

Sieh sie sagen – Lustig, lustig!

Sagen, du seist meine Schwester!

Meine Schwester! – Lache Mädchen,

Lache, lache sag ich dir!

AHNFRAU mit dumpfer Stimme.

Ich bin deine Schwester nicht.

JAROMIR.

Sagst du s doch so weinerlich.

Meine Schwester! – Lache sag ich!

Und mein Vater – Von was anderm!

Alles ist zur Flucht bereitet,

Komm!

AHNFRAU.

Wo ist dein Vater?

JAROMIR.

Schweige!

Schweig!

AHNFRAU steigend.

Wo ist dein Vater?

JAROMIR.

Weib,

Schweig und reiz mich länger nicht!

Du hast mich nur mild gesehn,

Aber wenn die finstre Macht

In der tiefen Brust erwacht

Und erschallen läßt die Stimme,[705]

Ist ein Leu in seinem Grimme

Nur ein Schoßhund gegen mich;

Blut schreits dann in meinem Innern,

Und der Nächste meinem Herzen

Ist der Nächste meinem Dolch.

Darum schweig!

AHNFRAU mit starker Stimme.

Wo ist dein Vater!

JAROMIR.

Ha! –

Wer heißt mich dir Rede stehn? –

Wo mein Vater? – Weiß ichs selbst?

Meinst du jenen bleichen Greis

Mit den heilgen Silberlocken?

Sieh, den hab ich eingesungen,

Und er schläft nun, schläft nun, schläft!


Die Hand auf die Brust gepreßt.


Manchmal, manchmal regt er sich,

Aber legt sich wieder nieder,

Schließt die schweren Augenlider

Und schläft murrend wieder ein. –


Aber Mädchen, narrst du mich?

Komm mit mir, hinaus ins Freie!

Schüttelst du dein bleiches Haupt?

Eidvergeßne, Undankbare,

Lohnst du so mir meine Liebe,

Lohnst du so was ich getan?

Was mir teuer war hienieden,

Meiner Seele goldnen Frieden,

Welt und Himmel setzt ich ein

Um dich mein zu nennen, mein!

Kenntest du die Höllenschmerzen,

Die mir nagen tief im Herzen,

Fühltest du die grimme Pein,

Könntest Reine du es wissen,

Was ein blutendes Gewissen,

O du würdest milder sein,

O du sagtest jetzt nicht: Nein![706]

AHNFRAU.

Kehr zurück!

JAROMIR.

Ha, ich? zurück?

Nimmermehr! Nicht ohne dich,

Geh ich, Weib, so folgst du mir.

Und wenn selbst dein Vater käme,

Und dich in die Arme nähme,

Mit der grassen Todeswunde,

Die mit offnem, blutgem Munde,

Mörder! Mörder! zu mir spricht,

Meiner Hand entgingst du nicht.

AHNFRAU.

Kehr zurück!

JAROMIR.

Nein, sag ich, nein!


Man hört eine Türe aufsprengen.


AHNFRAU.

Horch, sie kommen!

JAROMIR.

Mag es sein!

Leben, Bertha, dir zur Seite

Oder sterben neben dir.

AHNFRAU.

Flieh, entflieh, noch ist es Zeit!


Eine zweite Türe wird eingesprengt.


JAROMIR.

Bertha! Hierher meine Bertha.

AHNFRAU.

Deine Bertha bin ich nicht!

Bin die Ahnfrau deines Hauses,

Deine Mutter, Sündensohn!

JAROMIR.

Das sind meiner Bertha Wangen,

Das ist meiner Bertha Brust,

Du mußt mit! Hier stürmt Verlangen

Und von dorther winkt die Lust.

AHNFRAU.

Sieh den Brautschmuck den ich bringe!


Sie reißt das Tuch von der bedeckten erhöhung. Bertha liegt tot im Sarge.


JAROMIR zurücktaumelnd.

Weh mir! –

Truggeburt der Hölle!

All umsonst! Ich laß dich nicht!

Das ist Berthas Angesicht

Und bei dem ist meine Stelle!


Auf sie zueilend.


AHNFRAU.

So komm denn, Verlorner!


Öffnet die Arme. Er stürzt hinein.
[707]

JAROMIR schreiend.

Ha! –


Er taumelt zurück, wankt mit gebrochenen Knieen einige Schritte und sinkt dann an Berthas Sarge nieder. Die Türe wird aufgesprengt. Günther, Boleslav, der Hauptmann und Soldaten stürzen herein.


HAUPTMANN hereinstürzend.

Mörder, gib dich! Du mußt sterben!


Die Ahnfrau streckt die Hand gegen sie aus. Alle bleiben erstarrt an der Türe stehen.


AHNFRAU sich über Jaromir neigend.

Scheid in Frieden, Friedenloser!


Sie neigt sich zu ihm herunter und küßt ihn auf die Stirne, hebt dann die Sargdecke auf und breitet sie

wehmütig über beide Leichen. Dann mit emporgehobenen Händen.


Nun wohlan, es ist vollbracht,

Durch der Schlüsse Schauernacht

Sei gepriesen ewge Macht! – –

Öffne dich, du stille Klause,

Denn die Ahnfrau kehrt nach Hause!


Sie geht feierlichen Schrittes in ihr Grabmal zurück. Wie sie verschwunden ist, bewegen sich die Eingetretenen gegen den Vorgrund zu.


HAUPTMANN.

Ha, nun bist du unser –

GÜNTHER eilt dem Sarge zu, hebt die Decke auf und spricht mit Tränen.

Tot!

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 688-708.
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Große Erzählungen der Frühromantik

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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

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