Vierter Aufzug

[1136] Platz vor Bancbanus Hause.

Die Grafen Simon und Peter kommen mit Begleitung. Alle bewaffnet. Sie bleiben im Vorgrunde rechts stehen.


SIMON.

Bancbanus nicht zu Hause? – Aber seht,

Dort nahen sie, sie kommen vom Begräbnis.

Was fällt ihm ein? Begräbt er seine Frau? –

Ein Bahrrecht soll uns werden. Blutges Bahrrecht!

Er wird schon alt und kindisch, höchste Not,

Daß andre denken, handeln drum für ihn.


Zu Peter.


Sei ruhig, Bruder, dir soll Rache sein!


Zu einem Begleiter.


Du aber kehre zu den Unsern. Sag,

Sie sollen jeden Ausgang streng bewachen,

Der aus dem Schloß ins Freie führt. Man will

Den Mörder unserm Grimm entziehn, ihn heimlich

Nach Deutschland senden; doch das soll, das darf nicht!

Ich will dich zerren, blutger Wolf! – Geh nur!

Und komm ich selbst, und haben wir nicht Antwort,

So stürmen wir das Schloß!


Begleiter geht ab.

Im Hintergrunde kommt Bancbanus auf zwei Diener gestützt. Verwandte und Freunde hinter ihm, alle in Trauer. Sie gehen quer über die Bühne auf das Haus zu.


Er kommt.

PETER.

Und sieh wie bleich!

SIMON ruft.

Bancbanus!

BANCBANUS anhaltend.

Halt! wer ruft? Ah, du, mein Bruder?


Nach vorne kommend.


Wir haben dein entbehrt bei dem Geleit.

Ich sandte zu dir, doch, du warst nicht heim.

SIMON.

Nicht heim? Nicht heim?


Gegen seine Begleiter gewendet.


Wo war ich denn derweile?

BANCBANUS zu den Leichengästen.

Euch andern Dank für diesen letzten Dienst,

Den ihr erwiesen mir und meinem Weib.

Zur sichern Ruhstatt brachten wir sie hin,[1137]

Wo Gott sie hat, und hat sie ach! so lieb,

Daß er sie nimmer läßt. O, nimmer! Nie! –


Mit erstickter Stimme.


Nun denn: dein Will gescheh! – Kehrt nun nach Haus,

Und haltet ruhig euch und still. Denkt drum nicht schlimmer

Von mir und von den Meinen. Wenn mein Weib sich

Auch eines Fehltritts, wie es heißt, vermaß,

Für den man sie so hart, ach, gar so hart bestraft,

Geschahs gewiß aus Übereilung nur,

Denn sie war ruschlich – o mein Weib! mein Weib! mein Weib!

Was sie versehn, und wie sie sich vergangen,

Ob man zu streng, zu hart an ihr getan,

Es wird sich weisen, kehrt der König wieder.

Und das soll bald, gemeldet wards ihm schon.

Der nun wird sitzen mit dem Schwert des Rechts,

Wer rein, wer schuldig, wird sein Wort entscheiden.

Bis dahin haltet euch als ruhge Bürger,

Und meines Danks versichert, lebet wohl!

SIMON.

Halt noch! und du! Seid ihr so zahm, so feig,

Daß ihr mit Tränen ehrt nur ihren Tod?

Sie hätte eines Fehltritts sich vermessen?

Getötet hat man sie, hat sie ermordet,

Weil sie sich nicht gefügt verbotner Lust.

BANCBANUS.

Bist du der Richter hier in diesem Land?

Der Alleswissende du ob den Sternen?

Daß du so kühn dein Urteil gibst für Recht?

SIMON.

Ein Ungar bin ich, rufend um Gericht.

BANCBANUS.

Es soll dir werden, kehrt der Richter heim.

SIMON.

Dann ist der Schuldge fern, sie retten ihn.

BANCBANUS.

Das soll man nicht!

SIMON.

Sie wollens und sie tuns.

BANCBANUS.

So sehr denn lechzest du nach seinem Blut?

SIMON.

Ich, ja!

BANCBANUS.

Auch ich, gäbs wieder mir mein Weib!

SIMON.

So tret ich denn als ihr Verwandter auf,

Und fordre Bahrrecht, Blutrach, und zur Stund!

BANCBANUS.

Ich bin der Nächste, dem man sie geraubt,

Dem man sein Heil, dem man sein Glück getötet,[1138]

Mein Kind, mein Weib, mein alles auf der Welt.

Wenn nun nicht ich, wer ist so kühn und redet? –

Hier steht noch einer, sieh, ihr Bruder hier,

Allein er schweigt und starret auf den Grund.

Komm, Peter, komm! Wir wollen in mein Haus!

Es ist um Zwielicht schon, wir setzen uns

Dort, wo sie saß und sprach, und sagen uns,

Wie lieb sie war und gut; – komm, Peter komm!

Und weinen uns recht satt.

SIMON Peter am Arme haltend.

Nicht von der Stelle!


Zu Bancbanus.


So wisse denn, die Burg ist schon umringt.

Auslieferung des Mörders fordern wir,

Nicht ihn zu töten, nur zu sichrer Haft.

Wird nicht Gewährung uns zu dieser Stunde,

So stürmen wir das Schloß. Bist du ein Mann,

So nimm dein Schwert, und geh an unsrer Spitze.

BANCBANUS.

Aufrührer! ich mit euch? – Ich bin der Mann des Friedens,

Der Hüter ich der Ruh. – Mich hat mein König

Geordnet seinen Frieden hier zu wahren;

Ich in den Bürgerkrieg mit euch?

Fluch, Bürgerkrieg! Fluch dir vor allen Flüchen!

Aufrührer, sieh, und so verhaft ich dich.

Im Namen meines Königs, deines Herrn!

SIMON ihn mit vorgestreckter Hand abhaltend.

Schwachsinniger! Bewahrst du andrer Rechte,

Und kannst die eignen nicht bewahren dir?

So bleib denn, bleib! Das Ziel sei der Verachtung,

Ein Spott für jeden, dem die Ehre lieb!

Kein Tapfrer setze sich an deinen Tisch,

Der Bettler weise dir zurück die Gabe,

Unheilig sei die Stätte deines Grabs.

Bewein dein Weib, ich aber will sie rächen!

Ihr in der Trauer friedlichem Gepränge,

Nehmt Schild und Schwert, zeigt männlich euer Leid!

BANCBANUS.

Verwandte! Freunde! Haltet! Hört mich erst!

SIMON.

Wer denkt wie ich, der trete her zu mir!


[1139] Die Leidtragenden treten zu ihm über und nehmen Waffen.


BANCBANUS.

Bin ich allein für meines Königs Sache?

Unglückliche, vernehmt –

SIMON.

Schlagt Schild und Schwert zusammen,

Hört nicht, was er in seinem Wahnwitz spricht!


Sie schlagen unter lautem Ausruf ihre Waffen aneinander, indes Bancbanus fruchtlose Versuche zu sprechen macht.


BANCBANUS.

Ihr wollt nicht hören? Krieg denn wollt ihr? Habt ihn!

Doch gegen euch mit meinem letzten Odem.

Gebt mir mein Schwert! – Mein Schwert! – Mein Schwert!


Er wendet sich wankend gegen seine Diener und sinkt endlich in ihren Armen zur Erde.


SIMON.

Laßt ihn, und überlaßt ihn seiner Schwäche!

Die Zeit verrinnt. Folgt mir! Kommt mit aufs Schloß!

Der Rache sei ihr Recht, dem Recht sei Rache!


Mit seinen Begleitern ab.

Pause. Es wird allmählich, dunkler.


BANCBANUS richtet sich mit Hilfe seiner Diener vom Boden auf.

Wo sind sie hin? Bringt mich ins Haus zurück! –

Hol einen Mantel du! – Du kannst ja rudern? –

Auch eine Blendlaterne bringe mir.

Es wird schon dunkel. Führt mich in mein Haus.


Sie bringen ihn ins Haus.

Zimmer der Königin, mit einer Mittel- und zwei Seitentüren, von denen jene rechts nach dem Vorgrunde zu, die zur linken Seite aber gegen den Hintergrund angebracht ist. Rechts im Vorgrunde ein Tisch mit Lichtern, dabei ein Lehnstuhl. Hinter der Szene ertönt ein Schrei. Dann stürzt die Königin aus der Seitentüre rechts. Herzog Otto hinter ihr, das Schwert in beiden Händen gerade vor sich hinhaltend wie einer, der sich anschickt, zum zweiten Male auszuholen.


KÖNIGIN.

Um Gottes willen! Bruder, was beginnst du?

OTTO.

Ah, Schwester! so bist dus? Ich dachte, sie wärs,

Die blasse Gräfin, sie! – Nun, so ists gut.


Will zurück.


KÖNIGIN.

Ich bitt dich, bleib!

OTTO.

Warum?

KÖNIGIN

Ich bitte dich!

OTTO.

Wart noch!


Er geht in das Zimmer zurück.
[1140]

KÖNIGIN.

Auch dieser Trost noch sollte fehlen!

OTTO kommt zurück, einen Gewappneten führend.

Hier stell dich an die Tür, und siehst du? so

Halt deinen Spieß. Wer irgend nun hereintritt,

Und weiß das Merkwort nicht, den stößt du nieder.

Triff zweimal, oder dreimal, bis er tot.


Vorkommend.


Ich selber halte dies mein gutes Schwert,

Ich habs geschliffen,


Es seiner Schwester hinhaltend.


Fühl!


Er versucht selbst die Schneide.


Hui! Scharf, wie Gift!

Das in der Hand; den Rücken so gesichert –


Er schiebt den Tisch nach rückwärts.


Der Tisch ist für den ersten Anfall gut.

So will ich sitzen, und will wachsam sein.


Setzt sich.


KÖNIGIN.

Vergißt du denn –?

OTTO.

Nach Deutschland kehr ich heim.

Sorgt ihr für euch! Was kümmerts mich?

KÖNIGIN.

Nach Deutschland?

Und jeder Ausgang ist verwehrt, bewacht!

OTTO seine Beine betrachtend.

Ich will mir Schienen fertgen lassen, dreifach Eisen,

Und Panzerhosen von geprobtem Stahl.

Der Stiefel schützt nicht gnug.


Mit dem Schwert an den Fuß klopfend.


Es schmerzt wohl gar!


Er greift mit der Hand nach der getroffnen Stelle.


KÖNIGIN.

Mann, wenn du es noch bist! Zum mindsten: Mensch denn!

Wahnsinnig mach mich nicht mit solchen Reden.

Weißt du auch, wo du bist, was dich umgibt?

Von Pöbelhaufen sind wir rings umlagert,

Nach dir begehren sie, dich heischt ihr Grimm.

Das Schloß ist schlecht verwahrt, der Unsern wenig:[1141]

Geh du hinab, stell dich an ihre Spitze,

Wend ab, was droht.

OTTO aufspringend.

Daß sie mich fangen, töten?

Pfui über allen Tod! Durch Schwert, durch Feuer,

Durch Gift, durch Strick, durch Beil. Pfui allem Tod!

Ei, ich will leben, ich!


Er setzt sich wieder.


KÖNIGIN.

So lebe denn,

Bis uns das Unheil allesamt verschlingt!

OTTO.

Wo ist dein Sohn? Das ist ein wackrer Schütz,

Mit seiner kleinen Armbrust. Ruf ihn her!

Er war zu Nacht bei meines Bettes Häupten,

Dort hielt er Wacht; und wenn die Gräfin kam,

Da spannt er seinen Bogen, wie Cupido,

Und schoß nach ihr den Pfeil. Sie duckte sich,

Jetzt hier, jetzt dort! so war sie nicht mehr da.

Wo ist dein Sohn? Mich drängt es, ihn zu sehn.


Der Schloßhauptmann kommt.


KÖNIGIN.

Euch sendet Gott vom Himmel! Nun, mein Freund,

Habt ihr die Meuter angeredet? Geben

Sie besserm Rat, sie ihrer Pflicht Gehör?


Schloßhauptmann zuckt die Schultern.


So bleiben sie bei ihrer alten Fordrung?

SCHLOSSHAUPTMANN.

Sie haben einen hergesandt als Boten,

Um Euer Gnaden ihr Begehr zu künden.

Er harrt im Vorgemach. Doch bleibts wohl fruchtlos,

Denn sie bestehn –

KÖNIGIN.

Laßt ihn doch immer ein!

Ein lebend Wort gilt hundert tote Zeilen,

Und Hunderte von Gründen samt Erweis.


Schloßhauptmann geht ab.


Nun, Bruder, aber geh auf dein Gemach,

Sie sollen dich nicht sehn.

OTTO.

Was fällt dir ein?

Ich muß hier Wache halten! Wache! Wache!


Graf Peter kommt, vom Schloßhauptmann begleitet.


KÖNIGIN.

Nun Graf, als Kämmrer übt ihr euer Amt!

Allein, nicht öffnend, ihr verschließt die Türen.[1142]

PETER.

Der Grund, warum wir euch in Waffen nahn –

KÖNIGIN.

Ich weiß den Grund; vielmehr nur: ich errat ihn;

Denn: wissen, hieße doch zugleich erklären,

Daß er erkennbar aus Vernunft und Recht.

PETER.

Ein ungeheurer Frevel ist geschehn.

KÖNIGIN.

Ein Unglück, sprecht vielmehr!

PETER auf Otto zeigend.

Der Täter hier.

KÖNIGIN.

Wer sagts euch?

PETER.

Es ist klar. – Er sei bestraft!

Auslieferung des Schuldgen wird begehrt.

KÖNIGIN.

Ausliefern ihn? daß ihr in seinem Blut?

PETER.

Nicht ihn zu töten, nur in sichre Haft.

OTTO.

Der ist nicht klug! Nach Deutschland geh ich.


Er neigt den Kopf in die Lehne des Sessels zurück.


PETER.

Hört ihr?

KÖNIGIN.

Wir werden uns verständgen, seh ich wohl!

Seid ihr zufrieden, wenn ich euch gelobe,

Ihn selbst zu halten hier, ihn nicht zu lassen,

Bis Euer Herr zurückkehrt, und der meine?

PETER.

Verzeiht, wir traun euch nicht!

KÖNIGIN.

Verwegne, wagt ihrs?

Und wenn zurück ich das Begehren weise?

PETER.

So stürmen wir – so stürmen sie das Schloß.

KÖNIGIN.

Ich seh in Euren Augen, Graf, ein Etwas,

Das eine mildre Meinung mir verbürgt.

PETER.

Hier ist von meiner Meinung nicht die Rede,

Von meinem Auftrag nur.

KÖNIGIN.

Nun denn, so wißt:

Eh ich den Bruder seinen Mördern liefre,

Begrab ich mich in dieses Schlosses Trümmern,

Mich, eures Königs Weib, mit mir sein Kind,

Den Erben seines Throns. Wagt ihrs und stürmt?

Der König wird so teure Pfänder rächen.

PETER.

Mit Recht! Doch nicht an uns, da ihr sie tötet.

KÖNIGIN.

Ist dies eur letztes Wort?

PETER.

Das meine, ja;

Doch nicht auch euer letztes, hoff ich.

KÖNIGIN.

Geht.


[1143] Graf Peter ab.


KÖNIGIN zum Schloßhauptmann.

Sagt ihm, wenn man – Begehrt zwei Stunden Aufschub,

Bis dahin überlegt man –


Schloßhauptmann ab.

Königin steht erwartend an der Türe.

Schloßhauptmann kommt zurück.


Nun?

SCHLOSSHAUPTMANN.

Er will nicht!

KÖNIGIN.

Seis denn! Geht in den Schloßhof. Rüstet euch,

Heißt alle wachsam sein. Versprecht Belohnung.

Vor allen braucht die Leute meines Bruders.

Wenns angeht, kommt er, selbst.


Schloßhauptmann ab.


KÖNIGIN rasch zu Otto tretend.

Nun, Bruder, auf!

Schläfst du? Und wär dein Schlummer Seligkeit,

Ich kann dirs nicht ersparen. Auf!

Die Waffen in die Hand!


Die Hand auf sein Haupt gelegt.


OTTO emporfahrend.

Wer faßt mich an?


Mit abstreifenden Bewegungen über Arm und Körper.


Sie fangen, töten mich! Ha! Ketten, Bande, Stricke! –

Wer da? – Ha, Schwester du? – Und doch, und doch –

Dort regt sichs – dort, im Winkel – Meine Schwester?

Bringt Lichter! – Dort im Winkel! – Gott! nur Licht!

Licht, sag ich: Licht! Licht! Licht!


Kammerfrau aus der Seitentüre rechts, mit Licht.


KÖNIGIN.

Nur Fassung, Bruder!


Zur Kammerfrau.


Bleibt dort, dort an der Türe mit dem Licht!


Zu Otto.


Sieh, es ist nichts!

OTTO matt.

O, Schwester, meine Schwester!

Nicht wahr, die Gräfin war ein böses Weib?

KÖNIGIN.

Vielleicht!

OTTO.

Sie hats verdient?

KÖNIGIN.

Wohl möglich!

OTTO.

Ach,[1144]

Und ich habs nicht getan, sie tat es selbst?

KÖNIGIN.

Sei ruhig! was geschehn, ist nicht zu ändern!

Drum sammle dich, und laß uns weitersehn.

OTTO von seiner Schwester unterstützt.

Mein Innres ist betrübt, bis in den Tod!

Schick fort nach deinem Sohn! Das Kind ist gut.

Es hat mich diese Nacht bewacht, es solls

Auch jetzt. Geh, bitt dich, deinen Sohn!

KÖNIGIN zur Kammerfrau.

Bring ihm das Kind!


Kammerfrau geht in die Seitentüre rechts ab.


Du aber setz dich dort auf jenen Stuhl.

Sei erst du selbst, das andre findet sich.


Entfernte Trompeten und Geschrei. Ein starker Schlag erschüttert das Schloß.


Ha, was ist das?


Kammerfrau kommt mit dem Kinde zurück.


KAMMERFRAU.

Ach, gnädge Frau, sie bringen

Sturmböcke, Mauerbrecher an das Schloß.

KÖNIGIN.

Kein Aufschub denn?

KAMMERFRAU.

Ich sahs beim Schein des Mondes,

Sie stehn in Haufen. Hörtet ihr den Schlag?


Ähnliches Getöse wie oben.


Schon wieder! Gott und Herr, in deinen Schutz –

OTTO.

Die Mauern sind zu schwach, sie halten nicht;

Ein Dutzend Stöße, und sie stürzen nieder.

KAMMERFRAU.

Erbarm dich unser, Herr!

OTTO.

Am Tore rechts,

Da steht ein Erker, vor ins Freie springend.

Wenn den mit Schützen man besetzt und Schleudrern,

So fassen sie des Feindes Seite, drängen

Und treiben ihn zurück.

KÖNIGIN.

Wenn dus erkennst,

Hinab! und ordn es so!

OTTO.

Was fällt dir ein?

Ich geh nicht hin. Ich bleibe hier. Bei euch! –

Habt ihr zu essen nicht? Mich hungert.

KÖNIGIN.

Von aller Welt verlassen, und auch dies noch!

In ihm vernichtet, der mein alles war!


Erneuerter Anprall und Kriegeslärm.
[1145]

OTTO.

Knie nieder, Knabe! Falte deine Hände!


Zur Kammerfrau.


Du auch. – Ich hinter euch, mit meinem Schwert,

Will stehn und wachen, ob euch Gott erhört.

KÖNIGIN.

Horch! Was dort für Geräusch?

KAMMERFRAU die aufgestanden.

Es kam von seitwärts.

Aus jenem Zimmer!


Auf die Seitentüre links zeigend.


KÖNIGIN.

Ist Verrat im Werk?


Man hört Fenster klirren.


KAMMERFRAU.

Sie überfallen uns!

KÖNIGIN.

Wer da? – Man schweigt.

OTTO.

Kniet nieder ihr, dies ist der letzte Tag!

KÖNIGIN zu Otto.

Gib mir dein Schwert! Ich will nur selber sehn.

Wer dort? Freund oder Feind?

BANCBANUS in einen braunen Mantel gehüllt, eine Blendlaterne in der Hand, kommt aus der Seitentüre links.

Nicht Feind, nicht Freund.

Ich bins!

KÖNIGIN.

Bancban!

OTTO zum Knaben.

Stell dich vor mich hin, Knabe!

Sie wollen mir zu Leib!

BANCBANUS auf die Kammerfrau zeigend.

Heißt diese gehn!

KÖNIGIN.

Führt ihr Verbotnes nicht im Sinn?

BANCBANUS.

Ei ja.

KÖNIGIN.

Margrete, geh!


Kammerfrau geht ab.


KÖNIGIN.

Wie nun?

BANCBANUS.

Mir ist gelungen,

Zu täuschen Eurer Feinde Wachsamkeit,

Auf kleinem Kahn den Graben zu durchsetzen,

Der dort das Schloß umgibt. Wollt ihr mir folgen?

Ins Freie bring ich euch auf gleichem Weg!

KÖNIGIN.

Bancbanus, sprecht ihr Wahrheit?

BANCBANUS.

Zweifelt ihr?

KÖNIGIN.

Nach allem, was geschehn! Mann, Ihr vergäßt –[1146]

BANCBANUS.

Nicht, daß mein Herr euch meinem Schutz vertraut.

Nehmt euer Kind, und folgt.

KÖNIGIN.

Mein Kind! und dieser?


Auf Otto zeigend.


BANCBANUS.

Dankt Gott, daß, als ich kam, ich seiner nicht gedacht!

Nehmt euer Kind und folgt!

KÖNIGIN.

Bancbanus, höre!

Du rettest alle drei uns, oder keines.

Mit ihm den Tod, mit ihm auch nur befreit.

BANCBANUS.

Ich will nicht sehn, wer Euren Schritten folgt.

Doch hüt er sich, wenn draußen wir im Freien.

KÖNIGIN.

Komm, Bruder, komm!

OTTO zum Kinde.

Und du! Und hier mein Schwert!


Er führt den Knaben. Alle gehen durch die Seitentüre links ab. Bancbanus schließt.


KAMMERFRAU stürzt herein.

Um Gottes willen, gnädge Frau! O Rettung!

Das Tor ist offen, Feinde überall!

Wo sind sie? Gott! Wo flieh ich Ärmste hin?


In die Seitentüre rechts ab.

Dunkles Gewölbe. Im Hintergrunde ein offner

Mauerbogen als Eingang. An der Seitenwand links ein ähnlicher kleinerer, zu einem schmalen Gange führend. Gegenüber rechts, ein verschlossenes Pförtchen.

Bancbanus kommt mit einer Blendlaterne. Hinter ihm die Königin, dann Otto, den Knaben führend, unter dem Arme einen zusammengefalteten weißen Mantel, in der Hand das bloße Schwert.


BANCBANUS am Ausgange auf der linken Seite stehenbleibend.

Hier ist die Tür. Sie führt durch einen Gang

Nach außen, bis zum Graben hin der Burg.

Dort harrt sein Nachen –

OTTO zum Kinde hinabgebeugt.

Ich will rudern, schau!

BANCBANUS zur Königin fortfahrend.

Ein Fährmann lenkt den Kahn, der also klein,

Daß er nur zwei auf einmal bergen kann,

Den Fährmann selbst, und Eines je von euch.

Gefällts euch, geht zuerst. Zurückgekehrt,

Nimmt Euer Kind der leichtgefügte Nachen;

Und läßt der Feind uns Zeit zur dritten Fahrt,

So mag sich retten, wems noch ferner nötig.[1147]

KÖNIGIN.

Nicht so, Bancban! Soll ich dein Schiff besteigen,

So rett es diesen erst!


Auf Otto zeigend.


OTTO.

Ja, mich zuerst!

BANCBANUS.

Nicht eh noch euer Kind?

KÖNIGIN.

Dies Kind beschützt

Schuldlosigkeit mit lilienblankem Schwert,

Doch diesen suchen sie, und er ist schuldig.

Drum rett erst ihn, zum zweiten dieses Kind,

Die dritte Fahrt der Schwester und der Mutter.

Nimm, Otto, meinen Sohn! Folgt diesem Mann!

Ich selber bleibe hier. Die dumpfe Luft,

Der enge Raum benimmt, hemmt mir den Atem.

Wenn mich die Reihe trifft zur nächtgen Fahrt,

So gebt ein Zeichen mir. Leb wohl, mein Sohn!

Mein Bruder, lebe wohl! Nur fort! Nur schnell!


Bancbanus mit der Laterne voraus in den Gang. Otto, der Mantel und Schwert weggeworfen, und den Knaben auf den Arm genommen hat, folgt.


KÖNIGIN nachdem sie ihnen einen Augenblick nachgesehen hat, rasch nach hinten gewendet.

Ich hörte Stimmen, und sie kommen, fürcht ich.

Das Schloß ist über, wenn nicht alles täuscht.

Nur so viel Frist, o Gott! bis sie gerettet,

Die Lieben beide; komme dann, was will.


Am Mitteleingange stehend.


Ich hörte recht. Die Stimmen nahen. Helle,

Wie Fackelschein, wächst gleitend durch die Gänge.

Der Fußtritt naht. Stell ich den Meutern mich

Als Königin entgegen und als Frau?

Sie spotten mein, und tun ihr blutges Werk.

Ergreif ich dieses Schwert, den Mantel hier,


Sie rafft beides vom Boden auf.


Und kämpf als Mann um meine süße Beute?

Zu schwach! O Gott! Kein einzelner genügt!

Drum dort hinein! Zu warnen, anzutreiben,

Beschleungen ihre Flucht – O Gott! Man kommt!


Sie wirft Schwert und Mantel wieder hin, und eilt fliehend in den Gang.

[1148] In demselben Augenblicke treten die Grafen Simon und Peter, vom Hintergrunde her, auf; erst später hinter ihnen Gewaffnete mit Fackeln.


SIMON.

Der Herzog wars! Dort liegt sein Schwert und Mantel.

Wirf deinen Dolch!

PETER wirft seinen Dolch in der Richtung des Ganges; ein gedämpfter Schrei wird gehört.

Gerechter Gott! – Mein Bruder!

Das war des Herzogs Stimme nicht!

SIMON vorkommend.

Nur nach!

Es soll sich zeigen bald, wer es gewesen!

Dringt in den Gang, und folgt der Flüchtgen Spur!


Einige gehen in den Gang.


Sie können nicht entrinnen, auch von außen,

Vom Graben her, ist bald der Gang besetzt.

Mein reisig Volk verlegt den Ausgang dort.


Von denen, die in den Gang gedrungen sind, kommen einige zurück mit Zeichen des Entsetzens.


Was ist?

EIN GEWAFFNETER.

Sie stirbt. Es ist die Königin!

SIMON.

Willst du mein spotten?

PETER.

Seht! Bringt Hilfe! Schnell!


Königin erscheint blutend am Eingange. Sie macht eine abhaltende Bewegung, und sinkt dann tot nieder.


O, all ihr Engel, die ihr Böses abwehrt,

Steht bei! Ich hab die Königin erschlagen!


Er eilt zur Leiche.


SIMON.

Hast dus gewollt? – Und dann – weils doch geschehn,

Weil uns der Teufel gaukelnd hier genarrt,

Um desto heißer nach dem Doppelmörder!

Ihm nach, der sie auch tötete, auch sie!

Laß jetzt die Klage, Bruder! Räch dich erst!

Hier ist sein Weg. Ich schlacht ihn allen beiden.


Indem er sich anschickt, den Gang zu betreten, springt die Seitenpforte rechts auf, und Herzog Ottos Gefolge dringt bewaffnet herein.


ERSTER EDELMANN von Ottos Gefolge.

Schützt euren Herrn! Fallt an die frechen Meuter!

SIMON umkehrend.

Du Herrenknecht! Nachtreter seiner Laster!

Geh diesesmal voran, zeig ihm den Weg!


[1149] Er fällt ihn an. Gefecht.


ZWEITER EDELMANN.

Drängt weh sie von der Pforte, ab vom Gang!

SIMON fechtend.

Rasch, Peter, zieh dein Schwert! Mach reine Bahn!

ERSTER EDELMANN.

Dich sucht ich, dich!

SIMON.

Hier bin ich.

ERSTER EDELMANN.

Stirb!

SIMON.

Erst du!


Ein ungarischer Anführer erscheint am Eingange des Hintergrundes. Die Kämpfenden teilen sich nach beiden Seiten. Das Gefecht ruht.


UNGARISCHER ANFÜHRER.

Steckt ein die Schwerter! Nutzlos euer Streit!

Der Herzog ist entkommen; war am Ufer,

Bevor die Unsern noch den Platz erreicht.

Nun dringen Krieger herwärts durch die Wölbung;

Allein, zu spät, der Herzog ist entwischt.

SIMON.

Ist er entwischt? Nun, du entkommst mir nicht.


Zum ersten Edelmann.


Zahl deines Herren Zeche, Sündenknecht!


Die Kämpfer mischen sich wieder. Erneutes Gefecht.


ERSTER EDELMANN.

Zieht euch zurück!

SIMON.

Zur Hölle, ja!

ERSTER EDELMANN.

Weh mir!


Er fällt.

Die Anhänger des Prinzen werden nach dem Hintergrund gedrängt. – Bancbanus kommt, den Knaben an der Hand, fliehend aus dem Gange. Bald hinter ihm dringen ungarische Krieger, auf demselben Wege, heraus, und mischen sich unter die im Hintergrund Kämpfenden.


BANCBANUS im Vorgrunde links.

Der Ausgang ist besetzt, und kein Entrinnen.

Man kämpft, man ficht. Wo berg ich meinen Schatz?

Ei ja! duck dich, mein Herrlein! duck dich, Kind!

Der Mantel da hat Raum für unser beide.

Und rühr dich nicht, und halt den Atem an!


Er legt sich zu dem Knaben am Boden hin, und zieht seinen dunkeln Mantel über ihn und sich.

Das Gefecht, wieder nach vorn kommend, dauert fort.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 1136-1150.
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