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[730] SAPPHO allein.
Sie legt, in Gedanken versunken, die Stirn in die Hand, dann setzt sie sich auf die Rasenbank und nimmt die Leier in den Arm, das Folgende mit einzelnen Akkorden begleitend.
Golden thronende Aphrodite,
Listenersinnende Tochter des Zeus,
Nicht mit Angst und Sorgen belaste,
Hocherhabne, dies pochende Herz!
Sondern komm, wenn jemals dir lieblich
Meiner Leier Saiten getönt,
Deren Klängen du öfters lauschtest,
Verlassend des Vaters goldenes Haus.
Du bespanntest den schimmernden Wagen,
Und deiner Sperlinge fröhliches Paar,
Munter schwingend die schwärzlichen Flügel,
Trug dich vom Himmel zur Erde herab.
Und du kamst; mit lieblichem Lächeln,
Göttliche! auf der unsterblichen Stirn,
Fragtest du, was die Klagende quäle?
Warum erschalle der Flehenden Ruf?[730]
Was das schwärmende Herz begehre?
Wen sich sehne die klopfende Brust
Sanft zu bestricken im Netz der Liebe?
Wer ists, Sappho, der dich verletzt?
Flieht er dich jetzt, bald wird er dir folgen,
Verschmäht er Geschenke, er gibt sie noch selbst,
Liebt er dich nicht, gar bald wird er lieben,
Folgsam gehorchend jeglichem Wink.
Komm auch jetzt und löse den Kummer,
Der mir lastend den Busen beengt,
Hilf mir erringen, nach was ich ringe,
Sei mir Gefährtin im lieblichen Streit.
Sie lehnt matt das Haupt zurück.
Der Vorhang fällt.
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Sappho
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