Sechster Auftritt

[741] Sappho. Phaon.


SAPPHO nach einer Pause.

Phaon!

PHAON.

Sappho!

SAPPHO.

Du standst so früh

Von unserm Mahle auf. Du wardst vermißt!

PHAON.

Den Becher lieb ich nicht, noch laute Freuden!

SAPPHO.

Nicht laute. Das scheint fast ein Vorwurf

PHAON.

Wie?

SAPPHO.

Ich habe wohl gefehlt, daß ich die Feier

Der Ankunft laut und rauschend angestellt! –

PHAON.

So war es nicht gemeint!

SAPPHO.

Das volle Herz,

Es sucht oft lauter Freude vollen Jubel,

Um in der allgemeinen Lust Gewühl

Recht unbemerkt, recht stille sich zu freun.

PHAON.

Ja, so!

SAPPHO.

Auch mußt ich unsern guten Nachbarn

Für ihre Liebe wohl mich dankbar zeigen,

Das freut sich nur bei Wein! Du weißt es wohl!

In Zukunft stört kein lästig Fest uns wieder

Die Stille, die du mehr nicht liebst als ich![741]

PHAON.

Ich danke dir.

SAPPHO.

Du gehst?

PHAON.

Willst du? Ich bleibe!

SAPPHO.

Zu gehn oder zu bleiben bist du Herr!

PHAON.

Du zürnest!

SAPPHO bewegt.

Phaon!

PHAON.

Willst du etwas?

SAPPHO.

Nichts. –

Doch eins!


Mit Überwindung.


Ich sah dich mit Melitten scherzen –

PHAON.

Melitta? Wer? Ei ja, ganz recht! Nur weiter!

SAPPHO.

Es ist ein liebes Kind!

PHAON.

So scheints, o ja!

SAPPHO.

Die liebste mir von meinen Dienerinnen.

Von meinen Kindern möcht ich sagen, denn

Ich habe stets als Kinder sie geliebt.

Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,

So ist es nur, da die Natur uns süßre

Versagt, um jene Eltern-, Heimatlosen

Nicht vor der Zeit dem Aug der Lehrerin,

Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.

So war ichs stets gewohnt, und in dem Kreise

Von Mytilenes besten Bürgerinnen

Ist manche, die in freudiger Erinnrung

Sich Sapphos Werk aus frühern Tagen nennt.

PHAON.

Recht schön, recht schön!

SAPPHO.

Von all den Mädchen,

Die je ein spielend Glück mir zugeführt,

War keine teurer mir als sie, Melitta,

Das liebe Mädchen mit dem stillen Sinn.

Obschon nicht hohen Geists, von mäßgen Gaben

Und unbehilflich für der Künste Übung,

War sie mir doch vor andern lieb und wert

Durch anspruchsloses, fromm-bescheidnes Wesen,

Durch jene liebevolle Innigkeit,

Die langsam, gleich dem stillen Gartenwürmchen,

Das Haus ist und Bewohnerin zugleich,[742]

Stets fertig, bei dem leisesten Geräusche

Erschreckt sich in sich selbst zurückzuziehn,

Und um sich fühlend mit den weichen Fäden,

Nur zaudernd waget Fremdes zu berühren,

Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,

Und sterbend das Ergriffne nur verläßt.

PHAON.

Recht schön, fürwahr, recht schön!

SAPPHO.

Ich wünschte nicht,

Verzeih, mein teurer Freund! ich wünschte nicht,

Daß je ein unbedachtsam flüchtger Scherz

In dieses Mädchens Busen Wünsche weckte,

Die, unerfüllt, mit bitterm Stachel martern,

Ersparen möcht ich gern ihr die Erfahrung,

Wie ungestillte Sehnsucht sich verzehret,

Und wie verschmähte Liebe nagend quält.

Mein Freund! –

PHAON.

Wie sagtest du?

SAPPHO.

Du hörst mich nicht!

PHAON.

Ich höre: Liebe quält!

SAPPHO.

Wohl quält sie !

Mein Freund, du bist jetzt nicht gestimmt, wir wollen

Ein andermal noch diesen Punkt besprechen!

PHAON.

Ganz recht, ein andermal!

SAPPHO.

Für jetzt, leb wohl!

Ich pflege diese Stunde sonst den Musen

In jener stillen Grotte dort zu weihn.

Hoff ich gleich nicht die Musen heut zu finden,

So ist doch mindstens Stille mir gewiß

Und ich bedarf sie. Leb indessen wohl!

PHAON.

So gehst du also?

SAPPHO.

Wünschest du –

PHAON.

Leb wohl!

SAPPHO sich rasch umwendend.

Leb wohl!


Ab in die Höhle.
[743]


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 741-744.
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