Fünfter Auftritt

[751] Melitta. Sappho


MELITTA kommt, einfach aber mit Sorgfalt gekleidet, Rosen am Busen und in den Haaren. Sie bleibt am Eingange stehen, tritt aber, da Sappho sich nicht regt, näher hinzu.

Hier bin ich.

SAPPHO sich schnell umkehrend und zurückfahrend.

Ah! – – Beim Himmel, sie ist schön!


Wirft das Gesicht, in beide Hände verhüllt, auf die Rasenbank. Pause.


MELITTA.

Du riefst nach mir!

SAPPHO.

Wie hat sie sich geschmückt,

Die Falsche! ihrem Buhlen zu gefallen! –[751]

Mit Müh gebiet ich meinem innern Zorn! –

Welch Fest hat heut so festlich dich geschmückt?

MELITTA.

Ein Fest?

SAPPHO.

Wozu dann dieser Putz? die Blumen?

MELITTA.

Du hast wohl oft geschmält, daß ich die Kleider,

Mit denen du so reichlich mich beschenkst,

So selten trage, stets auf andre Zeit,

Auf frohe Tage geizig sie versparend.

Das fiel mir heute ein, und weil nun eben

Gerade heute so ein froher Tag,

So ging ich hin und schmückte mich ein wenig!

SAPPHO.

Ein froher Tag? Nicht weiß ich es, warum?

MELITTA.

Warum? – Ei nu, daß du zurückgekehrt,

Daß du – ich weiß nicht recht, doch fröhlich bin ich.

SAPPHO.

Ha, Falsche!

MELITTA.

Was sagst du?

SAPPHO sich fassend.

Melitta, komm,

Wir wollen ruhig miteinander sprechen. –

Wie alt bist du?

MELITTA.

Du weißt wohl selbst, o Sappho,

Welch trauriges Geschick der Kindheit Jahre

Mir unterbrach. Es hat sie keine Mutter

Mit sorglicher Genauigkeit gezählt,

Doch glaub ich, es sind sechzehn!

SAPPHO.

Nein, du lügst!

MELITTA.

Ich?

SAPPHO.

Sprichst nicht Wahrheit!

MELITTA.

Immer, hohe Frau!

SAPPHO.

Du zählst kaum fünfzehn!

MELITTA.

Leicht mag es so sein!

SAPPHO.

So jung an Jahren und sie sollte schon

So reif sein im Betrug? Es kann nicht sein,

So sehr nicht widerspricht sich die Natur!

Unmöglich, nein! ich glaub es nicht! – Melitta,

Erinnerst du dich noch des Tages, da

Vor dreizehn Jahren man dich zu mir brachte?

Es hatten wilde Männer dich geraubt.

Du weintest, jammertest in lauten Klagen,[752]

Mich dauerte der heimatlosen Kleinen,

Ihr Flehen rührte mich, ich bot den Preis

Und schloß dich, selber noch ein kindlich Wesen,

Mit heißer Liebe an die junge Brust.

Man will dich trennen, doch du wichest nicht,

Umfaßtest mit den Händen meinen Nacken,

Bis sie der Schlaf, der tröstungsreiche, löste.

Erinnerst du dich jenes Tages noch?

MELITTA.

O könnt ich jemals, jemals ihn vergessen!

SAPPHO.

Als bald darauf des Fiebers Schlangenringe

Giftatmend dich umwanden, o Melitta,

Wer wars, der da die langen Nächte wachte,

Sein Haupt zum Kissen machte für das deine,

Sein selbst vergessend mit dem Tode rang,

Den vielgeliebten Raub ihm abzuringen,

Und ihn errang, in Angst und Qual errang!

MELITTA.

Du warsts, o Sappho! Was besäß ich denn,

Das ich nicht dir, nicht deiner Milde dankte?

SAPPHO.

Nicht so, hierher an meine Brust, hierher!

Ich wußt es wohl, du kannst mich nicht betrüben,

Mit Willen mich, mit Vorsatz nicht betrüben!

Laß unsre Herzen aneinander schlagen,

Das Auge sich ins Schwesteraug versenken,

Die Worte mit dem Atem uns vermischen,

Daß das getäuschte Ohr, die gleichgestimmte Brust,

Von der Gesinnung Einklang süß betrogen,

In jedem Laut des lieblichen Gemisches

Sein Selbst erkenne, aber nicht sein Wort.

MELITTA.

O Sappho!

SAPPHO.

Ja, ich täuschte mich. Nicht wahr?

MELITTA.

Worin?

SAPPHO.

Wie könntest du? Du kannst nicht! Nein!

MELITTA.

Was, o Gebieterin?

SAPPHO.

Du könntest – Geh!

Leg diese eiteln Kleider erst von dir,

Ich kann dich so nicht sehn! Geh! Andre Kleider!

Der bunte Schmuck verletzt mein Auge! Fort!

Einfach ging stets die einfache Melitta,[753]

So viele Hüllen deuten auf Verhülltes!

Geh! Andre Kleider, sag ich dir! Nur fort! –

Halt, wohin gehst du? Bleib! Sieh mir ins Auge!

Warum den Blick zu Boden? Fürchtest du

Der Herrin Aug? du bist so blöde nicht!

Damals als Phaon –

Ha! errötest du?

Verräterin, du hast dich selbst verraten!

Und leugnest du? Nicht deiner falschen Zunge,

Dem Zeugnis dieser Wangen will ich glauben,

Dem Widerschein der frevelhaften Flammen,

Die tief dir brennen in der Heuchlerbrust!

Unselige, das also wars, warum

Du dich beim Mahle heut so seltsam zeigtest?

Was ich als Zeichen nahm der blöden Scham,

Ein Fallstrick wars der listgen Buhlerin,

Die spinnenähnlich ihren Raub umgarnte;

So jung noch und so schlau, so heiter blühend

Und Gift und Moder in der argen Brust?

Steh nicht so stumm! Soll dirs an Worten fehlen?

Die Zunge, die so sticht, kann sie nicht zischen?

Antworte mir!

MELITTA.

Ich weiß nicht, was du meinst.

SAPPHO.

Nicht? armes Kind! Nun Tränen! Weine nicht!

Die Tränen sind des Schmerzes heilig Recht!

Mit Worten sprich, sie sind ja längst entweiht,

Doch brauche nicht der Unschuld stumme Sprache!

So schön geschmückt, so bräutlich angetan!

Fort diese Blumen, fort, sie taugen wenig,

Die schlechtversteckte Schlange zu verbergen!

Herab die Rosen!


Melitta nimmt schweigend den Kranz ab.


SAPPHO.

Mir gib diesen Kranz,

Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtnis,

Und fallen frühverwelkt die Blätter ab,

Gedenk ich deiner Treu und meines Glücks.[754]

Was schonest du die Rose an der Brust?

Leg sie von dir!


Melitta tritt zurück.


SAPPHO.

Wohl gar ein Liebespfand?

Fort damit!

MELITTA beide Arme über die Brust schlagend und dadurch die Rose verhüllend.

Nimmermehr!

SAPPHO.

Umsonst dein Sträuben!

Die Rose!

MELITTA die Hände fest auf die Brust gedrückt, vor ihr fliehend.

Nimm mein Leben!

SAPPHO.

Falsche Schlange!

Auch ich kann stechen!


Einen Dolch ziehend.


Mir die Rose!

MELITTA.

Götter!

So schützt denn ihr mich! Ihr, erhabne Götter!


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 751-755.
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