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Es ist nun schon lang her, wohl viel hundert Jahr. Da lebte ein Fischer mit seiner Frau, der hieß Dudeldee. Sie waren aber so arm, daß sie kein recht Haus hatten, und wohnten in einer bretternen Hütte, und hatten kein Fenster daran; sie schauten durch die Astlöcher hinaus. Dudeldee war doch zufrieden; seine Frau aber war nicht zufrieden. Sie wünschte sich bald das, bald jenes, und quälte immer ihren Mann, weil er ihr's nicht geben konnte.
Da schwieg aber Dudeldee gewöhnlich, und dachte nur bey sich: »Wär' ich nur reich« oder, wär' nur alles gleich da, wie ich's wünsche.
Einmahl Abends stand er mit seiner Frau vor der Hausthüre, und sie sahen umher in[79] der Nachbarschaft. Da standen etliche schöne Bauershäuser. Da sagte seine Frau zu ihm: »Ja, wenn wir nur so eine Hütte hätten, wie die schlechteste unter diesen Nachbarshäusern. Wir könnten sie wohl noch kriegen, aber du bist zu faul, du kannst nicht arbeiten, wie andere Leute arbeiten.«
Aber Dudeldee fragte: »Wie? arbeite ich nicht wie andere Leute? steh' ich nicht den ganzen Tag und fische?«
»Nein!« antwortete seine Frau ihm wieder »du könntest früher aufstehen, und vor Tag schon so viele Fische fangen, als du sonst den ganzen Tag bekommst. Du bist aber zu faul; du magst nicht schaffen.« Und so zankte sie ihn fort.
Darum stand er des andern Morgens früh auf, und ging hinaus an den See, zu fischen. Und er sah die Leute kommen auf's Feld und schaffen, und er hatte noch nichts gefangen. Und es war Mittag worden, und die Schnitter sassen im Baumschatten, und assen ihr Mittagsbrot, und er hatte noch nichts gefangen, und setzte sich traurig hin,[80] und zog sein schimmelig Brot aus seiner Tasche, und aß es. Dann fischte er wieder. Und die Sonne neigte sich, und die Schnitter gingen heim, und der Schäfer trieb die Heerde in den Pferch, und die Kuhheerde zog heim, und stiller ward's auf dem Felde. Aber Dudeldee stand noch immer, und noch hatte er kein Fischlein.
Da war es dämmerig worden, und er dachte ans Heimgehen. Einmahl wollte er noch sein Netz eintauchen, ob er nicht jetzt noch etwas fange. Er tauchte es ein, und als wollte er die Fische locken; rief er:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du, lieber Hanns Dudeldee?« fragte ein Fischlein, das herzugeschwommen war, und den Kopf ein wenig über das Wasser hervorstreckte.
Der arme Hanns Dudeldee war zwar erstaunt über das Fischlein, aber doch besann er sich und dachte: »Hm, wenn's da nur darauf ankommt, etwas zu wollen, da sollst du mich nicht lang fragen müssen.« Er sah[81] umher, was er wohl gleich wünschen sollte. Drüben, jenseits des Sees stand ein schönes Lustschlößchen, aus dem eine schöne Hörner-Musik herüber klang. Auch fiel ihm der Wunsch seiner Frau ein, die ein besseres Haus haben wollte. Darum sagte er: »Ich möchte gern so ein Landhaus, wie jenes da drüben; so ein Schloß möchte ich gern haben, statt meines bretternen Hüttleins.«
»Geh' nur hin,« sagte das Fischlein, »deine bretterne Hütte ist ein solches Lustschloß.« Und Hanns Dudeldee lief mehr, als er ging, nach Hause, und sah schon von ferne an der Stelle, wo sonst sein Haus stand, ein prächtiges Schloß mit erleuchteten Zimmern. Und als er erst hinein kam, da war alles so prächtig, daß er sich nicht zu lassen wußte. Der Hausgang war mit Marmor geplattet; die Stubenboden eingelegt und mit Wachse gebohnt; die Wände tapeziert; herrliche Kronleuchter hingen da in den hohen Sälen; kurz, es war alles so schön, daß Hanns Dudeldee nicht das Herz hatte,[82] recht darin herum zu gehen. Er konnte gar nicht glauben, daß das jetzt sein Eigenthum sey. Er meynte, er sey irre, und wäre beynahe wieder weggegangen, wenn ihm seine Frau nicht auf der Treppe begegnet wäre.
Kaum hatte er sie erblicket, so fragte er sie: »Nun bist du jetzt zufrieden mit dem Hause?« und erzählt' ihr, wie er dazu gekommen sey. »Was?« antwortete sie, »man meynt Wunder, was das jetzt wäre! da hab' ich in der Stadt schon viel schönere Häuser gesehen, wie ich noch dort diente. Es geht zwar an; – aber wie kannst du so dumm seyn? Das Beste hast du vergessen. Sieh einmahl jetzt unsere Kleider gegen das hübsche Haus! was die für einen Abstand machen! Hättest du mir und dir nicht auch gleich schöne Kleider wünschen können? du bist aber zu dumm und träg. Du magst auch dein Bißchen Verstand, das du hast, nicht einmahl gebrauchen.«
So ging das Schelten und Keifen wieder[83] fort, bis sie einschlief. Und Hanns Dudeldee ging des andern Morgens mit dem Tage wieder hinaus an dieselbe Stelle, tauchte sein Netz wieder ein, und rief wieder:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du lieber Hanns Dudeldee?« So fragte das Fischlein wieder, und Dudeldee besann sich nicht lang, und sagte, er wünsche seiner Frau und sich recht schöne Kleider, die auch zu ihrem neuen Hause paßten.
»Ihr habt sie,« sagte das Fischlein, und Dudeldee stand da in einem fein tuchenen Rocke mit goldenen Tressen, in seidenen Strümpfen und Schuhen, mit gestickter Weste, alles nach damahliger Mode. Und als er nach Hause kam, hätte er beynahe seine Frau nicht mehr erkannt in den seidenen Kleidern. Sie guckte aber zum Fenster heraus, und fragte: »Bist du's Hanns?« »Ja ich bin's,« antwortete er, »Nun bist du jetzt zufrieden?« »Will 'mahl sehen!« antwortete sie.[84]
So lebten sie eine Zeitlang ruhig fort. Drauf, als ihr Mann wieder einmahl fischen gehen wollte, sagte sie: »Geh' was brauchst du zu fischen? laß das bleiben und wünsch dir lieber eine rechte Kiste voll Geld.«
»Hm, das ist wahr!« dachte Dudeldee, und ging hinaus an den See, und tauchte sein Netz wieder auf derselben Stelle ein, und rief:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du, lieber Hanns Dudeldee?« fragte ihn das kleine Fischlein wieder. »Ach, eine rechte Kiste voll Geld,« sagte er; »gehe nur hin,« sagte das Fischlein, »in deinem Schlafzimmer steht sie.« Und wie er heim kam, stand in seinem Schlafzimmer eine ganz große Kiste voll Goldstücken.
Nun ging alles hoch her bei ihnen, und sie kaufte sich Kutsche, und Pferde, und ihrem Mann ein Reitpferd, und fuhren oft in die Städte, und hielten sich einen Koch und Bediente. Da schalten sie die Nachbarinnen immer die hochmüthige Fischerinn.[85] Das verdroß sie gar sehr, und lag ihrem Manne wieder an, er sollte machen, daß sie über die Nachbarinnen alle zu befehlen habe. Und er ging wieder mit seinem Netze hinaus, und tauchte es ein, und rief:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du lieber Hanns Dudeldee?« fragte ihn das Fischlein. »Ich wäre gern ein Edelmann oder Graf, und möchte, daß ich über alle meine Nachbarn zu befehlen hätte.« Da sprach das Fischlein: »Gehe nur hin, es ist so.« Und, als er heim kam, da hatten die Nachbarsleute schon seiner Frau gehuldigt, und sie hatte schon ein Paar von ihren Nachbarinnen einsperren lassen, die sie sonst hochmüthige Fischerin gescholten hatten.
Und jetzt fuhren sie oft in die Hauptstadt, wo der König wohnte, und wollten sich in die Gesellschaft anderer Grafen mischen. Aber sie wußten sich nicht dort nach ihrer Sitte zu betragen, und wurden von allen verlacht, und einige Gräfinnen nannten sie nur die Fischgräfinn und ihn den Fischgrafen Dudeldee.[86]
Da sprach sie wieder zu ihrem Manne: »Geh' hinaus, und laß dich zu einem König machen; denn ich will nicht mehr Fischgräfinn heissen; ich will Königinn seyn.« Aber Hanns Dudeldee rieth ihr ab, und sagte: »Bedenke doch, wie wir arm waren, und uns nur ein Hüttlein wünschten, wie das schlechteste von unsern Nachbarshäusern. Jetzt haben wir alles im Ueberflusse, nun laß uns auch genug haben.«
Die Frau aber wollte nicht genug haben, und sprach: »Was? ich soll mich Fischgräfinn schelten lassen? ich soll den Hochmuth der Stadtweiber ertragen? Nein, sie müssen wissen, wer ich bin; ich will's ihnen zeigen! – Und du willst auch so einfältig seyn, und willst dir's gefallen lassen?« So zankte sie fort, bis er ihr versprach, sie zur Königinn zu machen.
Darum ging er hinaus an den See, und sagte wieder sein altes Sprüchlein, und das Fischlein kam wieder, und fragte wieder: »Was willst du, lieber Graf Dudeldee?« Er brachte sein Anliegen vor, daß[87] er gerne König wäre; das Fischlein sagte: »Du bist's!« und er kam heim, und fand sein Lustschloß ganz prächtig verändert, und viel grösser; Marschälle, und Minister mit goldenen Schlüsseln und Stern empfingen ihn mit tiefen Verbeugungen. Sein Kopf wurde ihm ganz schwer; er wollte den Hut abziehen, aber siehe da! statt des Hutes hatte er eine schwere goldene Krone auf dem Haupte. Und als er seine Frau sahe, erkannte er sie fast nicht mehr, so glänzte ihr Gewand von Gold und Juwelen. Aber als er sie fragte, ob sie jetzt zufrieden wäre, sagte sie: »Ja, bis ich wieder etwas Besseres weiß. Ich wäre ja eine Närrinn, wenn ich's besser haben könnte, und nähm's nicht an.«
So lebten sie jetzt aber doch eine Weile zufrieden, und Dudeldee's Frau wünschte sich nichts mehr; denn sie hatte ja alles, was sie sich nur hätte wünschen können, hatte sich auch gerächt an den Gräfinnen, die sie die Fischgräfinn geheissen hatten. Aber endlich fehlte ihr doch wieder einmahl etwas.[88] Sie hörte in der Zeitung lesen von der Pracht, und dem Aufwande, der an andern Königshöfen herrschte, und hörte, daß es andere Könige und Kaiser gebe, die über weit mehr Leute und über weit mächtigere Reiche zu befehlen hätten, als Dudeldee. Darum lag sie ihm wieder an, und quälte ihn, bis er ihr versprach, der mächtigste König zu werden, der nur auf Erden seyn könne.
Er tauchte sein Netz wieder ein und rief:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du König Dudeldee?« fragte das Fischlein, und Dudeldee sagte: Mache mich doch gleich zum mächtigsten König, oder Kaiser auf Erden; Und gleich war er's auch. Denn, als er heim kam, da waren schon Gesandte und Deputirten aus allen Reichen und Welttheilen da; arme Poeten warteten mit Gedichten auf Atlas auf ihn; Schulmeister, die bessere Besoldungen brauchten, waren da mit Suppliken; Kammerherren, mit dem Hute unter dem Arm, gingen hin und her; Bauern, die Prozesse hatten, wollten zu ihm; Schildwachen gingen auf und ab; eine Kutsche[89] mit zehn Pferden, und zwanzig Vorreutern, und sechs Läufern stand immer zum Wegfahren bereit; Pfauen und Perlhüner waren in einem Nebenhofe; kurz, es war da alles, was einen so grossen Kaiser nur ergötzen konnte, ja sogar zwey Hofnarren waren immer um ihn.
Der neue Kaiser Dudeldee war freylich im Anfang darüber böse, daß ihn die zwey närrischen Menschen immer verfolgten, wohin er gehen mochte, und beschwerte sich darüber bey seiner Frau, weil er denn doch lieber in der Gesellschaft von vernünftigen Leuten, als bey Narren seyn wollte. Sie sagte ihm aber, das verstehe er nicht; das müßte so seyn; alle sehr grossen Herren hätten's lieber mit Narren zu thun; er werde denn doch kein Narr seyn wollen, und eine Ausnahme machen.
Endlich ließ er sich's gefallen, und war nur froh, daß seine Frau zufrieden war, aber die Freude dauerte nicht lange. Er kam einmal zu ihr und traf sie ganz traurig an. »Was fehlt dir?« fragte er sie. »Ach!« sagte sie, »ich bin verdrüßlich über das Regenwetter.[90] Das dauert nun doch schon vier Tage an, und ich möchte so gern Sonnenschein haben. Ueberhaupt ich wollte, ich könnte alles machen, was der liebe Gott kann, daß ich Frühling haben könnt', und Sommer und Herbst und Winter; gerade wann ich wollte. Geh' hin, und mache, daß ich's kann.« So sagte sie, und ihm gefiel es selber. »Wie,« dachte er, »wenn du jetzt im Regen hinaus gingst, und kämst heim im Sonnenschein, den deine Frau gemacht hätte; Da könntest du auch die Narren wieder los werden.«
So dachte er bey sich, und schlich sich gleich mit seinem Fischernetze zu einer Hinterpforte im Regen hinaus, ging an den See, tauchte sein Netz ein, und rief wieder, wie sonst:
»Fischlein, Fischlein in dem See!«
»Was willst du lieber Kaiser Dudeldee?« fragte ihn das Fischlein. »Ach,« sagte er, »weiter nichts, als meine Frau möchte gern können, was Gott kann: Regen und Sonnenschein machen, und Frühling und Sommer und Herbst und Winter, wann sie gerade will.«[91]
»So! und weiter nichts?« fragte das Fischlein. »Nein, nein, Kaiser Dudeldee, ich sehe, daß an deiner Frau und dir nichts gut angelegt ist, darum sey du wieder der alte Fischer Dudeldee. Denn damahls warst du nicht so übermüthig und ungenügsam, wie jetzt.«
Und das Fischlein verschwand, und er rief wohl oft: »Fischlein, Fischlein in dem See;« aber kein Fischlein fragte mehr: »Was willst du, lieber Dudeldee?« Und er stand wieder da, wie das erste Mahl, ohne Wamms, nur in seinen schmutzigen ledernen Hosen, und war wieder der alte Fischer Dudeldee.
Und als er heim kam, da war wieder das Schloß fort, und da stand wieder seine kleine bretterne Hütte, und seine Frau saß darin in ihren schmutzigen Kleidern, und schaute wieder heraus durch ein Astloch, wie vormahls, und war wieder die Frau des Fischers Dudeldee.
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