Das siebzehnte Kapitel.

[231] Simplex sagt, was er sechs Monat will machen,

Und die Wahrsagerin sagt ihm viel Sachen.


Ich glaube, es sei kein Mensch in der Welt, der nicht einen Hasen im Busen habe, dann wir sind ja alle einerlei Gemächts, und kann ich bei meinen Birn wohl merken, wann andere zeitig sein. »Hui Geck!« möchte mir einer antworten, »wann du ein Narr bist, meinest du darum, andere sein es auch?« Nein, das sage ich nicht; dann es wäre zu viel geredt. Aber dies halte ich davor, daß einer den Narrn besser verbirgt als der ander. Es ist einer darum kein Narr, wannschon er närrische Einfälle hat, dann wir haben in der Jugend gemeiniglich alle dergleichen: welcher aber solche herausläßt, wird vor einen gehalten, weil teils ihn gar nicht, andere aber nur halb sehen lassen. Welche ihren gar unterdrücken, sein rechte Saurtöpfe; die aber den ihrigen nach Gelegenheit der Zeit bisweilen ein wenig mit den Ohren herfürragen und Atem schöpfen lassen, damit er nicht gar bei ihnen ersticke, dieselbige halte ich vor die beste und verständigste Leute. Ich ließ den meinen nur zu weit heraus, da ich mich in einem so freien Stand sahe und noch Geld wußte, maßen ich einen Jungen annahm, den ich als einen Edelpage kleidete, und zwar in die närrischte Farben, nämlich veielbraun und gelb ausgemacht, so meine Liberei sein mußte, weil mirs so gefiel; derselbe mußte mir aufwarten, als wann ich ein Freiherr und kurz zuvor kein Dragoner oder vor einem halben Jahr ein armer lausiger Roßbub gewesen wäre.

Dies war die erste Torheit, so ich in dieser Stadt begieng,[231] welche, obgleich sie ziemlich groß war, ward sie doch von niemand gemerkt, viel weniger getadelt. Aber was machet es? Die Welt ist der Torheiten so voll, daß sie keiner mehr acht noch selbige verlacht oder sich darüber verwundert, weil sie deren gewohnt ist. So hatte ich auch den Ruf eines klugen und guten Soldaten, und nicht eines Narrn, der die Kinderschuhe noch träget. Ich dingte mich und meinen Jungen meinem Hausvatter in die Kost und gab ihm an Bezahlung auf Abschlag, was mir der Kommandant wegen meines Pferdes an Fleisch und Holz verehret hatte; zum Getränk aber mußte mein Jung den Schlüssel haben, weil ich denen, die mich besuchten, gern davon mitteilete, dann sintemal ich weder Bürger noch Soldat war und also keinen meinesgleichen hatte, der mir Gesellschaft leisten mögen, hielt ich mich zu beiden Teilen und bekam dahero täglich Kameraden genug, die ich ungetränkt nicht bei mir ließ. Zum Organisten allda machte ich aus den Bürgern die beste Kundschaft, weil ich die Musik liebte und (ohn Ruhm zu melden) eine treffliche gute Stimme hatte, die ich bei mir nicht verschimmlen lassen wollte. Dieser lehrete mich, wie ich komponieren sollte, item auf dem Instrument besser schlagen sowohl als auch auf der Harpfe; so war ich ohndas auf der Laute ein Meister, schaffte mir dahero eine eigne und hatte schier täglich meinen Spaß damit. Wann ich dann satt war zu musizieren, ließ ich den Kürschner kommen, der mich im Paradeis in allen Gewehren unterwiesen; mit demselben exerzierte ich mich, um noch perfekter zu werden. So erlangte ich auch beim Kommandanten, daß mich einer von seinen Konstablen die Büchsenmeistereikunst und etwas mit dem Feurwerk umzugehen um die Gebühr lernete. Im übrigen hielt ich mich sehr still und eingezogen, also daß sich die Leute verwunderten, wann sie sahen, daß ich stets über den Büchern saß wie ein Student, da ich doch Raubens und Blutvergießens gewohnt gewesen.

Mein Hausvatter war des Kommandanten Spürhund und mein Hüter, maßen ich merkte, daß er all mein Tun und Lassen demselben hinterbrachte. Zwar konnte ichs dem Obristen nicht verdenken, dann wann ich Kommandant gewesen wäre und einen solchen Gast gehabt hätte, wie ich geachtet wurde, so hätte ichs auch so gemacht. Ich konnte mich aber artlich darein schicken; dann ich gedachte des Kriegswesens kein einzig Mal, und wann man davon redte, tät ich, als wäre ich niemals kein Soldat gewesen und nur darumb da wäre, meinen täglichen Exerzitien, deren ich erst gedacht, abzuwarten. Ich wünschte zwar, daß meine sechs Monat bald herum wären; es konnte aber niemand abnehmen,[232] welchem Teil ich alsdann dienen wollte. Sooft ich dem Obristen aufwartete, behielt er mich auch an der Tafel; da setzte es dann je zuweilen solche Diskurse, dadurch mein Vorsatz, Sinn und Gedanken ausgeholt werden sollte; ich antwortete aber jederzeit so vorsichtig, daß man nicht wissen konnte, was Sinns ich sei und sich doch alles Gutes gegen mir versehen mußte. Einsmals sagte er zu mir: »Wie stehet es, Jäger? wollet Ihr noch nicht schwedisch werden? gestern ist mir ein Fähnrich gestorben.« Ich antwortete: »Hochg. Herr Obrister! stehet doch einem Weib wohl an, wann sie nach ihres Manns Tod nicht gleich wieder heuratet; warum sollte ich mich dann nicht sechs Monat patientieren?« Dergestalt entgieng ich jederzeit und kriegte doch des Obristen Gunst je länger je mehr, so gar, daß er mir sowohl in- als außerhalb der Festung herumzuspazieren [vergonnte]; ja ich dorfte endlich den Hasen, Feldhühnern und Vögeln nachstellen, welches seinen eigenen Soldaten nicht gegönnet war. So fischte ich auch in der Lippe und war so glücklich damit, daß es das Ansehen hatte, als ob ich beides, Fische und Krebse, aus dem Wasser bannen könnte. Darum ließ ich mir nur ein schlechtes Jägerkleid machen; in demselbigen strich ich bei Nacht (dann ich wußte alle Wege und Stege) in die Soestische Börde und holete meine verborgene Schätze hin und wieder zusammen, schleppte solche in gedachte Festung und ließ mich an, als ob ich ewig bei den Schweden wohnen wollte.

Auf demselbigen Weg kam die Wahrsagerin von Soest zu mir, die sagte: »Schaue, mein Sohn! habe ich dir hiebevor nicht wohl geraten, daß du dein Geld außerhalb der Stadt Soest verbergen solltest? Ich versichere dich, daß es dein größtes Glück gewesen, daß du gefangen worden; dann wärest du heimkommen, so hätten dich einzige Kerl, welche dir den Tod geschworen, weil du ihnen beim Frauenzimmer bist vorgezogen worden, auf der Jagt erwürgt.« Ich antwortete: »Wie kann jemand mit mir eifern, da ich doch dem Frauenzimmer nichts nachfrage?« – »Versichert!« sagte sie, »wirst du des Sinns nicht verbleiben, wie du jetzt bist, so wird dich das Frauenzimmer mit Spott und Schande zum Land hinausjagen. Du hast mich jederzeit verlacht, wann ich dir etwas zuvorgesagt habe; wolltest du mir abermal nicht glauben, wann ich dir mehr sagte? Findest du an dem Ort, wo du jetzt bist, nicht geneigtere Leute als in Soest? Ich schwöre dir, daß sie dich nur gar zu lieb haben und daß dir solche übermachte Liebe zum Schaden gereichen wird, wann du dich nicht nach derselbigen akkommodierest.« Ich antwortete ihr, wann sie ja soviel wüßte, als sie sich davor ausgebe, so sollte[233] sie mir davor sagen, wie es mit meinen Eltern stünde und ob ich mein Lebtag wieder zu denselben kommen würde, sie sollte aber nicht so dunkel, sondern sein teutsch mit der Sprache heraus. Darauf sagte sie, ich sollte alsdann nach meinen Eltern fragen, wann mir mein Pflegvatter unversehens begegne und führe meiner Säugammen Tochter am Strick daher, lachte darauf überlaut und hienge daran, daß sie mir von sich selbst mehr gesagt als andern, die sie darum gebeten hätten. Hinfort würde ich wenig von ihr vernehmen; dies wollte sie mir noch zu guter Letzt vertrauet haben, daß ich nämlich, wann ich wohl fahren wollte, tapfer schmieren und anstatt des Frauenzimmers Wehr und Waffen lieben müßte. »Alte Schelle,« sagte ich, »das tue ich ja!« Sie antwortete: »Ja, ja, es wird schon bald anderst kommen!« Hernach machte sie sich, weil ich sie nur anfieng zu foppen, geschwind von mir, als ich ihr zuvor etliche Taler verehret, weil ich doch schwer am Silbergeld zu tragen hatte. Ich hatte damals ein schön Stück Geld und viel köstliche Ringe und Kleinodien beieinander; dann wo ich hiebevor unter den Soldaten etwas von Edelgesteinen wußte oder auf Partei und sonst antraf, brachte ichs an mich, und darzu nicht einmal um halb Geld, was es gültig war. Solches schrie mich immerzu an, es wollte gern wieder unter die Leute; ich sollte es auslassen, wann ich angesehen sein wollte. Ich folgte auch gar gern; dann weil ich ziemlich hoffärtig war, prangte ich mit meinem Gut und ließ solches meinen Wirt ohn Scheu sehen, der bei den Leuten mehr daraus machte, als es war. Dieselbige aber verwunderten sich, wo ich doch alles hergebracht haben müßte, dann es war genugsam erschollen, daß ich meinen gefundenen Schatz zu Köln liegen hatte, weil der Kornett des Kaufmanns Handschrift gelesen, da er mich gefangen bekommen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 231-234.
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