Der dritte eingang.


[76] Leo.


Was bilden wir uns ein?[76]

Sol uns ein leerer wahn, ein falscher dunst bewegen?

Sol dieses zittern sich sich aus phantasie erregen?

Sol es gantz eitel sein,

Was diß schröckliche gesichte

Von dem ernsten blut-gerichte,

Von untergang, fall, tod und wunden

Uns die seelen eingebunden?


Der kalte schweiß bricht vor.

Der müde leib erbebt, das hertz mit angst umfangen,

Klopfft schmachtend zwischen furcht und sehnlichem verlangen.

Es klingt nichts in dem ohr

Als der donner-herben rache

Von gott ausgetagte sache.

Wir schaun den geist noch für uns stehen.

Soll macht und reich mit uns vergehen?


Stoß Michael! Stoß zu!

So rieff das traur-gespenst. Dein scepter wird zerbrochen,

Der strenge tod hat dir das strenge recht gesprochen.

Auff, auff von deiner ruh!

Ach! hat ruh uns ie erquicket,

Weil die cron das haupt gedrücket?

Ist eine wollust, die gefunden,

Uns nicht in leichtes nichts verschwunden?


Dein scepter ist entzwey!

Diß recht spricht uns der tod! Der hohe thron wird brechen;

Die straffe will den mann, den wir vertrieben, rächen!

Geht denn der mörder frey?

Haben wir diß schwert gewetzet,

Das uns selbst die brust verletzet?

Steht unsre zeit in dessen händen,

Der in der glut die zeit soll enden?[77]

Kein tempel, kein altar

Schützt, wenn gott blitzen will. Wil gott denn die nicht schützen,

Die er an seine statt hieß auf den richtstuhl sitzen?

Kürtzt er der fürsten jahr?

Oder lehrt er nur durch zeichen,

Wie man soll der grufft entweichen?

So ists! Er pflegt uns zwar zu dräuen;

Doch pflegt ihn auch sein zorn zu reuen.


Ist Michael denn frey,

Der in den eisen sitzt? Wie wann die kett erbrochen

Durch gold, zusag und list? Was hat man nicht versprochen,

Wie köstlich es auch sey,

Wenn man von dem scheitterhauffen

Den verdammten leib wil kauffen?

Kein ertz ist, das nicht gaben weiche!

Kein mittel, das nicht geld erreiche.


Auf! schrie der geist uns an!

Auf käyser! auf! wach auf! Wol! last uns selber schauen,

Wie fest der kercker sey! wie fern der burg zu trauen,

Weil man noch sicher kan!

Wer der noth weiß vorzukommen,

Hat der noth die macht benommen.

Die können kaum dem fall entgehen,

Die nur auf frembden füßen stehen.


Quelle:
Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband. Band 2, Darmstadt 1961, S. 76-78.
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