Erster Auftritt


[174] Armande und Lefêvre treten ein.


LEFÊVRE. Ist es möglich, Fräulein Armande, die erste Künstlerin ihres Jahrhunderts, hier im Revier der Pariser Polizei? Soll ich doch Sr. Exzellenz, dem Herrn Minister persönlich –

ARMANDE. Lassen Sie, Herr Parlamentsrat!

LEFÊVRE. Ich gehe eben selbst zu ihm und melde Ihre Anwesenheit –

ARMANDE. Bitte! Wenn einer der Sträuße, die Sie mir für meine Rollen so oft aus Ihrer Loge auf die Bühne geworfen, aufrichtig gemeint und Ihr Prozeß gegen unsere Truppe, den Nebukadnezar wenigstens zur Leseprobe zu bringen, nur eine kalte Advokatenpflicht war, für welche Sie übrigens Madame Chapelle belohnen wird, so möcht' ich, daß Sie statt meiner dem Minister eine Angelegenheit vortrügen, die mich außerordentlich beunruhigt.

LEFÊVRE. Ganz Paris kennt das Interesse, das man an Ihnen in den – allerhöchsten Kreisen nimmt. Ich bin gewiß, daß der Minister keine Gelegenheit vorübergehen läßt, Ihnen zu dienen. Also wollen Sie wirklich nicht selbst –?

ARMANDE. Nein, Herr Lefêvre! Auch Sie können statt meiner reden – Beiseite. Molière ist auf die ganze Welt eifersüchtig – möglicherweise sogar auf den alten Lionne –!

LEFÊVRE beiseite. Sie wird vom König protegiert, was bedarf sie des Ministers? ...

ARMANDE. Sie wissen, Herr Lefêvre, daß Molière die Absicht hat, endlich binnen drei Tagen sein neues Lustspiel aufzuführen.[174]

LEFÊVRE. Bis zur Rückkehr des Königs von Versailles – den Tartüffe, von dem bereits ganz Paris erfüllt ist. Se. Majestät wird entzückt sein, Sie wiederzusehen –

ARMANDE. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß dies in Wahrheit meisterhafte Werk einen Gegenstand behandelt –

LEFÊVRE. Der meinem unglücklichen Freunde Chapelle gestohlen wurde. Sie sind doch nicht wegen dieses Diebstahls auf der Polizei?

ARMANDE. Ohne Scherz! In der Tat bin ich hier wegen eines Diebstahls.

LEFÊVRE. Man hat Ihnen Ihr Herz gestohlen! Und da Sie wissen, daß niemand darüber unglücklicher sein würde, als der König –

ARMANDE. Sie zwingen mich, in der Tat selbst mit dem Minister zu reden


Will hinein.


LEFÊVRE. Würdigen Sie mich Ihres Vertrauens! Und ich besinne mich ja, der Minister ist krank: der Leibarzt Sr. Majestät ist bei ihm. Worüber grübeln Sie? Ihre schönen Augen –

MADELEINE. Tragen vielleicht zur Genesung des Ministers bei


Will hineingehen und sucht, von Lefêvre verhindert, dann andere Türen.


LEFÊVRE. Halt! – Das ist das Paßbureau – hier ist das Archiv der Gesundheitspolizei – dort das Magazin der gestohlenen Taschentücher, die ihren Herrn nicht wiedergefunden haben – hier füttert man die Hunde, die ohne Halsband aufgegriffen wurden ... Bin ich Ihres Vertrauens nicht würdig, schöne Armande?

ARMANDE. Nun, denn! Wissen Sie, Herr Parlamentsrat, was in der Theaterwelt ein Soufflierbuch ist?

LEFÊVRE. Ein Soufflierbuch? Das ist der Blasebalg schlechter Gedächtnisse, die Rettungsmaschine oft sehr schwüler Verlegenheiten.

ARMANDE. Es beunruhigt die Gesellschaft, daß auf eine unbegreifliche Weise gestern in aller Frühe auf der dreizehnten Probe des Tartüffe das Soufflierbuch vom Pulte des Souffleurs entwendet worden ist.

LEFÊVRE. La Grange, ein Schauspieler, der so schlecht lernen soll, wird in Verzweiflung sein.

ARMANDE. Wir alle sind es. Nicht, daß uns nicht noch ein Exemplar des Stückes zu Gebote stände – darüber sind wir ohne Sorge. Aber Sie müssen wissen, was es heißt, das Soufflierbuch eines Lustspieles, gegen dessen Tendenz sich hier und da Intrigen anspinnen lassen, ist auf unbegreifliche Art aus den[175] Theaterräumen entwendet worden. Vor allen Dingen dürfte Molière selbst von diesem Vorfall nicht eine Silbe erfahren.

LEFÊVRE. Was könnte er zu fürchten haben?

ARMANDE. Molière ist von der reizbarsten Empfindlichkeit. Überall sieht er Gespenster, überall Feinde. Erführe er, daß man ihm heimlich das Soufflierbuch des Tartüffe entwendet hat, so würd' er sich sagen: Jetzt geht es zum Erzbischof von Paris, zum apostolischen Vikar, man verdächtigt mir ein Werk, daß ich nur im Interesse der guten Sitten und der Religion geschrieben habe –

LEFÊVRE. Oder irgendein guter Freund, der Rezensionen schreibt, sucht sich bereits aus dem Manuskripte über die – Schönheiten des Stücks zu orientieren. Haben Sie auf niemand Verdacht?

ARMANDE. Allerdings. Seit einiger Zeit hat man einen Mann beobachtet, der sich jedesmal zu den Proben des Tartüffe heimlich in den dunkeln Zuschauerraum schlich. Arbeiter, die mit dem Reinigen der Parterrelogen beschäftigt sind, wollen plötzlich mit ihrem Kehrbesen etwas Menschliches angetroffen haben, was, aufgestöbert, sich sogleich über die Brüstung im Parterre verlor. Um die Proben nicht zu stören, durften sie diesen Spuk nicht weiter verfolgen. Als aber nach einer zufälligen Entfernung des Souffleurs im dritten Akt bei seiner Rückkehr in den menschenfreundlichen Rettungskasten heute von seinem Pulte das Buch weggenommen war, gestanden die Arbeiter ihr Versehen ein, und einer behauptete, den wahrscheinlichen Dieb bereits erkannt zu haben.

LEFÊVRE. Ich staune! Und wer wäre das?

ARMANDE. Es ist ohne Zweifel ein gewisser Gewürzkrämer Matthieu aus der Rue du Coq.

LEFÊVRE. Für seine Tüten wird doch der Mann nicht aus Papiermangel Theatermanuskripte stehlen? Wenn man die Wohnung des Maitre Matthieu untersuchte, natürlich ohne alle Beunruhigung für Molière selbst –

ARMANDE. Sie sind ein so warmer Freund der Musen! Wenden Sie von Molières Haupt eine Wetterwolke ab, die ihn, wenn sie zum Ausbruch käme, unfehlbar zu Boden würfe! Wer kann wissen, in wessen Auftrag Matthieu gehandelt hat! Es kann ein Abgesandter – Sieht sich um. Was seh' ich? Molière schon selbst hier? Sollte er es bereits erfahren haben? – Spähenden Blicks steht er dort an der Säule – Er darf mich nicht entdecken –

LEFÊVRE. Führt ihn wirklich bereits sein gestohlenes Manuskript hierher?[176]

ARMANDE beiseite. Nein, ich fürchte – er ist nur mir gefolgt – sein Mißtrauen kennt keine Grenzen – Laut. Wie entkomm' ich?

LEFÊVRE. Dorthin, Fräulein Armande!


Zeigt einen Ausweg nach rechts.


ARMANDE. Und die besprochene Angelegenheit – hinter welcher vielleicht eine böse Intrige verborgen liegt –?

LEFÊVRE. Werd' ich nun unverzüglich dem Minister vortragen – es gibt strenge Gesetze gegen Manuskriptenraub – gegen Gedankendiebstahl – Plagiate – wer weiß, ob dieser Gewürzkrämer Matthieu nicht die Absicht hat, sich auf irgendeine Art auch in die Akademie zu stehlen – ganz wie ein gewisser – Beiseite. Es geht etwas vor –! Laut. Ganz recht, Rue du Coq – man muß den Befehl seiner Verhaftung erwirken – hier, hier – reizende Armande! Führt sie zur Seite hinaus und begleitet sie.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 174-177.
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