Elfter Auftritt


[205] Matthieu in einer Gildenuniform. Molière. Zuletzt Offizier.


MATTHIEU. Sire, im Namen der Bürgerschaft von Paris! Tritt feierlich vor und verbeugt sich. Allerdurchlauchtigster, großmächtigster – – Sie sind's, Molière? Wo ist der König?

MOLIÈRE. Er liest den Tartüffe!

MATTHIEU. Verboten oder erlaubt?

MOLIÈRE. Wird in zwei Jahren entschieden sein!

MATTHIEU. In zwei Jahren? Dann wollen wir doch die Feierlichkeiten abbestellen – Am Fenster. Meine Herren! Pariser! Ruhe! Ruhe! Der König liest!

MOLIÈRE. Wollen Sie in die Bastille kommen? Gehen Sie ins Theater, Matthieu, und sagen Sie, in meinem Namen sagen Sie es, daß die heutigen Zettel mit einem schwarzen Rand erscheinen sollen. Mit einem schwarzen Rande! Ja, ich wag' es! Und muß ich dafür dem Publikum Rechenschaft geben, so werd' ich an die Lampen treten und mit Tränen im Auge sprechen –

MATTHIEU zieht sein Tuch. Die Claque wird weinen –

MOLIÈRE. Zeitgenossen! Pariser! Die finstern Gewalten haben gesiegt. Mein Tartüffe, der euch einen Heuchler entlarven sollte, ist verboten. Wer die im Dunkeln schleichende Hand ist, die selbst auf das hellste Auge in Frankreich die schwarze Binde des Argwohns legen konnte, ich weiß es nicht, aber, wenn mich meine Ahnung nicht trügt –

MATTHIEU. So werden wir siegen – ... ich entflammte die Galerie zur Wut – ich stürme den Kronleuchter –

OFFIZIER ist eingetreten und schlägt Matthieu auf die Schulter. Mein Herr!

MATTHIEU. Sie wünschen –?

OFFIZIER. Als Unruhstifter und Volksaufwiegler werden Sie mir folgen –

MATTHIEU. In einen Sperrsitz?

OFFIZIER. Ja! In die Bastille!

MATTHIEU. Was?

MOLIÈRE. Auf wessen Befehl?

OFFIZIER. Auf Befehl des Herrn Präsidenten La Roquette –[205]

MOLIÈRE. La Roquette? Wohlan! In Ihren Kerker, Matthieu! An den Vorhang der Bühne, auf den Tafeln der Geschichte werd' ich zum Beginn des Kampfes ein für sich selbst redendes Wort schreiben: Pariser, ich hab' euch den Tartüffe aufführen wollen, aber – der Präsident La Roquette will nicht, daß man Mit doppelsinniger Betonung. ihn auf die Bühne bringt!


Alle ab.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 205-206.
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Das Urbild des Tartüffe
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