[223] Ludwig. Die Vorigen die sich alle tief verneigen.
LUDWIG geht armverschränkt und sehr aufgeregt auf und ab. Guten Abend, meine Herren! Ah, La Roquette – guten Abend, La Roquette – Wie kommen Sie hierher? Man hat Sie seit Menschengedenken nicht im Theater gesehen.
LIONNE. Sire, es ist Molière, in der Rolle des Tartüffe –
LA ROQUETTE beiseite. Ich vergehe –
DUBOIS. Sire, alle fangen wir an, dem erhabenen Beispiel Ew. Majestät zu folgen und uns mit dem Tartüffe zu versöhnen, seitdem Molière eine so treffende Charaktermaske gewählt hat.[223]
LA ROQUETTE. Sire –
LUDWIG. In der Tat, es ist Molière! Wie sollte auch der Präsident an einen so sündhaften Ort kommen! Die Täuschung ist wunderbar. Beiseite. Ich habe nicht den Mut, ihm ins Antlitz zu sehen – Laut. Meine Herren, kommen Sie alle in meine Loge!
CHAPELLE. Sire, die Ehre!
LUDWIG. Alle, alle, die früher die Gegner des Tartüffe waren! Molière, gehen Sie jetzt ans Werk! Sie scheinen verstimmt? Hatten Sie doch nicht eine – kleine Verdrießlichkeit hinter den Kulissen! Kommen Sie, meine Herren! Ihre Feinde, Molière, sollen von meinen Augen, von meinem eignen Beispiel gezwungen werden, zu applaudieren.
Er tritt nach hinten. Sowie er an die Brüstung kommt, bricht eine Beifallssalve aus. Die Ouvertüre löst sich in einen Tusch auf und schweigt.
DUBOIS. Man applaudiert ihm, weil er das Verbot aufgehoben –
Folgt.
CHAPELLE. Rasch, rasch, dann gilt der Empfang auch uns!
Die andern treten nach hinten näher. Der Vorhang bleibt offen.
LA ROQUETTE vorn allein. Verzweifelnd. Ha, ha, ha! Sie halten mich für Molière! Und Duplessis ist mitten unter ihnen, und die Schlösser meiner Truhen öffnen sich und zeugen wider mich – die Szene hat begonnen – schon hör' ich diese mordenden Verse – jetzt wird Elmire auftreten – wie der König über die Brüstung sich lehnt – die Szene mit dem Tuche kommt – Man applaudiert draußen. Klatscht nur! Klatscht! Ha, sie kosten schon Blut – der Appetit steigert sich – nur zu! Zu! Wie wollen sehen, wer bessere Zähne hat. Noch geb' ich die Hoffnung nicht auf. – Noch eine Sekunde und Elmire tritt ein – Man applaudiert noch stärker. Ha! Da ist sie! Der König beugt sich über – Das Tuch – das Tuch –
Ludwig erhebt sich hinten plötzlich und kommt langsam vor. Die Übrigen lassen ihn durch und gruppieren sich in bescheidener Entfernung.
LA ROQUETTE zieht sich rasch zurück an die Seite. Das Tuch – war gelb!
LIONNE beiseite. Hat den König eine Stelle verwundet?
DUBOIS beiseite. Vielleicht eine persönliche Beziehung –
CHAPELLE beiseite. Oder ein schlechter Vers –
LA ROQUETTE für sich. Das Tuch war gelb!
DELARIVE. Majestät geruhen zu befehlen – Sire, dürft' ich –
LIONNE. Die Sprache des Stücks schien Ew. Majestät doch wohl zu frei?[224]
CHAPELLE. Bis jetzt hab' ich schon sechs falsche Reime gezählt –
LIONNE. Wünschen Ew. Majestät einen Protest?
LEFÊVRE. Ein Mandat?
LUDWIG setzt sich und stützt den Kopf auf. Abscheulich –! Das Tuch war gelb! Wenn sie mich betrogen hätte!
LA ROQUETTE beiseite. Das Kostüm des Stücks ist nicht gut gewählt – – ha, ha! Das ist es allein –
Man applaudiert draußen.
LIONNE. Wünschen Ew. Majestät, so erklär' ich augenblicklich, daß der Vorhang fällt –
CHAPELLE. Ludwig XIV. ist doch Ludwig XIV.!
LUDWIG. Chapelle, das ist der geistreichste Gedanke, den Sie je ausgesprochen haben! Was seh' ich dort? Noch immer Molière?
Alle blicken auf La Roquette.
LA ROQUETTE sammelt sich, entschlossen. Sire, wenn ich wagen dürfte Ihnen einen Mitteilung zu machen –
LUDWIG. Worüber?
LA ROQUETTE. Über einen Gegenstand der Garderobe. Über das Tuch Elmirens!
LUDWIG. Wie – Sie wissen? – Meine Herren, Zeigt auf die Loge. treten Sie näher! Lassen Sie uns allein!
Alle verbeugen sich und gehen in den Hintergrund.
LA ROQUETTE. Sire, erlösen Sie mich von diesem grausamen Mißverständnisse! Ich bin niemand anders als der Präsident La Roquette!
LUDWIG. In der Tat! Sie sind La Roquette – was wissen Sie von Elmiren –
LA ROQUETTE. Ludwigs hochherziger Sinn ist getäuscht worden von der Koketterie eines Weibes – Nur um die Aufführung des Tartüffe zu ermöglichen, hat man diese List erfunden und Ew. Majestät mit einem gewissen – Zeichen täuschen wollen –
LUDWIG. Darum verlangte Armande –?
LA ROQUETTE. Das Zeichen des blauen Tuches! Ein Stück mit einem auffallenden Tuche wurde gesucht, und Ew. Majestät in Ihrer Güte und Großmut erteilten deshalb –
LUDWIG. Abscheulich, empörend! Aber woher wissen denn Sie das alles –?
LA ROQUETTE. Der Zufall ließ mich die Bekanntschaft jener kleinen Debütantin machen, welche heute zum erstenmal die Bretter betritt –
Man applaudiert hinter der Szene.
[225]
LUDWIG. Wem applaudiert man schon wieder?
DELARIVE von hinten her. Dem Auftreten der kleinen Béjart-Duplessis.
LA ROQUETTE. Desselben jungen Mädchens, das mir von Chapelle zur Protektion empfohlen wurde – Sie besuchte mich, sie plauderte mit mir, sie hatte gestern eine gewisse Szene in Armandens Garderobe belauscht –
LUDWIG. Protegieren Sie junge Debütantinnen? Und diese hat Ihnen Armandens Hinterlist verraten?
LA ROQUETTE beiseite. Sie spielt jetzt – ich bin sicher! Laut. Ja, Ew. Majestät – es ist nichts als ein Komplott, ein Komplott des Betrugs, einer sträflichen Hinterlist, eines Verrats an den zartesten Empfindungen Ihres Herzens –
LUDWIG. Abscheulich! Ich sehe, Sie wissen alles! – Aber ich glaube, sie spricht – oder ist es die andere? Diese Kleine scheint ein hübsches Organ zu besitzen –
LA ROQUETTE. Ew. Majestät wünschen doch, daß ohne weiteres diese hochverräterisch durchgesetzte Vorstellung geschlossen wird –
LUDWIG. Getäuscht – verraten! Empörend! – – Aber sonderbar, daß mir diese Madeleine nicht erst vorgestellt worden ist – Wieder eine neue Pflichtvergessenheit Molières – Applaus. Sie scheint zu gefallen –
LA ROQUETTE. Nicht wahr, das Stück soll nicht weiter gespielt werden –?
LUDWIG. Delarive, hat die Kleine Talent?
DELARIVE. Vortrefflich, hinreißend!
LA ROQUETTE. Nicht wahr, Sire, das Stück ist zu Ende –?
LUDWIG. Mit dem ersten Akte! Ganz gewiß oder – Es tut mir nur leid – um diese kleine Madeleine Béjart – wie kommt sie zu dem doppelten Namen –?
LA ROQUETTE. Sire, der Vorhang soll fallen?
LUDWIG. Noch nicht! Später. Und Sie sagen, sie ist eine Schwester Armandens?
LA ROQUETTE. Es wird morgen in den Journalen heißen: Das Stück wurde zwar bis zu Ende des ersten Aktes gespielt, aber Se. Majestät verließen schon nach der ersten Szene ihre Loge?
LUDWIG. Ohne Zweifel! Das ist der rechte Ausweg.
Applaus hinter der Szene.
LA ROQUETTE. Diese teuflischen Hände!
LUDWIG. Delarive, gefällt sie?
DELARIVE. Die Szene? Allgemein, allgemein, Sire –
LUDWIG. Ist sie gut kostümiert?[226]
DELARIVE. Die Szene?
LUDWIG. Die neue Debütantin!
DELARIVE. Sie trägt ein blaues Tuch –
LUDWIG steht auf. Nun trägt die ein blaues Tuch? Hm! Das könnte ja möglicherweise eine Andeutung Armandens sein – eine Art Bitte um Vergebung! – Diese Madeleine ist – gewiß sehr – reizend – jedenfalls neu und – noch nicht dagewesen –
LA ROQUETTE. Sire, nicht wahr, Sie befehlen den Wagen?
LUDWIG. Präsident, – ich beobachte gern die Entwickelung junger Talente – Beiseite. Daß ihr Armande ein blaues Tuch gestattete, damit hat sie jedenfalls etwas ausdrücken wollen – jüngere Schwestern sind zuweilen interessanter – – als ältere – Man applaudiert. Delarive, sie muß vortrefflich spielen. – Es wäre grausam, wenn ich sie kränken wollte und gehen! Nein, nein, Präsident, lassen Sie das doch noch mit dem Artikel in den Journalen!
LA ROQUETTE. Sire, die Religion!
LUDWIG. Delarive, Delarive kommt näher. ich denke, man ist einmal hier, man weiß nicht, was man noch den Abend über beginnen soll, man sieht das Stück zu Ende – Was?
DELARIVE. Alle Blicke richten sich sehnsuchtsvoll nach diesem verlassenen Sessel.
LUDWIG. In der Tat, nicht wegen des Stückes, nicht wegen dieser – boshaften Armande, nicht wegen Molières, sondern um eine junge Debütantin nicht zu kränken – Gehen wir? Was meinen Sie?
DELARIVE. Madeleine wird Armande schlagen, scheint es, ich meine in ihrer Rolle –
LUDWIG. Ich will in der Tat nur das Glück der ganzen Welt, selbst auf meine eignen Kosten! Madeleine muß ein bedeutendes Talent sein! Ich entschließe mich von nun an, nicht mehr die Künstlerinnen, sondern nur noch die Kunst zu protegieren. Meine Herren, kommen Sie, ich will das Stück zu Ende sehen! Ab in die Loge.
Alle folgen dem König. Der Vorhang der Loge fällt zu.
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