[16] Diener. Die Vorigen. Dann Uriel.
DIENER.
Ein Schüler, des ich mich aus alter Zeit
Entsinne, wünscht zwei Worte nur – ich weiß,
Ihr habt ihn lieb gehabt, ich ließ ihn kommen.
Er tritt zurück, läßt Uriel herein und geht. Uriel tritt ein.
JOCHAI beiseite.
Er selbst!
SILVA beiseite.
Acosta?
URIEL.
Stör' ich Euch, de Silva?
Drückende Pause.
SILVA.
Kommt Ihr zum Arzt de Silva? – seid willkommen!
Ein Arzt darf auch dem Feind sich nicht entziehn.
URIEL.
Dem Feind, de Silva? – Meinen Lehrer will ich
Zum Abschied, eh' ich scheide, noch begrüßen.
JOCHAI beiseite.
Zum Abschied?
SILVA will Jochai vorstellen.
Ben Jochai! Kennt Ihr ihn?
URIEL.
Wir kennen uns.
JOCHAI.
Ihr macht mich staunen – wie?
Ihr wolltet – sagt Ihr – Amsterdam verlassen?
URIEL.
Von wo Ihr kamt, Jochai, dahin geh' ich.
Und morgen schon mit erstem Sonnenstrahl.
Ich will die Welt, will andre Menschen sehn.[16]
Und weil ich jedem, den ich liebgehabt,
Noch einen Gruß zum Abschied bieten wollte,
So kam ich auch zu Euch, de Silva! Hier
Nehmt meine Hand!
SILVA weist sie zurück.
Die Hand, die eben noch,
Was ich mit eifrigstem Bemühn erforscht,
Wie eine abgestandne Arzenei
Zum Fenster ausgeschüttet hat?
URIEL.
De Silva!
Ich sagte schon, ich käme nicht zum Arzt!
Zum Denker Silva bin ich nur gekommen.
Und wenn im Denken ich gesund nicht bin,
Was ich mich selber kaum zu rühmen wage,
So wißt Ihr, was die Heilung anbetrifft,
Die kranke Seele muß sich selber helfen.
SILVA.
Zu meinen Füßen habt Ihr einst gesessen!
Von mir gelernt, was der Gedanke ist –
In Eurer Schrift bekämpft Ihr Euren Lehrer!
URIEL.
Ich staune – kann man denken lernen, Silva?
Gibt's Schüler denn und Lehrer im Bereich
Der höchsten Wissenschaft, wo jeder Satz,
Wie einst aus Ajax' Blut die Blume, also
Aus unserm Innern sich erzeugen muß?
Ich habe unser altes Lehrgebäude,
Das halb auf Schrift und halb auf Tradition,
Auf heil'gen und profanen Büchern wurzelt,
Beleuchtet mit der Fackel der Vernunft.
Nicht in dem Wahn, das Wahre aufzufinden,
Das jeder anerkennen müßte, nein,
Nur meine eigne Torheit ließ mich reden,
Nur meine eigne Blindheit ließ mich sehen,
Nur meine eigne Taubheit hören – meine!
Das merket wohl, de Silva, nur die meine!
Nur was wir selber glauben, glaubt man uns.
SILVA.
An Eurer Statt würd' ich zu Christen halten.
URIEL.
De Silva!
SILVA.
Dann verzeihe Gott dem Juden,
Daß er den Glauben seiner Väter schmäht!
Die Edelsten, die Besten sind empört,
Was Ihr geschrieben über unsern Glauben.
Die Synagoge hat mit ihren Dogmen
Ein heilig Recht auf liebende Verehrung;
Denn grade jetzt, wo wir entronnen sind[17]
Dem Feuertod fanatischer Verfolgung,
Jetzt endlich, wo zum ersten Male wieder
Das Lob des Höchsten wie ein Opferrauch
In Lüfte, die uns nicht verraten, steigt,
Jetzt soll die junge Freiheit dazu dienen,
Daß wir zerstörten, was so lang' gehalten,
Was felsenfest im Elend unsers Volks
Der Anker seiner Hoffnung bleiben durfte?
Nein, nimmermehr! Und wenn mein eigner Witz,
Wenn die Vernunft mit klugem Selbstgefallen
Mir sagte: »Das ist morsch und tot«, so helfe
Der Ew'ge uns, wir wollen's dennoch schützen,
Wir wollen halten an dem teuern Wahn,
Wie man auch einen alten Diener, der uns
Im Elend treu blieb, nicht im Glück verstößt.
URIEL.
Was ich an Euch verehre, ist das Herz.
Rasch seid Ihr in der Liebe, rasch im Haß,
Ein edler Sinn verklärt selbst Euern Irrtum!
Ihr habt in meiner Schrift nur erst geblättert –
Lest sie und wiederholt nicht gläubig,
Was Eure – Kranken Euch davon berichten!
In guter Absicht bin ich hergekommen,
Abschied zu nehmen, nicht von Eurem Haß,
Nicht von dem schwankenden Gemüt de Silvas,
Vom Denken nicht, das doch kein ganzes Denken,
Kein ganzes Fühlen, nur ein Dämmern ist,
Wie eben jetzt nicht Tag, nicht Abend scheint –
Nur Abschied wollt' ich friedlich nehmen, Silva,
Von Euerm weißen Haar – Lebt wohl! – ich ahne,
Wir werden uns wohl nimmer wiedersehn.
JOCHAI.
Vergebt, Acosta, daß ich mir das Wort,
Des Ihr mich nicht gewürdigt, selbst erlaube!
Wenn ich Euch irgendwo auf Eurer Reise
Mit unsrer Kundschaft dienen kann –
URIEL.
Zu gütig!
JOCHAI.
Befehlt, ich bitte, – geht Ihr nach Paris?
Ein Brief von unserm Hause führt Euch ein
In manchen goldenen Palast – und wenn
Ihr Londons Weltgewühl –
URIEL.
Nach Süden zieh' ich –
Vielleicht nach Deutschland. Kennt Ihr Heidelberg?
Ich suche irgendwo ein stilles Tal,
Wo ich mit Quelle mich, mit Gras und Blume,[18]
Und wenn die Zunge freier reden will,
Mit Waldgefieder streitend unterhalte.
JOCHAI beiseite.
Ich atme auf.
SILVA.
Und Judith läßt Euch ziehen?
URIEL.
Und Judith? Warum fragt Ihr das?
SILVA.
Ist sie
Nicht Eurer Weisheit treue Schülerin?
URIEL.
Sie wird jetzt in des Lebens Schule gehn!
SILVA.
Für Frauen das die beste. Fragt nur da
Den künft'gen Gatten Eurer Schülerin,
Ob er nicht gleicher Meinung?
URIEL.
Nein, Jochai!
Entsagung lernen steht auch Reichen schön.
Löscht alle Kerzen aus, die Ihr zur Pracht
Auf Euerm Hochzeitsfest verbrennen wolltet.
Ihr braucht für Judith nichts, was eitel glänzt,
Braucht goldne Becher nicht für ihren Trunk,
Braucht Silber nicht für ihr bescheiden Mahl –
Im Vollgenuß des väterlichen Glücks
Hat sie gelernt die Freuden des Entbehrens.
Sich selbst genügen – lehrte meine Weisheit!
Sich vergessend.
Und wenn Ihr doch sie überraschen wollt,
Mit einem goldnen Dache sie umwölben,
Doch aller Lebensfreuden Duft ihr spenden,
Dann ist sie's wert! Sie stieg vom Himmel nieder,
Die Erde hat nicht teil an ihrem Stoff –
Sie ist ein Schatz, vergraben unter Euch,
Ein Seraph, der die Grille hegt, sich menschlich
Als wäre sie die Unsre, anzustellen!
Berührt sie nie mit einer Hand, die eben
Vielleicht in Haufen schnöden Goldes wühlte!
Jochai, zu ihr beten müßt Ihr, nahen ihr,
Wie man den Heil'gen naht! O laßt mich ziehn!
Der Blick auf das, was Euch zurückbleibt, kann
Den Abschied nicht erleichtern. So mit Gott –!
Will rasch ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
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