[7] Nach einer im Herbst 1833 geschriebenen Erzählung des Verfassers: »Der Sadduzäer von Amsterdam«, folgte dreizehn Jahre später, bei einem Frühlingsaufenthalt in Paris, die Umwandlung derselben in ein Drama.
Die Eindrücke des Spiels einer Rachel, eines Ligier, Beauvallet, Frédéric Lemaître trugen zum Ton und zur Haltung des neuen Werkes bei.
Dennoch dürfte der auffallende Umstand, daß dasselbe vorzugsweise in slawisch-romanische Sprachen übersetzt wurde (außer, von Rubin in Galatz, ins Hebräische, von Josephsohn ins Schwedische, von mehren anderen ins Ungarische, Böhmische, Polnische, Italienische, von Neffzer ins Französische), nicht seinen Grund in den Äußerlichkeiten der Form haben, sondern im Inhalt. Letzterer gab einen harmonischen Akkord zu den geistigen Befreiungskämpfen jener Völker. Eine englische Übersetzung wurde nur in Amerika versucht. Die Bewegung einer Emanzipation von geistigen Fesseln fehlt in England. Die dort unter der Kontrolle der Gouvernanten stehende schöne Literatur würde nur ein Drama übersetzt haben, das einen Märtyrer der Orthodoxie feiert.
In Deutschland wurde »Uriel Acosta« ein Witterungsbarometer für die öffentlichen Zustände. Nahm die kirchliche Reaktion zu, so erfolgte auf der Bühne ein Verbot; fand ein Systemwechsel statt, so ließ man »Uriel Acosta« frei. Für Österreich war charakteristisch, daß sich die Zulassung dauernd nur in den Provinzen erhielt, am Burgtheater stand lange das Konkordat im Wege. Hier und da gibt es auch an unsern kleinern deutschen Höfen Bühnen, wo eine maßgebende Entscheidung die Aufführung des »Judenstücks« nicht mag. Zum Glück lagen noch vor einigen Jahren die Interessen der Schauspieler in einem geheimen Kampf gegen diese und ähnliche Bedingungen unserer Bühne.[7]
Die Julian Schmidtsche Kritik, die seit dem Anfang der fünfziger Jahre alles herabsetzte, was zu meinem Namen in Beziehung stand, und mit der Zeit auch durch den Effekt, welchen absprechende Sicherheit immer findet, mancherlei Literaturgeschichten- und Feuilleton-Weisheit für sich gewonnen hat, entschuldige folgende Selbstrechtfertigung.
Uriel Acosta ist kein schwankender und charakterloser Held, wie gewöhnlich behauptet wird, sondern das absolute Gegenteil. Denn würde sich Acosta das Leben nehmen, wenn er nicht, trotz scheinbarer Irritation der Konsequenz, die Konsequenz selbst wäre? Ein sich überwindendes, starres Gemüt will sich hier gleich anfangs aus den Armen der Lieberei ßen und bleibt auf dem Schauplatz der vorauszusehenden Konflikte nur deshalb zurück, weil ihm seine Gemeinde den Prozeß macht. Jude nennt sich Acosta, während ihm freistünde, sich als Christ den Verfolgungen seiner Glaubensgenossen zu entziehen. Nur die tiefste, die sittlich berechtigte Mitleidenschaft des Gemüts für die gemeinsame Sache der Ahasverussöhne irritiert seine Konsequenz, und dieser Gegendruck seiner Überzeugungen wiegt denn doch, dächten wir, in seiner geschichtlichen Bedeutung zentnerschwer, zentnerschwer in einem Gemüt, dessen Organisation noch keinem Juden unverständlich geblieben ist, soweit sich ihm das Wort erprobte: »Das Wesen unsers Volks ist die Familie!« Es ist Verleumdung und nur ein Verfolgen des Scheins, wenn man die Motive zu Acostas Widerruf in seiner »Charakterschwäche« findet. Keine unedle ist die Schuld, die Acosta auf sich ladet. Die Wehklagen eines geknechteten Volks binden seine Kraft; die blinden Augen seiner Mutter, der geschäftliche Ruin seiner Brüder, die Hingebung, der Schmerz einer Liebe wie Judiths, die edle Duldung des ihn schützenden Manasse – wahrlich, alles das sind nicht vereinzelte Motive der Zufälligkeit, sondern es steht im Zusammenhang mit einem Ganzen, das den Helden – erstens durch seinen Widerruf auf die Höhe einer objektiven, historisch bindenden Sittlichkeit und – zweitens auf die Höhe jener allgemeinen menschlichen Gesetze hebt, die in der Geschichte aller Meinungskämpfe und Überzeugungen die Kundgebungen titanisch ansetzenden Mutes oft genug, leider bemitleidenswert und die Teilnahme herausfordernd, irritierten. Sind nur in der Darstellung die Repräsentanten Silvas, Manasses, Judiths, der blinden Esther und der Brüder Uriels keine Marionetten, sondern beseelte, begeisterte, von ersichtlicher Überzeugung getragene Israeliten, so könnte Uriel im Widerruf zugestanden haben: 2×2=5, und der Anblick eines unter dem[8] Gesetz der Sitte und des Vorurteils mit schwersten Seufzern atmenden Genius müßte diejenige Wirkung hervorbringen, die durch die tragische Muse erstrebt wird. Daß zuletzt die angespannte Kette, nachdem sich die Verhältnisse ändern, die Mutter tot ist und Judith, nach demselben Gesetz der Unterordnung auch ihres Willens unter ein gemeinsames großes Volksgesetz und Volksschicksal, das sie gegen Uriel geltend gemacht hatte, ebenso auch ihrerseits ihrem Vater zu gefallen verfährt, in stürmischer Eile abrollt und Uriel seinen Widerruf wieder zurücknimmt und zuletzt über den Bruch mit sich selbst sich tötet, macht ihn gerade zum Helden der Konsequenz. Sein Tod kann und soll nur diese Wirkung hinterlassen: das Märtyrertum einer idealen Anschauung des Lebens enthält mehr Leiden und Prüfungen, als derjenige ahnt, der auf seinem Sofa von Konsequenz spricht! Wollt doch nur einmal etwas Großes in der Welt! Ihr werdet bald finden, daß Überzeugungstreue im großen Stil Phasen hat, die nicht die Phasen einer Stadtverordneten-Konsequenz sind. Die tragische Versöhnung über den Märtyrer des Judentums, über den Blutzeugen für das Prinzip der Familie, über den Blutzeugen für die Urberechtigung des Herzens und der Liebe auch in den Fragen des Geistes oder – des Hasses wird in dem Schlußgedanken de Silvas ausgesprochen: Das große Gesetz Gottes in der Geschichte scheine nicht zu sein, was wir an Wahrheit auffänden, sondern wie wir es auffänden. In diesem Wie seines Überzeugtseins hat Acosta trotz seines Unterliegens gesiegt. Ungroßmütig ist es, wenn eine einzige der Anklagen, die Acosta selbst gegen sich und gegen seine scheinbare Inkonsequenz (z.B. Akt 5) ausstößt, vom Zuschauer anerkannt, aufgenommen und unterschrieben werden wollte! Unsere jüngeren Schauspieler geben leider die Titelrolle meist zu weich, zu gelassen, zu leidend-reflektiv. Schon das erste Auftreten bei de Silva muß zeigen, daß die Gelassenheit der Haltung Uriels nur eine scheinbare, seine Ergebung nur die momentane Beherrschung eines an sich leidenschaftlichen Temperamentes ist.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
|