Schul-Leute.

[349] Schul-Leute betriegen 1) Wenn sie ihre Untergebene eher und mehr gelehrt / als fromm zu machen suchen / und daher die Doctrinam Pietatis, unter dem Vorwand / daß solche auf die Cantzel gehöre / und sie ihre Stunden zu andern Lectionibus ohne diß gar genau ausgetheilet hätten, liegen lassen. 2) Wenn sie die bestimmten Schul-Stunden verschmählern, und nicht nur späte zur Lection kommen / sondern auch unter derselben, unter allerhand Prætext, heraus lauffen / und öffters, ehe es noch geschlagen / wieder schliessen. 3) Wenn sie gar die Schul-Stunden liederlich versäumen / und allerhand erdichtete Hindernisse zu ihrer Entschuldigung vorwenden / auch, daß sie die versäumte Stunden wieder einbringen wolten, zwar versprechen, dennoch aber dieses letztere hernach nicht halten. 4) Wenn sie bey Bestraffung derer Scholaren nicht gleich durchgehen / sondern nach Affecten den einen härter als den andern / der doch mit jenem in gleicher Culpa ist, discipliniren, einigen aber, um ihrer vornehmen Eltern oder eigenen Genusses willen, durch die Finger sehen. 5) Wenn sie ihre Untergebene um[349] offtmahls geringer Ursachen willen blutrünstig, oder sonst barbarisch tractiren, und hernach dergleichen unbilliges Verfahren mit einem scholastischen Amts-Eifer, oder daß sie der Zorn übereilet und die Boßheit der Scholaren zu groß sey / entschuldigen wollen. 6) Wenn sie die Scholaren / um Genusses oder Gunst willen / gegen ihre Eltern und andere über die Warheit sehr loben, und dadurch stoltz machen. 7) Wenn sie / da sie sich etwa nicht auf die Lectiones præpariret, oder wie der seel. Mengering in Scrut. Consc. cap. 11. qu. 72. schreibet / nicht viel auf die Lectiones zuvor eingehauen und zugeschnitten haben, einen weitläufftigen Diseurs und Predigt anstellen /denen Discipuln eine Weile lustige Histörigen oder Schnacken vorschwatzen, oder ihnen das Gesetz schärffen und viel von ihrem Unfleiß, Ungehorsam und dergleichen vorpredigen, damit indessen nur der Zeiger schlage / und sie vor dißmahl mit Ehren loß und davon kommen. 8) Wenn sie, damit sie der Præparation auf ihre Lectiones entübriget seyn mögen /ihren Discipuln mit unnöthigen dictiren derer aus verteutschten Auctoribus Classicis excerpirter Phrasium, oder auch wol solcher Disciplinen, die man bereits besser im Druck hat / an Erlernung nöthiger Dinge hinderlich sind, und damit die edle und unwiederbringliche Zeit verderben. 9) Wenn sie die Jugend nicht auf die rechte Fontes führen / sondern damit hinter dem Berge halten / daß diese nicht hinter ihre Schliche kommen, und solche von ihnen, zu ihrem einträglichen Nutzen, desto länger aufgehalten werden können. 10) Wenn sie bey[350] ihrem Vortrag / in Mustaceo quasi Gloriam quæsituri, mit Fleiß obscur seyn /damit man sie nach ihrer eigenen gewöhnlichen Redens-Art: Quis capere potest, capiat! nicht so gleich capiren könne / sie aber hiedurch den Ruhm eines tieffgelahrten Critici von Unverständigen erhaschen mögen. 11) Wenn sie mit den Ihrigen die Lectiones nicht fleissig repetiren / sondern solche biß etwa auf herannahendes Examen verspahren / und immittelst in ihren Lectionibus fortfahren / damit sie nur beym Examine viele absolvirte Pensa im Lections-Catalogo aufweisen können / da es doch auch hier nach Plinii Regul: Non multa, sed multum! heissen solte. 12) Wenn sie auch im Examine denen Ephoris Scholæ und Examinatoribus allerhand blaue Dünste vor die Augen machen, und es vorher mit den Scholaren anlegen / was sie diese fragen wollen, diese aber ihnen antworten sollen / auch ihnen wol die Formulgen über den Cornelium Nepotem, oder einen andern Auctorem Classicum in die Feder dictiren / damit die Scholaren desto besser bestehen / sie aber, als Lehrende, ihres Fleisses und Geschicklichkeit halber desto mehrern Ruhm davon tragen mögen. 13) Wenn sie reicher und vornehmer Leute Kinder, um des lieben Interesse willen / treulicher informiren / als arme und geringe Scholaren, von welchen sie eben keinen sonderlichen Nutzen zu gewarten haben / da doch auch unter diesen offtermahls schlechten Lumpen /wie der seel. Scriver im Seelen-Schatz P. II. p. 735. redet / ein Königlich oder Fürstlicher Rath / Cantzler / Doctor, Magister, Professor,[351] Prediger / Bürgemeister / Kauffmann / u.s.f. verborgen ist, und hergegen von jenen das Heroum Filii Noxæ öffters eintrifft. 14) Wenn sie über die verdorbene Disciplin klagen / und doch selbst in ihrer eigenen übelen Conduite wider die Leges Scholasticas pecciren / gleichwol aber den Schein, daß sie über die Disciplin hielten / haben wollen. 15) Wenn sie allerhand neuerliche Accidentia aufbringen / oder die alten auf mancherley Art / beym Anbind. Geld an ihrem Geburts- oder Nahmens-Tag, da mancher arme Schüler, unter dem Vorwand / daß dergleichen Geschencke Loco Salarii sehen / wol einen Thlr. erlegen muß / steigern und erhohen. 16) Wenn sie denen perorirenden oder valedicirenden falsche Lob-Sprüche geben, und in ihren Programmatibus oder Lauff-Zettuln von dererselben Gelehrsamkeit / und wie solche fast in Sprachen und Wissenschafften versiret seyen / so viel Dicentes machen, daß man solche Scholaren ehe vor schon vollkommene Doctores, als vor noch lernens wegen auf Universitäten ziehende Studiosos halten solte. 17) Wenn sie in Sprachen / die sie selbst entweder gar nicht / oder doch nicht gründlich verstehen peroriren und valediciren lassen / damit sie nur vor grosse Philologos und Sprach-Verständige angesehen werden mögen. 18) Wenn sie denen Scholaren ihre Orationes oder Disputationes selbst machen / und gleichwol von jenen, daß sie solche proprio Marte elaboriret hätten / vorgeben / bey diesen aber / daß sie sich pro Auctoribus angeben, und auch unter solchen Deckmantel die Dedication machen dürffen / um Schmieralien[352] willen /geschehen lassen. 19) Wenn sie sich kranck anstellen / da sie ihre Lectiones halten sollen, damit sie immittelst sich ihrer Gemächlichkeit bedienen, oder sonst die Zeit zu ihren Privat-Verrichtungen employiren können. 20) Wenn sie sich die Privat-Stunden oder Collegia theuer, ja theurer / als auf Universitäten zu geschehen pflegt / bezahlen lassen, und doch darinnen ihren Scholaren nichts besonderes lehren / sondern wol die halbe Zeit um liederlicher Ursachen willen aussetzen / dabey faullentzen, und solcher gestalt /wie Robertus Harris, ein Engelländer / in seinem Gewissens-Spiegel teutsch redet / die arme Jugend ums Geld betriegen. 21) Wenn sie denen Scholaren die von Ihnen edirte Bücher / ohnerachtet sie offt nicht viel taugen, auch ad Captum Juventutis nicht geschrieben sind um ihres Profits willen zu kauffen / bestens recommendiren / publice einführen / und diejenigen / welche bereits mit dergleichen Büchern anderer Editionen versehen sind, pro Auctoritate darzu anhalten, daß sie die ihrigen anschaffen müssen. 22) Wenn sie, unter dem Vorwand / der studirenden Armuth die nöthigen Schul-Bücher anzuschaffen, einen Fiscum von dictirten Geld-Straffen anstellen / hernachmahls aber das Geld entweder vor sich behalten /oder nach einigen Jahren, da die alten Scholaren in ihren Classen nicht mehr vorhanden sind, die neueren aber von angeschaffeten Büchern nichts wissen, die Bücher wegnehmen und dem Fisco entwenden.


Mittel: 1) Gute Bestellung der Schulen mit tüchtigen Subjectis, welchen auf Universitäten Humaniora besonders[353] zu studiren / vermittelst Darreichung einiges Stipendii, oder sonst von hoher Landes-Obrigkeit unter die Arme zu greiffen. 2) Erhöhung derer Besoldung und Rangs in höhern Schulen / als deren Ermangelung eine Haupt-Ursach mit ist / daß man so wenig geschickte und rechtschaffene Schul-Leute findet. 3) Fleißige Aufsicht derer Schul-Inspectorum. 4) Vorschrifft zur nützlichen Schul-Methode. 5) Weitere Beförderung der Schul-Leute auf deren vorhergegangenes Wohlverhalten / als deren Aussenbleiben endlich solche Leute / welche Lutherus nach zehenjährigem eingefressenen Schul-Staube selbst denen Märtyrern verglichen / verdrießlich macht.

Quelle:
Hoenn, Georg Paul: Betrugs-Lexikon, worinnen die meisten Betrügereyen in allen Staenden nebst denen darwieder guten Theils dienenden Mitteln entdecket von ,-, Dritte Edition, Coburg 1724 [Nachdruck Leipzig 1981], S. 349-354.
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