Sechsunddreißigstes Kapitel.

Jäger und Kammerjungfer.

[160] Nachdem die Leute das Zimmer verlassen hatten, in dem sich der junge Mann befand, machte dieser ein paar rasche Gänge durch dasselbe, dann trat er vor das hohe Kamin, stützte seinen Arm auf das Gesims und versank in tiefes Nachdenken. – »Bah!« sagte er nach einer längeren Pause, indem er sich erhob und um sich schaute, »laß die Sache gehen, wie sie eben geht. Einer ist einmal der Sklave des Andern, und der Stärkere hat Recht. Die Idee von einer Wiedervergeltung kann und will ich nicht leugnen; was heute dem Einen geschieht, kann morgen dem Andern begegnen, und ich – heute noch Herr dieser ungeachtet alles Trotzes und aller Wildheit doch sklavischen Naturen – könnte vielleicht morgen vor ihnen stehen und mein Urtheil erwarten. – Ah! es ist doch etwas Schönes darum,« fuhr er fort und erfaßte den Griff seines Dolches, »so Herr zu sein über die ganze Welt, der Gebieter des Geringsten[160] und des Höchsten, des alten reichen Podagristen, der uns mit Entsetzen kommen hört, und des jungen, reizenden Mädchens, das von uns erzählt und vielleicht verstohlen und erschrocken ihrer Vertrauten sagt, indem sie dabei auf die andere Seite schaut: Ach! es war eine schreckliche Nacht, und der Letzte, der das Zimmer verließ, trat noch einmal an mein Bett und hob die Lampe hoch empor. O, ich würde ihn wieder erkennen, denn ich that ja nur als ob ich schliefe. – Und das haben mir solch' schöne Lippen schon selbst erzählt. O, dies Leben ist zu beneidenswerth, als daß – es ewig dauern könnte!«

Nach diesem Selbstgespräch war er wieder in tiefe Träumereien versunken; doch raffte er sich rasch empor, schritt durch das Zimmer und zog an einer Klingelschnur, die sich in der Ecke befand.

Gleich darauf trat einer der Männer herein. Auf ein leises Wort zog sich dieser wieder zurück und nach einer kleinen Weile öffnete sich die Thüre abermals, durch welche jetzt der Mann mit dem schwarzen Haar und Bart, den wir in der Schenkstube schlafend gefunden, herein trat.

Dieser hielt sich schüchtern in der Ecke, erhob nur ein paar Mal den Blick verstohlen, um den jungen Mann zu betrachten, der wieder neben dem Lehnstuhle stand, ihn langsam und forschend ansah und dann zu ihm sprach: »Es ist dir schlecht ergangen, wie mir scheint, Josef?«

»Sehr schlecht, Herr,« entgegnete der Gefragte.

»Es ist seltsam aber wahr: was der Teufel einmal gefaßt hat, läßt er nicht sobald wieder fahren. Wenn wir auch unseren Nebenmenschen gegenüber ziemlich freie Geschöpfe sind, so sind wir anderntheils doch wieder erbärmliche Sklaven – Sklaven unserer Thaten, Sklaven unseres Gewissens.«

»Keines von diesen hat mich wieder hergebracht, obgleich Beide mich oft sehr gequält,« entgegnete Josef.[161]

»Ich habe erfahren, daß du kommen werdest.«

»Ich glaube es, Herr; so was bleibt nicht lange verschwiegen.«

»Es thut mir eigentlich leid um dich, Josef, denn ich bin überzeugt, daß du nicht freiwillig zu uns zurückkehrst.«

»Gewiß nicht, Herr. Aber da ich Sie als gut und großmüthig kenne, da Sie mich damals bereitwillig ziehen ließen, als ich Ihnen sagte, ich könne es nicht mehr unter den Genossen hier aushalten und es dränge mich, wieder ein anderer besserer Mensch zu werden –«

»Ein besserer Josef?« fragte lächelnd der junge Mann.

»Verzeiht, Herr, ein anderer denn! – Als Sie mich also ziehen ließen und mich so freundlich und gütig unterstützten mit Empfehlungen, daß ich alsbald eine gute Stelle fand und wieder frei athmend unter meines Gleichen treten konnte, da dachte ich immer an Sie und segnete Ihr Andenken, und als das Unglück geschehen war, als ich nach dem traurigen Schusse nun wieder ausgestoßen aus der Menschheit dastand, war wieder mein erster Gedanke an Sie und es drängte mich, zu Ihnen zurückzukehren.«

»Und zu den Genossen –«

»Wenn es nicht anders sein kann, was will ich thun?«

»Du weißt, Josef, daß ich von jeher große Stücke auf dich gehalten; ich hätte dich in meine eigenen Dienste genommen, aber Jemand, der wie ich, wenn ich mich so ausdrücken kann, nur hie und da erscheint, bedient sich am besten selbst. Doch scheint mir, du hast deinen größten Fehler, die Heftigkeit, immer noch nicht abgelegt. Teufel auch! man schießt nicht gleich auf seinen Vorgesetzten.«

»Wenn er uns aber als sein Vieh, als seine Sklaven behandelt? O Herr, ich hätte Sie sehen mögen!«

»Ja, ich stehe für mich gar nicht ein! – Du hast dich verheirathet?«

»Ja, Herr, es war ein schönes junges Weib.«[162]

»Das war unklug, Josef, siehst du, die Welt liegt im Argen. Wenn man Jägerbursche ist und in einem kleinen einsamen Hause im Walde wohnt, da bleibt man für sich allein und läßt seine ganze Familie aus ein paar guten Jagdhunden bestehen.«

»Wenn er mich in meinem Revier gelassen hätte,« sprach der Andere mit einem trüben Lächeln, »so hätte das gar nichts gemacht. Mein Häuschen lag mit ten darin und ich konnte Alles mit Muße beaufsichtigen.«

»Und er schickte dich in andere Waldungen?«

»Meilenweit, so daß ich Tage und Nächte von Hause sein mußte. O Herr, es war nicht klug von ihm gethan, daß er mich so auf die einsamen Waldplätze hinaussandte. Wenn ich da stand, so Stunden lang an irgend eine alte Eiche gelehnt, und an mein Haus und das Alles dachte, und wenn nun der Abend aufstieg und ich mußte bleiben, wo ich war und ich stellte mir vor, daß sich vielleicht ein Anderer nach meinem Hause schlich, – Herr, ich versichere Sie, da stand ich Qualen aus, die kein Menschenherz auf lange zu ertragen im Stande ist. Das Blut stieg mir siedend zu Kopf, es war mir oft, als hörte ich weit entfernten Hilferuf; doch war es Täuschung, denn der Hund lag ruhig neben mir und spitzte nicht einmal die Ohren. Auch wäre es zu weit gewesen.«

»Und eines Tages verließest du deinen Posten und gingst nach Haus?«

»Ja, Herr.«

»Und fandest Unrechtes?«

»Ich weiß es nicht genau, Herr; aber es mußte wohl so sein. Er kam aus meinem Hause, und da nahm ich, meiner selbst nicht mehr mächtig, die Büchse –«

»Genug! genug!« sagte der junge Mann, indem er sich gegen das Feuer umwandte. »Das Andere wissen wir bereits, auch dachte ich, daß du kommen würdest, und da ich dir, wie schon früher gesagt, wohl will, sorgte ich für dich. Der Waldschütze, von dem[163] du so eben erzähltest, hat den Seehafen erreicht und ist über's Meer –«

»Ich, Herr?«

»Her Waldschütze; so stand es in allen unseren Journalen. Auch war seine That für ihn so vortheilhaft beleuchtet, daß Mancher mitleidig an ihn dachte. – Du bist also ein ganz neuer Mensch und heißest von heute an Franz Karner. Hier sind die Papiere, mit denen du dich legitimiren kannst.«

Mit diesen Worten hatte der junge Mann die Brieftasche wieder hervorgezogen und nachdem er dem Andern ein Zeichen gegeben, näher zu kommen, überreichte er ihm ein zusammengefaltetes Blatt.

»Dann ist ferner hier ein Brief,« fuhr er fort, »den bringst du morgen an seine Adresse. – Lies die Aufschrift!«

»Herrn Baron von Brand.«

»Richtig! Dieser Herr wird dir Anweisung ertheilen, wohin du dich zu begeben hast, und soviel ich vernommen, sollst du in einem sehr guten und vornehmen Hause die Stelle als Jäger erhalten.«

»O wie danke ich Ihnen, Herr!« erwiderte der Andere gerührt, während er die Hand des jungen Mannes ergriff und sie an seinen schwarzen Bart drückte. »Möge Gott mich vergessen, wenn ich Ihrer je vergesse! Aber,« sprach er auf einmal mit ernstem Tone, »wie kann ich meinem neuen Herrn und zugleich Ihnen dienen?«

»Auf die einfachste Art; du hast deine Berichte zu machen über Alles, was in dem Hause geschieht, vornehmlich aber hast du in einem anderen Hause, in welchem der Vater deines neuen Herrn wohnt, irgend eine solide Verbindung anzuknüpfen, wenn dieß geschehen, es zu melden und darauf meine Befehle in Empfang zu nehmen.«

Der junge Mann zog sofort abermals die Klingel und sagte[164] als er die Thüre öffnen hörte, in's Vorzimmer hinaus: »Der Jäger wird anständig gekleidet, du hast dafür zu sorgen, daß er morgen auf unverfängliche Art das Haus verläßt. – Laß das Mädchen kommen!« – Dann winkte er Josef freundlich mit der Hand und dieser zog sich zurück.

Gleich darauf wurde die Thüre zum kleinen Vorzimmer langsam geöffnet und das Mädchen, welches unter derselben erschien, sanft hineingeschoben. Sie hatte ihre Thränen getrocknet, doch war ihr Gesicht mit einer erschreckenden Blässe bedeckt; dabei irrten ihre Augen ängstlich in dem Gemache umher, blieben eine kleine Weile auf dem lodernden Kaminfeuer haften und erblickten erst dann den jungen Mann, der sich wie absichtlich hinter die Lehne des Stuhles zurückgezogen hatte. Sie zuckte erschreckt zusammen; er trat einen Schritt vor.

»Komm näher, mein Kind!« sagte er. »Nur näher, fürchte dich nicht, – ganz nah.«

Das zitternde Mädchen that wie ihr befohlen wurde, doch machte es so kleine Schritte, daß es trotz vieler derselben kaum die Mitte des Zimmers erreichte.

»Hör' auf meine Worte und antworte mir deutlich auf meine Fragen! – Willst du?«

»Ja,« brachte sie mühsam hervor.

»Du kamst heute Abend hier an in Gesellschaft einer Harfenspielerin. – Ich will dir etwas sagen,« unterbrach er sich, indem er das erschreckte Gesicht des armen Geschöpfes bemerkte und ihre in diesem Momente fast glanzlosen, weit aufgerissenen Augen sah, »wenn ich dich etwas frage und es ist so, so brauchst du meinetwegen nichts zu antworten, wenn es dir schwer wird; dein Schweigen ist mir Bejahung. – Du trafst also mit dem Harfenmädchen heute Abend in A. zusammen? Du kamst von N., wo du einem anständigen, frommen Hause entlaufen bist, nachdem du gestohlen.«[165]

»Nein, Herr! nein!« erwiderte jammervoll das Mädchen, »bei Gott im Himmel! das ist nicht so.«

»Man klagte dich aber an, du habest gestohlen, man jagte dich deßhalb fort, alle Menschen, welche die Sache erfuhren, glaubten deinem Herrn und hielten dich für eine Diebin.«

»Aber bei Gott dem Allmächtigen, ich bin's nicht, gewiß, ich bin's nicht!«

»Möglich,« versetzte der junge Mann, »aber bringe Beweise dafür; gegen dich liegen deren genug vor. Du bist ausgestoßen von der Welt, Jedermann wendet sich mit Abscheu von dir, was bleibt dir übrig? – Du mußtest Schutz bei jenem Mädchen suchen. Und worin besteht der Schutz derselben? Das will ich dir sagen: sie wird dich einige Accorde auf der Guitarre lehren, dann ein paar Schelmenlieder; sie zieht mit dir herum in Gasthöfen und Kneipen, und wenn du heute noch keine Diebin bist, so kannst du es doch in ganz kurzer Zeit werden.«

Das Mädchen faltete ihre Hände und blickte mit einem Ausdruck des tiefsten Jammers zu dem Manne auf, der allwissend schien und der ihre Vergangenheit und Zukunft so schonungslos enthüllte.

»Ich weiß nun nicht,« fuhr dieser fort, »ob du nicht im Grunde eine leichtfertige Dirne bist, ob dir das Leben, welches ich dir so eben bezeichnet, nicht vielleicht sehr gut gefällt, ob dir das Herumtreiben nicht lieber ist, als wenn man es dir möglich machte, auf anständige Art dein Brod zu verdienen.«

»Nein! nein!« rief das Mädchen aus, und zum ersten Male drückte der Ton ihrer Stimme nicht Furcht und Entsetzen aus; es war ein Ton der Hoffnung, die das Wort des Fremden in ihrer Brust geweckt, der ihr Herz plötzlich erfüllte, und der sich auch in den zitternden Lauten kund gab, mit denen sie »Nein! nein!« rief.

»Nun denn,« sprach der junge Mann, »man hat Mitleiden mit dir, man will dich vom Abgrund zurück reißen, in den du[166] unfehlbar gefallen wärest. Du sollst eine anständige sichere Existenz haben; du sollst in ein gutes Haus kommen, und es wird von dir abhängen, ob deine Zukunft gut oder schlecht ist.«

Das Mädchen erhob bei diesen Worten die Hände, doch zitterten dieselben so heftig, daß sie kaum im Stande war, sie zusammen zu legen; dann hielt sie dieselben an ihre Stirne, bedeckte ihre Augen und schien eine Sekunde nachzusinnen, ob sie vielleicht nur träume und ob sie nicht etwa in irgend einer Scheune oder wie vorhin in dem Bette neben ihrer Gefährtin erwachen würde. Als sie aber ihre Hände wieder langsam sinken ließ und bemerkte, daß sie sich noch in dem Gemache befand, in das sie vorhin eingetreten, als sie das Kaminfeuer noch immer lodern sah und den Blick des jungen Mannes wahrnahm, der theilnehmend auf ihr ruhte, da war es ihr, als sei dieser ein Engel, vom Himmel zu ihrer Rettung gesandt. Ihren Augen entfielen die Thränen in großen Tropfen und sie sank mit einem lauten Aufschrei zu den Füßen des Fremden nieder, der sie lächelnd aufhob.

»Diesen Zeichen glaube ich,« sprach er.

Das Mädchen erwiderte: »Gott lohne es Ihnen, wenn Sie nichts Uebles von mir denken. Gewiß! ich habe nicht gestohlen, ich bin nicht schlecht; ich bin nur ein armes, unglückliches Geschöpf.«

»Nun gut denn,« erwiderte der junge Mann, der wieder an den Kamin zurückgetreten war, »man hat sich vorgenommen, für dich zu sorgen. Du sollst in die Garderobe einer vornehmen Dame kommen, natürlicherweise als ihre letzte Dienerin, denn ich kann mir denken, daß du nicht viel gelernt hast. Was man im Allgemeinen von einem Frauenzimmer verlangen kann, wirst du zu leisten vermögen; das Andere lernt sich bald, wenn man Lust und Liebe zu seinen Geschäften hat. – Hast du zufällig eine Sprache gelernt?«

»Etwas französisch,« sagte das Mädchen, »in früher Jugend[167] von meiner Mutter, die mit ihren Eltern von Frankreich eingewandert ist.«

»Gut. – Man wird dich nachher in ein ordentliches Zimmer führen, du wirst dort anständige Kleider finden und morgen früh erhältst du neben der Adresse, an welche du dich zu wenden hast, einen Paß und eine Instruktion. Letztere wirst du eifrig studiren, auch dir genau merken, wie du von heute an heißest, denn du erhältst einen andern Namen, ferner, wo du früher gewesen bist, woher du gerade kommst, wer deine Eltern sind und dergleichen mehr. Lerne dies genau, denn man wird dich gewiß darüber examiniren. Verwisch deinen Namen und deine Vergangenheit aus deinem Gedächtnisse, es ist das für deine eigene Sicherheit nothwendig. – Hast du mich genau verstanden?«

»Gewiß, gewiß!« entgegnete das Mädchen. »Aber womit kann ich meinen Dank ausdrücken, womit kann ich Ihnen, meinem Wohlthäter, beweisen, wie sehr ich die unendliche Gnade anerkenne, die mich von einem fürchterlichen Leben zurück reißt, die mir erlaubt, anderen Menschen wieder frei in die Augen sehen zu dürfen?«

»Womit du mir danken kannst? – Das soll dir nicht verborgen bleiben,« versetzte der junge Mann mit ruhigem Tone. »In deiner Instruktion wirst du eine andere Adresse finden, eine Hausnummer, den Namen eines Mannes, zu welchem du dich anfänglich in der Woche einmal zu begeben und dem du alle Fragen, die er dir stellt, mit der vollsten Wahrheit zu beantworten hast. Er wird zum Beispiel wissen wollen, wann deine neue Herrin ausgeht, wohin sie geht, wer zu ihr kommt, was sie zu Hause macht, an wen sie schreibt und dergleichen mehr. Auch wird dir jener Mann zuweilen einen Auftrag geben, den du pünktlich zu erfüllen hast.«

Die Rede machte auf das Gemüth des Mädchens sichtlich einen niederschlagenden Eindruck; sie athmete tief auf, schaute dann zu dem Gesichte des vor ihr Stehenden empor, und als sie auf demselben[168] keine Spur von Scherz, sondern den tiefsten Ernst erblickte, ließ sie ihren Kopf auf die Brust herab sinken.

»Mein Wunsch mag dir hart erscheinen,« fuhr er fort, »aber ein Dienst ist des andern werth, und was ich dir gebe ist mehr, als was ich von dir verlange. Du hast aber noch die Wahl, sage Nein und du sollst ungehindert zurückkehren in das Zimmer, wo du gewesen, zu der Gesellschaft, die du soeben verlassen.«

Er erwartete eine Antwort, da diese aber nicht erfolgte, sondern das Mädchen eifrig mit dem Kopfe schüttelte, so sprach er mit erhobener Stimme und feierlichem Tone, indem er dicht vor sie hintrat: »Wohlan denn! Willst du die Bedingungen eingehen, die ich dir vorgeschlagen, so reiche mir die Hand und sage: ich schwöre bei Gott, der mich strafen soll, wenn ich meinen Schwur breche.«

Das arme Geschöpf zuckte zusammen, blickte zweifelnd um sich und darauf in das Gesicht des ernsten Fragers. Als sie aber sah, wie trotz der finstern Worte seine Züge freundlich waren und sein Auge sie mit Theilnahme betrachtete, als sie sich die Schilderung zurückrief, die er ihr von dem Leben gemacht, welches sie mit dem Harfenmädchen führen würde, und als sie an die vergangenen Tage dachte, an das Haus, aus welchem man sie als Diebin verstoßen, da schrak sie zusammen, blickte scheu hinter sich, als verfolge sie Jemand, und indem sie sich dem jungen Manne hastig entgegen warf, reichte sie ihm die Hand und sagte: »Ich schwöre es!« –

Doch war in den letzten Tagen, namentlich aber an dem heutigen Abend zu viel Entsetzliches auf das Herz des bis jetzt so unerfahrenen Mädchens eingestürmt; ihre Kraft verließ sie, sie sah das Feuer des Kamins vor ihren Augen hoch emporlodern, dann fühlte sie, wie sie in die Kniee sank, worauf sich dichte Schleier um ihr Haupt zu ziehen schienen, diesmal aber ohne Traum, ohne schreckliche Gestalten.

Als der junge Mann sah, daß sie ohnmächtig wurde, umschlang er mit seinem linken Arm ihren Leib und hielt sie sanft[169] aufrecht, während er mit seiner Rechten aus der Blouse ein Taschentuch hervorzog und ihr damit über das Gesicht fächelte. Sie lag da wie schlafend in seinen Armen, und als er sich über sie niederbeugte, um den wiederkehrenden Athem zu erspähen, bemerkte er erst das liebliche Gesicht des jungen Geschöpfes, die schönen, regelmäßigen Züge, die seinen, jetzt schmerzhaft zusammen gepreßten Lippen. Es war nichts Derbes, nichts Ungraziöses an ihrer Gestalt, und er hielt es leicht in seinem Arm, das kleine, warme, eben erst aufgeblühte Mädchen.

»Wenn ich nun ein gewöhnlicher Sklavenhändler wäre, wie so viele meiner geringen und vornehmen Kollegen,« sagte er, »so könnte ich mir leicht für meine Wohlthaten einen süßeren Dank nehmen. Doch begnüge ich mich mit einem einfachen Kusse auf diese gewiß unentweihten Lippen, mit einem Kusse, der ihren Seelenfrieden nicht stören wird, da sie ihn unbewußt empfängt.«

Damit beugte er sich auf sie nieder, küßte sie leicht auf den kleinen Mund, und als er nun sah, wie ihre Brust von stärkerem Athem geschwellt, sich wieder höher hob, hielt er ihr abermals das Taschentuch vor das Gesicht und bald schlug sie die Augen auf.

»Das ist mir nie geschehen,« sagte das Mädchen nach einer längeren Pause, indem sie leicht erröthend einen Schritt von dem Manne zurück trat. »Ich bin in den letzten Tagen recht schwach geworden.«

»Das ungewohnte Leben,« versetzte er; »nun, du wirst dich schon wieder erholen! – Jetzt aber verlaß mich, geh' zurück in das Gemach hier nebenan, da wirst du die alte Frau finden, die dich hergeleitet. Sie zeigt dir ein Zimmer und ein gutes Bett; lege dich ohne Furcht hinein, du könntest im Himmel nicht mit größerer Sicherheit ruhen, als jetzt hier in diesem Hause.«

Das Mädchen, im Begriffe diesem Befehle Folge zu leisten, blieb einen Augenblick schüchtern an der Thüre stehen und sagte[170] mit niedergeschlagenen Augen: »Und Ihnen darf ich später nicht mehr danken, wenn ich in dem Hause aufgenommen bin?«

»Nein, nein!« entgegnete eifrig der junge Mann, »ich glaube und hoffe nicht. Wir Beide werden uns wahrscheinlich niemals wieder sehen.«

»So will ich denn für Sie beten,« erwiderte sie, »recht innig und inbrünstig für Sie beten, indem ich Ihnen oftmals und herzlich danke für das, was Sie an mir gethan. Und so oft ich diesen Dank ausspreche, werde ich gerne an Sie denken.«

»Amen!« sprach er mit lauter Stimme, nachdem die Thüre hinter ihr geschlossen war und der Vorhang wieder herab fiel. »Hätte ich in meiner ersten Jugend,« sagte er nachsinnend, »vielleicht ein solches Mädchen gefunden, es wäre Manches anders gekommen. Aber so geht es, wenn man immer aufwärts blickt und deßhalb mit den Füßen so Vieles zertritt. Dies Geschöpf, gut erzogen, in Sammet und Seide gekleidet, könnte eine Herzogin vorstellen. – Wir wollen sie nicht aus den Augen verlieren.«

Nachdem er diese Worte laut vor sich hin gesprochen, hob er rasch den Kopf empor, ging abermals an das Vorzimmer und sagte dem Manne, der draußen war, einige Worte; dann kehrte er zurück, nahm von einem Tische einen breitkrämpigen Hut, trat wieder holt hinter den großen Lehnstuhl und war plötzlich aus dem Zimmer verschwunden, ohne daß eine Thüre nur im Geringsten geknarrt, ohne daß einer der Vorhänge sich nur im Mindesten bewegt hätte.

Da wir aber in einem aufgeklärten Zeitalter, das nicht an Hexerei glaubt, leben, und wir auch nicht die Absicht haben, ein Märchen zu schreiben, so versichern wir den geneigten Leser, daß Alles auf die natürlichste Art von der Welt zuging. Neben dem Kamine befand sich eine verborgene Thüre, durch einen Druck an einer gewissen Stelle spielte eine Feder, und die Thüre drehte und schloß sich vollkommen geräuschlos.[171]

Der junge Mann aber stieg eine Wendeltreppe hinab, schritt durch ein paar lange dunkle Gänge und trat durch eine gleiche Thüre, wie die neben dem Kamin war, in's Freie. Ehe er aber dieses betrat, nahm er aus einer Nische im eben erwähnten Gange einen Mantel, den er leicht über sich warf, so Blouse und Dolch verdeckend. Hierauf schritt er eilig durch die Straßen dahin, in welchen noch immer Wind, Regen und Schnee ihr tolles Wesen trieben, und verschwand bald in der Dunkelheit.

Dem Mädchen geschah droben, wie er vorausgesagt: die Alte führte sie auf's Freundlichste in ein kleines, behagliches, warmes Zimmer, sie half ihr beim Entkleiden, legte sie sorgsam zu Bette, indem sie ihr freundliche Worte sagte und sie schmunzelnd pätschelte, wie es vielleicht eine Mutter mit ihrem Kinde zu machen pflegt. – Bald schloß sie ihre Augen, doch konnte sie nicht begreifen, daß sie ohnmächtig geworden, und nicht vergessen, wie sie darauf so plötzlich in den Armen des jungen Mannes erwacht sei. Und vorher hatte sie ein eigenthümlicher Duft umweht, so merkwürdig sein, als wenn sie in Rosen gelegen, oder als hätte Jemand eine der prachtvollsten Centifolien recht nahe an ihr Gesicht gedrückt.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Hackländer: Europäisches Sklavenleben, 5 Bände, Band 2, in: F.W.Hackländer’s Werke. Stuttgart 31875, S. 160-172.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon