[120] Waldgegend; im Hintergrunde Aussicht auf das ferne Massalia und einen Teil des Meeres; links im Vordergrunde eine felsige, dicht mit Gebüschen bewachsene Anhöhe, von der ein schmaler Steig gegen die Mitte der Bühne zu herabführt.
Myron, Adrast und Elpenor treten im Hintergrunde der Bühne rechts auf.
MYRON.
Schmach, sag' ich, Schmach! Es hilft der Wolf dem Wolf;
Des Busches eine Ranke hilft der andern
Und hält den Arm fest, der die Rose brach;
Doch jenes Vipernnest, das prahlt mit Recht
Und milder Sitte, doch Massalia sieht,
Ohn' eine Hand zu regen, seine Bürger
Zum Raub der Knechtschaft werden; unerhört
Verhallt ihm seiner Kinder Hilferuf –
Schmach, sag' ich, Schmach –
ADRAST.
Du weißt wohl selbst, so will's
Der Väter Brauch; die Stadt schirmt ihre Bürger,
So weit der Schatten ihrer Mauern reicht,
Und da nun jene fern dich im Gebirg'
Ergriffen –
MYRON.
Ei, die Stadt schirmt ihre Bürger,
So weit der Schatten ihrer Mauern reicht;
Das heißt wohl, bleib daheim, so bist du sicher;
Wo nicht, so schirm' dich selbst! O weise Satzung,
O väterlicher Schutz! –
ELPENOR.
Der Ahnen Sitte
Und Sorge für das allgemeine Wohl –
MYRON.
Der Ahnen Sitte! Seid ihr eure Ahnen?
Gemeinwohl? Wie! Ist mein, des Myron, Wohl
Nicht etwa auch ein Stück Gemeinwohl? – Schmach,
Schmach, sag' ich, Schmach euch allen! Erst versagt
Des Vaters Lösung ihr dem Kind, und da
Es, folgend seines Herzens frommem Drang,
Der weiter reicht als eurer Mauern Schatten,
Sein eignes Haupt für meins ins Joch geschmiegt,[120]
Nun weigert ihr mir eine Hand voll Leute,
Mein einzig Kind den Räubern abzujagen;
Und Griechen seid ihr; und ihr prahlt mit Bildung,
Herzloses Volk!
ELPENOR.
Du schmähst Massalia
Vielleicht mit Recht! Doch tritt nicht uns zu nahe;
Wir blieben deinem Schmerz nicht fremd.
ADRAST.
Und wenn
Wir lässig erst uns deinem Kind gezeigt,
Als Hilfe sie für dich von uns erfleht,
So war's, weil rascher sie der Rettung Pfad
Gefunden, als wir Trost und Rat –
MYRON.
Ja sie – sie ist
Ein Weib an Liebe und an Mut ein Mann!
Ihr beide aber – eure Hände her!
Ihr meint es ehrlich, ihr seid treue Herzen;
Nur jene andern, nur der Polydor –
Mir schwillt die Galle, wenn ich sein gedenke –
Die haben all' mein armes Kind verlassen
Und sprachen eines Vaters Flehen Hohn!
ELPENOR.
Wir helfen dir! Wir bieten dort am Strand
Die Fischer auf; zwar Eingeborne sind's
Des Landes, Salier, doch uns befreundet
Und aufgesäugt im Haß der Tectosagen!
ADRAST.
Der alte Rhesus hat uns zugesagt,
Nun gilt es noch, den Arbogast gewinnen!
MYRON.
Ja, kommt, deswegen sind wir hier! Wir wollen
Zu jenen Fischern hin und sie bereden!
Ist's hart gleich, daß Massalias Sohn, ein Grieche,
Barbarenvolk anwerben muß zum Kampf
Mit ihresgleichen; dennoch kommt! O lähmte
Nicht Alter meine Kraft, ich wär' mir Mann
Genug, allein sie loszukämpfen! Doch
Hinweg, zu Arbogast –
ELPENOR.
Ich poch' indes
An Astors Hütte dort im Erlenbusch;
Der, weiß ich, steht zu uns mit Leib und Leben!
MYRON.
Recht, such' ihn auf und bring' uns Kunde dann,
Wir treffen uns im Moose bei der Eiche;
Und nun, hinweg! Sie säumte nicht so lang,
Als kühn zu mir sie durch die Wildnis drang!
Fort, sag' ich, fort!
Elpenor geht links im Hintergrunde ab, Myron und Adrast im Vordergrunde rechts.
[121] Nach einer Pause erscheint zuerst Ingomar, dann Parthenia links im Vordergrunde auf der Felsenhöhe.
INGOMAR.
Hierher, Parthenia!
Hier führt der Weg!
PARTHENIA.
Dort führt er, mein' ich –
INGOMAR.
Nein,
Dort geht es in die finstre Schlucht hinab,
Wo Molch und Schlange hausen, und hier führt
Der Weg ins Freie!
PARTHENIA.
Nein, dort geht's ins Freie,
Und warum sollt' ich –
INGOMAR indem er sie bei der Hand faßt und sie während der nächsten Reden, langsam vor ihr hergehend, von der Höhe hinabführt.
Nein, tu's nicht! Gedenk',
Wie gestern noch im Moor – ich riet vergebens –
Hartnäckig du dem eignen Sinne folgtest;
Wie plötzlich unterm Fuß der Grund dir wich,
Und riß ich nicht den Schild dir rasch vom Arme
Und warf ihn hin, daß Halt die breite Fläche,
Den Schritt zurückzuziehen, dir gewährte –
PARTHENIA.
Fürwahr, ich wär' versunken!
INGOMAR.
Und ich wär's
Mit dir!
PARTHENIA.
Ich weiß, du wärst mit mir versunken! –
Ich brachte Unheil über deine Waffen;
Im Moorgrund liegt dein Schild, und heute nacht
Auf jener Heide, wo Gestrüpp und Moos
Nur spärlich Feuerung uns bot, zerbrachst
Du deinen Speer, mit seiner Trümmer Glut
Vor rauhem Nachtfrost schützend mich zu wahren!
Du treuer Führer! –
INGOMAR.
Hier, hierher den Fuß!
PARTHENIA.
Ich weiß, du meinst mir's gut, und immer führtest
Du mich den besten Weg, nur, dünkt mich, jetzt –
INGOMAR.
Auch jetzt! – Denn sieh, hier lichtet sich der Wald,
Und zu der Ebne neigt sich das Gebirge!
PARTHENIA.
Beim Himmel, du hast recht! – Des Waldes Schatten
Liegt hinter uns, auch ist mir fast, als wenn –
Ich kenne diese Gegend! – War's nicht hier,
Wo, für den Vater von der Heimat scheidend,
Ich betend an der Schwelle des Gebirges
Mich niederwarf und zu den Göttern flehte
Um Mut und Kraft und Sieg –[122]
INGOMAR.
Hier, meinst du? Nein!
Gewiß, du irrst; die Heimat ist noch ferne;
Sie muß noch ferne sein –
PARTHENIA.
Nein hier, hier war's!
Sich gegen den Hintergrund wendend.
Und sieh, dort wogt das Meer, dort ragt verklärt
Im Purpurlicht der Tempel Artemis',
Massalias Burg, des Vaterhauses Dach!
Kniend.
Und wieder werf' ich hier im Staub mich nieder;
Ihr Himmlischen, die meinen Pfad bewacht,
Habt Dank; der Liebe Sendung ist vollbracht,
Und gnädig führt ihr mich zur Heimat wieder!
INGOMAR für sich.
Ich wollt', ich läg' im Moor bei meinem Schilde –
PARTHENIA aufspringend.
Die lieben Eltern werd' ich wiedersehen,
In ihre Arme freudeweinend sinken,
Von ihren Wangen Freudetränen trinken! –
O sei gegrüßt mir, meiner Väter Stadt!
Wie Götterlächeln spielt dir Abendhelle
Um Tor und Säulengang, um Turm und Wälle!
O lang noch in der Lüfte zitternd Blau
Streck' ruhmgekrönt empor die stolzen Zinnen;
Jahrhunderte laß kommen und verrinnen,
Du steh und prange, meines Volkes Bau!
Und du – so sprich doch –
INGOMAR.
Ich, was sollt' ich sagen?
PARTHENIA.
Wie, schmollst du, wie ein übellaunig Kind,
Wenn Freude meiner Seele Flügel leiht?
Du trugst mit mir der Sonne Mittagsbrand,
Der Nächte Frost, des rauhen Pfades Mühen,
Und freutest dich am Ziele nicht mit mir?
INGOMAR.
Mich freuen! – Nein, ich kann nicht, und – beim Himmel,
Ich will auch nicht, und warum sollt' ich auch?
Läg' jene Stadt im Meeresgrund versunken,
Und ging das Schiff hin über ihre Zinnen,
Und ragte statt der Türme Rohr und Schilf!
PARTHENIA.
Was faßt dich an?
INGOMAR.
Am Ziele, sagst du – Ja,
Wir sind am Ziel, und soll ich des mich freuen?
Allein mit dir, der Himmel über uns,
Und ringsum Wald und Moor und tiefes Schweigen,
Da freut' ich mich; da war ich deine Welt,[123]
Ich, ich allein; die Stille war so dumpf,
So weit die Wildnis, und Gefahr so nah,
Da rückten wir zusammen, Seel' an Seele;
Jetzt aber werfen ihre frost'gen Schatten
Dort jene Mauern zwischen uns und scheiden,
Was Mühsal knüpfte, Einsamkeit verband!
PARTHENIA.
Nichts scheiden sie – Und doch – Wie kommt das nur –
Fürwahr, jetzt denk' ich's erst – wir sollen scheiden! –
INGOMAR.
Was sagst du – scheiden – Ja, fürwahr, das ist's!
Das also krampfte mir das Herz zusammen
Beim Anblick jener Stadt? Der Name nur
Gebrach, er ist gefunden! Scheiden! – Ja,
Wir müssen scheiden; denn was sollt' ich dort
Bei feinen Griechen, ich, der rohe Wilde,
Umhegt von Mauern, ich, der freie Mann?
Wir müssen scheiden! Noch ein Gruß, ein Blick,
Und dorthin abwärts wendet sich dein Pfad,
Und meiner führt zurück in meine Berge;
Dein Schritt verhallt, und alles ist geschehen! –
Ich wollte, Weib, ich hätt' dich nie gesehn! –
PARTHENIA.
So wollt' ich auch und wollte – Laß uns scheiden,
Es muß so sein.
INGOMAR.
Es muß! Und wenn ich nun
Mit starkem Arm dich faßte, wie der Geier
Die Taube faßt, und trüg' dich – Nein, das war,
Und ist vorüber! Was besäß' ich auch,
Besäß' ich dich, und deine Liebe fehlte?
Du liebst nur, weiß ich, wenn ein treu Gemüt
In leisem, scheuem, zärtlichem Bestreben
Dich halb bezwungen, halb sich dir ergeben!
Du willst geleitet sein, geschützt, getragen,
Und tat ich das nicht? Führt' ich dich nicht treu
Durch Wald und Schlucht am falschen Moor vorbei?
Und trug ich nicht den Waldstrom dich herüber?
Und senkte sich der Abend trüb und trüber,
Da macht' ich Feuer, bis der Schlummer kam,
Dich, müdes Kind, in seine Arme nahm;
Da saß ich dann, die Träume dir zu hüten,
Die rosig hell um deine Lippen blühten!
Ich war ein treuer Führer! – War ich's nicht?
PARTHENIA.
Mir dunkelt's vor den Augen!
Ingomar die Hand reichend.
[124]
Ja, du warst
Ein treuer Führer!
INGOMAR.
Sieh, ich hielt dir Wort,
So täusche denn auch du nicht mein Vertrauen!
Nichts mehr von Scheiden! Bleib bei mir! Sei mein!
Der Besten einer bin ich meines Volkes,
Und reiche Beute wahrt mein Zelt daheim!
Und fürchte nicht den Zwang der fremden Sitte;
Fog' deiner Heimat Brauch, und frei wie ich,
Nicht Magd, des Hauses Herrin fühle dich,
Nur dir gehorchend, nur der Macht der Bitte!
Komm, sag' ich, komm! Ich bau' uns eine Hütte,
Umschattet von des Waldes Wipfeldach,
Davor ein Wiesfleck, nebenbei der Bach,
Rings alles grün und still, und Abendschein
Und Waldduft quillt durch Tor und Tür herein!
Komm, sag' ich, komm! Ich mein' den Ort zu sehen;
Sprich: ja! sei mein, bald soll die Hütte stehen!
PARTHENIA abgewendet, für sich.
Weh mir! Wie Honig saugt mein trunknes Ohr
Die süßen Worte!
INGOMAR.
Wie, du senkst dein Auge?
Du schweigst? Mißtraust du mir? Beim ew'gen Himmel,
Ich sprach dir wahr! Ich will dich halten mit
So leisem Druck, so zärtlichem Berühren,
Wie deine Hand den Kranz, an dem sie windet;
Am Auge seh' ich jeden Wunsch dir ab,
Jetzt denkst du's, und es ist; ich schaff' dir täglich
Den feisten Hirsch, das zarte Reh ins Haus;
Dir zinse, was im Flusse Flossen regt,
Und was auf Flügeln durch die Lüfte strebt!
Kein Fahrzeug leg' an unsern Küsten bei,
Das Zoll dir nicht von seinen Waren gäbe,
Reich sollst du sein, geehrt – die Wort' versagen!
Was nur ein Mann vermag, das sollst du haben,
Nur mein sei, mein, und nichts von Scheiden mehr!
PARTHENIA in heftiger Bewegung.
Nein, nein! Hinweg! Verstummt, Sirenenlieder!
INGOMAR.
Du willst nicht?
PARTHENIA sich fassend.
Hör' mich an!
INGOMAR.
Du glaubst mir nicht –?
PARTHENIA.
Mich hören sollst du! Sieh, ich bin dir gut,
Und mehr gut, als du meinst, und wüßtest du –[125]
Doch das bleibt zwischen mir und meinen Göttern –
Genug! Wir Mädchen, wisse, wir daheim,
Ist unsre Wahl auch frei, wir achten heilig
Der Eltern Rat, der unsre Neigung lenkt,
Und meine Eltern, weiß ich –
INGOMAR.
Sie sind fern –
PARTHENIA.
Ihr Bild lebt hier, und hier spricht ihre Stimme;
Wie, spricht sie, wie, du wolltest, kaum entronnen
Dem Joch der Knechtschaft durch der Götter Huld,
Dem Fremden folgen, willst der Eltern Nähe,
Des milden Brauchs der Heimat dich begeben,
Sein Weib, des Feindes Weib zu werden, fremd
Wie er, die Gattin des –
INGOMAR.
Was hältst du inne?
Sprich, sag's heraus! Die Gattin des Barbaren!
So nennt ihr's, weiß ich, und so meinst du's ja!
PARTHENIA.
Ich meine, daß du edel bist und gut;
Ein lichter Stern, nur von Gewölk umschattet,
Ein Krug voll edlen Weines, nur der Kranz
Gebricht, und schlöss' nicht, wie der Muschel Hülle
Der Perle Glanz, der Heimat rauhe Sitte
Das reiche Kleinod deines Herzens ein,
Du möchtest eines Weibes Stolz wohl sein;
Verstummen müßt' der Neid vor deinem Werte,
Selbst Schmähsucht, ob ein Opfer ihr entrann,
Müßt' grollend flüstern: Ja, das ist ein Mann!
Das müßt' sie, wärst ein Grieche du geboren,
Wär' Recht, Gesetz und Ordnung dir nicht fremd,
Wär' Stärke nicht dein Gott, das Schwert dein Richter!
Doch ist es so –
INGOMAR.
Fahr fort! Behalte nichts
Zurück! Sag' alles, leer' den ganzen Köcher!
PARTHENIA.
Ungleich begabt der Götter Huld die Menschen;
Dem wirft sie Reichtum, jenem Armut zu,
Doch Liebe achtet's nicht; der prangt mit Reizen,
Die jenem fehlen; Liebe achtet's nicht;
Doch eins muß sein, in dem der Herzen Schlag,
In dem der Flug der Seelen sich begegnet,
Ein Göttliches, das ihnen leuchtend strahlt
In allen Stürmen, Recht muß sein und Sitte;
Gemeinsam Recht, gemeinsam heil'ge Sitte
Muß binden, was sich liebt, daß Achtung läutre
Und Dauer leihe rascher Jugendglut,[126]
Und das ist's, das! Ein Meer liegt zwischen uns –
Ein Abgrund, Berge füllen ihn nicht aus –
Ich eine Griechin, du ein Tectosage –
INGOMAR.
Ein Tectosage! Sprich nur, wie du's denkst,
Und sag': Ein Rinderdieb, ein Landverwüster,
Ein Wegelagrer –
PARTHENIA.
Ingomar!
INGOMAR.
Das ist's!
Ich merkte deine Worte! Ja, das ist's;
Du schämst dich mein! Genug, zuviel! Fahr hin!
Wir müssen scheiden, sprachst du, – du sprachst wahr,
Es muß so sein, so sei's –
PARTHENIA.
Und zürnend willst
Du scheiden! Bleib, ich lass' dich nicht, du sollst
Mich hören erst –
INGOMAR.
Ich will nicht hören mehr;
Mein Ohr ist übervoll von deinen Worten!
Doch zürnen – Nein! – Du sprichst, wie dort sie sprechen;
Ich aber fühl' getrost in tiefstem Herzen,
Wir sind auch Männer, wir Barbaren. Prahlt
Mit mildem Brauch, meßt ängstlich eure Schritte;
Gerader Sinn geht über alle Sitte
Und wächst auch wild auf, wie der Baum im Wald!
Dies merk' und denke meiner – und – Genug –
Leb' wohl –
Er wendet sich zu gehen.
PARTHENIA.
Leb' wohl! Nein, halt! – Du sollst nicht scheiden,
Ohn' eine Gabe, die in ferner Zeit
Noch Farb' und Leben meinem Bilde leiht! –
INGOMAR.
Das braucht's nicht!
PARTHENIA ihm ihren Dolch reichend.
Nimm!
INGOMAR den Dolch erfassend.
Den Dolch – Ha, Spott und Hohn!
Gedenken soll ich, daß mein Rasen dir
Einst gegen dich die eigne Hand bewehrte!
PARTHENIA.
Er soll dich mahnen, daß drei Tag' und Nächte
Allein durch Moor und Wald und Dorngeflechte
Du sorgend, stützend, wachend mich geführt,
Ohn' daß ich jemals sein Gefäß berührt;
Des mahn' dich dieser Dolch, und geh jetzt, geh! –
INGOMAR schreitet rasch auf Parthenia zu, dann, plötzlich innehaltend, nach einer Pause.
Leb' wohl!
Er geht rasch links im Vordergrunde ab.
PARTHENIA.
Er geht, er geht! Allmächt'ge Götter![127]
Er könnte wirklich – Nun, so geh' er hin,
Ich kann es tragen, wenn er gehen kann!
Und hieß ich ihn nicht gehen? Muß er nicht? –
Muß, muß – das Wort hallt dumpf wie Grabgewölbe!
Er ging – Wie grün, wie hell war's vor, und jetzt –
Wie matt und dämmernd blinkt der Sonne Schein,
Wie fahl der Rasen rings, wie dürr das Laub!
Mir ist, als wär' der junge Lenz gestorben!
Wie, Tränen – Nein, ich will nicht weinen! Nein!
Es muß so sein, und was dies Her bewegt,
Euch Göttern sei es in den Schoß gelegt,
Und mögt ihr gnädig es zum Heil mir wenden!
Ihr guten Götter gabt mir ja so viel!
Dort winkt die Heimat; Eltern, Freunde,
Gespielen find' ich wieder; wedelnd springt
Der treue Hund an mir heran, und grinsend
Begrüßt mich Polydor, mein reicher Freier! –
Mich schüttelt Fieber, tritt sein Bild vor mich!
Wie höhnisch wies er nicht mein Flehen ab,
Das jenen Sohn der Wildnis doch bewegte!
Der freilich – hätt' ich dem gesagt: Hilf, rette
Sein greises Haupt! – der hätt' sich nicht bedacht,
Der hätte frisch sich auf den Weg gemacht,
Und standen Heere drohend ihm entgegen,
Der rang ihn los, der hätt' ihn heimgebracht!
O sein Gemüt war grün, wie seine Wälder!
INGOMAR links im Vordergrunde der Bühne zögernd und langsam wieder auftretend.
Parthenia!
PARTHENIA aufschreiend.
Du bist es – Du zurück –
INGOMAR.
Ich bin's, und grad'
Heraus gesagt, ich kann von dir nicht scheiden;
Ich kann nicht, sag' ich, kann nicht, und kein Mensch
Kann mehr, als was er eben kann; darüber
Hinaus fängt unser Schicksal an, und meins,
Mein Schicksal heißt: Dir angehören!
INGOMAR.
Wie,
Du meinst wohl –
INGOMAR.
Sieh, ich hab' mir's überlegt!
Du schämst dich meiner nicht, nur meiner Sitte;
Denn, bin ich auch kein Grieche, bin ich doch
Ein Mann, und der muß gelten allerwegen;[128]
Selbst vor den Göttern gilt ein rechter Mann,
Drum auch vor dir und vor den andern dort;
Es muß so sein! Nicht wahr, Parthenia,
Du schämst dich meiner nicht?
INGOMAR.
Ich, dein mich schämen –
INGOMAR.
Mir war, als tätest du's, und trotzig kehrte
Ich wahnverblendet dir den Rücken zu,
Als hing' mir eine Welt an unsrer Sitte,
Die doch nur eben wie dies Tierfell ist,
Bequem, weil lang gewohnt und viel getragen.
Hab' nun ich meines Schildes mich entschlagen,
Der dort im Moor liegt, brach ich meinen Speer,
Was gälte mir dies Tierfell eben mehr?
PARTHENIA.
Was sagst du – Wie –
Für sich.
Mir will das Herz zerspringen!
INGOMAR.
Gesinnung macht den Mann, und nicht sein Kleid,
Und wenn es mich beschwert, was soll ich's tragen?
Im neuen wird mein Herz nicht anders schlagen!
So werf' ich meines Volkes Sitte ab,
Ich folg' dir in die Mauern jener Stadt,
Ich will ein Grieche werden.
PARTHENIA.
Du mir folgen! –
Für sich.
So reich die Wonne, und so eng die Brust!
INGOMAR.
Und sieh, nun ist mir wohl, da dies beschlossen;
Gar vieles, weiß ich, hab' ich zu erwerben,
Zu lernen noch – doch das, beim Strahl der Sonne,
Das tröstet mich, ich weiß, ich werd' es lernen;
Du liebst mich noch! Ich fühl's, wie Siegesjubel,
Wie Götterstimmen zuckt's durch meine Brust,
Du liebst mich noch, wirst noch mich lieben müssen!
PARTHENIA für sich.
Und wer denn, Himmel, müßte ihn nicht lieben?
Laut.
Mir folgen, sagst du, nach Massalia –
Und lebt ein Gastfreund dort, dich aufzunehmen?
INGOMAR.
Ein Gastfreund? Nein! Was braucht es das? Den ersten,
Der dort des Weges herkommt, sprech' ich an
Um Salz und Feuer; gleich die Männer dort,
Denn Griechen nennt sie ihre Tracht.
PARTHENIA.
Die dort![129]
Ihr ew'gen Götter! Gießt ihr alles Glück
Auf mich herab in dieser einen Stunde,
Was bleibt noch übrig für des Lebens Rest?
Er ist's, er ist's!
Dem in Begleitung Elpenors auftretenden Myron in die Arme sinkend.
Mein Vater!
MYRON.
Kind! Mein Kind!
Du hier! Gerettet! Mir zurückgegeben!
Habt Dank, ihr Himmlischen – Nein, habt nicht Dank,
Was ließt ihr mich nicht ihren Retter sein?
Ich hätt' die Räuber alle, ich allein –
Ingomar erblickend und ängstlich zurückweichend.
Wie, was? Adrast – Elpenor – Rettet, helft!
Herbei, die Tectosagen –
PARTHENIA.
Sorge nicht –
Er war es, Ingomar, der deinem Kinde
Die Freiheit schenkte, der in deine Arme
Zurück zur Heimat schützend es geleitet!
MYRON.
Er, sagst du, er! So kam der Mann allein –
PARTHENIA.
Er tritt, ein Freund, ein Bittender, zu dir,
Und darf er gleich als Pflicht Gewährung fordern,
Mein Fürwort noch mahnt deine Dankbarkeit,
Ihm mild zu sein, wie er es mir gewesen.
Komm, hör' ihn an, und du indes, Elpenor,
Erzähl' mir von der Mutter, von Theano,
Von unsern Freunden, laß mich alles wissen,
Denn Sehnsucht leiht der ärmsten Kunde Wert.
MYRON der sich mittlerweile, von Parthenia geführt, Ingomar genähert, für sich.
Er kam allein, das ist ein andres! Ei,
Willkommen auf Massalias Gebiet!
Sobald nicht, dacht' ich, wieder dich zu sehen.
INGOMAR.
Und ich nicht dich, und dennoch kam es so!
MYRON.
So kam es, ja!
INGOMAR.
Parthenia sagte dir,
Ich käme, dich zu bitten, und so ist's;
Ich fordre viel in wenig Worten. Sei
Mein Freund, und mehr noch, sei mein Lehrer; biete
Wegweisend mir die Hand als deinem Schüler;
Nimm unter deinem Dach mich auf und lehre
Mich eure Sitte, lehr' mich unter Griechen
Ein Grieche sein! Das alles bitt' ich dich,
Und du gewähre mir's –[130]
MYRON.
Was sagst du? Ich,
Ich in mein Haus dich nehmen –
INGOMAR.
Meine Heimat,
Und heilig soll mir's sein!
MYRON.
Wie, seine Heimat!
Er will wohl gar nicht fort mehr – Griechensitte
Gedenkest du zu lernen, und von mir? –
Mir wird ganz schwül.
Für sich.
Der Bursche zwar ist stark
Und wär' ein tücht'ger Helfer –
INGOMAR.
Rede, was
Beschließest du?
MYRON.
Ich weiß, versteh mich recht,
Ich weiß, ich bin zum Danke dir verpflichtet;
Doch sieh, ich bin ein armer Waffenschmied;
Und wolltest du mein Gast sein, müßtest du
Mit uns der Armut Müh' und Sorgen teilen,
Dich unserm Hausbrauch, unsrer Ordnung fügen –
INGOMAR.
Dem allem füg' ich mich –
MYRON.
Da gält's vorerst
Das Tierfell abzulegen –
INGOMAR.
Gut, es sei!
MYRON.
Dann Haar und Bart zu kürzen –
INGOMAR.
Haar und Bart!
Als Zeichen freier Abkunft gelten sie
Bei uns daheim und wachsen frei dem Freien;
Doch meine Freiheit – Gut, ich kürze sie!
MYRON.
Das läßt sich hören.
Für sich.
Der ist zahm geworden,
Und war doch wilder als ein scheues Roß! –
Laut.
Das wär' die Tracht, nun aber höre weiter!
Ich habe Felder, Wiesen, dort am Hügel
Weingärten auch; da gibt es denn zu schaffen
Mit Pflug und Harke dort und da, und sieh,
Da müßtest du denn auch –
INGOMAR.
Doch wohl nicht Pflug
Und Harke führen, Sklavendienst verrichten,
Wie Dachs und Maulwurf in der Erde wühlen?
MYRON.
Ei, wie gehabst du dich?
INGOMAR.
Nur Sklaven führen[131]
Bei uns daheim den Pflug; nur Sklaven ziemt's,
Und willst du mich zu deinem Sklaven machen,
Beim lauten Donner –
MYRON.
Ei, gemach, gemach!
Die Götter wissen's, ich will nichts mit dir;
Du selber wolltest ja ein Grieche werden;
Wir aber sind ein ackerbauend Volk,
Und drängt die Not, legt jeder Hand ans Werk,
Nicht ich allein, Actäa auch, mein Weib,
Selbst jene dort, und alle greifen zu –
INGOMAR.
Parthenia, sagst du –
MYRON.
Ei, wer sonst? Sie hilft
So gut, als eine –
INGOMAR.
Wie, Parthenia!
Auch sie – Im Grund das Werk, das einer treibt,
Ist nichts: der Sinn nur gilt, in dem wir's treiben;
Wohlan, ich will auch dem mich fügen!
MYRON.
Nun,
Wenn das ist, legst du wohl auch Hand mit an
An meinem Amboß, hilfst mir Schwerter schmieden –
INGOMAR.
Das will ich meinen! Da gilt's Kraft um Kraft;
Ja! pocht der Hammer, und der Stahl kreischt: Nein!
Hei, Schwerter schmieden, das muß lustig sein,
So lustig fast, als Schwerter schwingen –
MYRON.
Schwingen!
Wie, Schwerter schwingen! Nein, da schwingt sich nichts;
Wir sind ein stilles Volk und lieben Frieden;
Und darum, denk' ich, wär' es wohlgetan,
Du gäbst mir gleich dein Schwert –
INGOMAR.
Mein Schwert –
MYRON.
Nun ja;
Verpönt mit schweren Strafen ist's, bewaffnet
Zu gehen in Massalia; drum gib,
Ich will dir's wahren!
INGOMAR.
Ich, mein Schwert dir geben!
Mein Schwert, des Vaters Erbe –
Das Schwert vom Wehrgehänge reißend und Myron hinhaltend, heftig.
dieses Schwert,
Das Schutz und Sieg und Beute mir gewährt!
Ich dieses Schwert von meiner Seite lassen –
MYRON ängstlich vor Ingomar zurückweichend.
Parthenia –[132]
INGOMAR.
Dies Schwert dir geben!
Das Blut eh' meiner Adern, eh' mein Leben!
Mein Schwert bin ich, denn eins ist Schwert und Mann;
Komm einer her und nehm' er's, wenn er kann!
PARTHENIA die bisher abseits mit Elpenor gesprochen, hinzutretend.
Was streitet ihr? –
MYRON.
Er will sein Schwert nicht geben,
Und schwere Strafen, weißt du, stehen drauf,
Massalia bewaffnet zu betreten!
PARTHENIA.
Ei, wer das End' will, muß den Anfang wollen!
Sie geht auf Ingomar zu und nimmt ihm das Schwert aus der Hand, es Myron hinreichend.
Da ist das Schwert, und jetzt – die Sonne sinkt,
Ich sehn' mich nach der Mutter, laß uns gehen –
MYRON.
Er gab das Schwert – Ja – Wunder sind geschehen!
Du frei – das Schwert – doch heimwärts nun, mein Kind,
Daß früher dein die Mutter sich erfreue!
Elpenor, meinen Dank den wackern Fischern,
Doch ihrer Hilfe braucht es nun nicht mehr;
Und kommt nun, kommt!
Er geht mit Elpenor und Parthenia rechts im Hintergrunde der Bühne ab.
PARTHENIA im Begriffe abzugehen, sich umwendend.
Was säumst du, Ingomar?
INGOMAR wie aus einem Traume auffahrend.
Wie, Ingomar! Und galt das mir? Bin ich
Denn Ingomar? Mir wirbeln die Gedanken,
Den Boden unterm Fuße fühl' ich wanken,
Und kaum mehr weiß ich, ob ich's jemals war!
Während er langsam den Abgehenden folgt, fällt der Vorhang.
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro