Dritter Gesang.

Der Billionär.

[36] Gründer eines Unternehmens,

Welches großen Ausfuhrhandel

Trieb mit frischen Regenwürmern

Nach dem steinigen Arabien,

Wurde Munkel. Eine Zeit war's,

Wo es schneite Werthpapiere,

Wo ein Gold- und Silberhagel,

Wo ein Regen, eine Sintflut

Niederging von Millionen

Auf der Menschen sel'ge Häupter.

Kalifornien, Bimini,

Kolchis, Dschinnistan, Atlantis,

Avalun und Eldorado

Waren nicht so reich an Wundern,

Waren nicht so reich an Märchen,[36]

Wie der Börse heil'ge Hallen.

Jeder hatte Gold, weil Jeder

Es hinauswarf. Jeder hatt' es,

Aber es gehörte Keinem.

Jeder Seckel hatt' ein Loch,

Durch das er sich stets entleerte,

Aber auch sich wieder füllte.

Eine ungeheure Rolle

Spielte Munkel bald als Geldmann.

Jeden Krösus, jeden Nabob,

Jeden Rothschild übertrumpfend,

Stand er schließlich da als erste

Geldmacht dieses Erdenrundes.

Eine große dampf-getrieb'ne

Couponsschnittmaschine hatt' er:

Diese, rastlos Tag und Nacht,

Sichelte von kolossalen

Stößen seiner Werthpapiere

Die Coupons nur so herunter,

Wie die Häckselschnittmaschine

Häcksel schneidet auf der Tenne.

Mit verschwenderischem Aufwand

Ueberstrahlend aller Fürsten,

Aller Höfe Prunk und Prächte,

Trank und aß er nur aus Gold,

Stand und ging und saß und lag er

Nur auf Goldbrokat und Seide.

Jede seiner Festmahlzeiten[37]

Riß ein Loch in die Natur,

Und die Welt, verarmt, geplündert,

Zitterte vor Angst, durch Munkel's

Und durch seiner Gäste Gurgel

Nächstens ganz gejagt zu werden.

Zu Gespielinnen erkor er

Holde Wesen aus Cirkassien,

Polen, Ungarn und Rumänien;

Und die Danaën, sie schützten

Sich vor Munkels gold'nem Regen

Nicht mit aufgespannten Schirmen,

Ließen über sich ergehen

Wolkenbrüche seiner Gnade.

In dem ries'gen Hühnerhofe

Hatt' er steh'n den Vogel Phönix,

Und im Stall den Pegasus,

Welcher mit gestutzten Flügeln

Und beschlag'nem Huf sich spannen

Ließ vor seine Prachtkarossen.

Seiner ersten Favoritin

Nachzutragen ihre Schleppe

Und den Schatten in der Sonne,

Dient' ihm ein gefang'ner Elf.

Selbst der Teufel, hieß es, habe

Sich ihm schon gestellt zu Diensten,

Und erboten sich, als Mohr

Bei den gold'nen Prachtkarossen

Munkel's hinten aufzusitzen.[38]

Mächt'ger wuchsen noch die Schwingen

Ihm, da er als Gründer auftrat

Eines neuen Unternehmens,

Einer Aktiengesellschaft

Zur Behebung des versenkten

Nibelungenhorts im Rheine.

Würdigend so edles Beispiel

Patriotischer Gesinnung,

Hob das Volk ihn bis zum Himmel,

Ueberhäuften Deutschlands Höfe

Seine Brust mit Ordenslasten,

Schlugen ihn zum Ritter, gaben

Bald ihm auch die Freiherrnkrone.

Straßen und Kanäle, Länder

Fern am Nordpol und im Monde,

Schiffe, Hüte und Kravatten,

Und Planeten, neu entdeckte,

Nannte man nach seinem Namen.

Sein Porträt fand auf Bonbons sich,

Auf Lebkuchen, Zündholzschachteln,

Tanzordnungen, Busennadeln,

Tabaksdosen, Tabakspfeifen,

Auf Schnupftüchern, Kaffeetassen,

Bierglasdeckeln, Wirthshausschildern.

Jede illustrirte Zeitung

Wandelte für ihn zum Spiegel

Sich, draus ihm wie zum Rasiren

Sein Gesicht entgegengrinste.[39]

Doch bei all' den Herrlichkeiten

Fühlte Munkel oft sich elend.

Unerklärliches Gebreste

Regte sich in seinen Gliedern.

War ihm doch, als würden manchmal

In ihm locker die Atome,

Und als könnt' im Niesen etwas

Von Molekeln des Gehirnes

Ihm entweichen durch die Nüstern.

Krankhaft wüster Durst nach Gold,

Seltsame Gemüthszustände

Quälten ihn und zehrten heimlich

Ihm an Leber, Herz und Lunge.

Lüsternheit, Blasirtheit mischten

Peinlich sich in seinem Wesen,

Heimgesucht von schnöden, fremden,

Wunderlichen Appetiten

Fühlt' er sich: Gelüste kamen

Ihm noch Asa foetida

Schweingegrunze – bärt'gen Schönen.

Manchmal sehnt' er sich nach Prügeln,

Zankte, balgte sich mit Wichten,

Oder einen Unbekannten

Bat er in des Markts Gedränge,

Zu versetzen ihm für gutes

Trinkgeld einen Nasenstüber,

Schurke, Dummkopf ihn zu schelten.

Aerzten jeder Schule warf er[40]

Haufen Goldes vor die Füße;

Und die Aerzte übersetzten

Ihm in's Griech'sche seine Leiden –

Das war alles, was sie konnten.

Manche auch, mit seines Wesens

Innerster Natur und Herkunft

Nicht vertraut, nicht klug geworden

Aus des Kranken irren Reden,

Und deshalb nur um so dreister

Ihre Diagnosen stellend,

Salben mischend, Tränke brauend,

Brachten ihn dem Tode nahe.

Einen Preis ausschrieb der Kranke

Schließlich: einen Scheffel Goldes

Für den Arzt, der ihn verstände.

Kunde kam hiervon zu Ohren

Auch dem würd'gen, tiefgelehrten,

Zauberkund'gen Mann, aus dessen

Händen war hervorgegangen

Der Homunkel-Embryo.

Mittlerweil' zum Greis geworden,

Hatt' er aus der Ferne Munkels

Lebenslauf verfolgt mit größtem

Herzensantheil stets im Stillen.

Stören dieses Lebenslaufes

Vielversprechenden Emporgang

Wollt' er nicht durch Uebereilung,

Durch Enthüllungen zur Unzeit.[41]

Aber jetzt vor Munkel treten

Wollt' er, seiner Leibesschwächen

Art und Grund und Grad erforschen,

Ihm zum Helfer sich erbieten,

Ihm eröffnen das Geheimniß.

Gähnend erst empfing, gelangweilt,

Munkel den Gelehrten, welcher

Nur gekommen schien, das Tausend

Voll zu machen seiner Helfer.

Aber bald, wie von geheimer

Sympathie zu ihm gezogen,

Stand er Rede diesem Würd'gen,

Schüttete vor ihm sein Herz aus.

»Ach,« so seufzt' er, »selber rathlos,

Stets vergebens Hilfe suchend,

Helfen soll ich aller Welt!

Soll für Alle sein der heil'ge

Niklas, welcher füllt mit Gaben

In der Nacht an allen Fenstern

Die hinausgestellten Schuhe!

Und auf ihren Knieen bitten

Mich die Armen, mich die Wittwen,

Mich die Waisen, selbst die Bettler,

Anzunehmen ihr Erspartes,

Und zum Fortunatussäckel

Soll in meiner Hand dem Eigner

Wandeln sich der Bettlerranzen!

Volksaufläufe, Prügeleien[42]

Vor den Pforten meines Hauses

Stören Morgens mir den Schlummer.

Ja, dies Haus, der Welt ein Mekka,

Heil'ges Grab, ein Montsalvatsch,

Eine Burg des heil'gen Gral ist's!

Pumpende Finanzminister

Treten sich in meinem Vorsaal

Ab die Zehen! Wie das Gold mich

Anzog mit geheimer Kraft stets,

Zieh' ich an das Gold auch selber.

Mir als lebendem Magnetberg

Fliegt es zu aus den Verstecken,

Von des Königs Schatzgewölben

Bis hinab zu dem mit harten

Thalern angefüllten Wollstrumpf

Eines greisen Harpagons.

Ha, bald bin ich gar der Einz'ge,

Und die Welt mein Eigenthum!

Siebenmeilenstiefel liefert

Mir mein Schuster und Gewande

Von Asbest mein Kleidermacher;

Wiederfand mein Koch die alten,

Längst verlorenen Rezepte

Der Ambrosia, des Nektars!

Ach, bei den lukull'schen Mahlen

Meiner Küche fehlt mir nichts,

Als der Hunger – auf den seid'nen

Kissen meines Schlafgemaches[43]

Nur der Schlaf – im Arm der Liebe

Nur die Liebe!« –

So sprach Munkel

Und geleitete den Alten

Durch die Säle seines Hauses,

Wo sich drehend in den Angeln,

Alle Thüren Melodieen

In kristall'nen Spieluhrklängen

Wundersam vernehmen ließen.

Seine strahlenden Gemächer,

Seine Bühne, seines Schachbretts

Märchenpracht mit kostümirten

Lebenden Figuren zeigt' er

Im Vorbeigeh'n dem Besucher,

Seinen Springbrunn, der Champagner

Perlend in die Lüfte sprühte,

Und an welchem kunstgefügte,

Automatische Figürlein,

Ganymed und Hebe, gold'ne

Becher füllten und kredenzten.

Denn in Munkel's Hause waren

Meist ersetzt lebend'ge Diener

Jeder Art, Schauspieler, Sänger,

Virtuosen, durch kunstvolle

Automaten, und zum Theil auch

Durch Maschinen, drahtgezog'ne,

Dampfgetrieb'ne: und Geräthe,

Todt sonst, durch lebend'ge Wesen.[44]

So bewegten Lebewesen

Zierlich sich auf Munkel's Schachbrett,

Ein dressirter Löwe schmiegte

Statt des bloßen Löwenfells als

Teppich sich vor Munkel's Lager,

An dem Pavillon des Gartens,

Im Barockgeschmack errichtet,

War das Kuppeldach getragen

Von dressirten Boaschlangen,

Welche sich darunter stemmten,

Regelrecht den Leib geringelt

In Gestalt gewund'ner Säulen.

Aber eine Nachtigall,

Die bezaubernd sang im Bauer,

War ein Automat – desgleichen

Ein Eichhörnchen, dessen Sprünge

Lenkten, wie an Zauberdrähten,

Wunderkräfte der Elektrik.

Munkel hieß den Greis am Springbrun'

Mit dem Schaum aus Hebe's Spitzglas

Sich die Lippe baß erfrischen.

Zeigte dann auch dem Erstaunten

Seine Raritätensammlung,

Ohne viel Gewicht zu legen

Auf Kleinode, altberühmte,

Märchenhafte, die für ihn

Einzig nicht »Chimäre« waren,

Weil er sie – bezahlen konnte.[45]

»Hier der Stein der Weisen,« sprach er,

»Leider nur zu spät gefunden,

Schon verwittert und zerbröckelnd!

Hier Faust's Mantel, arg verschlissen,

Löcherig, drum ohne Flugkraft!

Hier die einstens vielgenannte

»Blaue Blume« der Romantik,

Duftlos, eingepreßt, getrocknet!

Hier das Horn des Oberon,

Das so wunderbar erklungen

Durch die Schluchten, durch die Thäler,

In der Minne gold'nen Zeiten –

Heiser jetzt und dumpf nur klingt es!

Hier des Fortunatus altes

Wunschhütlein! Nur noch als Schlafmütz'

Brauch' ich es zuweilen. Nicht mehr

Aufzutreiben war das alte

Echte Horn des Ueberflusses:

Traun, ersetzt in unsern Zeiten

Ist das Horn des Ueberflusses

Durch den Ueberfluß an Hörnern.

Hier das Kostbarste: die Schale

Ist's des heil'gen Gral! Geschnitten

Aus Smaragdgestein! Unschätzbar!

Habe sie von einem Juden,

Welcher sie bei einem Köhler

In den Pyrenä'n entdeckte

Unter altem Kram, voll Spinnweb,[46]

Staub und Dust – für zehn Realen

Nahm der Jude sie vom Köhler,

Ich erwarb für eine halbe

Million sie vom Hebräer:

Solches ist der Werth des Steines.«

Fröstelnd drückte jetzo Munkel,

An des Alten Seite weiter

Durch die Prunkgemächer wandelnd,

Auf die Feder eines wucht'gen,

Halbverborg'nen Mechanismus.

Wie durch Zauber drehten plötzlich

Sich der Sonne zu die Fenster

Des Gemachs, das sie durchschritten.

Drehbar stand das Haus auf Säulen,

Zuzukehren seine Fenster

Nach Belieben jetzt der Schatten-,

Jetzt der warmen Sonnenseite.

Eines Zifferblattes Zeiger

Rückte Munkel im Vorbeigeh'n

Auf des Wärmegrades Ziffer,

Den er wünschte, und ein linder

Zephyrhauch von duft'ger Wärme

Strömte hin, elektro-thermisch

Angefacht, durch alle Räume.

Doch zu frösteln fortfuhr Munkel,

Und sich matt auf eines Sophas

Seid'ne Purpurkissen werfend,

Hub er grämlich an zu klagen[47]

Ob der Schwächen und Gebreste,

Die ihn quälten. Erst am Mund ihm

Hing mit unverwandtem Lauschen

Still der Alte; doch dann, fragend,

Jetzo Puls und Herzschlag prüfend,

Jetzt der Zunge Blaß erwägend,

Jetzt das Gelbgrün aller Adern,

Jetzt betupfend und betastend,

Jetzt beklopfend und behorchend

Alle Glieder und Organe,

Drang so allgemach mit manchem

»Hm!« und »Ha!« und »Ei!« der Meister

Durch bis auf den Grund der Dinge.

In ein Brüten dann versank er,

Schien ein Schweres zu erwägen

Und nach dienlichem Entschlusse

Wankend, angestrengt zu ringen.

Endlich hatt' er durchgekämpft sich

Zu gewichtiger Entscheidung,

Und den ernsten Blick auf Munkel

Richtend, hub er an in dumpfem

Und schier feierlichem Tone:

»Für dein Leiden, edler Munkel,

Für die Schwächen und Gebreste,

Die dich quälen, giebt es einen,

Einen Arzt nur, einen Helfer!

Einen Helfer, welcher wissend,

Wahrhaft in dein Inn'res blickend,[48]

Ganz dein tiefstes Sein erfassend,

Auch allein dich stärken, heilen,

Retten kann! Und dieser einz'ge

Arzt und Helfer und Berather –

Es ist der, der dich geschaffen,

Dich gerufen hat ins Dasein!«

»Sprichst du von dem lieben Gotte?«

Fragte Munkel, sah mit leichtem

Naserümpfen von der Seite

Seltsam schielend auf den Alten.

»Nein!« versetzte lächelnd Dieser.

»Nein, mein Freund, der liebe Gott,

Glaub' es mir, hat nichts zu schaffen,

Nicht mit dir, noch deiner Schöpfung,

Und er wird dir auch nicht helfen!

Nein, der dich ins Dasein rief,

Dich erschuf, es ist ein Mensch,

Ja, ein Mensch, ein Mensch wie and're –

Mißversteh' mich nur nicht wieder:

Nicht den Dorfschulmeister mein' ich,

Den als Kind du Vater nanntest;

Nein, es ist ein Mann des Wissens

Höh'rer Art, von dem ich rede!

Dieser Mann – nun fasse dich,

Edler Munkel, Aug' in Auge

Fest zu schau'n dem allertiefsten,

Wunderbarlichsten Geheimniß:

Dem Geheimniß deines Daseins![49]

Dieser Mann, er hat nach langem

Forschen, Sinnen und Bemühen,

Hat in langen Winternächten

Im verschwiegenen Gemache,

Stoffe bindend, Säfte brauend,

Deines Daseins, deines Wesens

Keim gemischt und ausgestattet

Mit des Lebens Wunderkräften.

Dieser Mann – bin ich!«

Mit starren,

Aufgeriss'nen Augen blickte

Munkel auf den Wunderthäter;

Keines Wortes war er mächtig.

Ihm getreu den ganzen Hergang

Seiner ersten, zweiten Schöpfung

Nun erzählt der greise Meister.

Wie er hergestellt allein ihn

Ohne mütterliches Zuthun –

Eines Bessern durch Erfahrung

Dann belehrt, ihn eingeschmolzen,

Aufgelöst bis auf den Urkeim,

Der, zwar reinste Stoffnatur,

Doch in einem Mutterschoße

Langsamer gereift und kräft'ger

Und natürlicher entwickelt,

Trat hervor an's Licht: geboren,

Aber nicht gezeugt ...

Noch immer[50]

Schweigend in den Kissen lehnte

Munkel, horchte starr der Kunde.

Jetzo schwand ihm das Bewußtsein,

Und er sank in sich zusammen.

Aber aus der tiefen Ohnmacht

Ruft zurück ihn bald der Meister,

Spricht ihm Muth ein, heißt ihn dankbar

All' des Herrlichen gedenken,

Das ihm ward, und wie so anders,

Glücklicher sein Loos gefallen,

Als der andern Menschenkinder,

Bürgschaft leistend für den Vorrang,

Des durch Wissensmacht Geschaff'nen

Vor den Andern, den Erzeugten!

Und die Schwächen und Gebreste,

Die ihn lang bedrängt, für diese

Sei der Wissende, der Helfer,

Der Berather nun gefunden!

»Alte Weise,« sprach er, »dachten,

Fäulniß-widriges Prinzip sei,

Was man Seele nennt im Leibe,

Frisch erhaltend all' die tausend

Ingredienzien, die zarten,

Eines thier'schen Organismus;

Da nun aber jene Seele,

Die verlieh'n ward deinem Urkeim,

Reine Stoff- und Kraftnatur zwar,

Doch nur Präparat der Stoffe,[51]

Und der Kräfte, die wir kennen,

Die bis heute wir ergründet,

Ueber die wir heut verfügen,

Gilt's auch fortan auf demselben

Engbegrenzten Stoff- und Kraftweg,

Den wir kennen, stets ihr fleißig

Nachzuhelfen; insbesondre

Gilt's mit Salzen, gilt's mit Würzen

Reichlich dein Geblüt zu pfeffern,

Daß nicht bei lebend'gem Leibe

Hirn und Herz und Eingeweide

Dir verwesen, theurer Munkel,

Sondern neu gestärkt, gesundet,

Völlig zur Entfaltung reife

Deines Wesens Kraft und Blüthe!« –

Durch des Greises Wort ermuthigt,

Raffte Munkel wie aus schwerem

Traum sich auf. Den Meister bat er,

Zu bewahren das Geheimniß

Vor der Welt – mit Rollen Goldes

Es zu lohnen ihm versprach er,

Und zum Leibarzt warb er ihn.

»Ehre machen dieser Herkunft,

Die du heute mir enthülltest,«

Rief er aus zuletzt, begeistert,

»Ehre machen dir, dem Meister,

Dir und deiner Schöpfung will ich!

Will die Sendung treu erfüllen,[52]

Die geworden mir auf Erden!« –

Insgeheim fortan verkehrten

Munkel viel und sein Erzeuger,

Der mit Bädern und mit Reizen

Und mit Salben und mit Salzen

Und mit Tränken, wunderthät'gen,

Und mit Goldtinktur, Goldpillen,

Steuerte den räthselhaften

Schwankungen des eigenart'gen

Kunstgeschaff'nen Organismus. –

Bald nachher lief eine Kunde

Weit umher durch alle Länder,

Munkel's Ruhm aufs Höchste steigernd.

Diese Kunde, sie besagte,

Daß nunmehr der Reichthum Munkel's

War gelangt zur Schwindelhöhe,

Die bisher kein Mensch errungen:

Daß er Billionär geworden!

Anlaß ward's zu einem Feste,

Wie noch keines ward gefeiert;

Anlaß ward's zu Huldigungen,

Wie noch Keiner sie genossen.

Fernher, selbst vom Czar, vom Sultan,

Von dem Schah des Perserlandes,

Chinas Herrn, vom Dalai Lama,

Kamen ihm die Festgeschenke:

Pferde, Sklavinnen, Kleinodien,

Hausgeräth und Tand und Zierrath[53]

Aller Arten, aller Zonen,

Auch in ungeheuren Mengen

Leckerbissen: Fleischpasteten,

Torten, ind'sche Vogelnester,

Früchte, Kaviar, Liqueure,

Und dazu an die dreihundert

Reichgestickte Perlenbänder

Für den Hals von Munkel's Hund.

Eingeschmuggelt wurde heimlich

Schon am Abend vor dem Feste

Im Gemach und unter'm Lager

Des Gefeierten ein Redner,

Daß er früh im Morgengrauen,

Wenn die Lider Munkel öffne,

Ueberraschend ihn begrüße

Gleich mit einer Jubelrede.

Um die dritte Morgenstunde

Wachte Munkel auf, und dürstend

Griff nach einem Trinkgefäß er,

Halb im Traum noch. Aber vor ihm,

Wie gewachsen aus der Diele,

Stand auch schon der edle Sprecher.

Aus den Händen des Erschrock'nen

Glitt das Prachtgefäß, zerklirrend,

Und ein apoplekt'scher Anfall

Traf ihn selbst – zum Glück nur leicht.

Später, als er von dem Lager

Sich erhoben und das Messer[54]

Des Barbiers die eine Backe

Raschen Fluges ihm geglättet,

Kam der Deputationen

Vortrab angerückt, und danken,

Bärtig auf der einen Seite,

Glattgeschoren auf der andern,

Mußte Munkel, und tagüber

Tragen so zur Schau die beiden

Unsymmetrischen Profile:

Denn es hielt von jener Stund' an

Immerdar in ihrem Kreis ihn

Festgebannt die Jubelfeier.

Unwillkürlich auf dem Gipfel

Seines Glanzes, tief bedeutsam,

Zeigt' er so ein Janusantlitz

Seiner Zeit, ein Bild der Halbheit!

Durch die Straßen in maskirtem

Festzug auf der Menge Schultern

Ward er im Triumph getragen.

Blumen streuten, festlich vor ihm

Einhertänzelnd, schöne Frauen,

Drunter welche à la Makart.

Die Berliner physikalisch-

Geographische Gesellschaft

That den Vorschlag, daß den ersten

Meridian man künftig ziehe

Durch Herrn Munkel's Riesenkasse,

Durch die Billionenkasse,[55]

Welche heut' mit Blumenkränzen

Reich verziert war, und vor welcher

Staunend stand das Volk in Andacht,

Wie vor einem Hochaltare.

Müd' auf's Lager wirft sich Munkel

Spät am Abend. Schwere Träume

Spinnen fort des Tages Plage:

Frauen überfallen schwärmend

Ihn auf off'nem Markt, und jede

Rupft ein Büschel Haar aus seinem

Scheitel sich zum Angedenken.

Und dann wird – in Lebensgröße,

Nicht wie wir von fern ihn sehen –

Ihm als Ordensstern der Sirius

Auf die Brust gewälzt, so daß er

Aechzt, erstickt, wie unter'm Alpdruck.

Aber diesem Angsttraum wird er

Mitten in der Nacht entrissen,

Aufgerüttelt durch Gesandte,

Die ihn feierlich entführen,

Daß die Stadt- und Höh'nbeleuchtung

Er bewund're, die zu Ehren

Ihm in tausend Flammen lodert,

Und vorbei auch lasse ziehen

Dann an sich den unerhörten

Riesenfackelzug, zu welchem,

Gleichfalls ihm zu Ehren, eine

Welt sich drängt.[56]

Im Wirbel dieser

Uebermenschlichen Strapazen

Und Erregungen verrückt wird

Munkel und verfällt in einen

Seltsamen Bedankungs-Wahnwitz,

Also, daß er lächelnd, weinend,

Mit unsäglich weicher Rührung

Einzeln Jeden auf der Straße

Unter Einem küßt und ohrfeigt.

Böses Blut macht dies im Volke,

Und das Hochfest endet damit,

Daß man ihn, des Tages Helden,

Fluchend sperrt in's Haus der Irren.

Doch am Morgen nach dem Hochfest,

Unerwartet auf der Börse

Fluch- und segenreicher Stätte

Kommt ein nie vorher erlebter

Ungeheurer Krach zum Ausbruch,

Und es büßt dabei der große

Munkel ein die kaum errung'ne,

Die gefeierte, die gold'ne,

Glanzumstrahlte Billion.

Als davon die Schreckenskunde

Drang auch in die Zelle Munkel's,

Da geschah ein Wunder: plötzlich

Wieder kam er zu Verstande ...

Doch was nützt nun der Verstand ihm?

Was das Leben? Um der Schmach sich[57]

Zu entziehen, doppelt drückend

An der Stätte einst'gen Glanzes,

Will er in die Fremde flüchten.

Eines Dampfers Bord am Rheinstrom

Nimmt ihn auf und bringt stromaufwärts

Ihn – wohin? Gleichviel! Am liebsten

Säß' er jetzt in Charons Nachen,

Wollt', es wär' ein Styx der Rheinstrom.

Mehr und mehr von Stund' zu Stunde

Ueberkommt ihn die Verzweiflung,

Und die grünen Wellen locken

Ihn hinab, als blinkte draus ihm

Der von ihm der Welt verheiß'ne

Nibelungenhort entgegen.

Widerschein des Mondes war es,

Was so blinkt', und holder Sterne,

Die nunmehr heraufgezogen

An dem abendlichen Himmel.

Nein, nicht länger leben will er!

Rasch entschlossen stürzt er plötzlich

Ueber Bord sich in die Wogen! –

Aber hinter ihm her gleitet

In die Fluth ein Frauenwesen:

Und dies Wesen, es entreißt ihn,

Den Versinkenden, der Tiefe,

Bringt behend, als regt' ein Fischlein

In vertrautem Naß die Flossen,

Schwimmend an den öden Strand ihn.[58]

Nacht ist's. Mond und Sterne glänzen,

Wie sie glänzen nur am Rheine,

Und die dunklen Wellen rinnen

Mit dem wundersamen Rauschen,

Das man kennt aus deutschem Sange,

Und der öde nackte Felsstrand

Liegt in gold'nem Dämmerscheine,

Den man kennt aus deutschen Märchen.

Den Geretteten geborgen

Hat das kühne Frauenwesen

Dicht am Strand in einer Felskluft.

Hier erwacht er neu zum Leben.

Und erstaunt, die Retterin,

Die von wundersamer Schönheit,

Vor sich sehend – trübe Schwermuth

Noch im Blicke, sagt er Dank ihr,

Fragt sie dann nach Stand und Namen.

Sie geleitet aus der Felskluft

Ihn, und mit der Hand, der weißen,

Nach der Uferhöhe deutend,

Weis't sie einen Felsensitz ihm.

»Hast von Lurlei du vernommen?

Längst nicht mehr auf jenem Steine

Singt sie Nachts im Mondenscheine!

In die Welt hinausgewandert

Ist sie, Menschenloos zu kosten!

Hat vertauscht des Nixenschleiers

Gaze mit Brabanter Spitzen,[59]

Hat gelernt von Menschenkindern

Neue Töne, neue Weisen;

Auf Europens Opernbühnen

Hat sie Gold und Ruhm geerntet.

Heut als deine Fahrtgenossin

Auf dem Strom, an Bord des Fahrzeugs,

Hat sie dich erkannt, den Großen,

Den Gefeierten, den Gründer

Jenes stolzen Unternehmens

Zur Behebung des versenkten

Nibelungenhorts im Rheine!

Auf der melanchol'schen Stirn dir

Las sie trübe Todgedanken,

Und als du nun über Bord sprangst,

Spornte sie geheimer Antrieb

Dir zu folgen ... War's Verhängniß?

War's der Drang, an dieser Stätte

Ihrer einstigen Behausung

Wieder einmal sich zu tauchen

In die Fluth, die holdvertraute? –

War's geheime Sympathie

Mit dem Manne, den zu retten

Ihr bestimmt war vom Geschicke?« –

»Dankenswerth,« erwidert Munkel,

»Scheint das Sein auch dem, der's wegwarf,

Gibt zurück es solche Hand ihm!

Bist du, wunderbares Wesen,

Bist du wirklich Nixe Lurlei,[60]

Welche singend in des Rheinstroms

Tiefe Manchen niederlockte,

Aber heut gerettet Einen?

Ei, wie kam's, daß du entsagtest

Einem leidlos-schönen Dasein

Und in's wirre krause Leben

Uns'rer Menschenwelt dich stürztest?«

»Dies,« versetzte drauf die Nixe,

»Ist gesagt mit wenig Worten,

Kaum der Rede werth – vernehmen

Wirst zuletzt vielleicht noch lieber

Du in Kürze meinen bunten

Lebenslauf im Weltgetriebe!« –

Neugier sprach aus Munkel's Blicken,

Und was Nixe Lurlei sprach,

Künd' ich euch im nächsten Sange.
[61]

Quelle:
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg 1889, S. 36-62.
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