V

[78] Zwei Tage später erhob ich mich morgens gegen Zehn mit dem festen Entschluß, dem Eigentumserwerb des Finders ein Ende zu machen und mir eine andere Arbeit geben zu lassen.

In das tiefste rechtsphilosophische Nachdenken versunken, knöpfte ich mir den Hemdkragen an:

– Fauler Zauber! Man mag sagen, was man will, es bleibt etwas Schmutziges dabei. Bestenfalls ein Widersinn, etwas Blitzdummes, was man glauben – einfach glauben – einfach glauben muß. Wie kann ein Finder jemals Eigentümer werden! Unsinn! Was heißt überhaupt Eigentümer werden. Mysterium! Gerade wie der Erbgang nach Lassalle! Ooch so'n mystischer Vorgang: Fortdauer der Persönlichkeit über den Tod hinaus.. na! Und überhaupt: das Eigentum.. und so ...

– Herein!

Die Lore!

– Guten Morgen!

Strahlend vor Freude kam sie auf mich zu.

– Entschuldige, wenn ich dich in der Toilette störe, aber du könntest wohl eigentlich schon damit fertig sein. Stehst noch immer so spät auf? Schäme dich! Kennst du nicht das Sprichwort: Morgenstunde hat – plombierte Zähne?

Sie lachte laut über diesen Witz, den sie jedenfalls schon recht oft gemacht hatte, und[79] warf sich übermütig in einen Sessel. Sie war ganz außer sich vor Vergnügen und steckte mich mit ihrer fröhlichen Laune an.

– Ich habe mit dem Aufstehen so lang gewartet, liebe Lore, um mit dir zusammen das erste Frühstück einnehmen zu können. Meine ahnende Seele wußte, daß du zu ihr kommen würdest. Willst du bitte meiner Wirtin ...

– Nei, nei, nei, nein! Ich danke dir sehr. Aber ich nehme schon in zwei Stunden den Lunch, und da – begreifst du ...

Ich begriff.

Meine Wirtin brachte den Kaffee und fragte ebenfalls sehr freundlich, ob sie nicht ›Fräulein Lore‹ auch eine Tasse bringen dürfte. Lore erzählte ihr sofort ihre Tageseinteilung, und daß sie davon niemals abweiche, niemals – Herr Professor Leyden hätte ihr neulich erst gesagt, daß Regelmäßigkeit der Lebensweise die erste Bedingung der Gesundheit sei. Außerdem könne sie die Kaffëinbazillen nicht vertragen.

– Aber bitte, laß dich ja nicht stören!

– Wenn du gestattest..

Kaum war die Wirtin heraus, so sprang sie auf, kniete neben meinem Sessel nieder und zog mit einem langen, drolligen Pfiff ihr Portemonnaie, ein kleines Ding von blauem Plüsch, aus dem Kleide.

– Sieh mal hier!

Und mit einem neuen Pfiff zog sie einen vielgefalteten Hundertmarkschein aus dem Portemonnaie[80] hervor, blätterte ihn auf und hielt ihn mit Daumen und Zeigefinger an der einen Ecke so hoch sie konnte in die Luft wie einen frischgefangenen Fisch.

Und zum dritten Male pfiff sie und lachte dann ganz unbändig.

– Na, Gott sei Dank – sagt' ich – hat sich der Vetter besonnen! Endlich diesen Unsinn mit dem Knopf aufgegeben –'s war ja auch zu dumm.

In diesem Augenblick bemerkte ich, daß Lore heute die rote Seidenbluse anhatte. Ob sie wohl – fuhr es mir durch den Kopf. Aber ich wies den Gedanken energisch ab. Teufel auch, sollte denn das auch bei mir zur fixen Idee werden?

Lore stand auf.

– Ach, der – sagte sie geringschätzig.

Dann stellte sie sich vor mir auf und sprach wie aus unsichtbarer Höhe herab:

– Weißt du, mein Lieber, ich möchte einen Verwandten deiner Familie nicht gern beleidigen, aber das muß ich dir doch sagen: dein Vetter ist in meinen Augen ein Stiesel.

– Ein Stiesel? ... Aber ...

Doch ohne auf mich zu hören, fuhr sie mit lauter Stimme und in einem strengeren Tone fort:

– Allerdings ist es sehr richtig, wie du vermutest: der Vetter hat mir diesen elenden blauen Lappen zugeschickt. Er hat den Brief an mich, in dem er lag, nicht mal einschreiben lassen.[81] Aber! Wenn er etwa gedacht hat, daß ich ihm das Geld entrüstet zurückschicken würde – dann hat er sich verrechnet, dann hat er sich ganz schmählich in mir getäuscht. Zum Spielzeug halte ich mich denn doch für zu gut. Das hab ich ihm schon geschrieben, du kannst es ihm aber auch noch mal sagen.

Die Glut einer ungeheuchelten sittlichen Entrüstung, eines natürlichen Stolzes leuchtete aus Lores schönen Augen. Ich reichte ihr die Hand.

– Brav, Lore: so ist es recht! Wenn doch erst alle Frauen so zum Bewußtsein ihrer sozialen Stellung gekommen wären – dann wäre solch frivoles Spiel mit dem Herzen eines Mädchens überhaupt nicht mehr möglich. Es freut mich, daß du so frei von aller falschen Sentimentalität bist! – Aber zeig mir doch mal den Brief vom Vetter!

Sie zauberte den Brief aus ihrer Bluse hervor und reichte ihn mir mit einer verächtlichen Handbewegung:

– Du kannst mir das.. noch mal vorlesen. – Dann wollen wir's wegwerfen.

Ich las:


›Liebe Berta!


Wir sind gestern ohne Aussprache voneinander gegangen, und ich versprach Dir, heute zu schreiben. Indem ich mich hierzu anschicke, fühle ich erst, wie schwer es mir fällt und wie schwer es überhaupt fallen wird, Dir das Nachfolgende begreiflich zu machen. Doch will ich es versuchen.[82]

Ich habe Dich bei meinem Freunde – wie Du weißt, nennen wir uns halb im Scherz Vettern ...‹


– Da siehst du's nun! – fiel mir Lore ins Wort – aus reiner Pedanterie verleugnet er seine Verwandtschaft. Weiter!

– ›Kennen gelernt. – Seine leichte Einbildungskraft, die wohl in seinen ersten Semestern besonders rege gewesen sein mag ...‹

– Frech! Was?

– Fabelhaft! – ›hatte Dich nicht nur ihm, sondern indirekt auch mir in den rosigsten Farben erscheinen lassen. Ich hatte gegen Dich, als ich Dich zuerst sah, ein vielleicht allzu günstiges Vorurteil.‹

– Hat der Mensch Worte? Und das will nun ein gesellschaftlich gebildeter junger Mann sein!

– ›Da war es denn kein Wunder, daß bei den vielen anziehenden Eigenschaften, die Du zweifelsohne aufzuweisen hast, gleich von Anfang an eine bedeutende Anziehungskraft von Dir auf mich ausging. Ich war – suggestiv prädisponiert.‹

– Quatsch! Was heißt denn das?

– So viel wie reingefallen, auf den Leim gekrochen.

– Aha! Da hat er nun gedacht, das würd' ich nicht verstehen! Weiter!

– ›Aber es war doch nicht das Richtige.‹

– Das wollt' ich meinen!

– ›Wär ich einer von denjenigen, welche jedem neuen Reize sofort bedingungslos nachgeben,[83] geben, so müßte ich jetzt alle etwaigen Enttäuschungen als anständiger Mensch mit in den Kauf nehmen und hätte kein Recht, mich zu beklagen. So aber – wo ich, meiner Natur folgend, den Zeitpunkt abgewartet habe, an dem die Besonnenheit wieder die Oberhand bei mir gewonnen hatte – bin ich glücklicherweise in der angenehmen Lage, noch rechtzeitig einzusehen, daß es, wie gesagt, nicht das Richtige war, und mir steht noch die Freiheit offen, ohne moralische Verantwortlichkeit dieser Erkenntnis gemäß zu handeln.‹

– Nu bitt ich dich –

Ich unterbrach sie:

– Laß mich erst mal zu Ende lesen. Also –: ›Ich meine nämlich, daß ich mich in Deiner Person doch einigermaßen getäuscht habe. Es liegt mir fern, Dir etwa einen Vorwurf zu machen, eher dürfte ich selber aus dieser Erfahrung eine Lehre für mich ziehen. Nicht als ob die Geschichte mit dem abgerissenen und niemals wieder angenähten Knopfe irgendwie selbständig in Betracht käme, oder daß ich etwa aus einem Eigensinn, weil Du meinem Wunsche nicht nachgekommen wärest, jetzt mit Dir bräche..‹

– Bitte sehr: ich habe mit ihm gebrochen, du bist mein Zeuge!

– Gewiß. –: ›Da würdest Du mich doch für weit kleinlicher halten als ich bin. – Nein! Für mich ist dieser abgerissene Knopf lediglich der Prüfstein gewesen, auf dem ich mir Dein ganzes Wesen klar gemacht habe.‹[84]

– Prüfstein! – Ach Gott, wenn ich doch den Knopp noch hätte! Das muß ja ein wunderbares Ding gewesen sein.

– Pst! – ›Ich will Dich nicht, ganz gewiß nicht beleidigen und nur von mir reden. Für mich, wie ich nun einmal bin, ist infolge meiner Erziehung und aller sonstigen Lebensbedingungen ein bestimmtes Maß von Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf das Exterieur und alles, was drum und dran hängt, so zur vitalen Notwendigkeit –‹

– Soll wohl fatalen heißen.

– Wahrscheinlich. Also –: ›So zur fatalen Notwendigkeit geworden, daß ich einen Verstoß hiergegen oder gar den Mangel eines Gefühls hierfür fast wie einen sittlichen Defekt empfinde; denn für mich hängt diese äußerliche Ordentlichkeit so sehr mit der eigentlichen Gesittung und der Durchbildung des ganzen Menschen überhaupt zusammen, daß ich – aber hier breche ich lieber ab, da ich sicher bin, von Dir in keiner Weise mehr verstanden zu werden.‹ –

– Stimmt. Das erste vernünftige Wort.

– ›Daß wir indessen nicht zusammen passen und deshalb besser wieder auseinander gehn – das hat wohl auch Dir die Geschichte mit dem Knopf zur Evidenz erwiesen.

Darum sag ich Dir hiermit Lebewohl. Glaube nicht, daß es mir so leicht wird, wie Du nach diesem mit dem Verstande geschriebenen Briefe annehmen könntest.‹ – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[85]

Ich hatte erwartet, daß die Lore, wenn ich zu Ende war, losbrechen würde. Das trat nicht ein. Sie hatte sich ans Fenster gestellt und sah auf die Straße. Wir schwiegen beide.

Dann drehte sich die Lore langsam um und sagte nachdenklich:

– Ich werde mir keinen Hut kaufen, sondern ein Sammetbarett.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Berlin 1913, S. 78-86.
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