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[363] Als Fröben am andern Morgen in den Salon trat, wo er frühstücken sollte, war sein rastloser Freund schon ausgeritten, um eine Dammarbeit an der Grenze seines Gutes zu besichtigen. Der Diener, der ihm diese Nachricht gab, setzte mit wichtiger Miene hinzu, daß sein Herr wohl kaum vor Mittag zurückkommen dürfte, weil er noch seine neue Dampfmühle, einige Schläge im Wald, eine neue Gartenanlage, nebst vielem andern besichtigen müsse. »Und die gnädige Frau?« fragte der Gast.

»War schon vor einer Stunde im Garten, um Bohnen abzubrechen, und wird jetzt bald zum Frühstück hier sein.«

Fröben ging im Saal umher und musterte in Gedanken den vergangenen Abend. Wie anders erscheinen alle Bilder in der Morgenbeleuchtung, als sie uns im Duft des Abends erschienen! Auch mit den verworrenen Gedanken, die gestern in ihm auf und ab schwebten, ging es ihm so; er lächelte über sich selbst, über die Zweifel, die ihm seine rege Phantasie aufgeweckt hatte. »Der Baron«, sprach er zu sich, »ist am Ende doch ein guter Mensch; freilich, viele Eigenheiten, einige Roheit, die aber mehr im Äußern liegt. Aber wer länger mit ihm umgeht, gewöhnt sich daran, weiß sich darein zu finden. Und Josephe? wie vorschnell man oft urteilt! Wie oft glaubte ich rührenden Kummer, tiefe Seelenleiden, Resignation in den Augen, in den Mienen einer Frau zu lesen, ließ mich vom Teufel blenden sie recht zart trösten und aufrichten zu wollen, und am Ende lag der ganze Zauber in meiner Einbildung; es war dann näher betrachtet eine ganz gewöhnliche Frau, die mit den sinnenden Augen, worin ich Wehmut sah, ängstlich die Augen an ihrem Strickstrumpf zählte, oder hinter der ›von Gram umwölkten‹ Stirne bedachte, was sie auf den Abend kochen lassen sollte.« Er verfolgte diese Gedanken, um[363] sich selbst mit Ironie zu strafen, um die zartere Empfindung, jene Nachklänge von gestern zu verdrängen, die ihm heute töricht, überspannt erschienen. In diese Gedanken versunken, war er an den Spiegel getreten und hatte die Besuchkarten überlesen, die dort angesteckt waren. Da fiel ihm eine in die Hand, welche Faldners eigene Verlobung ankündigte. Er las die zierlich gestochenen Worte: »Freiherr F. von Faldner mit seiner Braut Josephe von Tannensee.«

»Von Tannensee?« wie ein Blitz erleuchtete ihm dieser Name jene dunkle Ähnlichkeit, die er zwischen der Gattin seines Freundes und seinem lieben Bilde gefunden. »Wie? wäre sie vielleicht die Tochter jener Laura, die einst mein guter Don Pedro geliebt? Welche Freude für ihn, wenn es so wäre, wenn ich ihm von der Verlorenen Nachricht geben könnte. Fand er nicht in jenem wunderbaren Bilde die täuschendste Ähnlichkeit mit seiner Cousine? Kann nicht die Tochter der Mutter gleichen?«

Er verbarg die Karte schnell, als er die Türe gehen hörte; er sah sich um und – Josephe schwebte herein. War es das zierliche Morgenkleid, das ihre zarte Gestalt umschloß, war ihr die Beleuchtung des Tages günstiger als das Kerzenlicht? Sie kam ihm in diesem Augenblick noch unendlich reizender vor als gestern. Ihre Locken flatterten noch kunstlos um die Stirne, der frische Morgen hatte ein feines Rot auf ihre Wangen gehaucht, sie lächelte zu ihrem Morgengruß so freundlich, und doch mußte er sich schon in diesem Augenblick einen Toren schelten, denn ihre Augen erschienen ihm trübe und verweint.

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 2, München 1970, S. 363-364.
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