[342] Als er den andern Tag sich wieder einfand und Fröben schon vor dem Gemälde traf, trat er auch hinzu mit recht freundlichem Gesicht; als aber der junge Mann ehrerbietig auf die Seite wich um dem alten Herrn den bessern Platz einzuräumen, verbeugt' sich dieser höflich grüßend und sprach: »Wenn ich nicht irre, Señor, so hab ich Sie schon mehrere Male vor diesem Gemälde verweilen sehen. – Da geht es Ihnen wohl gleich mir; auch mir ist dieses Bild sehr interessant und ich kann es nie genug betrachten.«
Fröben war überrascht durch diese Anrede; auch ihm waren die Besuche des Alten vor dem Bilde aufgefallen, er hatte erfahren, wer jener sei, und nach der steifen, kalten Begrüßung von gestern war er dieser freundlichen Anrede nicht gewärtig. »Ich gestehe, mein Herr!« erwiderte er nach einigem Zögern, »dieses Bild zieht mich vor allen andern an; denn – weil – es liegt etwas in diesem Gemälde, das für mich von Bedeutung ist.« – Der Alte sah ihn fragend an, als genüge ihm diese Antwort nicht völlig, und Fröben fuhr gefaßter fort: »Es ist wunderbar mit Kunstwerken, besonders mit Gemälden. Es gehen an einem Bilde oft Tausende vorüber, finden die Zeichnung richtig, geben[342] dem Kolorit ihren Beifall, aber es spricht sie nicht tiefer an, während einem einzelnen aus solch einem Bilde eine tiefere Bedeutung aufgeht; er bleibt gefesselt stehen, kann sich kaum losreißen von dem Anblick, er kehrt wieder und immer wieder, von neuem zu betrachten.«
»Sie können recht haben«, sagte der Alte nachdenkend, indem er auf das Gemälde schaute, »aber – ich denke, es ließe sich dies nur von größeren Kompositionen sagen, von Gemälden, in welche der Maler eine tiefere Idee legte. Es gehen viele vorüber, bis die Bedeutung endlich einem aufgeht, der dann den tiefen Sinn des Künstlers bewundert. Aber – sollte man dies von solchen Köpfen behaupten können?« –
Der junge Mann errötete. »Und warum nicht?« fragte er lächelnd, »die schönen Formen dieses Gesichtes, die edle Stirne, dieses sinnende Auge, dieser holde Mund, hat sie der Künstler nicht mit tiefem Geiste geschaffen, liegt nicht etwas so Anziehendes in diesen Zügen, daß –«
»O bitte, bitte«, unterbrach ihn der Alte gütig abwehrend; »es war allerdings eine recht hübsche Person, die dem Künstler gesessen, die Familie hat schöne Frauen.«
»Wie? welche Familie?« rief der Jüngling erstaunt, er zweifelte an dem gesunden Verstand des Alten und doch schienen ihn seine Worte aufs höchste zu spannen. »Dies Bild ist wohl reine Phantasie, mein Herr! ist zum wenigsten mehrere hundert Jahre alt!«
»Also glauben Sie das Märchen auch?« flüsterte der Alte; »unter uns gesagt, diesmal hat die Eigentümer ihr scharfer Blick doch irregeleitet; ich kenne ja die Dame.«
»Um Gottes willen, Sie kennen sie? wo ist sie jetzt? wie heißt sie«, sprach Fröben heftig bewegt, indem er die Hand des Portugiesen faßte.
»Sage ich lieber ich habe sie gekannt«, antwortete dieser mit zitternder Stimme, indem er das feuchte Auge zu der Dame aufschlug. »Ja, ich habe sie gekannt in Valencia vor zwanzig Jahren; eine lange Zeit! Es ist ja aber niemand anders als Donna Laura Tortosi.«
»Zwanzig Jahre!« wiederholte der junge Mann traurig und niedergeschlagen. »Zwanzig Jahre, nein, sie ist es nicht!«
»Sie ist es nicht?« fuhr Don Pedro hitzig auf; »nicht, sagen Sie? So können Sie glauben, ein Maler habe diese Züge aus seinem Hirn zusammengepinselt? Doch, ich will nicht ungerecht[343] sein, es war wohl ein tüchtiger Mann, der sie malte, denn seine Farben sind wahr und treu, treu und frisch wie das blühende Leben. Aber glauben Sie, daß ein solcher Künstler aus seiner Phantasie nicht ein ganz anderes Bild erschafft? Finden Sie nicht, ohne die Familie Tortosi zu kennen, daß diese Dame offenbar Familienähnlichkeit haben müsse, Familienzüge, bestimmt und klar von der Natur ausgesprochen; Züge, wie man sie nie in Gemälden der Phantasie, sondern nur bei guten Portraits findet? Es ist ein Portrait, sag ich ihnen, Señor! und bei Gott kein anderes, als das der Donna Laura, wie ich sie vor zwanzig Jahren gesehen in dem lieblichen Valencia.«
»Mein verehrter Herr!« erwiderte ihm Fröben. »Es gibt Ähnlichkeiten, täuschende Ähnlichkeiten. Man glaubt oft einen Freund sprechend getroffen zu sehen, nur in sonderbarem, veraltetem Kostüm, und wenn man fragt, ist es sein Urahn aus dem Dreißigjährigen Kriege, oder überdies gar noch ein Fremder. Ich gebe auch zu, daß dieses Bild sogenannte Familienzüge trage, daß es der liebenswürdigen Donna Laura gleiche, aber dieses Bild, dieses ist alt und soviel weiß man wenigstens aus Registern und Kirchenbüchern, daß es in der Magdalenenkirche zu C. schon seit 150 Jahren hing, durch zufällige Stiftung, nicht auf Bestellung, in die Kirche kam, und nach allen Anzeichen von dem deutschen Maler Lucas Cranach gefertigt wurde.«
»So hole der lebendige Satan meine Augen!« rief Don Pedro ärgerlich, indem er aufsprang und seinen Hut nahm. »Ein Blendwerk der Hölle ist's, sie will mich in meinen alten Tagen noch einmal durch dies Gemälde in Wehmut und Gram versenken.« Tränen standen dem alten Mann in den Augen, als er mit hastigen, dröhnenden Schritten die Galerie verließ.
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