Erste Szene.

[49] DER WIRT. Den Mann kann ich nicht begreifen ... der Mann hat doch noch nicht ein einziges Wort mit unsereinem gesprochen ... der Mann kommt mir gerade vor, als wenn er vor Schreck oder so die Sprache verloren hätte ...

DER GENDARM. Wo steckt er denn jetzt?

DER WIRT. Draußen im Hausflur steht er ... auf der Hausschwelle ...

DIE WIRTIN gibt dazu. Und hält ein paar Dorfmädeln einen Goldring hin ...[49]

DER GENDARM. Er hätte die Sprache verloren ... vielleicht vor Verwunderung ...

DER WIRT. Das könnte auch sein ... aber über was tät' er sich denn in unserem Dorfe so verwundern?

DER GENDARM. Vielleicht über die stechende Kälte bei uns ... oder über den tiefen Schnee ... wenn einer Anlage hat sich zu verwundern, der wundert sich über jede rote Ebereschbeere, die die Stieglitze auf den Schneeweg schmeißen ...

DER WIRT. Nein, nein ... so sieht der nicht aus ... de Mann ist nicht aus Europa ... der Mann kommt von weit her ...

DER GENDARM. Wieso? ... woher denn?

DER WIRT. Der Mann ist kein Dorfbarbier oder gar ein armseliger Besenbinder ... der Mann hat eine Adlernase ... und sieht einen an, als wenn der in der Wüste die Springhasen mit den Händen fangen könnte ... so scharfe Augen macht der ...

DER GENDARM. Wenn kam er denn?[50]

DER WIRT. Gestern abend spät ... aber gleich mit Sack und Pack ... gleich mit Kisten und Kasten ... wie große Herren reisen ... und tat schon gleich zuerst, als wenn wir kleinen Leute um ihn alles Flöhe wären ... der Livreediener riß ihm sofort im Hause seine Pelzkapuze 'runter ... sprang ihm in die Wirtsstube nach ... und tat überhaupt, was eben ein Diener von einem solchen großen Herrn tun muß ... nahm ihm gleich den großen Eisbärpelz ab ... nahm ihm gleich die große Ledertasche aus den Händen ... das heißt beileibe durfte sich keiner von uns unterstehen, den Mann anzurühren ... der Diener schmiß uns allen einen einzigen Blick zu ... aber der Blick sagte alles ... wir sind richtig die ganze Nacht auf Zehen gelaufen ... und haben getan, wie wenn wir einen Toten im Hause hätten ... aber der Mann ist nicht tot ... der scheint mehr wie lebendig ... dem steht der Mut und das Leben im Gesichte geschrieben ... trotz der langen, grauen Haare, die ihm in den Hals hängen ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 49-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die armseligen Besenbinder
Die Armseligen Besenbinder (German Edition)