Sechste Szene

[221] DIE MUTTER drängt aus der Sakristeitür heraus. Ich glühe wie eine Pumpelrose ... vor Scham und Schande ... nur fort jetzt ... nur fort jetzt ...

GEORGINEL sie haltend und einredend. Mutter ... ich bitte dich ... liebe Mutter ...

DIE MUTTER. Und das Tuch über Augen und Ohren ... vor Scham und Schande ... wenn man jetzt durch die höhnische Bande läuft ... nein nein ... zur Samariterin für besoffene Kerle bin ich nicht geboren ...

GEORGINEL. Herr Jesus ... Muttel ... komm doch zu dir ... wir können doch Josua nicht in dem Zustand fremden Leuten jetzt überlassen ...

DIE MUTTER. Einen solchen verwahrlosten Kerl ... ich bin unschuldig an so einem Leben ... ich würde ihm eine Ohrfeige schlagen, käme ich nahe ... versoffenes Genie das ...

GEORGINEL. Muttel, das wirst du bleiben lassen Plötzlich kindlich ekstatisch. oh Muttel ... wenn man nicht wüßte, daß er noch atmet ... man könnte denken, er wäre gestorben ... schön und groß sieht er aus ... trotzdem ... bleich ... wie verklärt ... als zerrisse ihm Leid die arme Seele ... so wollt er mit Tönen die Toten beklagen ...


Sie eilt plötzlich in die Sakristei zurück. Unterdessen eine bettelnde, junge Zigeunerin, ein Kind im Rückentuch eingebunden, von links erscheint, die nur steht und sich Dom und Leute von ferne betrachtet.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 221.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die goldnen Straßen
Die goldnen Straßen