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[262] Einhart war unglaublich neugierig auf seine Zustände, auch wenn es Schmerzen waren, oder er sie sich nicht gleich zu deuten wußte. Und er ging allem, was ihn angriff, mit Leidenschaft nach. Zumal wenn, wie es oft war, seine Malweisen ihn ins Stocken brachten, weil er in gewissen Stadien zu experimentieren begann und dann seinen Wünschen von Duft und Vision nicht endgültig nahe kam.

Einhart ging jetzt oft zu Frau Rehorst und war im Hause bald so vertraut, wie Grottfuß. Er mußte jedesmal lachen, wenn er die Diener nun schon mit ganzer Gleichgültigkeit grüßte, ein wenig von oben. Und wenn er Frau Rehorst die Hand küßte, genau wie ein Kavalier. Auch darüber, daß er jetzt in einem Gehrock ging, den er sich einfach aus Zwang hatte anschaffen müssen, weil Grottfuß ausdrücklich dazu ihm einiges Geld gegeben hatte. Auch hatte ihm Frau Rehorst eins seiner Bilder abgekauft.

Und Einhart kam sich manchmal garnicht, wie er selber vor, wenn er in lässiger Lümmelei auf einem Lehnstuhl in Frau Rehorsts Boudoir saß, wohin man ihn jedesmal führte, auch wenn Frau Rehorst zufällig noch nicht daheim war.[263]

Frau Rehorst war in Einharts Gesellschaft jetzt ganz ruhig. Dieser eigene, dunkle Zigeuner, wie er war – ein rechter Jungmann geworden, mit sanftem Haarflaum auf der feinen Lippe, das gelbgraue, schmale Gesicht geistig erfüllt im Sinnen, mit den schmächtigen, aber sanft bewegten Gliedern – brachte Frau Rehorst wie in eine Stillung, solange sie ihn auch nur in ihrem Hause und in ihrem Zimmer wußte.

Und wenn sie daheim war, konnte sie jetzt scheinbar ganz achtlos mit ihm lachen und plaudern.

Einharts Meinungen gingen in sie ein wie Gleichnisse, die mancherlei Dingen einen eigenen Sinn verliehen. »Einhart« nannte sie ihn immer, wenn sie allein waren, mit lachender Zärtlichkeit. Und »Herr Einhart Selle« war es, wenn es sich um Menschen sonst handelte, die mit dabei waren.

Frau Rehorst tat bald fast nichts mehr, wenn es nicht Einhart gut geheißen. Sie konnte fast gar nichts mehr denken, wenn sie sich nicht Einharts scharfe Dunkelblicke dazu gedacht. Und sein Lächeln über Ärgernisse brachte sie sofort über jeden Groll.

Wenn sie allein beieinander am Kaminfeuer saßen und plauderten, sahen sie sich oft in die Augen.[264] Und Frau Rehorst war in seiner kindlichen Ausdrucksweise wie gefangen, ging dann auf und ab mit Einhart, indem sie achtlos die Fugen der Diele mit ihren Schritten einhielten, beide, und so eine Art Parade machten, unterdessen das Lachen über die früheren Zustände, in denen Einhart zum ersten Male jetzt sich vor ihr besann, gelebt zu haben, sie innerlich voll erfüllte.

Einhart hatte dann eine heitere Sicherheit, viel männliches Rückblicken ging aus ihm. In der Nähe dieser hohen, losen, jetzt ebenso kindlich gestillten Frau begannen sich in ihm Meinungen und Überzeugungen zu kristallisieren, über die er selbst sich wunderte. Daß in ihm das Gefühl aufwuchs, eine Kraft zu gewinnen und seinem Verlangen einen klaren und starken Ausdruck. Nie noch hatte er im Leben mit jemand so heiter und so überlegen, so ins Große vorgewendet in Laune, und so ohne Acht der Unterschiede geredet.

Es ging auch manches Schalkswort in Frau Rehorst über, wie ein Funke. Es war eine richtige Ausgelassenheit. Einhart hatte wie eine Haut der Schüchternheit noch vollends abgestreift und war in diesen Stunden ein kräftig Lachender geworden, der[265] sich hoch hielt. Frau Rehorst hing mit großen Blicken an ihm und an dem Erdigwarhaftigen seiner ganzen Erschauung, das nirgend mit aalglatten Worten kam, das nur Sachen und Erlebnisse stammelte, stammelte mit der ganzen echten Sinnenkraft, die beglücken kann aus jedem Dinge.

Einhart hatte Frau Rehorst die Hand geküßt jedesmal, wenn er gegangen. Aber er zog die Hand jetzt zu sich empor, so sanft gab sie sie ihm und streckte sie seinen Lippen entgegen. Und je öfter sich die Abende wiederholten, desto inniger war eine Kameradschaft zwischen Einhart und Frau Rehorst erwachsen.

Quelle:
Carl Hauptmann: Einhart der Lächler. Roman in zwei Bänden, Band 1, Leipzig 61915, S. 262-266.
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