[109] Eigentlich müßten wir uns nach guter Mannesart schießen, mein lieber Poncet!« sagte Einhart lächelnd. »Aber Leidenschaften muß der Künstler wohl oder übel doch einmal anerkennen. Schließlich muß er davon leben,« lachte er, »wenn sie einen unter Umständen auch verbrennen oder zerbrechen.«
Einhart und Poncet besprachen sich mit Offenheit, erwogen das Sinnlose des Hasses oder auch nur Vorwurfs in ihrer Lage, und daß darin die Entscheidung Johannas allein der Sinn wäre, um den es sich handelte.
»Johanna hat sich entschieden,« sagte Einhart zu Poncet, als er zuerst bei Poncet eintrat. Und er sagte es noch ein paarmal dann. Und als die beiden von Poncet begleitet am Bahnhofe eine Weile noch vor dem Kupee standen, wußten und fühlten es alle drei.
»Johanna hat sich entschieden.«
So hatte auch Poncet in Gegenwart Einharts Johanna, die mit blassem, scheuem Gesicht vor ihm stand, die Hand zum Abschied gereicht.
Der Sommer am Meer verging wie ein hegericher[110] Tag, den milchige Dünste trüben. Man sah nie das volle Licht. Trotzdem lebte man freundlich, ja froh, kann man sagen. Hoffnungen schwammen nicht wie weiße Schäfchen am Himmel. Die Heidehügel erinnerten an viel ernste Dinge. Aber die schliefen im Blute jetzt. Die Arbeit brachte Ruhe. Johanna war unglaublich sorglich für Einhart. Einhart empfand ihre Güte, und daß sie den Gram wollte vergessen machen.
Man hatte sich bei einem alten Kapitänspaar eingemietet. Vor dem Hausgarten ragte wieder ein verwittertes Holztor im Bogen. Darüber blühten auch hier Heckenrosen. Johanna konnte jetzt stundenlang einsam sitzen, einen Rosenzweig in Händen, auf den sie beständig niedersah. Ihr Dunkelblick schien weich und kindlich. Vieles war hingegangen. Sie wollte nicht zurückdenken. Man badete jetzt nicht mehr wie im Paradiese. Einhart trieb Kurzweil und versuchte aus dem Ernst manchmal herauszukommen. Keiner gestand es sich ein, daß etwas in dieser Zeit wie verweht schien.
Einhart war eifriger wie je. Er unterhielt sich oft mit dem Kapitän. Er spürte Seemannszauber und allerhand Meersagen nach. Der Alte wußte[111] mancherlei. Er erzählte von Meerfrauen, und daß manche von ihnen in Meervögel verzaubert wären. Er sagte auch, daß alle Meervögel eine ewig sehnsüchtige Seele besäßen, und daß immer ihre Rufe sehnsüchtig klängen.
»Ja, was ist Sehnsucht?!« sagte dann Einhart, sehr ins Nachsinnen verloren, den des Alten Weisheit innig entzückte.
»Ja, mein lieber Herr Malersmann,« erwiderte dann der weißbärtige, breitbeinigstehende Kapitän, »wie soll ich Ihnen das wohl erklären? Sehen Sie, wenn ein Mensch nicht Sehnsucht hat, ist er eben ein langweiliger Schmeerbauch,« sagte der Alte listig und zog dabei seine gelbe Weste straff, um seine zähe Leibesgestalt zu zeigen. »Ich bin immer hübsch mager geblieben. Und hatte immer brennende Sehnsucht nach tausend Dingen draußen. Nun gar, wo ich nicht mehr zur See fahre. Brennende Sehnsucht! Was Sehnsucht ist, wollen Sie von mir wissen? Sehnsucht, das ist überhaupt der Lebenstrieb sozusagen. Sehnsucht – – ja – – das ist überhaupt die Begierde nach dem wahren Leben. Sehnsucht, das ist das einzige Zeichen, daß man noch nicht erstarrte, sozusagen! Na überhaupt,[112] wer wohl sagen könnte, was Sehnsucht ist?« sagte der alte Jens mit Nachdruck.
Aber Einhart begriff trotzdem, was Sehnsucht ist. Johanna begriff es auch. So standen sie oft unter dem Holzbogen und den hängenden Rosen, die den ganzen Juli und August blühten.
Und wenn sie mit dem alten Kapitän im Segelboote gegen Abend auf die spiegelnde See hinausfuhren, fühlten es beide heimlich noch mehr. Es war ein wahres Entzücken für Johanna und Einhart, so hinzuschießen über das drängende Wogenspiel in die hereinsinkende Sternennacht. Man hatte die Augen weit in die Ferne und hoch in die Nacht gewandt. Man sah nach rückwärts die silbernen Flutgarben rieseln. Man lehnte sich im Teerkittel an die Bootsplanke zurück, weil das Fahrzeug jenseits fast ins Wasser strich. Man sprach kein Wort. Man hörte die Wellen rauschen und gluckern und zerbersten. Und manche Woge kam unschuldig drängend heran, ehe sie mit Gewalt an Einhart und Johanna heransprang. Daß man das kleine, schluchzende Lachen Johannas mitten in das Wasserschäumen hörte.
Einhart hatte dann wohl einen Schmerz heimlich[113] dabei, weil das Lachen noch immer klang wie früher. Nur daß es jäher abbrach, wie sich ebenfalls an etwas Vergangenes erinnernd. Es war eine Zeit, die halbgefühlt forteilte. Und die Sehnsucht ging und kam ungesehen.
Dann kam es auch, daß Johanna am Ende dieser Zeit zu kränkeln begann. Sie war ohnehin immer sehr zart. Und die allzu kräftige Luft am Nordmeere hatte ihr zuerst schon den Schlaf geraubt. Einhart war sehr böse immer, daß sie nicht gleich alles tat, um zu Schlaf zu kommen. Aber sie war darin unverständig wie alle Frauen. Und sie hatte also die kleinen Mittel, die er manchmal anwandte, um zu große Regsamkeit einzuschläfern, immer noch bittend ausgeschlagen. Bis auch große Appetitlosigkeit und eine nicht ganz natürliche Sanftheit kam.
Johanna war gegen das Augustende wirklich in einem Zustande von Schwäche. Auch ein leichter Husten plagte sie. Einhart versuchte jetzt alles mögliche. Er ließ Früchte und Leckeres kommen. Auch Frau Kapitän Jens, die an einige Heilmittel felsenfest glaubte, versuchte zu helfen. Sie hatte sogar einen alten Fischersmann mit einer mächtigen[114] Hakennase und Lederbacken voll harter Stoppeln und harten, langen, schwieligen Händen zum Besprechen der Krankheit einmal heimlich und sehr feierlich an Johannas Bett treten lassen. Nichts hatte geholfen. Der Sommeraufenthalt endete schlimm. Man konnte mit knapper Not in die Stadt zurückfahren.
Der Brief Einharts an Poncet, worin er ihr Kommen ankündigte, klang schon sehr sonderbar. Einhart schrieb, daß er nicht wüßte, was denken? Daß Johanna einfach nichts mehr wäre, ganz und gar nicht mehr Johanna, nur ein Schemen von Johanna, nur ein bleiches, liebliches Schemen.
Nun, wie sie dann ankamen, Johanna in viel Kissen gebettet, da sah auch Poncet, daß es die einstige Johanna nicht mehr war. Sie lächelte ihm sehr freundlich zu. Sie reichte ihm die kleine, welke Hand wie einem guten Freunde. Poncet war ganz nur Güte und Erschrockenheit, und seine Art jetzt hatte Wahrhaftigkeit genug. Das sah Einhart.
Und Einhart war kein Mensch, der sich dünkte, Sünden vorwerfen oder vergeben zu können.
»Wir alle begehen sie, ein jeder auf seine Weise.[115] Und vergeben tut sie der Tod und das dahinter,« sagte er.
»Eine Schuld gegen mich, lieber Poncet!« sagte Einhart, wie Poncet sich noch einmal wieder vor ihm allein seiner langen Heimlichkeit wegen anklagte. »Das Aufrichtigsein! – – ja, ja! – – wenn das immer so einfach wäre, und die Seelen nicht doch manchmal wie harte Mauern. Aufrichtigkeit! natürlich – sehr schön! es ist immer eine hohe Forderung. Eben weil sie oft gegen manche mächtigeren Umstände vergeblich streitet.«
So hatte Einhart tatsächlich alles Vergangene noch vollends gegen Poncet in Vergessenheit gebracht. Und Poncet und Einhart waren wieder Freunde, und wie Freunde um Johanna. Und Johanna saß bleich und abgemagert in ihren Betten, hatte ihre Eulenaugen jetzt wie eine kleine Hungrige aufgetan und konnte beide manchmal aus einem langen, lautlosen Insichsein plötzlich seltsam anlächeln.
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