Vierte Szene

[735] ERNST tritt ein. Ich ließ Euch warten, Preising! Aber ich mußte selbst warten!

PREISING. Gnädiger Herr!

ERNST. Laßt, laßt! Die Erde kann schon mit gebrochenen Augen gepflastert werden! Es kam ein Paar hinzu! Habt Ihr gelesen!

PREISING. Ich wollte just, da hört ich das Glöcklein!

ERNST. So lest jetzt! Er wendet sich. Es hat mich angegriffen! Wie schwer stirbt ein Kind! Zwölf Stunden Todeskampf für ein so kurzes Leben! Mein Gott! Nun, es ist vorbei! Er macht ein paar Schritte. Die große Glocke! Endlich! Mir fehlte noch was! Die verkündigts der Stadt! Nun gehts von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, von Mund zu Mund. Ja, betet, betet, betet! Wir könnens brauchen! Wendet sich wieder zu Preising. Nun?

PREISING legt das Dokument auf den Tisch. Was soll ich noch sagen!

ERNST. Was Ihr könnt! Prüft Punkt für Punkt, ich steh Euch Rede, diesmal, wie allemal! Habt Ihr etwas gegen die Männer einzuwenden, die das Gutachten abgaben und den Spruch fällten?

PREISING. Gegen die Männer! Wenn der Schwabenspiegel noch nicht zusammengestellt wäre, diesen dreien würde ich an Kaisers Statt den Auftrag geben, es zu tun!

ERNST. Sind sie bestechlich? Trifft einen unter ihnen der Verdacht der hohlen Hand?

PREISING. Gewiß nicht! Wenn aber auch: Herzog Ernst hat keinem etwas hinein gedrückt!

ERNST. Ihr erweist mir nur Gerechtigkeit! Nicht einmal den Schweißpfenning, der ihnen gebührt hätte, und das ist die einzige Schuld, die ich nie bezahlen will!

PREISING. Ich schwöre für Euch! Aber auch für sie!

ERNST. Nun, solche Männer, so beschaffen, legten vor dritthalb[735] Jahren nach gewissenhaftester Erwägung des Falls dies Blatt bei mir nieder, und erst jetzt zieh ichs hervor. Kann man mich der Übereilung zeihen?

PREISING. Nicht Euer Feind!

ERNST. Wenn ichs vollstrecken lasse: kann man behaupten, es sei nicht der Herzog, der seine Pflicht erfüllen, sondern der Ritter, der einen Flecken abwaschen, oder der Vater, der sich rächen will?

PREISING. Auch das nicht!

ERNST ergreift die Feder. Wohlan denn!

PREISING. Gnädiger Herr, haltet noch ein!

ERNST. Ja? Gut! Legt die Feder nieder. Ich bin kein Tyrann, und denke keiner zu werden. Aber man soll von mir auch nicht sagen: er trug das Schwert um sonst! Wers unnütz zieht, dem wirds aus der Hand genommen, aber wers nicht braucht, wenns Zeit ist, der ruft alle zehn Plagen Ägyptens aufsein Volk herab, und die treffen dann Gerechte und Ungerechte zugleich, denn unser Herrgott jätet nicht, wenn er selbst strafen muß, er mäht nur! Das erwägt und nun sprecht! Er setzt sich.

PREISING. Ich kann dies Blatt nicht widerlegen! Es ist wahr: wenn die Erbfolge gestört wird oder auch nur zweifelhaft bleibt, so bricht früher oder später der Bürgerkrieg mit allen seinen Schrecken herein; und niemand weiß, wann er endet!

ERNST. Er bricht herein, wenn sie Kinder bekommen, er bricht herein, wenn sie keine bekommen! In dem einen Fall wollen die sich behaupten, in dem andern können Ingolstadt und Landshut sich nicht vereinigen, weil jedes den Löwenteil verlangt! Ja, es ist die Frage, ob die auch nur bis zu seinem Tode ruhig bleiben! Denn, wenn sie jetzt mit ihm liebäugeln, so geschiehts, um mich zu ärgern!

PREISING. Aber es ist doch auch entsetzlich, daß sie sterben soll, bloß weil sie schön und sittsam war!

ERNST. Das ist es auch! Ja! Darum stellt ichs Gott anheim. Er hat gesprochen. Ich warf mein eignes Junges aus dem Nest und legte ein fremdes hinein. Es ist tot!

PREISING. Und gäbe es wirklich keinen anderen Ausweg? Gar keinen?

ERNST. Ihr greift mich hart an, Ihr meint, ich könnte noch mehr tun! Und wahr ists: in den Adern Ludwigs von Ingolstadt[736] und Heinrichs von Landshut fließt das Blut des Geschlechts ebenso rein, wie in meinen eignen!

PREISING. Daran hab ich noch nicht gedacht!

ERNST. Aber ich! Zwar wärs so arg, daß wohl auch ein Heiliger fragen würde: Herr, warum das mir? Doch, wenns nun wär? Der letzte Hohenstaufe starb durch Henkers Hand, mit Gottes dunklem Ratschluß kann viel bestehen, was der Mensch nicht faßt. Aber dies kann Gottes Ratschluß nicht sein, denn es hälfe nichts, und das ist mein Trost! Spräche ich zu Heinrich: Komm, Fuchs, du hast mir mein ganzes Leben lang Fallstricke gelegt und Gruben gegraben, nimm mein Herzogtum zum Lohn! so führe Ludwig dazwischen. Spräche ich zu Ludwig: Ich bin dir noch den Dank für so manchen Schlag schuldig, der von hinten kam, hier ist er! so griffe Heinrich mit zu, und einer könnts doch nur sein! Oder ists nicht so?

PREISING. Gewiß!

ERNST. Es bliebe also immer dasselbe, alles ginge drunter und drüber, und die Tausende, die im Vertrauen auf mich ins Land kamen und meine Märkte zu Städten erhoben, meine Städte so weit emporbrachten, daß selbst die stolze Hansa ihnen nicht mehr ungestraft den Rücken kehren darf, würden mich und mein Andenken verfluchen!

PREISING. Ich meinte nicht das! Laßt sie entführen und dann verschwinden! Das geht jetzt leichter, wie sonst, er läßt sie nicht mehr so ängstlich bewachen.

ERNST. Was wär damit gewonnen? Er würde sie suchen bis an seinen Tod! Ihr wart ein schlechter Prophet in Regensburg!

PREISING. Man breitet aus, daß sie gestorben ist. Er fand den Priester, der ihn mit ihr verband: kann Euch der Priester fehlen, der einen Totenschein ausstellt?

ERNST. Und ich sollte ihm das zweite Weib geben, solange das erste noch lebte? Nein, Preising, das Sakrament ist mir heilig, er soll nicht am Tage des Zorns wider mich zeugen und sagen: Herr, wenn ich mich mit Greueln befleckte, so wußte ich nichts davon. Hier hilft kein Kloster, nur der Tod!

PREISING. Doch auch wohl der Papst, und wenn der sich weigert, der Kaiser! Friedrich Barbarossa schied sich selbst, Ludwig der Baier schied seinen Sohn![737]

ERNST. Wie soll man scheiden, wenn keins von beiden will? Preising, ich hatte dritthalb Jahre zeit, und das Kind, für das jetzt die Glocken gehen, war oft genug krank! Er greift wieder zur Feder. Nein, Gott will es so und nicht anders! Und gerade jetzt geht es leicht. Er reitet heut oder morgen nach Ingolstadt zum Turnier hinab. Dort soll er, ich mögte sagen, wieder ehrlich gesprochen werden, und dies wird glücken, denn Ludwig hat alles zusammengerufen, was mir Feind ist, er denkt: je weiter der Riß zwischen uns beiden, je besser für ihn! Nun, während sie die Fahne über ihn schwenken, will ich dafür sorgen, daß sie sich hinterdrein nicht zu schämen brauchen. Nichts hat mich so verdrossen, als das Gepränge, mit dem er sie gleich nach dem Regensburger Tag, einer Herzogin gleich, von Vohburg nach Straubing führte. Jetzt ist das gut! Emeran Nusperger zu Kalmperg ist Richter in Straubing, und Pappenheim kann mit hundert Reitern in vierundzwanzig Stunden dort sein!

PREISING. Und nachher? Gnädiger Herr, Ihr habt recht, ich war in Regensburg ein schlechter Prophet! Wird ers tragen? Wird er nicht rasen und Hand an sich legen oder sich offen wider Euch empören?

ERNST. Das eine vielleicht, das andre gewiß, ich tu, was ich muß, der Ausgang ist Gottes. Ich setz ihn daran, wie Abraham den Isaak, geht er in der ersten Verzweiflung unter, und es ist sehr möglich, daß ers tut, so lasse ich ihn begraben, wie sie, tritt er mir im Felde entgegen, so werf ich ihn oder halte ihn auf, bis der Kaiser kommt. Dem meld ichs, noch eh es geschieht, und er wird nicht säumen, denn wie ich Ordnung im Hause will, so will er Ordnung im Reich. Es ist ein Unglück für sie und kein Glück für mich, aber im Namen der Witwen und Waisen, die der Krieg machen würde, im Namen der Städte, die er in Asche legte, der Dörfer, die er zerstörte: Agnes Bernauer, fahr hin! Er unterschreibt und geht, dann wendet er sich und winkt. Kanzler! Ab, Preising folgt mit dem Blatt.[738]


Straubing.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 735-739.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Agnes Bernauer
Agnes Bernauer (Dodo Press)
Agnes Bernauer: Ein deutsches Trauerspiel in fünf Aufzügen
Maria Magdalena / Agnes Bernauer: Dramen (Fischer Klassik)
Agnes Bernauer.
Agnes Bernauer - Die Nibelungen - Deutsche Klassiker Bibliothek der literarischen Meisterwerke

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon