[311] RÜDEGER.
Du siehst!
KRIEMHILD.
Das eben ists, was mich empört!
Heut sind sie untreu, morgen wieder treu:
Das Blut des Edelsten vergießen sie,
Wie schmutzges Wasser, und den Höllengischt,
Der in den Adern dieses Teufels kocht,
Bewachen sie bis auf den letzten Tropfen,[311]
Als wär er aus dem heilgen Gral geschöpft.
Das konnt ich auch nicht ahnen, als ich sie
So miteinander hadern sah. Mein Grab
Im Kloster war nicht still genug, daß ich
Den ewgen Zank nicht hörte: konnt ich denken,
Daß sie, die sich das Brot vergifteten,
Sich hier so dicht zusammenknäueln würden,
Als hingen sie an einer Nabelschnur?
Gleichviel! Der grimmge Mörder sprach am Sarg
In bittrem Hohn zu mir: Dein Siegfried war
Vom Drachen nicht zu trennen, und man schlägt
Die Drachen tot. Das wiederhol ich jetzt!
Ich schlag den Drachen tot und jeden mit,
Der sich zu ihm gesellt und ihn beschirmt.
ETZEL.
Ihr habt den Kampf verlangt, als ich gebot,
Sie mit den stillen Schrecken einzuschließen,
Die nach und nach aus allen Wänden kriechen
Und wachsen, wie der Tag – Ihr habt den Hunger
Beneidet um sein Totengräberamt,
Als ichs ihm übertrug, und statt zu lachen,
Wie die Verlornen Euch aus List verhöhnten,
Um Euch hinein zu locken, Eure Wappen
Empor gehalten, und durchs erste Murren
Ein Ja von mir ertrotzt. Nun fechtets aus!
Ich werds auch an mir selbst nicht fehlen lassen,
Wenn mich die Reihe trifft, denn Wort ist Wort.
RÜDEGER.
So schwer, wie ich, ward noch kein Mensch geprüft,
Denn was ich tun und was ich lassen mag,
So tu ich bös und werde drob gescholten,
Und laß ich alles, schilt mich jedermann.
Aus dem Saal heraus Becherklang.
KRIEMHILD.
Was ist denn das? Es tönt wie Becherklang!
KRIEMHILD steigt hinauf.
KRIEMHILD.
Mich dünkt, sie höhnen uns! Das ist die Art
Der Fröhlichen. Sie scheppern mit den Helmen
Und stoßen an.
HILDEBRANT.
Nur einen Blick hinein,
So bist du stumm! Sie sitzen auf den Toten[312]
Und trinken Blut.
KRIEMHILD.
Sie trinken aber doch!
HILDEBRANT.
Rührt dich denn nichts? Noch niemals standen Männer
Zusammen, wie die Nibelungen hier,
Und was sie auch verbrochen haben mögen,
Sie habens gut gemacht durch diesen Mut
Und diese Treue, die sie doppelt ehrt,
Wenns ist, wie du gesagt.
RÜDEGER.
Mein Herr und König,
Du hast mich so mit Gaben überschüttet
Und mir den Dank dafür so ganz erlassen,
Daß dir kein Knecht verpflichtet ist, wie ich.
Kriemhild, ich habe dir den Eid geschworen
Und muß ihn halten, das erklär ich laut
Für meine Pflicht und mäkle nicht daran.
Wenn ihr mich dennoch niederknieen seht,
So denkt des Hirsches, der in höchster Not
Sich auch noch gegen seinen Jäger wendet,
Und ihm die einzge blutge Träne zeigt,
Die er auf dieser Erde weinen darf,
Ob er vielleicht Erbarmen in ihm weckt.
Ich flehe nicht um Gold und Goldeswert,
Nicht um mein Leben oder meinen Leib,
Nicht einmal um mein Weib und um mein Kind.
Das alles fahre hin, ich fleh zu euch
Um meine Seele, die verloren ist,
Wenn ihr mich nicht von diesem Eide löst.
Zu Etzel.
Ich biete nicht, was dir von selbst verfällt,
Wenn des Vasallen Zunge auch nur stockt,
Und wenn sein Auge nicht vor Freuden funkelt,
Sobald du winkst: mein Land ist wieder dein!
Zu Kriemhild.
Ich sage nicht: wenn du mein Leben willst,
So nimm es hin, und wenn du meinen Leib
Verlangst, so spann mich morgen vor den Pflug!
Zu beiden.[313]
Ich biete mehr, obgleich dies alles scheint,
Was einer bieten kann: wenn ihr es mir
Erlaßt, den Arm in diesem Kampf zu brauchen,
Soll er mir sein, als hätt ich ihn nicht mehr.
Wenn man mich schlägt, so will ich mich nicht wehren,
Wenn man mein Weib beschimpft, sie nicht beschützen
Und, wie ein Greis, den die gewaltge Zeit
Von seinem Schwerte schied, in voller Kraft
An einem Bettelstab die Welt durchziehn.
KRIEMHILD.
Du tust mir leid, allein du mußt hinein!
Glaubst du, daß ich die Seele rettete,
Als ich nach einem Kampf, dem keiner gleicht,
Mit Etzel in das zweite Ehbett stieg?
O sei gewiß, der kurze Augenblick,
Wo ich den Frauengürtel lösen sollte
Und fest und immer fester um mich knüpfte,
Bis er ihn zornig mit dem Dolch zerschnitt,
Der Augenblick enthielt der Martern mehr,
Als dieser Saal mit allen seinen Schrecken,
Mit Glut und Brand, mit Hunger, Durst und Tod.
Und wenn ich endlich überwand im Kampf
Und, statt den Dolch zu rauben und zu töten,
Gleichviel, ob mich, ob ihn, sein Bett beschritt,
So wars dein Eid, der mir die Kraft verlieh,
So war es dieser Tag, auf den ich hoffte,
Und diese Stunde, die ihn krönen muß.
Nun sollt es enden, wie ein Possenspiel,
Ich hätt mich selbst als Opfer dargebracht
Und sollte doch verzichten auf den Preis?
Nein, nein, und müßte ich der ganzen Welt
Zur Ader lassen, bis zur jüngsten Taube
Herunter, die das Nest noch nicht verließ,
Ich schauderte auch davor nicht zurück.
Drum, Markgraf Rüdeger, besinnt Euch nicht,
Ihr müßt, wie ich, und wenn Ihr fluchen wollt,
So flucht auf die, sie zwingen Euch, wie mich.
RÜDEGER zu den Seinen.
So kommt![314]
KRIEMHILD.
Erst noch die Hand.
RÜDEGER.
Beim Wiedersehn.
HILDEBRANT.
Herr Dieterich von Bern, jetzt mahn ich Euch:
Werft Euren schnöden Wächterspieß beiseite
Und schreitet ein, wie's einem König ziemt.
Zurück noch, Rüdeger, er darfs und kanns,
Er trat auf sieben Jahr in Etzels Dienst,
Und die sind um, es galt nur ein Gelübde,
Und wers nicht glaubt, dem stell ich Zeugen auf.
ETZEL.
Dein Wort genügt.
DIETRICH der die Schwurfinger in die Höhe hob, während Hildebrant sprach.
So wars, mein Herr und König,
Doch weiß mein alter Waffenmeister nicht,
Daß ichs im stillen neu beschworen habe,
Indem er sprach, und dies Mal bis zum Tod.
HILDEBRANT tritt Rüdeger aus dem Weg.
So zieht! Doch reicht mir noch zum letzten Mal
Die Hand, denn niemals wird es mehr geschehn,
Ob Ihr nun siegen oder fallen mögt.
RÜDEGER.
Herr Etzel, Euch befehl ich Weib und Kind
Und auch die armen Landsvertriebenen,
Denn was Ihr selbst an mir getan im Großen,
Das hab ich Euch im Kleinen nachgemacht.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
|
Buchempfehlung
»Zwar der Weise wählt nicht sein Geschicke; Doch er wendet Elend selbst zum Glücke. Fällt der Himmel, er kann Weise decken, Aber nicht schrecken.« Aus »Die Tugend« von Albrecht von Haller
130 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro