Vierzehnte Szene

[318] DIETRICH bringt Hagen und Gunther gefesselt.

Da sind sie!

HAGEN deutet auf seine Wunden.

Alle Hähne stehn schon auf,

Man braucht nicht erst zu drehn.

GUNTHER.

Ich mögte mich

Ein wenig setzen. Gibts hier keinen Stuhl?

HAGEN wirft sich auf Hände und Füße nieder.

Hier, edler König, hier, und einer, der

Dir selbst sogar gehört.

DIETRICH.

Begnadigt sie

So weit, daß ihrs dem Tode überlaßt,

Ob er ein Wunder dulden will.

ETZEL.

Sie sollen

Bis morgen sicher sein! Dann stehts bei ihr!

Führt sie ins Haus.


Hagen und Gunther werden abgeführt.


KRIEMHILD.

Herr Hagen Tronje, hört!

HAGEN kehrt um.

Was wollt Ihr, Frau?

KRIEMHILD.

Sogleich! – Ist König Etzel

Der einzge Heunen-Recke, der noch lebt?


Deutet auf den Totenwinkel.


Mir deucht, dort rührt sich was!

ETZEL.

Ja wohl! Ein zweiter

Kriecht mühsam aus dem Totenberg hervor,

Er braucht sein Schwert als Krücke.

KRIEMHILD.

Tritt heran,

Verstümmelter, wenn die gebrochnen Glieder

Dich tragen wollen, daß ich dich bezahle,

Denn ich bin deine Schuldnerin!

EIN HEUNE tritt heran.

KRIEMHILD.

Herr Hagen,

Wo ist der Hort? Ich frag das nicht für mich,

Ich frags für diesen Mann, dem er gehört.

HAGEN.

Als ich den Hort versenkte, mußt ich schwören,[318]

Ihn keiner Menschenseele zu verraten,

Solange einer meiner Kön'ge lebt.

KRIEMHILD heimlich zu dem Heunen.

Kannst du das Schwert noch brauchen? Nun, so geh

Und haue den gefangnen König nieder

Und bringe mir sein Haupt.

HEUNE nickt und geht.

KRIEMHILD.

Der Schuldigste

Von Utes Söhnen soll nicht übrig bleiben,

Das wär ein Hohn auf dieses Weltgericht!

HEUNE kommt mit Gunthers Haupt zurück.

KRIEMHILD deutet darauf.

Kennst du dies Haupt? Nun sprich, wo ist der Hort?

HAGEN.

Da ist das Ende! Wie ichs mir gedacht!


Klatscht in die Hände.


Unhold, ich hab dich wieder überlistet,

Nun ist der Ort nur Gott und mir bekannt,

Und einer von uns beiden sagts dir nicht.

KRIEMHILD.

Dann, Balmung, leiste deinen letzten Dienst!


Reißt ihm den Balmung von der Seite und erschlägt ihn, ohne daß er sich wehrt.


HILDEBRANT.

Kommt hier der Teufel doch noch vor dem Tod?

Zurück zur Hölle!


Er erschlägt Kriemhild.


DIETRICH.

Hildebrant!

HILDEBRANT.

Ich bins.

ETZEL.

Nun sollt ich richten – rächen – neue Bäche

Ins Blutmeer leiten – Doch es widert mich,

Ich kanns nicht mehr – mir wird die Last zu schwer –

Herr Dietrich, nehmt mir meine Kronen ab

Und schleppt die Welt auf Eurem Rücken weiter –

DIETRICH.

Im Namen dessen, der am Kreuz erblich!

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 318-319.
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