Erste Szene

[139] Brunhild und Frigga kommen von entgegengesetzten Seiten.


BRUNHILD.

Woher so früh? Dir trieft das Haar von Tau,

Und dein Gewand ist blutbesprengt.

FRIGGA.

Ich habe

Den alten Göttern, eh der Mond zerbrach,

Ein Opfer dargebracht.

BRUNHILD.

Den alten Göttern!

Jetzt herrscht das Kreuz, und Thor und Odin sitzen

Als Teufel in der Hölle.

FRIGGA.

Fürchtest du

Sie darum weniger? Sie können uns

Noch immer fluchen, wenn auch nicht mehr segnen,

Und willig schlacht ich ihnen ihren Bock.

O, tätest du es auch! Du hättest Grund,

Wie keine zweite.

BRUNHILD.

Ich?

FRIGGA.

Ein ander Mal!

Längst sollt ich dir erzählen. Heute ist

Die Stunde endlich da.

BRUNHILD.

Ich glaubte schon,

Sie werde erst mit deinem Tode kommen,

Drum drängt ich dich nicht mehr.

FRIGGA.

So merke auf!

Urplötzlich trat aus unserm Feuerberg

Ein Greis hervor, und reichte mir ein Kind,

Samt einer Runentafel.

BRUNHILD.

In der Nacht?

FRIGGA.

Wie weißt dus?

BRUNHILD.

Manches hast du schon im Schlaf

Verraten, denn du sprichst, wenn dir der Mond

Ins Antlitz scheint.

FRIGGA.

Und du behorchst mich? – Wohl! –[139]

Um Mitternacht! Wir wachten bei der Leiche

Der Königin. Sein Haar war weiß, wie Schnee,

Und länger, als ichs je bei einem Weibe

Gesehen habe, wie ein weiter Mantel

Umwallt' es ihn, und hinten schleppt' es nach.

BRUNHILD.

Der Geist des Bergs!

FRIGGA.

Ich weiß es nicht. Er sprach

Kein einzges Wort. Das Mägdlein aber streckte

Die Händchen nach der goldnen Krone aus,

Die auf dem Haupt der Toten funkelte,

Und, wunderbar, sie paßte.

BRUNHILD.

Wie! Dem Kinde?

FRIGGA.

Dem Kinde! Ja! Sie war ihm nicht zu weit

Und ward ihm später nie zu eng!

BRUNHILD.

Wie meine!

FRIGGA.

Wie deine, ja! Und wunderbarer noch:

Das Mägdlein war dem Kinde, das der Toten

Im Arme lag, und das sogleich verschwand,

Als wär es nie gewesen, an Gestalt

So ähnlich, ja so gleich, daß es sich nur

Durchs Atmen unterschied von ihm, es schien,

Als hätte die Natur denselben Leib

Für einen Zweck zwei Mal geschaffen und

Das Blut bloß umgegossen.

BRUNHILD.

Hatte denn

Die Königin ein Kind im Arm?

FRIGGA.

Sie war

An der Geburt gestorben und mit ihr

Zugleich die Frucht.

BRUNHILD.

Das sagtest du noch nicht.

FRIGGA.

So hab ichs nur vergessen. Sicher brach

Ihr Herz aus Gram, daß sie es dem Gemahl

Nicht zeigen konnte. Viele Jahre hatte

Er sich umsonst dies holde Glück gewünscht,

Und einen Monat früher, als es kam,

Ereilte ihn ein jäher Tod.

BRUNHILD.

Nur weiter!

FRIGGA.

Wir sahn uns nach dem Greise um. Er war[140]

Verschwunden, und der Berg, der, mitten durch

Gespalten, wie ein Apfel, durch das Fenster

Uns angegähnt, ging langsam wieder zu.

BRUNHILD.

Und kam der Greis nicht wieder?

FRIGGA.

Höre nur!

Wir ließen unsre Frau am nächsten Morgen

Zur Gruft bestatten, und der Priester wollte

Zugleich das Mägdlein taufen. Doch sein Arm

Ward lahm, bevor er mit dem heilgen Naß

Die Stirn ihr netzen konnte, und er hat

Ihn niemals mehr gehoben.

BRUNHILD.

Niemals mehr!

FRIGGA.

Nun, er war alt, und wir erschraken nicht,

Wir riefen einen andern. Dem gelangs,

Sie zu besprengen, doch er wurde stumm,

Als er sie segnen wollte, und ihm kehrte

Die Sprache niemals mehr zurück.

BRUNHILD.

Der dritte?

FRIGGA.

Der fand sich lange nicht! Wir mußten einen

Aus weiter Ferne rufen, der von allem

Nichts wußte. Der vollbrachte dann das Werk,

Doch als er kaum zu Ende war, so fiel

Er um, und niemals stand er wieder auf!

BRUNHILD.

Das Mägdlein aber?

FRIGGA.

Wuchs und wurde stark,

Und seine kindschen Spiele dienten uns

Als Zeichen unsres Lassens oder Tuns

Und trogen nie, wie's uns die Runentafel

Voraus verkündigt hatte.

BRUNHILD.

Frigga! Frigga!

FRIGGA.

Ja! Ja! Du bist es selbst! Erkennst dus endlich?

Nicht in der Kammer, wo die Toten stäuben,

Im Hekla, wo die alten Götter hausen,

Und unter Nornen und Valkyrien

Such dir die Mutter, wenn du eine hast! –

O, hätte nie ein Tropfen heilgen Wassers

Die Stirne dir benetzt! Dann wüßten wir

Wohl mehr![141]

BRUNHILD.

Was murmelst du?

FRIGGA.

Wie ging es zu,

Daß wir uns diesen Morgen, statt im Bett,

Unausgekleidet auf den Stühlen fanden,

Die Zähne klappernd und die Lippen blau,

BRUNHILD.

Wir müssen plötzlich eingeschlafen sein.

FRIGGA.

Ist das uns schon begegnet?

BRUNHILD.

Nie zuvor.

FRIGGA.

Nun denn! Der Greis war hier und wollte reden!

Mir ist sogar, als hätt ich ihn gesehn,

Wie er dich rüttelte und mich bedrohte,

Dir aber ward durch einen dicken Schlaf

Das Ohr verstopft, weil du nicht hören solltest,

Was dir beschieden ist, wenn du beharrst,

Drum bring ein Opfer dar und mach dich frei.

O, hätte ich dem Priester nicht gehorcht,

Als er mich drängte! Doch ich hatte noch

Die Tafel nicht entziffert. Tu es, Kind,

Denn die Gefahr ist nah.

BRUNHILD.

Gefahr?

FRIGGA.

Gefahr!

Du weißt, der Flammensee ist längst erloschen,

Der deine Burg umgab.

BRUNHILD.

Und dennoch blieb

Der Recke mit der Balmungklinge aus,

Der hoch zu Rosse ihn durchreiten sollte,

Nachdem er Fafners blutgen Hort erstritt.

FRIGGA.

Ich las wohl falsch. Doch dieses zweite Zeichen

Kann mich nicht täuschen, denn ich weiß es lange,

Daß deiner in der Stunde der Entscheidung

Die Offenbarung harrt. So opfre, Kind!

Vielleicht stehn alle Götter unsichtbar

Um dich herum und werden dir erscheinen,

Sobald der erste Tropfen Blutes rinnt.

BRUNHILD.

Ich fürchte nichts.


Man hört Trompeten.


FRIGGA.

Trompeten!

BRUNHILD.

Hörst du sie[142]

Zum ersten Mal?

FRIGGA.

Zum ersten Mal mit Angst.

Die Zeit des Distelköpfens ist vorüber,

Und eh'rne Häupter steigen vor dir auf.

BRUNHILD.

Heran! Heran! Damit ich dieser zeige,

Daß ich noch immer siegen kann! Als hier

Der See noch flammte, eilt ich euch entgegen,

Und freundlich, wie ein Hund vor seinem Herrn

Bei Seite springt, entwich das treue Feuer

Vor mir und teilte sich nach links und rechts:

Jetzt ist die Straße frei, doch nicht der Gruß.


Sie besteigt währenddem ihren Thron.


Nun stoßt die Pforten auf und laßt sie ein!

Wer auch erscheinen mag: sein Kopf ist mein!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 139-143.
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