Zweite Szene

[180] SIEGFRIED tritt auf.

Ihr Recken, hört ihr nicht

Die Bracken heulen und den jüngsten Jäger

Sein Hifthorn prüfen? Auf! Zu Pferd! Hinaus!

HAGEN.

Der Tag wird schön!

SIEGFRIED.

Und wards euch nicht gesagt,

Daß sich die Bären in die Ställe wagen,

Und daß die Adler vor den Türen stehn,

Wenn man sie morgens öffnet, ob vielleicht

Ein Kind heraus hüpft?

VOLKER.

Ja, das kam schon vor.

SIEGFRIED.

Indes wir freiten, ward hier schlecht gejagt!

Kommt, werft den übermütgen Feind mit mir

Zurück und zehntet ihn.

HAGEN.

Mein Freund, wir müssen

Die Klingen schärfen und die Speere nageln.

SIEGFRIED.

Warum?

HAGEN.

Du hast in diesen letzten Tagen

Zu viel gekost, sonst wüßtest du es längst.

SIEGFRIED.

Ich rüste mich zum Abschied, wie ihr wißt!

Doch sprecht, was gibts?

HAGEN.

Die Dänen und die Sachsen

Sind wieder unterwegs.

SIEGFRIED.

Sind denn die Fürsten

Gestorben, die uns schwuren?

HAGEN.

O, nicht doch,

Sie stehen an der Spitze.

SIEGFRIED.

Lüdegast

Und Lüdeger, die ich gefangen nahm,

Und ohne Lösegeld entließ?

GUNTHER.

Sie sagten

Uns gestern wieder ab.

SIEGFRIED.

Und ihren Boten,

In wie viel Stücke habt ihr ihn zerhauen?

Hat jeder Geier seinen Teil gehabt?

HAGEN.

So redest du?

SIEGFRIED.

Wer solchen Schlangen dient,[180]

Der wird, wie sie, zertreten. Höll und Teufel,

Ich fühle meinen ersten Zorn! Ich glaubte

Schon oft zu hassen, doch ich irrte mich,

Ich liebte dann nur weniger. Ich kann

Nichts hassen, als den Treubruch, den Verrat,

Die Gleisnerei und all die feigen Laster,

Auf denen er herankriecht, wie die Spinne

Auf ihren hohlen Beinen. Ist es möglich,

Daß tapfre Männer, denn das waren sie,

Sich so beflecken konnten? Liebe Vettern,

Steht nicht so kalt herum und schaut auf mich,

Als ob ich raste oder klein und groß

Verwechselte! Uns allen ist bis jetzt

Kein Unglimpf widerfahren. Streicht die Rechnung

Gelassen durch bis auf den letzten Posten,

Nur diese zwei sind schuldig.

GISELHER.

Schändlich ists,

Mir klingt es noch im Ohr, wie sie dich lobten,

Wann war denn dieser Bote da?

HAGEN.

Du hast

Ihn gleichfalls nicht gesehn? Ei nun, er trollte

Sich rasch von dannen, als er fertig war,

Und sah sich nach dem Botenbrot nicht um.

SIEGFRIED.

O, pfui, daß ihr ihn für seine Frechheit

Nicht züchtigtet! Ein Rabe hätt ihm dann

Die Augen ausgehackt und sie verächtlich

Vor seinen Herren wieder ausgespien;

Das war die einzge Antwort, die uns ziemte.

Hier gilts ja keine Fehde, keinen Kampf

Nach Recht und Brauch, hier gilt es eine Jagd

Auf böse Tiere! Hagen, lächle nicht!

Mit Henkerbeilen sollten wir uns waffnen,

Anstatt mit unsren adeligen Klingen,

Und die sogar erst brauchen, da sie doch

Von Eisen sind und so dem Schwert verwandt,

Wenn zu dem Hundefang kein Strick genügt.

HAGEN.

Wohl wahr!

SIEGFRIED.

Du spottest meiner, wie es scheint.[181]

Das faß ich nicht, Du brennst doch sonst so leicht!

Wohl weiß ichs, daß du älter bist, als ich,

Jetzt aber spricht die Jugend nicht aus mir

Und auch nicht der Verdruß, daß ich es war,

Der euch zur Milde riet. Mir deucht, ich stehe

Hier für die ganze Welt, und meine Zunge

Ruft, wie die Glocke zum Gebet, zur Rache

Und zum Gericht, was Mensch mit Menschen ist.

GUNTHER.

So ists.

SIEGFRIED zu Hagen.

Kennst du den Treubruch? Den Verrat?

Schau ihm ins Angesicht und lächle noch.

Du stellst dich ihm in ehrlich-offnem Streit

Und wirfst ihn nieder. Aber viel zu stolz,

Wenn nicht zu edel, um ihn zu vernichten,

Gibst du ihn wieder frei und reichst ihm selbst

Die Waffen dar, die er an dich verlor.

Er stößt sie nicht zurück und knirscht dich an,

Er dankt es dir, er rühmt und preist dich gar

Und schwört sich dir zum Mann mit tausend Eiden:

Doch wenn du, all den Honig noch im Ohr,

Dich nun aufs Lager müde niederstreckst

Und nackt und wehrlos daliegst, wie ein Kind,

So schleicht er sich heran und mordet dich,

Und spuckt vielleicht auf dich, indem du stirbst.

GUNTHER zu Hagen.

Was sagst du dazu?

HAGEN zu Gunther.

Dieser edle Zorn

Macht mich so mutig, unsern Freund zu fragen,

Ob er uns abermals begleiten will.

SIEGFRIED.

Ich zieh allein mit meinen Nibelungen,

Denn ich bin schuld daran, daß diese Arbeit

Doch einmal kommt! So gern ich meiner Mutter

Mein Weib auch zeigte, um zum ersten Mal

Ein volles Lob von ihr davon zu tragen:

Es darf nicht sein, solange diese Heuchler

Noch Öfen haben, um sich Brot zu backen,[182]

Und Brunnen, um zu trinken! Gleich bestell ich

Die Reise ab, und dies gelob ich euch:

Ich bringe sie lebendig, und sie sollen

Fortan vor meiner Burg in Ketten liegen

Und bellen, wenn ich komme oder geh,

Da sie nun einmal Hundeseelen sind!


Eilt ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 180-183.
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