[111] Schloßraum. Links ein Garten. Rechts ein gewölbter Gang mit Aussicht auf das Tor.
Margaretha und Katharina begegnen einander, jene aus dem Gang, diese aus dem Schlosse kommend.
MARGARETHA.
Frau Katharina? Guten Tag!
KATHARINA.
Weg! Weg!
Wer bist du?
Beiseite.
Scheusal!
MARGARETHA.
Keine Elster, die
Den eignen Namen nennt. Besinne dich!
KATHARINA.
Ich kenn dich nicht, und hab dich nie gekannt!
MARGARETHA.
Auch diese Narbe nicht auf meiner Stirn?
KATHARINA.
Margretha! Schwester!
MARGARETHA.
Hi! Es ist doch gut,
Daß du als Kind mich schon gezeichnet hast!
Du weißt doch noch? Du warfst mir einen Stein
Ins Angesicht, weil ich den Apfel aß,
Der dir gehörte. Strömend floß mein Blut.
Ich weinte sehr, du weintest auch, weil du
Die Schläge fürchtetest von Vaters Hand,[111]
Der, weil ich ihm so glich, mein Antlitz nicht
Entstellt sehn wollte. Damals war ich schön.
KATHARINA.
Wie oft hab ich gewünscht, noch einmal dich
Zu sehn, und nun –
MARGARETHA.
Nun freut dichs nicht, nicht wahr?
O, sprichs nur aus! Es kann nicht anders sein!
Ich nehms nicht krumm!
KATHARINA.
Nun kommts so unverhofft.
MARGARETHA.
Ja, etwas früher, als im Beinhaus, wo
Geripp sich findet zum Geripp, wenns glückt,
Das heißt, wenn nicht der Teufel mit der Seel
Zugleich den Leib entführt.
KATHARINA.
Mir graust vor dir!
MARGARETHA.
Ich habe mich verändert, das ist wahr.
Wir sahn uns, glaub ich fast, zum letzten Mal,
Als ich dir deinen roten Müllerknecht
An deinem eigenen Geburtstag still
Abspenstig machte und mit ihm entfloh.
Wie lang ist das! Man wird doch wirklich alt!
Willst du den Galgen wissen, wo er hängt?
KATHARINA.
Pfui! Pfui!
MARGARETHA.
Du mußt doch hören, wie er starb,
Damit du weißt, was du an ihm verlorst.
Tot schlug er einen, für des Toten Geld
Betrank er sich, und in der Trunkenheit,
Besinnungslos, erzählt er selbst den Mord,
Wie wohl ein Held von seinen Taten spricht,
Jedweden Schlag, den er mit seiner Faust,
Geführt, beschreibend und mit manchem Fluch
Beteuernd, daß dies alles Wahrheit sei.
Ist das nicht lustig?
KATHARINA.
Still! Ich bitte dich!
MARGARETHA.
Nicht wahr, ich bin ein greulich Weib?
Beiseite.
Man wirds,
Wenn man sein Kind erst umgebracht, wie ich![112]
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
|
Buchempfehlung
Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.
554 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro