Sechste Szene


[190] Dicker Wald. Hans, Balthasar, Genoveva mit dem Kinde. Hinter ihnen drein schleicht der tolle Klaus.


HANS.

Hier schoß ich, däucht mir, eine Bache einst!

BALTHASAR.

Ein grausam-wilder Platz!

HANS.

Nun, überall

Ists wild in diesem Walde. Endlos zieht

Er sich hinunter; wer kein Jäger ist

Und sich hinein wagt, der verhungert leicht,

Eh er den Pfad trifft, der heraus ihn führt.

Ich fand einmal ein halbverfault Geripp

In einem Busch, das war das Scheußlichste,

Das ich noch jemals sah, der Kopf von Fleisch

Entblößt und doch an Stellen noch behaart,

Der Bauch von Schlangen wimmelnd, groß und klein

Zu einem Klump verflochten –

BALTHASAR.

Schauderhaft!

Besonders, wenn man denkt, daß diese hier

Bald einen gleichen Anblick bieten wird.

Erlaube mir – –

HANS.

Was willst du?

BALTHASAR.

Nicht umsonst

Hab ich den Umweg bis hierher gemacht.

Ich wollte, da wir ihr so nahe sind,

Zugleich doch nach der Bärengrube sehn!

HANS.

Halbpart!

BALTHASAR abgehend.

Für heute gelt es!

HANS zu Genoveva.

Ruht Euch aus!

GENOVEVA setzt sich auf einen Baumstumpf.

HANS.

Sie ist so still, als wäre sie schon tot.

Das dauert mich.

KLAUS bringt dem Kinde eine Blume.

Da! Da!

BALTHASAR kehrt zurück.

Nur weiter, Hans!

Nichts sitzt im Loche, als ein Fuchs!

HANS.

Da hat[190]

Der Bär ein Frühstück, welcher nach ihm kommt.

BALTHASAR zu Genoveva.

Steht auf!

GENOVEVA versucht es.

Ich kann nicht mehr!

HANS.

Hier, oder dort,

Ich denke, es ist eins. Was quält man sie!

KLAUS deutet mit angstvollen Gebärden gen Himmel.

Au weh! au weh!

BALTHASAR.

Was hast du wieder, Narr?


Er schaut in die Höhe.


Nun, das ist grauserlich genug!

HANS schaut gleichfalls auf.

Was ists?

Ich sehe nichts!

BALTHASAR.

Tritt hieher. Nun?

HANS.

Daß Gott

Uns gnädig sei!

BALTHASAR.

Ich schau nicht mehr hinauf.

Mir wird dabei ganz ängstiglich zumut!

HANS.

Die Sonne blickt die Erde zornig an,

Als sähe sie, was sie nicht sehen mag.

BALTHASAR.

Schwarzrot! Solang ich das seh, mord ich nicht!

HANS bekreuzt sich.

Ave Maria!

BALTHASAR.

Welch ein Greuel sich

Denn wohl begibt?

HANS.

Vielleicht vergeht die Welt.

BALTHASAR ergreift Hans beim Arm und führt ihn nach der andern Seite.

Was siehst du nun?

HANS.

Nichts!

BALTHASAR.

Nun, so gehts mir auch,

Drum denke ich, wir machens ab!

HANS.

Es muß

Ja doch geschehn, und was es immer sei,

Worauf dies Zeichen deutet, niemals wirds

Verkünden sollen, daß der heilge Gott

Eins der Gebote von der Tafel strich.

Drum, ehebrecherisches Weib, fahr wohl![191]

BALTHASAR.

Fahr wohl!

KLAUS spricht nach.

Fahr wohl!

HANS.

Ein Sturm erhebt sich auch,

Die Eichen werfen Zweig auf uns herab!

BALTHASAR.

Mir fällt was ein. Ein jeder hält die Hand,

Soweit er kann, von Blut sich rein. Der Graf

Schobs auf den Golo, der auf dich und mich,

Und wir – was meinst du? schiebens auf den Klaus.

Der tuts und weiß doch selbst nicht, was er tut,

Schläft ein, und weiß von nichts, wenn er erwacht.

HANS.

Ein trefflicher Gedanke, wärs auch nur

Des Kindes wegen, denn das sag ich dir:

Vor einem Mord der Unschuld schauderts mich.

BALTHASAR.

Man zeigt dem Klaus den Fleck, wohin der Stoß

Zu richten ist, an Kraft gebrichts ihm nicht,

Du weißt, er würgte neulich einen Wolf.


Zu Genoveva.


Erhebt Euch jetzt! Wir sind noch nicht am Ort.

GENOVEVA steht schweigend auf, sie taumelt.

HANS unterstützt sie.

Du siehst, sie kann nicht weiter.

BALTHASAR.

Wird uns das

Entschuldigen?

HANS.

Wir gehn von hier zum Quell

Und bringen ihm die Augen und das Haar.

Unmöglichkeit ist stets Entschuldigung.


Zu Genoveva.


Habt Ihr noch einen Wunsch auf dieser Welt,

So nennt ihn, wenn ich ihn erfüllen kann,

Soll es geschehen. Darauf nehmt mein Wort.

GENOVEVA.

Verschont dies arme Kind.

HANS.

Das geht nicht an.

GENOVEVA.

Wollt ihr es schlachten, und mit Händen, rot

Von seinem Blut, das Weltgericht bestehn?

Wenn Gott euch fragt, was es gesündigt hat,

Was sagt ihr dann?[192]

BALTHASAR.

Wir sagen: frag nicht uns,

Frag unsern Herrn!

HANS.

Von solchen Dingen schweigt.

BALTHASAR.

Ich zähle jetzt bis hundert, dann ists aus.


Er fängt an, ein Grab aufzuwerfen, und zählt leise. Eins, zwei, drei usw. Zuweilen hört man eine Zahl.


HANS.

Habt Ihr nichts andres auf dem Herzen noch?

GENOVEVA.

Wenn mein Gemahl zurückkehrt, sagt ihm dies,

Daß ich, wie hart er auch mit mir verfuhr,

Ihm alles doch, bevor ich starb, vergab.

HANS.

Weib, heuchelt nicht im letzten Augenblick,

Denn mich empörts. Ich sah den Drago selbst

In Eurem Schlafgemach. Was sollt er da?

Wollt Ihr dem Mann, an dem Ihr freveltet,

Vergebung bieten? Wahrlich, das ist keck!

Kniet lieber hin, schlagt reuig Eure Brust

Und beichtet Euer schmähliches Vergehn,

Damit dies, wenn ers hört aus meinem Mund,

Ihn rührt und ihn bewegt, Euch zu verzeihn.

GENOVEVA.

Ich sah den Drago erst, als ihr ihn saht!

HANS.

So!

GENOVEVA.

Golo, frevelhaft in mich entbrannt,

Und abgewiesen, wie es sich geziemt,

Spann Ränke.

HANS.

Ei!

GENOVEVA.

Den alten frommen Knecht

Betört er, daß er in mein Schlafgemach

Sich schlich –

HANS barsch.

Wie konnt er das?

GENOVEVA.

Das weiß ich nicht.

HANS.

Hm! Hm! Er hats vorausgesagt.


Zu Genoveva.


Ihr wollt

Das Blutwerk uns erleichtern.

GENOVEVA.

Wie?

HANS.

Ihr macht

Es, wie die Schlange. Wenn man sie zertritt,

So sticht sie noch. Habt Dank! Ich bitt Euch sehr,

Errötet, wenn Ihr könnt, und hört mich an.[193]

Wenn Ihr den Drago gar nicht saht und spracht,

Wie könnt Ihr wissen, daß Herr Golo ihn

In Eur Gemach geschickt, und wenn Ihr ihn

Gesprochen: warum fand man ihn versteckt?

GENOVEVA.

Mir sagt' es Golo selbst.

HANS.

Sehr glaubhaft. Schweigt!

BALTHASAR zählend.

Hundert!

HANS tastet nach dem Kinde.

Gebt her!

GENOVEVA hält es fest.

Erst mich!

HANS.

Versteht sich. Gebt!

GENOVEVA drückt es an sich.

Stoßt zu! Und wenn ich falle, nehmt mirs ab!

HANS.

Klaus!

KLAUS.

Ja!

HANS reicht ihm das Schwert.

Nimm!

KLAUS.

Ja!

HANS.

Zieh!

KLAUS tut es.

Ja!

HANS deutet auf Genovevas Brust.

Ziel!

KLAUS.

Ja!

HANS mit einer Bewegung.

Stoß zu!

KLAUS stiert ihn an.

HANS heftig.

Stoß zu! Stoß zu! Wie ich aufs Wildschwein!

KLAUS.

Nein!

HANS greift nach dem Schwert.

KLAUS hält es fest und erhebt sich in drohender Stellung.

Du sollst nicht töten!

HANS.

Und was folgt darauf?

KLAUS.

Du – sollst – –


Er stockt.


HANS.

Nicht ehebrechen!


Zu Genoveva.


Merkt Euch das!

Gib.


Er will Klaus das Schwert entreißen.


KLAUS durchstößt ihn.

HANS fallend.

Höll und Teufel!


Er stirbt.


GENOVEVA.

Ewger Gott, bist Dus?[194]

KLAUS schwingt das Schwert über den Kopf und kehrt sich gegen Balthasar.

BALTHASAR.

Du sollst nicht töten, und du tötest selbst?

KLAUS dringt wütend auf Balthasar ein.

GENOVEVA tritt zwischen beide.

Halt ein!


Zu Balthasar.


Ich rette das Leben Euch –

Bringt Ihr mich um?

BALTHASAR.

Hab ich das Schwert? Ihr seht,

Ich kann des Grafen Auftrag nicht vollziehn.

Allein, was soll nun werden? Nimmermehr

Dürft Ihr ins Schloß zurück!

GENOVEVA.

O nimmermehr!

Dort harret mein, was schlimmer ist, als Tod.

Den Himmel rufe ich zum Zeugen auf:

Nicht, weil ich sündigte, erleid ich dies,

Ich leide es, weil ich der Sünde mich

Geweigert habe. Schaut auf dieses Kind,

Und sagt mir, wem es ähnlich ist.

BALTHASAR.

Dem Herrn!

Das hab ich längst bemerkt. Jedoch, was hilfts?

Unschuldig oder nicht – mir gilt es gleich.

Erfährt der Golo, oder auch der Graf,

Daß ich Euch leben ließ, so kostets mir

Den Kopf!

GENOVEVA.

Ich schwör Euch, daß ich niemals mich

Hier wieder blicken lassen, ja mich selbst

Des Namens abtun will, den ich geführt.

In dieser öden Wildnis such ich mir

Die ödeste der Höhlen auf, wohin

Sich selbst des Jägers Dogge nie verirrt!

Um Wurzeln spreche ich die Erde an,

Den Trunk beut gütig mir ein frommer Quell,

Das Lager mach ich mir aus Laub und Moos.

BALTHASAR.

Ihr irrt Euch, Gräfin, das ertragt Ihr nicht!

GENOVEVA.

So hat der erste Mensch gelebt, so wird

Der letzte nicht verderben.

BALTHASAR.

Wenn Euch nun

Ein Wild zerreißt?[195]

GENOVEVA.

Ich zittre nicht davor.

Gott lenkt den Trieb des Tieres, wie er will,

Doch nicht des Menschen widerspenstig Herz.

BALTHASAR.

Ihr konntet nicht mehr fort.

GENOVEVA.

Als ich mein Kind

Dem Tod entgegentrug. Jetzt hab ich Kraft,

Zu fliehn, denn jetzt entführe ichs dem Tod.

BALTHASAR.

So geht. Doch laßt mir Euer Haar!


Er schneidet es ihr ab.


Nun eilt!

GENOVEVA.

Nimm du mich auf, für ewig auf, o Wald!

Wenn Gott dies Kind dem Mörderschwert entzieht,

So tut ers nicht, weil es verschmachten soll.


Sie verschwindet im Gebüsch.


BALTHASAR sieht ihr nach.

Ich nahm dem Wurm das Fleisch und gabs dem Wolf!

Beschwöre ichs heut abend, daß sie tot

Und kalt ist, werd ich keinen Meineid tun.

Dort liegt der Hans im Blut. Hier ist das Grab.

Ich machte es für sie, nun ists für ihn.

Erst geh ich jetzt zum Quell, dann kehr ich um

Und leg den Freund hinein.


Zu Klaus, freundlich.


Mein Klaus! Das Schwert!

KLAUS reicht Balthasar das Schwert.

BALTHASAR dringt auf Klaus ein.

Du sollst mich nicht verraten, Schuft!

KLAUS entspringend.

Au weh!

BALTHASAR eilt ihm mit gezücktem Schwert nach.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 190-196.
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