Neunte Szene

[200] CASPAR stürzt atemlos herbei.

Da ist er! Gott sei Dank!

SIEGFRIED.


Caspar folgend; tonlos, aber ruhig.


Ist es geschehn?

GOLO.

Es ist!

CASPAR für sich.

Zu spät! zu spät!

Nun schweig auf ewig, mein Verdacht! Ich kann

Jetzt nichts mehr retten, auf die Folter nur

Den Herrn noch spannen. Die erspar ich ihm.


Zu Golo, heimlich.[200]


Was sagt Ihr dazu? Als der Graf ins Tor

Geritten kam, warf Eure Mutter sich,

Vom Brunnen, wo sie, wie im Wahnsinn, stand,

Hereilend, seinem Rappen in den Weg.

Das Tier zerspaltete mit ehrnem Huf

Den Schädel ihr, Gehirn und Blut flog auf,

Und in die Halle trug man sie für tot.

GOLO kalt.

So?

CASPAR.

Warum tat sie das?

GOLO auf Siegfried deutend.

Ich sag es ihm.

CASPAR.

Was du auch immer zu gestehen hast,

Behalts bei dir! Die Tote kannst du nicht

Erwecken, schone drum den Lebenden.

GOLO.

Ich will es tun, wenn du mir eins beschwörst.

CASPAR.

Was?

GOLO.

Daß du so sie an mir rächen willst,

Wie er sie rächen würde, wenn ich ihm

Die Untat beichtete.

CASPAR.

Das schwör ich dir!

SIEGFRIED.

Golo!

GOLO.

Herr Graf!

SIEGFRIED.

Mir trat in meiner Burg

Ein Maler in den Weg. Er reichte mir

Ein Bild. Sie hatte es bei ihm bestellt,

Als er ihr Conterfei, für mich gemalt,

Ihr überbracht.

GOLO.

Ich weiß.

SIEGFRIED.

Der Buhle nicht,

Ich selbst bin abgemalt auf diesem Bild.

GOLO.

Noch klingts mir in der Seele, wie Musik,

Was sie an jenem Tag zum Maler sprach.

Sie war –

CASPAR unterbricht ihn mit Angst, zu Siegfried.

Denkt nicht an das noch, was sie war,

An das nur, was sie ist!


Er bemerkt den toten Balthasar.


Wer liegt denn dort?

GOLO.

Ich warf Euch diesen Knecht zu Boden, Herr,

Ich bin ein freier Mann! Macht Euch bezahlt![201]

CASPAR.

Das tut! Hier ist ein Schwert!


Er nimmt das Schwert auf.


Das Eurige!

SIEGFRIED ruhig.

Ich strafe niemals einen Menschen mehr,

Seit ich ins Innre der Natur geschaut.

Auch sie, wenn sie noch lebte, stürbe nicht.

Was ist ein Wort! Der Hauch von einem Hauch!

Sie war das schöne Zifferblatt der Welt,

Und ihre Schuld der schwarze Weiser, still

Durch das verborgne Triebrad fort gerückt,

Und rasch vom Mittag auf die Mitternacht

Zusteuernd, die den Kreislauf schließen soll.

Weh mir, daß ich den schimmernden Kristall

Zerschlug, weil gar zu schnell der Weiser doch

Die Reise mir zurückzulegen schien.

Wer sagt mir nun, wieviel es an der Zeit!


Er faßt Golo bei der Hand.


So ists, mein Freund! Verdamm auch du sie nicht!

Was hat


Er zeigt auf Balthasar.


Der arme Narr getan, daß du

Ihn um das heutge Mittagsmahl gebracht?

GOLO.

Er war es, der die Gräfin tötete.

SIEGFRIED.

Konnt er so viele Schönheit, die ihn nie

Beleidigt hatte, würgen? Grause Tat!

Sie starb mit Recht, doch der mit größerm noch,

Der solch ein Weib kaltblütig schlachtete.

Ich lobe dich, daß du ihn niederstachst.


Er stellt sich vor Golo und schaut ihm ins Gesicht.


Du Armer dauerst mich! Du warst ein Kind,

Als ich von hinnen zog. Was bist du jetzt?

Du bist, wie jener, der zum Festmahl ging,

Und den man unterwegs ergriff und zwang,

Scharfrichter-Dienst zu tun. Nun war sein Kleid

Mit Blut besprengt, als bleiche Schreckgestalt

Trat er ins Haus der Freude ein, und sah,

Selbst ein Gespenst, ringsum Gespenster nur.


Nach einer Pause.


Ich tadle mich. Wer eine solche Tat

Befiehlt, der muß sie auch mit eigner Hand

Vollziehn. Wem Gott die Kraft dazu versagt,[202]

Dem zeigt er an, daß er den Spruch verwirft!

GOLO für sich.

Ich trag es nicht!

SIEGFRIED.

Zieh in die Welt hinaus!

Die Welt ist groß und bunt. Vielleicht, daß du

Vergessen kannst!

GOLO.

Gebt Ihr mir Urlaub?

SIEGFRIED.

Ja!

GOLO.

Ich zieh noch heute!

SIEGFRIED.

Wenn du wiederkehrst,

So wirst du Pfalzgraf. Dir vererbe ich,

Wofür der Sohn mir fehlt, mein Hab und Gut,

Und durch des Kaisers Gnade auch den Stand!


Er geht langsam ab.


GOLO sieht ihm nach.

Kein Lebewohl! Daß ich aus seinem Mund

Nicht eins zurück erhalte!


Als Siegfried nicht mehr gesehen wird.


Caspar!

CASPAR der Siegfrieds Schwert noch immer in der Hand hielt, dringt mit demselben auf Golo ein.

Ja!

GOLO.

Nicht so! Was wäre das! Der Rache Geist

Verlangt ein andres Opfer: jede Qual,

Die nur ein Mensch auf Erden dulden kann,

Und einen Tod, der kommt, als käm er nicht.


Er tritt vor, und erhebt die Hand.


Im Angesicht des Himmels heb ich jetzt

Die Hand als Richter auf, ich steh zugleich

Als Kläger und Beklagter da, du bist

Gezeuge, die Vollstrecker schickt der Wald.

Der Frevel ist bekannt, dies ist mein Spruch:

Die Augen hier, die viel zu viel auf sie

Und viel zu wenig auf den Herrn geschaut,

Sind auszustechen; diesem säumgen Arm,

Der, als mein falsches Herz ihr Bild sich stahl,

Es nicht sogleich durchbohrte, leg ich auf,

Die Strafe an den Augen zu vollziehn!


Zu Caspar.


Ist das geschehn, so führst den Blinden du

Ins Innerste des Waldes, reißest ihm[203]

Die Kleider ab, und bindest nackt und bloß

Mit Stricken ihn an eine Eiche fest,

Damit der Eber und der zornge Bär,

Die Schlange, die von unten sticht, der Aar,

Der aus der Höhe schießt, sich in sein Fleisch

Mit Zahn und Kralle teilen. Wenn der Baum,

Vom Wind durchrauscht, auf den Verhungernden

Von seinen Eicheln eine niederwirft,

So darf er die nicht fangen mit dem Mund,

Doch, wenn er seine Zunge essen will,

So sei es ihm vergönnt. Und nun zum Werk!


Er reißt sein Jagdmesser heraus, wendet sich waldeinwärts und sticht sich, ohne daß dies jedoch gesehen wird, die Augen aus.


CASPAR tritt ihm näher.

Er blutet! Beide Augen!

GOLO tappend.

Führ mich jetzt,

Und wenn du wieder kehrst ins Schloß, so sprich,

Ich sei zu Roß, den Falken auf der Hand,

Ins Land hinein gesprengt.

CASPAR für sich.

Ich töt ihn gleich!


So wie Caspar sein Schwert erhebt, fällt rasch der Vorhang.[204]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 200-205.
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