Erste Szene

[508] Alexandra und Sameas.


ALEXANDRA.

Dies weißt du nun!

SAMEAS.

Es überrascht mich nicht!

Nein, vom Herodes überrascht mich nichts!

Denn, wer als Jüngling dem Synedrium

Schon Krieg erklärt, wer mit der blanken Waffe

Vor seinen Richter hintritt und ihn mahnt,

Daß er der Henker ist, und daß der Henker

Kein Todesurteil an sich selbst vollzieht,

Der mag als Mann – – Ha, ich erblick ihn noch,

Wie er, dem Hohenpriester gegenüber,

Sich an die Säule lehnte und, umringt

Von seinen Söldnern, die im Räuberfangen

Sich selbst in Räuber umgewandelt hatten,

Uns alle überzählte, Kopf für Kopf,

Als stünde er vor einem Distelbeet

Und sänne nach, wie es zu säubern sei.

ALEXANDRA.

Ja, ja, es war ein Augenblick für ihn,

An den er sich mit Stolz erinnern mag!

Ein junger Tollkopf, der die Zwanzig kaum

Erreicht, wird vors Synedrium gestellt,

Weil er in frevelhaftem Übermut

Sich einen Angriff aufs Gesetz erlaubt,

Weil er ein Todesurteil, das von Euch[508]

Noch nicht gesprochen ward, vollzogen hat.

Des Toten Witwe tritt ihm an der Schwelle

Mit ihrem Fluch entgegen, drinnen sitzt,

Was alt und grau ist in Jerusalem.

Doch weil er nicht im Sack kommt und mit Asche

Sein Haupt bestreut, so wirds Euch schwach zumut;

Ihr denkt nicht mehr daran, ihn zu bestrafen,

Ihr denkt nicht einmal dran, ihn zu bedräuen,

Ihr sagt ihm nichts, er lacht Euch aus und geht!

SAMEAS.

Ich sprach!

ALEXANDRA.

Als es zu spät war!

SAMEAS.

Hätt ichs eher

Getan, so wäre es zu früh gewesen,

Ich schwieg aus Ehrfurcht vor dem Hohenpriester,

Dem stand das erste Wort zu, mir das letzte,

Er war der älteste, der jüngste ich!

ALEXANDRA.

Gleichviel! Wenn Ihr in jenem Augenblick,

Den schlichten Mut der Pflicht bewiesen hättet,

So würde jetzt kein größrer nötig sein!

Doch nun seht zu, ob Ihr – – Ei was, Euch bleibt

Auch wohl ein andrer Ausweg noch! Wenn Ihr

Mit ihm nicht kämpfen wollt, und in der Tat,

Es wär gewagt, ich rat Euch ab, so braucht

Ihr mit dem Löwen oder mit dem Tiger

Den Kampf nur einzugehn, den er befiehlt!

SAMEAS.

Was redest du?

ALEXANDRA.

Du kennst die Fechterspiele

Der Römer doch?

SAMEAS.

Gott Lob, ich kenn sie nicht!

Ich halt es für Gewinn, nichts von den Heiden

Zu wissen, als was Moses uns erzählt;

Ich mache jedesmal die Augen zu,

Wenn mir ein römischer Soldat begegnet,

Und segne meinen Vater noch im Grabe,

Daß er mich ihre Sprache nicht gelehrt.

ALEXANDRA.

So weißt du nicht, daß sie die wilden Tiere

Aus Afrika zu Hunderten nach Rom

Hinüberschaffen?[509]

SAMEAS.

Nein, ich weiß es nicht!

ALEXANDRA.

Daß sie sie dort in steinerner Arena

Zusammentreiben, daß sie ihnen Sklaven

Entgegenhetzen, die auf Tod und Leben

Mit ihnen kämpfen müssen, während sie

Im Kreis herum auf hohen Bänken sitzen

Und jubeln, wenn die Todeswunden klaffen,

Und wenn das rote Blut den Sand bespritzt?

SAMEAS.

Das hat der wildeste von meinen Träumen

Mir nicht gezeigt, doch freuts mich in der Seele,

Wenn sie es tun, es schickt sich wohl für sie!


Mit erhobenen Händen.


Herr, du bist groß! Wenn du dem Heiden auch

Das Leben gönnst, so muß er dir dafür

Doch einen gräßlichen Tribut bezahlen,

Du strafst ihn durch die Art, wie er es braucht!

Die Spiele mögt ich sehn!

ALEXANDRA.

Der Wunsch wird dir

Erfüllt, sobald Herodes wiederkehrt,

Er denkt sie einzuführen!

SAMEAS.

Nimmermehr!

ALEXANDRA.

Ich sagt es dir! Warum auch nicht? Wir haben

Der Löwen ja genug! Der Berghirt wird

Sich freuen, wenn sich ihre Zahl vermindert,

Er spart dann manches Rind und manches Kalb.

SAMEAS.

Vom übrigen noch abgesehn, wo fände

Er Kämpfer? Sklaven gibt es nicht bei uns,

Die ihm auf Tod und Leben pflichtig sind.

ALEXANDRA.

Den ersten – seh ich vor mir!

SAMEAS.

Wie?

ALEXANDRA.

Gewiß!

Du wirst, wie jetzt, dein Angesicht verziehn,

Du wirst vielleicht sogar die Fäuste ballen,

Die Augen rollen und die Zähne fletschen,

Wenn du den großen Tag erlebst, an dem

Er feierlich, wie Salomo den Tempel,

Die heidnische Arena weihen wird.

Das wird ihm nicht entgehn, und des zum Lohn[510]

Wird er den Wink dir geben, einzutreten

Und allem Volk zu zeigen, was du kannst,

Wenn du dem Löwen gegenüberstehst,

Der tagelang vorher gehungert hat.

Denn, da es uns an Sklaven fehlt, so sollen

Die todeswürdigen Verbrecher sie

Ersetzen, und wer wär noch todeswürdig,

Wenn der nicht, der dem König offen trotzt!

SAMEAS.

Er könnte –

ALEXANDRA.

Zweifle nicht! Es wäre schlimm,

Wenn ihm zu früh der Kopf genommen würde.

Es würden Pläne mit ihm untergehn,

Die selbst Pompejus, der doch heidenkeck

Ins Allerheiligste zu treten wagte,

Vielleicht –

SAMEAS ausbrechend.

Antonius, wenn du ihn packst,

So will ich dich ein Jahr lang nicht verfluchen!

Und tust dus nicht, so – – Nun, wir sind bereit!

ALEXANDRA.

Er meint, wenn unser Volk sich mit den andern

Nicht mischen sollte, würden wir den Erdball

Von Gott für uns allein erhalten haben!

SAMEAS.

Meint er?

ALEXANDRA.

Da dem nun aber nicht so sei,

So tu es not, die Dämme zu durchstechen,

Die uns, wie einen stehnden See vom Meer,

Von allen übrigen noch immer trennten,

Und das geschehe dadurch, daß wir uns

In Brauch und Sitte ihnen anbequemten.

SAMEAS.

In Brauch und –


Gen Himmel.


Herr! wenn ich nicht rasen soll,

So zeig mir an, wie dieser sterben wird!

Zeig mir den Tod, der jedem andern Tod

Die Schrecken abborgt, und verkünde mir,

Daß es Herodes ist, für den ers tut!

ALEXANDRA.

Mach du den Todes-Engel!

SAMEAS.

Wenn an ihm nicht,

So an mir selbst! Ich schwörs! Wenn ich den Greuel[511]

Nicht hindern kann, so will ich meine Ohnmacht

Durch Selbstmord strafen,


Mit einer Bewegung gegen die Brust


eh der Tag noch kommt,

Den er zum ersten Mal beflecken soll!

Das ist ein Schwur, der eine Missetat

Mir abdringt, wenn ich einer Heldentat

Nicht fähig bin: wer schwur noch Größeres?

ALEXANDRA.

Wohl! Nur vergiß nicht: wenn der eigne Arm

Nicht stark genug ist, um den Feind zu stürzen,

So muß man einen fremden nicht verschmähn!

SAMEAS.

Und diesen fremden?

ALEXANDRA.

Waffnest du dir leicht!

SAMEAS.

Sprich deutlicher!

ALEXANDRA.

Wer setzte den Herodes

Zum König ein?

SAMEAS.

Antonius! Wer sonst?

ALEXANDRA.

Weswegen tat ers?

SAMEAS.

Weil er ihm gefiel!

Vielleicht auch bloß, weil er uns nicht gefiel!

Wann hat ein Heide einen bessern Grund?

ALEXANDRA.

Und weiter! Was erhält ihn auf dem Thron?

SAMEAS.

Des Volkes Segen nicht! Vielleicht sein Fluch!

Wer kann es sagen?

ALEXANDRA.

Ich! Nichts, als der Pfiff,

Den Zins, den wir dem Römer zahlen müssen,

Alljährlich vorm Verfalltag einzuschicken

Und ihn sogar freiwillig zu verdoppeln,

Wenn sich ein neuer Krieg entzündet hat.

Der Römer will nur unser Gold, nicht mehr,

Er läßt uns unsern Glauben, unsern Gott,

Er würde ihn sogar mit uns verehren,

Und neben Jupiter und Ops und Isis

Ihm auf dem Kapitol den Winkel gönnen,

Der unbesetzt geblieben ist bis heut,

Wär er nur auch, wie die, von Stein gemacht.

SAMEAS.

Wenn dem so ist, und leider ist es so,

Was hast du von Antonius zu hoffen?[512]

In diesem Punkt, du selber sprachst es aus,

Versäumt Herodes nichts. Noch jetzt – ich habe

Ihn ziehen sehn! Dem einen Maultier brach

Der Rückgrat, eh es noch das Tor erreichte!

Für jeden Tropfen Bluts in seinen Adern

Bringt er ihm eine Unze Goldes dar:

Glaubst du, er weist es deinethalb zurück?

ALEXANDRA.

Gewiß nicht, führt ich meine Sache selbst!

Allein das tut Cleopatra für mich,

Und hoffentlich tuts Mariamne auch.

Du staunst? Versteh mich recht! Nicht in Person,

Da kehrt sie sich wohl eher gegen mich,

Nur durch ihr Bild, und nicht einmal durch das,

Nein, durch ein andres, das ihr freilich gleicht.

Denn wie ein wilder Wald nicht bloß den Löwen

Beherbergt, auch den Tiger, seinen Feind,

So nistet auch in dieses Römers Herzen

Ein ganzes Wurmgeschlecht von Leidenschaften,

Die um die Herrschaft miteinander ringen,

Und wenn Herodes auf die erste baut,

Ich baue auf die zweite, und ich glaube,

Daß die der andern überlegen ist.

SAMEAS.

Du bist –

ALEXANDRA.

Kein Hirkan, wenn auch seine Tochter!

Doch, daß du nicht mißdeutest, was ich tat:

Ich bin auch Mariamne nicht! Und wenn

Antonius den Gemahl, der sie besitzt,

Vertilgt, um sich den Weg zu ihr zu bahnen:

Sie bleibt die Herrin ihrer selbst und kann

Sich hüllen in ein ewges Witwenkleid.

Des aber halt ich mich gewiß, schon hat er

Die Hand ans Schwert gelegt, und wenn ers noch

Nicht zog, so hielt ihn nur die Rücksicht ab,

Daß dieser glückliche Soldat Herodes

Den Römern für den Ring von Eisen gilt,

Der alles hier bei uns zusammenhält.

Schaff du ihm den Beweis des Gegenteils,

Erreg Empörung, stör den schlaffen Frieden,[513]

So wird ers ziehn!

SAMEAS.

Den schaffe ich ihm leicht!

Schon schlug das Volk ihn in Gedanken tot,

Es wird erzählt –

ALEXANDRA.

Drück du dein Siegel drauf,

Und dann eröffne rasch sein Testament!

Den Inhalt kennst du jetzt, die Fechterspiele

Stehn obenan, und wenn ein jeder sich

Durch seinen Tod um hundert Rutenstreiche

Verkürzt glaubt, oder um das Marterkreuz,

So glaubt ein jeder, was er glauben darf

Denn Dinge stehen Israel bevor,

Die manchem Herzen den Verzweiflungswunsch

Abdringen werden, daß das rote Meer

Das ganze Volk, die heiligen zwölf Stämme,

Verschlungen hätt, und Moses selbst zuerst.

SAMEAS.

Ich geh! Und eh der Mittag kommt –

ALEXANDRA.

Ich weiß,

Was du vermagst, wenn du den Sack ergreifst

Und Wehe! rufend, durch die Gassen ziehst,

Als wär dein Vorfahr Jonas wieder da.

Es wird sich zeigen, daß es nützlich ist,

Zuweilen bei dem Fischer vorzusprechen,

Und mit dem Herrn Gevatter zu verzehren,

Was er sich selbst gönnt, weil es niemand käuft.

SAMEAS.

Es wird sich zeigen, daß wir Pharisäer

Die Schmach, die wir erlitten, nicht vergaßen,

Wie du zu meinen scheinst. Vernimm denn jetzt,

Was du erst durch die Tat erfahren solltest:

Wir sind schon längst verschworen gegen ihn,

Wir haben ganz Judäa unterwühlt,

Und in Jerusalem, – damit du siehst,

Wie fest wir auf das Volk zu zählen haben, –

Ist selbst ein Blinder mit in unserm Bund!

ALEXANDRA.

Was nützt euch der?

SAMEAS.

Nichts! Und er weiß es selbst!

Doch ist er so von Haß und Grimm erfüllt,

Daß er das Unternehmen mit uns teilen[514]

Und lieber sterben, als in dieser Welt,

Wenn es mißlingt, noch länger leben will.

Ich denke doch, daß dies ein Zeichen ist!


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 508-515.
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