Sechste Szene

[582] MARIAMNE tritt zu Titus.

Nun noch ein Wort vorm Schlafengehn, indes

Mein letzter Kämmrer mir das Bette macht!

Du staunst, ich seh es, daß ich dieses Wort

An dich, und nicht an meine Mutter, richte,

Allein sie steht mir fern und ist mir fremd.

TITUS.

Ich staune, daß ein Weib mich lehren soll,

Wie ich als Mann dereinst zu sterben habe!

Ja, Königin, unheimlich ist dein Tun

Und, ich verhehls nicht, selbst dein Wesen mir,

Allein ich muß den Heldensinn verehren,

Der dich vom Leben scheiden läßt, als schiene

Die schöne Welt dir auf dem letzten Gang

Nicht einmal mehr des flüchtgen Umblicks wert,

Und dieser Mut versöhnt mich fast mit dir!

MARIAMNE.

Es ist kein Mut![582]

TITUS.

Zwar hat man mir gesagt,

Daß eure finstern Pharisäer lehren,

Im Tode geh das Leben erst recht an,

Und daß, wer ihnen glaubt, die Welt verachtet,

In welcher nur die Sonne ewig leuchtet

Und alles übrige in Nacht verlischt!

MARIAMNE.

Ich hörte nie auf sie und glaub es nicht!

O nein, ich weiß, wovon ich scheiden soll!

TITUS.

Dann stehst du da, wie Cäsar selber kaum,

Als ihm von Brutus' Hand der Dolchstoß kam,

Denn er, zu stolz, um seinen Schmerz zu zeigen,

Und doch nicht stark genug, ihn zu ersticken,

Verhüllte fallend sich das Angesicht;

Du aber hältst ihn in der Brust zurück!

MARIAMNE.

Nicht mehr! Nicht mehr! Es ist nicht, wie du denkst!

Ich fühle keinen Schmerz mehr, denn zum Schmerz

Gehört noch Leben, und das Leben ist

In mir erloschen, ich bin längst nur noch

Ein Mittelding vom Menschen und vom Schatten

Und faß es kaum, daß ich noch sterben kann.

Vernimm jetzt, was ich dir vertrauen will,

Doch erst gelobe mir als Mann und Römer,

Daß dus verschweigst, bis ich hinunter bin,

Und daß du mich geleitest, wenn ich geh.

Du zögerst? Fodre ich zu viel von dir?

Es ist des Strauchelns wegen nicht! Und ob

Du später reden, ob du schweigen willst,

Entscheide selbst. Ich binde dich in nichts

Und halte meinen Wunsch sogar zurück.

Dich aber hab ich darum auserwählt,

Weil du schon immer, wie ein ehrnes Bild

In eine Feuersbrunst, gelassen-kalt

Hineingeschaut in unsre Hölle hast.

Dir muß man glauben, wenn du Zeugnis gibst,

Wir sind für dich ein anderes Geschlecht,

An das kein Band dich knüpft, du sprichst von uns,

Wie wir von fremden Pflanzen und von Steinen,

Parteilos, ohne Liebe, ohne Haß![583]

TITUS.

Du gehst zu weit!

MARIAMNE.

Verweigerst du mir jetzt,

Zu starr, dein Wort, so nehm ich mein Geheimnis

Mit mir ins Grab und muß den letzten Trost

Entbehren, den, daß eines Menschen Brust

Mein Bild doch rein und unbefleckt bewahrt,

Und daß er, wenn der Haß sein Ärgstes wagt,

Den Schleier, der es deckt, aus Pflichtgefühl

Und Ehrfurcht vor der Wahrheit heben kann!

TITUS.

Wohl! Ich gelob es dir!

MARIAMNE.

So wisse denn,

Daß ich Herodes zwar betrog, doch anders,

Ganz anders, als er wähnt! Ich war ihm treu,

Wie er sich selbst. Was schmäh ich mich? Viel treuer,

Er ist ja längst ein andrer, als er war.

Soll ich das erst beteuern? Eher noch

Entschließ ich mich, zu schwören, daß ich Augen

Und Händ und Füße habe. Diese könnt ich

Verlieren, und ich wär noch, was ich bin,

Doch Herz und Seele nicht!

TITUS.

Ich glaube dir

Und werde –

MARIAMNE.

Halten, was du mir versprachst!

Ich zweifle nicht! Nun frag dich, was ich fühlte,

Als er zum zweitenmal, denn einmal hatte

Ichs ihm verziehn, mich unters Schwert gestellt,

Als ich mir sagen mußte: eher gleicht

Dein Schatten dir, als das verzerrte Bild,

Das er im tiefsten Innern von dir trägt!

Das hielt ich nicht mehr aus, und konnt ichs denn?

Ich griff zu meinem Dolch, und, abgehalten

Vom rasch versuchten Selbstmord, schwur ich ihm:

Du willst im Tode meinen Henker machen?

Du sollst mein Henker werden, doch im Leben!

Du sollst das Weib, das du erblicktest, töten

Und erst im Tod mich sehen, wie ich bin! –

Du warst auf meinem Fest. Nun: Eine Larve

Hat dort getanzt![584]

TITUS.

Ha!

MARIAMNE.

Eine Larve stand

Heut vor Gericht, für eine Larve wird

Das Beil geschliffen, doch es trifft mich selbst!

TITUS.

Ich steh erschüttert, Königin, auch zeih ich

Dich nicht des Unrechts, doch ich muß dir sagen:

Du hast mich selbst getäuscht, du hast mich so

Mit Graun und Abscheu durch dein Fest erfüllt,

Wie jetzt mit schaudernder Bewunderung:

Und, wenn das mir geschah, wie hätte ihm

Der Schein dein Wesen nicht verdunkeln sollen,

Ihm, dessen Herz, von Leidenschaft bewegt,

So wenig, wie ein aufgewühlter Strom,

Die Dinge spiegeln konnte, wie sie sind.

Drum fühl ich tiefes Mitleid auch mit ihm,

Und deine Rache finde ich zu streng!

MARIAMNE.

Auf meine eignen Kosten nehm ich sie!

Und daß es nicht des Lebens wegen war,

Wenn mich der Tod des Opfertiers empörte,

Das zeige ich, ich werf das Leben weg!

TITUS.

Gib mir mein Wort zurück!

MARIAMNE.

Und wenn dus brächest,

Du würdest nichts mehr ändern. Sterben kam

Ein Mensch den andern lassen; fortzuleben,

Zwingt auch der Mächtigste den Schwächsten nicht.

Und ich bin müde, ich beneide schon

Den Stein, und wenns der Zweck des Lebens ist,

Daß man es hassen und den ewgen Tod

Ihm vorziehn lernen soll, so wurde er

In mir erreicht. O, daß man aus Granit,

Aus nie zerbröckelndem, den Sarg mir höhlte

Und in des Meeres Abgrund ihn versenkte,

Damit sogar mein Staub den Elementen

Für alle Ewigkeit entzogen sei!

TITUS.

Wir leben aber in der Welt des Scheins!

MARIAMNE.

Das seh ich jetzt, drum gehe ich hinaus!

TITUS.

Ich selbst, ich habe gegen dich gezeugt!

MARIAMNE.

Damit dus tätest, und ich dich zum Fest![585]

TITUS.

Wenn ich ihm sagte, was du mir gesagt –

MARIAMNE.

So riefe er mich um, ich zweifle nicht!

Und folgte ich, so würde mir der Lohn,

Daß ich vor einem jeden, der mir nahte,

Von jetzt an schaudern und mir sagen müßte:

Hab acht, das kann dein dritter Henker sein!

Nein, Titus, nein, ich habe nicht gespielt,

Für mich gibts keinen Rückweg. Gäb es den,

Glaubst du, ich hätt ihn nicht entdeckt, als ich

Von meinen Kindern ewgen Abschied nahm?

Wenn nichts, als Trotz mich triebe, wie er meint,

Der Schmerz der Unschuld hätt den Trotz gebrochen:

Jetzt machte er nur bittrer mir den Tod!

TITUS.

O, fühlt er das und käm von selbst, und würfe

Sich dir zu Füßen!

MARIAMNE.

Ja! Dann hätt er

Den Dämon überwunden, und ich könnte

Ihm alles sagen! Denn ich sollte nicht

Unwürdig mit ihm markten um ein Leben,

Das durch den Preis, um den ichs kaufen kann,

Für mich den letzten Wert verlieren muß,

Ich sollte ihn für seinen Sieg belohnen,

Und, glaube mir, ich könnt es!

TITUS.

Ahnst du nichts,

Herodes?

JOAB tritt geräuschlos ein und bleibt schweigend stehen.

MARIAMNE.

Nein! Du siehst, er schickt mir den!


Deutet auf Joab.


TITUS.

Laß mich –

MARIAMNE.

Hast du mich nicht verstanden, Titus?

Ist es in deinen Augen noch der Trotz,

Der mir den Mund verschloß? Kann ich noch leben?

Kann ich mit dem noch leben, der in mir

Nicht einmal Gottes Ebenbild mehr ehrt?

Und, wenn ich dadurch, daß ich schwieg, den Tod

Heraufbeschwören und ihn waffnen konnte,

Sollt ich mein Schweigen brechen? Sollt ich erst

Den einen Dolch vertauschen mit dem andern?

Und wär es mehr gewesen?[586]

TITUS.

Sie hat recht!

MARIAMNE zu Joab.

Bist du bereit.

JOAB verneigt sich.

MARIAMNE gegen Herodes' Gemächer.

Herodes, lebe wohl!


Gegen die Erde.


Du, Aristobolus, sei mir gegrüßt!

Gleich bin ich bei dir in der ewgen Nacht!


Sie schreitet auf die Tür zu. Joab öffnet. Man sieht Bewaffnete, die ehrerbietig Reihen bilden. Sie geht hinaus. Titus folgt ihr. Joab schließt sich an. Feierliche Pause.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 582-587.
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