Erste Szene

[331] Klara. Die Mutter.


KLARA. Dein Hochzeits-Kleid? Ei, wie es dir steht! Es ist, als obs zu heut gemacht wäre!

MUTTER. Ja, Kind, die Mode läuft so lange vorwärts, bis sie nicht weiter kann, und umkehren muß. Dies Kleid war schon zehn Mal aus der Mode, und kam immer wieder hinein.

KLARA. Diesmal doch nicht ganz, liebe Mutter! Die Ärmel sind zu weit. Es muß dich nicht verdrießen!

MUTTER lächelnd. Dann müßt ich du sein!

KLARA. So hast du also ausgesehen! Aber einen Kranz trugst du doch auch, nicht wahr?

MUTTER. Wills hoffen! Wozu hätt ich sonst den Myrtenbaum jahrelang im Scherben gepflegt!

KLARA. Ich hab dich so oft gebeten, und du hast es nie angezogen, du sagtest immer: mein Brautkleid ists nicht mehr, es ist nun mein Leichenkleid, und damit soll man nicht spielen. Ich mögt es zuletzt gar nicht mehr sehen, weil es mich, wenn es so weiß da hing, immer an deinen Tod und an den Tag erinnerte, wo die alten Weiber es dir über den Kopf ziehen würden. – Warum denn heut?

MUTTER. Wenn man So schwer krank liegt, wie ich, und nicht weiß, ob man wieder gesund wird, da geht einem gar manches im Kopf herum. Der Tod ist schrecklicher, als man glaubt, o, er ist bitter! Er verdüstert die Welt, er bläst all die Lichter, eins nach dem andern, aus, die so bunt und lustig um uns her schimmern, die freundlichen Augen des Mannes und der Kinder hören zu leuchten auf, und es wird finster allenthalben, aber im Herzen zündet er ein Licht an, da wirds hell, und man sieht viel, sehr viel, was man nicht sehen mag. Ich bin mir eben nichts Böses bewußt, ich bin auf Gottes Wegen gegangen, ich, habe im Hause geschafft, was ich konnte, ich habe dich und deinen Bruder in der Furcht des Herrn aufgezogen und den[331] sauren Schweiß eures Vaters zusammengehalten, ich habe aber immer auch einen Pfenning für die Armen zu erübrigen gewußt, und wenn ich zuweilen einen abwies, weil ich gerade verdrießlich war, oder weil zu viele kamen, so war es kein Unglück für ihn, denn ich rief ihn gewiß wieder um und gab ihm doppelt. Ach, was ist das alles! Man zittert doch vor der letzten Stunde, wenn sie hereindroht, man krümmt sich, wie ein Wurm, man fleht zu Gott ums Leben, wie ein Diener den Herrn anfleht, die schlecht gemachte Arbeit noch einmal verrichten zu dürfen, um am Lohntag nicht zu kurz zu kommen.

KLARA. Hör davon auf, liebe Mutter, dich greifts an!

MUTTER. Nein, Kind, mir tuts wohl! Steh ich denn nicht gesund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß mein Feierkleid noch nicht fleckenlos und rein ist, und hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder umkehren lassen, und mir Frist gegeben, mich zu schmücken für die himmlische Hochzeit? So gnadenvoll war er gegen jene sieben Jungfrauen im Evangelium, das du mir gestern abend vorlesen mußtest, nicht! Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abendmahl gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den Tag, wo ich die frömmsten und besten Vorsätze meines Lebens faßte. Es soll mich an die mahnen, die ich noch nicht gehalten habe!

KLARA. Du sprichst noch immer wie in deiner Krankheit!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 331-332.
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