Dritte Szene

[333] KLARA. Was soll das heißen?

MUTTER. Ach, er macht mir Herzeleid! Ja, ja, der Vater hat recht, das sind die Folgen! So allerliebst, wie er als kleiner Lockenkopf um das Stück Zucker bat, so trotzig fordert er jetzt den Gulden! Ob er den Gulden wirklich nicht fordern würde, wenn ich ihm das Stück Zucker abgeschlagen hätte? Das peinigt mich oft! Und ich glaube, er liebt mich nicht einmal. Hast du ihn ein einziges Mal weinen sehen während meiner Krankheit?

KLARA. Ich sah ihn ja nur selten, fast nicht anders als bei Tisch. Mehr Appetit hatte er, als ich!

MUTTER schnell. Das war natürlich, er mußte die schwere Arbeit verrichten!

KLARA. Freilich! Und wie die Männer sind! Die schämen sich ihrer Tränen mehr, als ihrer Sünden! Eine geballte Faust, warum die nicht zeigen, aber ein weinendes Auge? Auch der Vater! Schluchzte er nicht den Nachmittag, wo dir zur Ader gelassen wurde, und kein Blut kommen wollte, an seiner[333] Hobelbank, daß mirs durch die Seele ging! Aber als ich nun zu ihm trat, und ihm über die Backen strich, was sagte er? Versuch doch, ob du mir den verfluchten Span nicht aus dem Auge herausbringen kannst, man hat so viel zu tun und kommt nicht vom Fleck!

MUTTER lächelnd. Ja, ja! Ich sehe den Leonhard ja gar nicht mehr. Wie kommt das?

KLARA. Mag er weg bleiben!

MUTTER. Ich will nicht hoffen, daß du ihn anderswo siehst als hier im Hause!

KLARA. Bleib ich etwa zu lange weg, wenn ich abends zum Brunnen gehe, daß du Grund zum Verdacht hast?

MUTTER. Nein, das nicht! Aber nur darum hab ich ihm Erlaubnis gegeben, daß er zu uns kommen darf, damit er dir nicht bei Nebel und Nacht aufpassen soll. Das hat meine Mutter auch nicht gelitten!

KLARA. Ich seh ihn nicht!

MUTTER. Schmollt ihr miteinander? Ich mag ihn sonst wohl leiden, er ist so gesetzt! Wenn er nur erst etwas wäre! Zu meiner Zeit hätt er nicht lange warten dürfen, da rissen die Herren sich um einen geschickten Schreiber, wie die Lahmen um die Krücke, denn sie waren selten. Auch wir geringeren Leute konnten ihn brauchen. Heute setzte er dem Sohn einen Neujahrswunsch für den Vater auf, und erhielt allein für den vergoldeten Anfangsbuchstaben so viel, daß man einem Kinde eine Docke dafür hätte kaufen können. Morgen gab ihm der Vater einen Wink und ließ sich den Wunsch vorlesen, heimlich, bei verschlossenen Türen, um nicht überrascht zu werden und die Unwissenheit aufgedeckt zu sehen. Das gab doppelte Bezahlung. Da waren die Schreiber obenauf und machten das Bier teuer. Jetzt ists anders, jetzt müssen wir Alten, die wir uns nicht aufs Lesen und Schreiben verstehen, uns von neunjährigen Buben ausspotten lassen! Die Welt wird immer klüger, vielleicht kommt noch einmal die Zeit, wo einer sich schämen muß, wenn er nicht auf dem Seil tanzen kann!

KLARA. Es läutet!

MUTTER. Nun, Kind, ich will für dich beten! Und was deinen Leonhard betrifft, so liebe ihn, wie er Gott liebt, nicht mehr,[334] nicht weniger. So sprach meine alte Mutter zu mir, als sie aus der Welt ging, und mir den Segen gab, ich habe ihn lange genug behalten, hier hast du ihn wieder!

KLARA reicht ihr einen Strauß. Da!

MUTTER. Der kommt gewiß vom Karl!

KLARA nickt; dann beiseite. Ich wollt, es wäre so! Was ihr eine rechte Freude machen soll, das muß von ihm kommen!

MUTTER. O, er ist gut und hat mich lieb! Ab.

KLARA sieht ihr durchs Fenster nach. Da geht sie! Drei Mal träumt ich, sie läge im Sarg, und nun – o die boshaften Träume, sie kleiden sich in unsere Furcht, um unsre Hoffnung zu erschrecken! Ich will mich niemals wieder an einen Traum kehren, ich will mich über einen guten nicht wieder freuen, damit ich mich über den bösen, der ihm folgt, nicht wieder zu ängstigen brauche! Wie sie fest und sicher ausschreitet! Schon ist sie dem Kirchhof nah – wer wohl der erste ist, der ihr begegnet? Es soll nichts bedeuten, nein, ich meine nur – Erschrocken zusammenfahrend. Der Totengräber! Er hat eben ein Grab gemacht und steigt daraus hervor, sie grüßt ihn und blickt lächelnd in die düstre Grube hinab, nun wirft sie den Blumenstrauß hinunter und tritt in die Kirche. Man hört einen Choral. Sie singen: Nun danket alle Gott! Sie faltet die Hände. Ja! Ja! Wenn meine Mutter gestorben wäre, nie wär ich wieder ruhig geworden, denn – – Mit einem Blick gen Himmel. Aber Du bist gnädig, Du bist barmherzig! Ich wollt, ich hätt einen Glauben, wie die Katholischen, daß ich Dir etwas schenken dürfte! Meine ganze Sparbüchse wollt ich leeren, und Dir ein schönes vergoldetes Herz kaufen, und es mit Rosen umwinden. Unser Pfarrer sagt, vor Dir seien die Opfer nichts, denn alles sei Dein, und man müßte Dir das, was Du schon hast, nicht erst geben wollen! Aber alles, was im Hause ist, gehört meinem Vater doch auch, und dennoch sieht ers gar gern, wenn ich ihm für sein eignes Geld ein Tuch kaufe, und es sauber sticke, und ihm zum Geburtstag auf den Teller lege. Ja, er tut mir die Ehre an und trägts nur an den höchsten Feiertagen, zu Weihnacht oder zu Pfingsten! Einmal sah ich ein ganz kleines katholisches Mädchen, das seine Kirschen zum Altar trug. Wie gefiel mir das! Es waren die ersten im Jahr, die das Kind bekam, ich[335] sah, wie es brannte, sie zu essen! Dennoch bekämpfte es seine unschuldige Begierde, es warf sie, um nur der Versuchung ein Ende zu machen, rasch hin, der Meßpfaff, der eben den Kelch erhob, schaute finster drein, und das Kind eilte erschreckt von dannen, aber die Maria über dem Altar lächelte so mild, als wünschte sie aus ihrem Rahmen herauszutreten, um dem Kind nachzueilen und es zu küssen. Ich tats für sie! Da kommt Leonhard! Ach!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 333-336.
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