Vierte Szene

[370] LEONHARD. Ja, siehst du, Klara, du sprachst von Worthalten. Eben weil ich ein Mann von Wort bin, muß ich dir antworten, wie ich geantwortet habe. Dir schrieb ich vor acht Tagen ab, du kannst es nicht leugnen, der Brief liegt da. Er reicht ihr den Brief, sie nimmt ihn mechanisch. Ich hatte Grund, dein Bruder – Du sagst, er ist frei gesprochen, es freut mich! In diesen acht Tagen knüpfte ich ein neues Verhältnis an; ich hatte das Recht[370] dazu, denn du hast nicht zur rechten Zeit gegen meinen Brief protestiert, ich war frei in meinem Gefühl, wie vor dem Gesetz. Jetzt kommst du, aber ich habe schon ein Wort gegeben und eins empfangen, ja – Für sich. ich wollt, es wär so – die andere ist schon mit dir in gleichem Fall, du dauerst mich, Er streicht ihr die Locken zurück, sie läßt es geschehen, als ob sie es gar nicht bemerkte. aber du wirst einsehen – mit dem Bürgermeister ist nicht zu spaßen!

KLARA wie geistesabwesend. Nicht zu spaßen!

LEONHARD. Siehst du, du wirst vernünftig! Und was deinen Vater betrifft, so kannst du ihm keck ins Gesicht sagen, daß er allein schuld ist! Starre mich nicht so an, schüttle nicht den Kopf, es ist so, Mädchen, es ist so! Sags ihm nur, er wirds schon verstehen und in sich gehen, ich bürge dir dafür! Für sich. Wer die Aussteuer seiner Tochter wegschenkt, der muß sich nicht wundern, daß sie sitzenbleibt. Wenn ich daran denke, so steift sich mir ordentlich der Rücken, und ich könnte wünschen, der alte Kerl wäre hier, um eine Lektion in Empfang zu nehmen. Warum muß ich grausam sein? Nur weil er ein Tor war! Was auch daraus entsteht, er hats zu verantworten, das ist klar! Zu Klara. Oder willst du, daß ich selbst mit ihm rede? Dir zu Liebe will ich ein blaues Auge wagen und zu ihm gehen! Er kann grob gegen mich werden, er kann mir den Stiefelknecht an den Kopf werfen, aber er wird die Wahrheit, trotz des Bauchgrimmens, das sie ihm verursacht, hinunterknirschen und dich in Ruhe lassen müssen. Verlaß dich darauf! Ist er zu Hause?

KLARA richtet sich hoch auf. Ich danke dir! Will gehen.

LEONHARD. Soll ich dich hinüberbegleiten? Ich habe den Mut!

KLARA. Ich danke dir, wie ich einer Schlange danken würde, die mich umknotet hätte und mich von selbst wieder ließe und fort spränge, weil eine andere Beute sie lockte. Ich weiß, daß ich gebissen bin, ich weiß, daß sie mich nur läßt, weil es ihr nicht der Mühe wert scheint, mir das bißchen Mark aus den Gebeinen zu saugen, aber ich danke ihr doch, denn nun hab ich einen ruhigen Tod. Ja, Mensch, es ist kein Hohn, ich danke dir, mir ist, als hätt ich durch deine Brust bis in den Abgrund der Hölle hinuntergesehen, und was auch in der[371] furchtbaren Ewigkeit mein Los sei, mit dir hab ich nichts mehr zu schaffen, und das ist ein Trost! Und wie der Unglückliche, den ein Wurm gestochen hat, nicht gescholten wird, wenn er sich in Schauder und Ekel die Adern öffnet, damit das vergiftete Leben schnell ausströmen kann, so wird die ewige Gnade sich vielleicht auch mein erbarmen, wenn sie dich ansieht, und mich, was du aus mir gemacht hast, denn warum könnt ichs tun, wenn ichs nimmer, nimmer tun dürfte? Nur eins noch: mein Vater weiß von nichts, er ahnt nichts, und damit er nie etwas erfährt, geh ich noch heute aus der Welt! Könnt ich denken, daß du – Sie tut wild einen Schritt auf ihn zu. Doch, das ist Torheit, dir kanns ja nur willkommen sein, wenn sie alle stehen und die Köpfe schütteln und sich umsonst fragen: warum das geschehen ist!

LEONHARD. Es kommen Fälle vor! Was soll man tun? Klara!

KLARA. Fort von hier! Der Mensch kann sprechen! Sie will gehen.

LEONHARD. Meinst du, daß ichs dir glaube?

KLARA. Nein!

LEONHARD. Du kannst Gott Lob nicht Selbst-Mörderin werden, ohne zugleich Kindes-Mörderin zu werden!

KLARA. Beides lieber, als Vater-Mörderin! O ich weiß, daß man Sünde mit Sünde nicht büßt! Aber was ich jetzt tu, das kommt über mich allein! Geb ich meinem Vater das Messer in die Hand, so triffst ihn, wie mich! Mich triffst immer! Dies gibt mir Mut und Kraft in all meiner Angst! Dir wirds wohl gehen auf Erden! Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 370-372.
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