Drittes Kapitel

[440] Zum Schluß


Der Morgen war angebrochen, der Wagen stand vor der Tür, reisefertig trat ich in das Gastzimmer, um von Schnock, der schon des Frühtrunks wegen gekommen war, Abschied zu nehmen. Schnock saß am Tisch und hatte mehrere leere und noch mehr volle Flaschen, sowie ein derbes Gabelfrühstück, vor sich stehen; ihm gegenüber saß mein Wirt, der lange, dürre Postmeister, sich auffallend beeifernd, seinen Gast durch Anekdoten und muntere Geschichten zu ergötzen. Da war kein Jägerstückchen, kein Witzwort vom kleinen Korporal, oder vom alten Fritz, das nicht vorgebracht wurde, ja, der Postmeister begnügte sich nicht, bloß sein Gedächtnis zu martern, er war unbarmherzig genug gegen sich selbst, seine eigene Phantasie Peitsche und Sporen kosten zu lassen, um ihr dies oder jenes Geistreiche abzujagen. Aber Schnock, der sonst so leicht und so gern lachte, verzog dies Mal keine Miene und gab keinen Laut von sich; er schüttelte nur zuweilen, wenn der Postmeister recht ansetzte, verächtlich den Kopf, oder stieß einen Seufzer aus, und wenn er den Mund auftat, so geschah es einzig und allein, um ein Stück Fleisch, oder etwas Ähnliches hineinzustecken. »Trinkt doch, trinkt!« sagte der Postmeister hitzig, »und dann knöpft die Ohren auf, jetzt will ich Euch eine Schnurre erzählen, die noch von meinem Großvater herrührt. Nicht darüber lachen, heißt den seligen Mann noch im Grabe beleidigen; ich mögte der Schlingel nicht sein, der das täte; denn mein Großvater verdient Achtung, er war Schulmeister, und wenn einer von uns rechnen und schreiben kann, so hat ers von ihm gelernt.« Die Schnurre war wirklich lustig, dennoch hielt Schnock an sich, obgleich sein Gesicht bersten wollte. »Schämt Ihr[440] Euch nicht?« sagte der Postmeister; »für den Herrn Dr.«, er deutete auf mich, »war das Ding gut genug, um darüber zu lachen, und Ihr sitzt, wie ein Klotz? Der Teufel soll mich holen, wo ich mit Euch wieder eine Wette eingehe!« – »Worin besteht denn die Wette?« fragte ich neugierig. »Werdet Ihr so unhöflich sein, die Frage des Herrn Dr. unbeantwortet zu lassen?« sagte der Postmeister lebhaft zu Schnock; dieser aber sah mich an, legte den Finger auf den Mund und verharrte im Stillschweigen. »Nun«, versetzte ich gleichgültig, »in Geheimnisse will ich nicht eindringen, lebt wohl, Meister Schnock!« Schnock stand auf und ergriff meine ihm dargebotene Hand, sie herzhaft drückend; dann nahm er das Stück Kreide, dessen sich die Billardspieler zu bedienen pflegten, und schrieb damit auf den Tisch, daß er mir eine glückliche Reise wünsche. »Ist der Mann stumm geworden?« fragte ich, aus der Tür tretend, den mich begleitenden Postmeister. »Nichts weniger, als das, purer Egoismus!« erwiderte der Postmeister. »Wieso?« fragte ich stutzend. »Er will umsonst bei mir essen und trinken«, gab der Postmeister zur Antwort, »darum spielt er den Stummen. Ich muß ihm heute nämlich, so haben wir gestern zur Nacht im Rausch gewettet, das Beste aus Küche und Keller so lange unentgeltlich aufsetzen, bis er sich zum Lachen oder Sprechen hinreißen läßt. Lacht er, oder spricht er ein Wort, so muß er – hierin liegt mein Vorteil – alles doppelt bezahlen; hält er an sich, nun, freilich, dann weiß ich, wer sich noch heut abend Haare aus dem Kopf reißt und mit dem Schädel gegen die Wand rennt. Aber, er mag sich hüten! Ich erlaube mir gegen ihn, was mir einfällt, und an Kniffen und Ränken fehlts keinem aus meiner Familie. Ich will ihn schimpfen, bis er vor Ärger braun und blau wird, wie ein Kapaun; ich will dritte Personen herbeirufen und Schandgeschichten von ihm erzählen, denen er Widerspruch entgegensetzen muß, wenn er nicht will, daß alle Welt sie glauben soll; ich will Pistolen hinter seinem Rücken abfeuern; ich will seiner Frau, die wohl von der Wette nichts weiß, anzeigen, daß er bei mir schlemmt, damit diese ihm über den Hals komme; ich will mich stellen, als ob ich mich umbringen wollte; ich will – –«

Mein Wagen fuhr ab.[441]

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 3, München 1963.
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