Nützliche Lehren
5

[69] »Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet.« Das muß zweimal wahr sein. Fürs erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage tun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Fürs andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort gehen, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. »Keine Antwort ist auch eine Antwort.« Von dem Doktor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe. Dem erwiderte der fromme und witzige Mann: »In einem Birkenwald sei der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen tun, Ruten geschnitten.«[69]



6

»Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.« Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom entstanden. Was du zu tun hast, mach's auch so!


7

»Frisch gewagt ist halb gewonnen.« Daraus folgt: »Frisch gewagt ist auch halb verloren.« Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch: »Wagen gewinnt, Wagen verliert.« Was muß also den Ausschlag gehen? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen will, Überlegung wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt hat, ein besonnenes B, und ein bescheidenes C. Aber soviel muß wahr bleiben: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, und kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der muß dich durchreißen. Aber wenn du immer willst, und fangst nie an, oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder, und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist »schlecht gewagt ganz verloren.«


8

»Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« Mancher, der nicht an dieses Sprichwort denkt, wird betrogen. Aber eine andere Erfahrung wird noch öfter vergessen: »Manches glänzt nicht und ist doch Gold«, und wer das nicht glaubt, und nicht daran denkt, der ist noch schlimmer daran. In einem wohlbestellten Acker, in einem gut eingerichteten Gewerbe ist viel Gold[70] verborgen, und eine fleißige Hand weiß es zu finden, und ein ruhiges Herz dazu und ein gutes Gewissen glänzt auch nicht, und ist noch mehr als Goldes wert. Oft ist gerade da am wenigsten Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am größten ist. Wer viel Lärm macht, hat wenig Mut. Wer viel von seinen Talern redet, hat nicht viel. Einer prahlte, er habe ein ganzes Simri (Sester) Dukaten daheim. Als er sie zeigen sollte, wollte er lange nicht daran. Endlich brachte er ein kleines rundes Schächtelein zum Vorschein, das man mit der Hand decken konnte. Doch half er sich mit einer guten Ausrede. Das Dukatenmaß, sagte er, sei kleiner als das Fruchtmaß.

[1807]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 69-71.
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