Vor den unterzeichneten Notaren zu Paris, Herrn Ferdinand Léon Ducloux und Herrn Charles Louis Emile Rousse; und in Gegenwart von
1. Herrn Michel Jacob, Bäcker, wohnhaft zu Paris, Rue d'Amsterdam Nr. 60; und
2. Herrn Eugène Grouchy, Gewürzkrämer, wohnhaft zu Paris, Rue d'Amsterdam Nr. 52;
welche beide Zeugen den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen entsprechen, wie sie den unterzeichneten Notaren auf separat an jeden von ihnen gerichtete Anfrage erklärt haben; und im Schlafzimmer[446] des nachfolgend benannten Herrn Heine, gelegen im zweiten Stock eines Hauses, Rue d'Amsterdam Nr. 50; in welchem Schlafzimmer, das durch ein auf den Hof gehendes Fenster erhellt wird, die oben genannten, vom Testator gewählten Notare und Zeugen sich auf ausdrückliches Verlangen desselben versammelt haben,
Erschien
Herr Heinrich Heine, Schriftsteller und Doktor der Rechte, wohnhaft zu Paris, Rue d'Amsterdam Nr. 50;
welcher, krank an Körper, aber gesunden Geistes, Gedächtnisses und Verstandes, wie es den genannten Notaren und Zeugen bei der Unterhaltung mit ihm vorgekommen ist, im Hinblick auf den Tod, dem genannten Herrn Ducloux, in Gegenwart des Herrn Rousse und der Zeugen, sein Testament in folgender Weise diktiert hat:
§ 1. Ich ernenne zu meiner Universalerbin Mathilde Crescence Heine, geborene Mirat, meine rechtmäßige Ehefrau, mit welcher ich seit vielen Jahren meine guten und schlimmen Tage verbracht habe und welche mich während der Dauer meiner langen und schrecklichen Krankheit gepflegt hat. Ich vermache ihr als volles und gänzliches Eigentum, und ohne jede Bedingung oder Beschränkung, alles, was ich besitze und was ich bei meinem Ableben besitzen mag, und alle meine Rechte auf irgendein künftiges Besitztum.
§ 2. In einer Epoche, wo ich an eine begüterte Zukunft für mich glaubte, habe ich mich meines ganzen literarischen Eigentums unter sehr mäßigen Bedingungen entäußert; unglückliche Ereignisse haben später das kleine Vermögen, welches ich besaß, verschlungen, und meine Krankheit gestattet mir nicht, meine Vermögensverhältnisse zugunsten meiner Frau etwas zu verbessern. Die Pension, welche ich von meinem verstorbenen Oheim Salomon Heine erhalte und welche immer die Grundlage meines Budgets war, ist meiner Frau nur teilweise zugesichert; ich selbst hatte es so gewollt. Ich empfinde gegenwärtig das tiefste Bedauern, nicht besser für das gute Auskommen meiner Frau nach meinem Tode gesorgt zu haben. Die obenerwähnte Pension meines Oheims stellte im Grunde die Rente eines Kapitals dar, welches dieser väterliche Wohltäter nicht gern in meine geschäftsunkundigen Poetenhände legen wollte, um mir besser den dauernden Genuß davon zu sichern. Ich rechnete auf dies mir zugewiesene Einkommen, als ich eine Person an mein Schicksal knüpfte, die mein Oheim sehr schätzte und der er manches Zeichen liebevoller Zuneigung gab. Obwohl er in seinen testamentarischen[447] Verfügungen nichts in offizieller Weise für sie getan hat, so ist doch nichtsdestoweniger anzunehmen, daß solches Vergessen viel mehr einem unseligen Zufalle als den Gefühlen des Verstorbenen beizumessen ist; er, dessen Freigebigkeit so viele Personen bereichert hat, die seiner Familie und seinem Herzen fremd waren, darf nicht einer kärglichen Knauserei beschuldigt werden, wo es sich um das Schicksal der Gemahlin eines Neffen handelte, der seinen Namen berühmt machte. Die geringsten Winke und Worte eines Mannes, der die Großmut selber war, müssen großmütig ausgelegt werden. Mein Vetter Carl Heine, der würdige Sohn seines Vaters, ist sich mit mir in diesen Gefühlen begegnet, und mit edler Bereitwilligkeit ist er meiner Bitte nachgekommen, als ich ihn ersuchte, die förmliche Verpflichtung zu übernehmen, nach meinem Ableben meiner Frau als lebenslängliche Rente die Hälfte der Pension zu zahlen, welche von seinem seligen Vater herrührte. Diese Übereinkunft hat am 25. Februar 1847 stattgefunden, und noch rührt mich die Erinnerung an die edlen Vorwürfe, welche mein Vetter, trotz unserer damaligen Zwistigkeiten, mir über mein geringes Vertrauen in seine Absichten betreffs meiner Frau machte; als er mir die Hand als Unterpfand seines Versprechens reichte, drückte ich sie an meine armen kranker Augen und benetzte sie mit Tränen. Seitdem hat sich meine Lage verschlimmert, und meine Krankheit hat viele Hilfsquellen versiegen machen, die ich meiner Frau hätte hinterlassen können. Diese unvorhergesehenen Wechselfälle und andere gewichtige Gründe zwingen mich, von neuem mich an die würdigen und rechtlichen Gefühle meines Vetters zu wenden: ich fordere ihn dringend auf, meine obenerwähnte Pension nicht um die Hälfte zu schmälern, indem er sie nach meinem Tode auf meine Frau überträgt, sondern ihr dieselbe unverkürzt auszuzahlen, wie ich sie bei Lebzeiten meines Oheims bezog.
Ich sage ausdrücklich: »Wie ich sie bei Lebzeiten meines Oheims bezog«, weil mein Vetter Carl Heine seit nahezu fünf Jahren, seit meine Krankheit sich stark verschlimmert hat, die Summe meiner Pension tatsächlich mehr als verdoppelte, für welche edelmütige Aufmerksamkeit ich ihm großen Dank schulde. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß ich nicht nötig gehabt hätte, diesen Appell an die Liberalität meines Vetters zu richten; denn ich bin überzeugt, daß er mit der ersten Schaufel Erde, die er, nach seinem Rechte als mein nächster Anverwandter, auf mein Grab werfen wird, wenn er sich[448] zur Zeit meines Abscheidens in Paris befindet, all jene peinlichen Beklagnisse vergessen wird, die ich so sehr bedauert und durch ein langwieriges Sterbelager gesühnt habe; er wird sich dann gewiß nur unserer einstmaligen herzlichen Freundschaft erinnern, jener Verwandtschaft und Übereinstimmung der Gefühle, die uns seit unserer zarten Jugend verband, und er wird der Witwe seines Freundes einen echt väterlichen Schutz angedeihen lassen; aber es ist für die Ruhe der einen wie der andern nicht unnütz, daß die Lebenden wissen, was die Toten von ihnen begehren.
§ 3. Ich wünsche, daß nach meinem Ableben alle meine Papiere und meine sämtlichen Briefe sorgfältig verschlossen und zur Verfügung meines Neffen Ludwig von Embden gehalten werden, dem ich meine weiteren Bestimmungen über den Gebrauch, den er davon machen soll, erteilen werde, ohne Präjudiz für die Eigentumsrechte meiner Universalerbin.
§ 4. Wenn ich sterbe, bevor die Gesamtausgabe meiner Werke erschienen ist, und wenn ich nicht die Leitung dieser Ausgabe habe übernehmen können oder selbst wenn mein Tod eintritt, bevor sie beendet ist, so bitte ich meinen Verwandten, Herrn Doktor Rudolf Christiani, mich in der Leitung dieser Publikation zu ersetzen, indem er sich streng an den Prospektus hält, den ich ihm zu diesem Zweck hinterlassen werde. Wenn mein Freund, Herr Campe, der Verleger meiner Werke, irgendwelche Änderungen in der Art und Weise wünscht, wie ich meine verschiedenen Schriften in dem genannten Prospektus geordnet habe, so wünsche ich, daß man ihm in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten bereite, da ich mich immer gern seinen buchhändlerischen Bedürfnissen gefügt habe. Die Hauptsache ist, daß in meinen Schriften keine Zeile eingeschaltet werde, die ich nicht ausdrücklich zur Veröffentlichung bestimmt habe oder die ohne die Unterschrift meines vollständigen Namens gedruckt worden ist; eine angenommene Chiffre genügt nicht, um mir ein Schriftstück zuzuschreiben, das in irgendeinem Journal veröffentlicht worden, da die Bezeichnung des Autors durch eine Chiffre immer von den Chefredakteuren abhing, die sich niemals die Gewohnheit versagten, in einem bloß mit einer Chiffre bezeichneten Artikel Änderungen am Inhalt oder der Form vorzunehmen. Ich verbiete ausdrücklich, daß unter irgendwelchem Vorwande irgendein Schriftstück eines andern, sei es so klein, wie es wolle, meinen Werken angehängt werde, falls es nicht eine biographische Notiz aus der Feder[449] eines meiner alten Freunde wäre, den ich ausdrücklich mit einer solchen Arbeit betraut hätte. Ich setze voraus, daß mein Wille in dieser Beziehung, d.h. daß meine Bücher nicht dazu dienen, irgendein fremdes Schriftstück ins Schlepptau zu nehmen oder zu verbreiten, in seinem vollen Umfange loyal befolgt wird.
§ 5. Ich verbiete, meinen Körper nach meinem Hinscheiden eine Autopsie zu unterwerfen; nur glaube ich, da meine Krankheit oftmals einem starrsüchtigen Zustande glich, daß man die Vorsicht treffen sollte, mir vor meiner Beerdigung eine Ader zu öffnen.
§ 6. Wenn ich mich zur Zeit meines Ablebens in Paris befinde und nicht zu weit von Montmartre entfernt wohne, so wünsche ich auf dem Kirchhofe dieses Namens beerdigt zu werden, da ich eine Vorliebe für dieses Quartier hege, wo ich lange Jahre hindurch gewohnt habe.
§ 7. Ich verlange, daß mein Leichenbegängnis so einfach wie möglich sei und daß die Kosten meiner Beerdigung nicht den gewöhnlichen Betrag derjenigen des geringsten Bürgers übersteigen. Obschon ich durch den Taufakt der lutherischen Konfession angehöre, wünsche ich nicht, daß die Geistlichkeit dieser Kirche zu meinem Begräbnisse eingeladen werde; ebenso verzichte ich auf die Amtshandlung jeder andern Priesterschaft, um mein Leichenbegängnis zu feiern. Dieser Wunsch entspringt aus keiner freigeistigen Anwandlung. Seit vier Jahren habe ich allem philosophischen Stolze entsagt und bin zu religiösen Ideen und Gefühlen zurückgekehrt; ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt, dessen Erbarmen ich anflehe für meine unsterbliche Seele. Ich bedaure, in meinen Schriften zuweilen von heiligen Dingen ohne die ihnen schuldige Ehrfurcht gesprochen zu haben, aber ich wurde mehr durch den Geist meines Zeitalters als durch meine eigenen Neigungen fortgerissen. Wenn ich unwissentlich die guten Sitten und die Moral beleidigt habe, welche das wahre Wesen aller monotheistischen Glaubenslehren ist, so bitte ich Gott und die Menschen um Verzeihung. Ich verbiete, daß irgendeine Rede, deutsch oder französisch, an meinem Grabe gehalten werde. Gleichzeitig spreche ich den Wunsch aus, daß meine Landsleute, wie glücklich sich auch die Geschicke unsrer Heimat gestalten mögen, es vermeiden, meine Asche nach Deutschland überzuführen; ich habe es nie geliebt, meine Person zu politischen Possenspielen herzugeben. Es war die große Aufgabe meines Lebens, an dem herzlichen Einverständnisse zwischen[450] Deutschland und Frankreich zu arbeiten und die Ränke der Feinde der Demokratie zu vereiteln, welche die internationalen Vorurteile und Animositäten zu ihrem Nutzen ausbeuten. Ich glaube mich sowohl um meine Landsleute wie um die Franzosen wohlverdient gemacht zu haben, und die Ansprüche, welche ich auf ihren Dank besitze, sind ohne Zweifel das wertvollste Vermächtnis, das ich meiner Universalerbin zuwenden kann.
§ 8. Ich ernenne Herrn Maxime Jaubert, Rat im Kassationsgerichtshofe, zum Testamentsvollstrecker, und ich danke ihm für die bereitwillige Übernahme dieses Amtes.
Das vorliegende Testament ist so von Herrn Heinrich Heine diktiert und ganz von der Hand des Herrn Ducloux, eines der unterzeichneten Notare, geschrieben worden, wie es der Testator ihm diktiert hat, alles in Gegenwart der benannten Notare und der Zeugen, welche, darüber befragt, erklärt haben, daß sie nicht mit der Erbin verwandt seien.
Und nachdem es in Gegenwart derselben Personen dem Testator vorgelesen worden, hat er erklärt, dabei als dem genauen Ausdruck seines Willens zu verharren.
Geschehen und vollzogen zu Paris im oben bezeichneten Schlafzimmer des Herrn Heine.
Im Jahre achtzehnhunderteinundfünfzig, Donnerstag, den dreizehnten November, gegen sechs Uhr nachmittags.
Und nach abermaliger vollständiger Vorlesung haben der Testator und die Zeugen nebst den Notaren unterzeichnet.
F.-L. Ducloux
Ch.-E. Rousse
E. Grouchy
Henri Heine
M. Jacob[451]
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro