[510] Berlin, den 16. März 1822
Ihr sehr wertes Schreiben vom 2. Februar habe ich richtig erhalten und ersah daraus mit Vergnügen, daß mein erster Brief Ihren Beifall hat. Ihr leise angedeuteter Wunsch, bestimmte Persönlichkeiten nicht zu sehr hervortreten zu lassen, soll in etwa erfüllt werden. Es ist wahr, man kann mich leicht mißverstehen. Die Leute betrachten nicht das Gemälde, das ich leicht hinskizziere, sondern die Figürchen, die ich hineingezeichnet, um es zu beleben, und glauben vielleicht gar, daß es mir um diese Figürchen besonders zu tun war. Aber man kann auch Gemälde ohne Figuren malen, so wie man Suppe ohne Salz essen kann. Man kann verblümt sprechen, wie unsere Zeitungsschreiber. Wenn sie von einer großen norddeutschen Macht reden, so weiß jeder, daß sie Preußen meinen. Das finde ich lächerlich. Es kommt mir vor, als wenn die Masken im Redoutensaale ohne Gesichtslarven herumgingen. Wenn ich von einem großen norddeutschen Juristen spreche, der das schwarze Haar so lang als möglich von der Schulter herabwallen läßt, mit frommen Liebesaugen gen Himmel schaut, einem Christusbilde ähnlich sehen möchte, übrigens einen französischen Namen trägt, von französischer Ab stammung ist und doch gar gewaltig deutsch tut, so wissen die Leute, wen ich meine. Ich werde alles bei seinem Namen nennen; ich denke darüber wie Boileau. Ich werde auch manche Persönlichkeit schildern; ich kümmre mich wenig um den Tadel jener Leutchen, die sich im Lehnstuhl der Konvenienzkorrespondenz behaglich schaukeln und jederzeit liebreich ermahnen: »Lobt uns, aber sagt nicht, wie wir aussehn.«
Ich habe es längst gewußt, daß eine Stadt wie ein junges Mädchen ist und ihr holdes Angesicht gern wiedersieht im Spiegel fremder Korrespondenz. Aber nie hätte ich gedacht, daß Berlin bei einem solchen Bespiegeln sich wie ein altes Weib, wie eine echte Klatschliese, gebärden würde. Ich machte bei dieser Gelegenheit die Bemerkung: »Berlin ist ein großes Krähwinkel.«[510]
Ich bin heute sehr verdrießlich, mürrisch, ärgerlich, reizbar; der Mißmut hat der Phantasie den Hemmschuh angelegt, und sämtliche Witze tragen schwarze Trauerflöre. Glauben Sie nicht, daß etwa eine Weiberuntreue die Ursache sei. Ich liebe die Weiber noch immer; als ich in Göttingen von allem weiblichen Umgange abgeschlossen war, schaffte ich mir wenigstens eine Katze an; aber weibliche Untreue könnte nur noch auf meine Lachmuskeln wirken. Glauben Sie nicht, daß etwa meine Eitelkeit schmerzlich beleidigt worden sei; die Zeit ist vorbei, wo ich des Abends meine Haare mühsam in Papilloten zu drehen pflegte, einen Spiegel beständig in der Tasche trug und mich fünfundzwanzig Stunden des Tages mit dem Knüpfen der Halsbinde beschäftigte. Denken Sie auch nicht, daß vielleicht Glaubensskrupel mein zartes Gemüt quälend beunruhigten; ich glaube jetzt nur noch an den pythagoreischen Lehrsatz und ans königl. preuß. Landrecht. Nein, eine weit vernünftigere Ursache bewirkt meine Betrübnis: mein köstlichster Freund, der Liebenswürdigste der Sterblichen, Eugen v. B., ist vorgestern abgereist! Das war der einzigste Mensch, in dessen Gesellschaft ich mich nicht langweilte, der einzige, dessen originelle Witze mich zur Lebenslustigkeit aufzuheitern vermochten und in dessen süßen, edeln Gesichtszügen ich deutlich sehen konnte, wie einst meine Seele aussah, als ich noch ein schönes reines Blumenleben führte und mich noch nicht befleckt hatte mit dem Haß und mit der Lüge.
Doch Schmerz beiseite; ich muß jetzt davon sprechen, was die Leute singen und sagen bei uns an der Spree. Was sie klingeln und was sie züngeln, was sie kichern und was sie klatschen, alles sollen Sie hören, mein Lieber.
Boucher, der längst sein aller-, aller-, allerletztes Konzert gegeben und jetzt vielleicht Warschau oder Petersburg mit seinen Kunststücken auf der Violine entzückt, hat wirklich recht, wenn er Berlin la capitale de la musique nennt. Es ist hier den ganzen Winter hindurch ein Singen und Klingen gewesen, daß einem fast Hören und Sehen vergeht. Ein Konzert trat dem andern auf die Ferse.
[511]
Wer nennt die Fiedler, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
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Selbst von Hispanien kamen sie
Und spielten auf dem Schaugerüste
Gar manche schlechte Melodie.
Der Spanier war Escudero, ein Schüler Baillots, ein wackerer Violinspieler, jung, blühend, hübsch und dennoch kein Protegé der Damen. Ein ominöses Gerücht ging ihm voran, als habe das italienische Messer ihn unfähig gemacht, dem schönen Geschlechte gefährlich zu sein. Ich will Sie nicht ermüden mit dem Aufzählen aller jener musikalischen Abendunterhaltungen, die uns diesen Winter entzückten und langweilten. Ich will nur erwähnen, daß das Konzert der Seidler drückend voll war und daß wir jetzt auf Drouets Konzert gespannt sind, weil der junge Mendelssohn darin zum ersten Male öffentlich spielen wird. –
Haben Sie noch nicht Maria von Webers »Freischütz« gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper das »Lied der Brautjungfern« oder den »Jungfernkranz« gehört? Nein? Glücklicher Mann!
Wenn Sie vom Hallischen nach dem Oranienburger Tore und vom Brandenburger nach dem Königstore, ja selbst wenn Sie vom Unterbaum nach dem Köpnicker Tore gehen, hören Sie jetzt immer und ewig dieselbe Melodie, das Lied aller Lieder: den »Jungfernkranz«.
Wie man in den Goethischen Elegien den armen Briten von dem »Marlborough s'en va-t-en guerre« durch alle Länder verfolgt sieht, so werde auch ich von morgens früh bis spät in die Nacht verfolgt durch das Lied:
Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide;
Wir führen dich zu Spiel und Tanz,
Zu Lust und Hochzeitfreude.
[512] Chor:
Schöner, schöner, schöner grüner Jungfernkranz,
Mit veilchenblauer Seide, mit veilchenblauer Seide!
Lavendel, Myrt' und Thymian,
Das wächst in meinem Garten.
Wie lange bleibt der Freiersmann,
Ich kann ihn kaum erwarten!
Chor:
Schöner, schöner, schöner usw.
Bin ich mit noch so guter Laune des Morgens aufgestanden, so wird doch gleich alle meine Heiterkeit fortgeärgert, wenn schon früh die Schuljugend, den »Jungfernkranz« zwitschernd, meinem Fenster vorbeizieht. Es dauert keine Stunde, und die Tochter meiner Wirtin steht auf mit ihrem »Jungfernkranz«. Ich höre meinen Barbier den »Jungfernkranz« die Treppe heraufsingen. Die kleine Wäscherin kommt »mit Lavendel, Myrt' und Thymian«. So geht's fort. Mein Kopf dröhnt. Ich kann's nicht aushalten, eile aus dem Hause und werfe mich mit meinem Ärger in eine Droschke. Gut, daß ich durch das Rädergerassel nicht singen höre. Bei ***li steig ich ab. »Ist's Fräulein zu sprechen?« Der Diener läuft. »Ja.« Die Türe fliegt auf. Die Holde sitzt am Pianoforte und empfängt mich mit einem süßen:
»Wo bleibt der schmucke Freiersmann,
Ich kann ihn kaum erwarten.« –
»Sie singen wie ein Engel!« ruf ich mit krampfhafter Freundlichkeit. »Ich will noch einmal von vorne anfangen«, lispelt die Gütige, und sie windet wieder ihren »Jungfernkranz« und windet und windet, bis ich selbst vor unsäglichen Qualen wie ein Wurm mich winde, bis ich vor Seelenangst ausrufe: »Hilf, Samiel!«
Sie müssen wissen, so heißt der böse Feind im »Freischützen«; der Jäger Kaspar, der sich ihm ergeben hat, ruft in jeder[513] Not: »Hilf, Samiel!«; es wurde hier Mode, in komischer Bedrängnis diesen Ausruf zu gebrauchen, und Boucher hat einst sogar im Konzerte, als ihm eine Violinsaite sprang, laut ausgerufen: »Hilf, Samiel!«
Und Samiel hilft. Die bestürzte Donna hält plötzlich ein mit dem rädernden Gesange und lispelt: »Was fehlt Ihnen?« – »Es ist pures Entzücken«, ächze ich mit forciertem Lächeln. »Sie sind krank«, lispelte sie, »gehen Sie nach dem Tiergarten, genießen Sie das schene Wetter, und beschauen Sie die schene Welt.« Ich greife nach Hut und Stock, küsse der Gnädigen die gnädige Hand, werfe ihr noch einen schmachtenden Passionsblick zu, stürze zur Tür hinaus, steige wieder in die erste beste Droschke und rolle nach dem Brandenburger Tore. Ich steige aus und laufe hinein in den Tiergarten.
Ich rate Ihnen, wenn Sie hierherkommen, so versäumen Sie nicht, an solchen schönen Vorfrühlingstagen, um diese Zeit, um halb eins, in den Tiergarten zu gehen.
Gehen Sie links hinein und eilen Sie nach der Gegend, wo unserer seligen Luise von den Einwohnerinnen des Tiergartens ein kleines, einfaches Monument gesetzt ist. Dort pflegt unser König oft spazierenzugehen. Es ist eine schöne, edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, die allen äußeren Prunk verschmäht. Er trägt fast immer einen scheinlos grauen Mantel, und einem Tölpel habe ich weisgemacht, der König müsse sich oft mit dieser Kleidung etwas behelfen, weil sein Garderobemeister außer Landes wohnt und nur selten nach Berlin kömmt. Die schönen Königskinder sieht man ebenfalls zu dieser Zeit im Tiergarten sowie auch den ganzen Hof und die allernobelste Noblesse. Die fremdartigen Gesichter sind Familien auswärtiger Gesandten. Ein oder zwei Livreebediente folgen den edeln Damen in einiger Entfernung. Offiziere auf den schönsten Pferden galoppieren vorbei. Ich habe selten schönere Pferde gesehen als hier in Berlin. Ich weide meine Augen an dem Anblick der herrlichen Reutergestalten. Die Prinzen unseres Hauses sind darunter. Welch ein schönes, kräftiges Fürstengeschlecht! An diesem Stamme ist kein mißgestalteter, verwahrloster Ast. In[514] freudiger Lebensfülle, Mut und Hoheit auf den edeln Gesichtern, reiten dort die zwei ältern Königssöhne vorbei. Jene schöne jugendliche Gestalt, mit frommen Gesichtszügen und liebeklaren Augen, ist der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl. Aber jenes leuchtende, majestätische Frauenbild, das, mit einem buntglänzenden Gefolge, auf hohem Rosse vorbeifliegt, das ist unsre – Alexandrine. Im braunen, festanliegenden Reitkleide, ein runder Hut mit Federn auf dem Haupte und eine Gerte in der Hand, gleicht sie jenen ritterlichen Frauengestalten, die uns aus dem Zauberspiegel alter Märchen so lieblich entgegenleuchten und wovon wir nicht entscheiden können, ob sie Heiligenbilder sind oder Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieser reinen Züge hat mich besser gemacht; andächtige Gefühle durchschauern mich, ich höre Engelstimmen, unsichtbare Friedenspalmen fächeln, in meine Seele steigt ein großer Hymnus – da erklirren plötzlich schnarrende Harfensaiten, und eine Alteweiberstimme quäkt: »Wir winden dir den Jungfernkranz« usw.
Und nun den ganzen Tag verläßt mich nicht das vermaledeite Lied. Die schönsten Momente verbittert es mir. Sogar wenn ich bei Tisch sitze, wird es mir vom Sänger Heinsius als Dessert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag werde ich mit »veilchenblauer Seide« gewürgt. Dort wird der »Jungfernkranz« von einem Lahmen abgeorgelt, hier wird er von einem Blinden heruntergefiedelt. Am Abend geht der Spuk erst recht los. Das ist ein Flöten und ein Grölen und ein Fistulieren und ein Gurgeln, und immer die alte Melodie. Das Kasparlied und der Jägerchor wird wohl dann und wann von einem illuminierten Studenten oder Fähndrich zur Abwechselung in das Gesumme hineingebrüllt, aber der »Jungfernkranz« ist permanent; wenn der eine ihn beendigt hat, fängt ihn der andere wieder von vorn an; aus allen Häusern klingt er mir entgegen; jeder pfeift ihn mit eigenen Variationen; ja, ich glaube fast, die Hunde auf der Straße bellen ihn.
Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich abends mein Haupt auf den Schoß der schönsten Borussin; sie streichelt mir[515] zärtlich das borstige Haar, lispelt mir ins Ohr: »Ich liebe dir, und deine Lawise wird dich ooch immer jut sind«, und sie streichelt und hätschelt so lange, bis sie glaubt, daß ich am Einschlummern sei, und sie ergreift leise die »Katharre« und spielt und singt die »Kravatte« aus »Tankred«: »Nach soviel Leiden«, und ich ruhe aus nach so vielen Leiden, und liebe Bilder und Töne umgaukeln mich – da weckt's mich wieder gewaltsam aus meinen Träumen, und die Unglückselige singt: »Wir winden dir den Jungfernkranz –«
In wahnsinniger Verzweiflung reiße ich mich los aus der lieblichsten Umarmung, eile die enge Treppe hinunter, fliege wie ein Sturmwind nach Hause, werfe mich knirschend ins Bett, höre noch die alte Köchin mit ihrem Jungfernkranze herumtrippeln und hülle mich tiefer in die Decke.
Sie begreifen jetzt, mein Lieber, warum ich Sie einen glücklichen Mann nannte, wenn Sie jenes Lied noch nicht gehört haben. Doch glauben Sie nicht, daß die Melodie desselben wirklich schlecht sei. Im Gegenteil, sie hat eben durch ihre Vortrefflichkeit jene Popularität erlangt. Mais toujours perdrix? Sie verstehen mich. Der ganze »Freischütz« ist vortrefflich und verdient gewiß jenes Interesse, womit er jetzt in ganz Deutschland aufgenommen wird. Hier ist er jetzt vielleicht schon zum dreißigsten Male gegeben, und noch immer wird es erstaunlich schwer, zu einer Vorstellung desselben gute Billette zu bekommen. In Wien, Dresden, Hamburg macht er ebenfalls Furore. Dieses beweiset hinlänglich, daß man unrecht hatte, zu glauben, als ob diese Oper hier nur durch die antispontinische Partei gehoben worden sei. Antispontinische Partei? Ich sehe, der Ausdruck befremdet Sie. Glauben Sie nicht, diese sei eine politische. Der heftige Parteikampf von Liberalen und Ultras, wie wir ihn in andern Hauptstädten sehen, kann bei uns nicht zum Durchbruch kommen, weil die königliche Macht, kräftig und parteilos schlichtend, in der Mitte steht. Aber dafür sehen wir in Berlin oft einen ergötzlichern Parteikampf, den in der Musik. Wären Sie Ende des vorigen Sommers hiergewesen, hätten Sie es sich in der Gegenwart veranschaulichen können, wie einst in[516] Paris der Streit der Gluckisten und Piccinisten ungefähr ausgesehen haben mag. – Aber ich sehe, ich muß hier etwas ausführlicher von der hiesigen Oper sprechen; erstens, weil sie doch in Berlin ein Hauptgegenstand der Unterhaltung ist, und zweitens, weil Sie ohne nachfolgende Bemerkungen den Geist mancher Notizen gar nicht fassen können. Von unsern Sängerinnen und Sängern will ich hier gar nicht sprechen. Ihre Apologien sind stereotyp in allen Berliner Korrespondenzartikeln und Zeitungsrezensionen; täglich liest man: die Milder-Hauptmann ist unübertrefflich, die Schulz ist vortrefflich und die Seidler ist trefflich. Genug, es ist unbestritten, daß man die Oper hier auf eine erstaunliche Kunsthöhe gebracht hat und daß sie keiner andern deutschen Oper nachzustehen braucht. Ob dieses durch die emsige Wirksamkeit des verstorbenen Webers geschehen ist oder ob Ritter Spontini, nach dem Ausspruch seiner Anhänger, wie mit dem Schlag einer Zauberrute alle diese Herrlichkeit ins Leben hervorgerufen habe, wage ich sehr zu bezweifeln. Ich wage sogar zu glauben, daß die Leitung des großen Ritters auf einige Teile der Oper höchst nachteilig gewirkt habe. Aber ich behaupte durchaus, daß seit der völligen Trennung der Oper von dem Schauspiel und Spontinis unumschränkter Beherrschung derselben diese täglich mehr und mehr Schaden erleiden muß, durch die natürliche Vorliebe des großen Ritters für seine eignen großen Produkte und die Produkte verwandter oder befreundeter Genies und durch seine ebenso natürliche Abneigung gegen die Musik solcher Komponisten, deren Geist den seinigen nicht anspricht oder dem seinigen nicht huldigt oder gar – horribile dictu – mit dem seinigen wetteifert.
Ich bin zu sehr Laie im Gebiete der Tonkunst, als daß ich mein eignes Urteil über den Wert der Spontinischen Kompositionen aussprechen dürfte, und alles, was ich hier sage, sind bloß fremde Stimmen, die im Gewoge des Tagesgesprächs besonders hörbar sind.
»Spontini ist der größte aller lebenden Komponisten. Er ist ein musikalischer Michelangelo. Er hat in der Musik neue[517] Bahnen gebrochen. Er hat ausgeführt, was Gluck nur geahnet. Er ist ein großer Mann, er ist ein Genie, er ist ein Gott!« So spricht die spontinische Partei, und die Wände der Paläste schallen wider von dem unmäßigen Lobe. – Sie müssen nämlich wissen, es ist die Noblesse, die besonders von Spontinis Musik angesprochen wird und demselben ausgezeichnete Zeichen ihrer Gunst angedeihen läßt. An diese edlen Gönner lehnt sich die wirkliche spontinische Partei, die natürlicherweise aus einer Menge Menschen besteht, die dem vornehmen und legitimen Geschmacke blindlings huldigt, aus einer Menge Enthusiasten für das Ausländische, aus einigen Komponisten, die ihre Musik gern auf die Bühne brächten, und endlich aus einer Handvoll wirklicher Verehrer.
Woraus ein Teil der Gegenpartei besteht, ist wohl leicht zu erraten. Viele sind auch dem guten Ritter gram, weil er ein Welscher ist. Andre, weil sie ihn beneiden. Wieder andre, weil seine Musik nicht deutsch ist. Aber endlich der größte Teil sieht in seiner Musik nur Pauken- und Trompetenspektakel, schallenden Bombast und gespreizte Unnatur. Hierzu kam noch der Unwille vieler – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Jetzt, mein Lieber, können Sie sich den Lärm erklären, der diesen Sommer ganz Berlin erfüllte, als Spontinis »Olympia« auf unsrer Bühne zuerst erschien. Haben Sie die Musik dieser Oper nicht in Hamm hören können? An Pauken und Posaunen war kein Mangel, so daß ein Witzling den Vorschlag machte, im Neuen Schauspielhause die Haltbarkeit der Mauern durch die Musik dieser Oper zu probieren. Ein anderer Witzling kam eben aus der brausenden »Olympia«, hörte auf der Straße den Zapfenstreich trommeln und rief, Atem schöpfend: »Endlich hört man doch sanfte Musik!« Ganz Berlin witzelte über die vielen Posaunen und über den großen Elefanten in den Prachtaufzügen dieser Oper. Die Tauben aber waren ganz entzückt von so vieler Herrlichkeit und versicherten, daß sie diese schöne dicke Musik mit den Händen fühlen konnten. Die Enthusiasten[518] aber riefen: »Hosianna! Spontini ist selbst ein musikalischer Elefant! Er ist ein Posaunenengel!«
Kurz darauf kam Karl Maria v. Weber nach Berlin, sein »Freischütz« wurde im Neuen Theater aufgeführt und entzückte das Publikum. Jetzt hatte die antispontinische Partei einen festen Punkt, und am Abend der ersten Vorstellung seiner Oper wurde Weber aufs herrlichste gefeiert. In einem recht schönen Gedichte, das den Doktor Förster zum Verfasser hatte, hieß es vom »Freischützen«, »er jage nach edlerm Wilde als nach Elefanten«. Weber ließ sich über diesen Ausdruck den andern Tag im »Intelligenzblatte« sehr kläglich vernehmen und kajolierte Spontini und blamierte den armen Förster, der es doch so gut gemeint hatte. Weber hegte damals die Hoffnung, hier bei der Oper angestellt zu werden, und würde sich nicht so unmäßig bescheiden gebärdet haben, wenn ihm schon damals alle Hoffnung des Hierbleibens abgeschnitten gewesen wäre. Weber verließ uns nach der dritten Vorstellung seiner Oper, reiste nach Dresden zurück, erhielt dort einen glänzenden Ruf nach Kassel, wies ihn zurück, dirigierte wieder vor wie nach die Dresdner Oper, wird dort einem guten General ohne Soldaten verglichen und ist jetzt nach Wien gereist, wo eine neue komische Oper von ihm gegeben werden soll. – Über den Wert des Textes und der Musik des »Freischützen« verweise ich Sie auf die große Rezension desselben vom Professor Gubitz im »Gesellschafter«. Dieser geistreiche und scharfsinnige Kritiker hat das Verdienst, daß er der erste war, der die romantischen Schönheiten dieser Oper ausführlich entwickelte und ihre großen Triumphe am bestimmtesten voraussagte.
Webers Äußere ist nicht sehr ansprechend. Kleine Statur, ein schlechtes Untergestell und ein langes Gesicht ohne sonderlich angenehme Züge. Aber auf diesem Gesichte liegt ganz verbreitet der sinnige Ernst, die bestimmte Sicherheit und das ruhige Wollen, das uns so bedeutsam anzieht in den Gesichtern altdeutscher Meister. Wie kontrastiert dagegen das Äußere Spontinis! Die hohe Gestalt, das tiefliegende dunkle Flammenauge, die pechschwarzen Locken, von welchen die gefurchte[519] Stirne zur Hälfte bedeckt wird, der halb wehmütige, halb stolze Zug um die Lippen, die brütende Wildheit dieses gelblichen Gesichtes, worin alle Leidenschaften getobt haben und noch toben, der ganze Kopf, der einem Kalabresen zu gehören scheint und der dennoch schön und edel genannt werden muß: – alles läßt uns gleich den Mann erkennen, aus dessen Geiste die »Vestalin«, »Cortez« und »Olympia« hervorgingen.
Von den hiesigen Komponisten erwähne ich gleich nach Spontini unsern Bernhard Klein, der sich schon längst durch einige schöne Kompositionen rühmlichst bekannt gemacht hat und dessen große Oper »Dido« vom ganzen Publikum mit Sehnsucht erwartet wird. Diese Oper soll, nach dem Ausspruche aller Kenner, denen der Komponist einiges daraus mitteilte, die wunderbarsten Schönheiten enthalten und ein geniales deutsches Nationalwerk sein. Kleins Musik ist ganz original. Sie ist ganz verschieden von der Musik der oben besprochenen zwei Meister, so wie neben den Gesichtern derselben das heitere, angenehme, lebenslustige Gesicht des gemütlichen Rheinländers einen auffallenden Kontrast bildet. Klein ist ein Kölner und kann als der Stolz seiner Vaterstadt betrachtet werden.
G. A. Schneider darf ich hier nicht übergehn. Nicht als ob ich ihn für einen so großen Komponisten hielte, sondern weil er als Komponist von Koreffs »Aucassin und Nicolette« vom 26. Febr. bis auf diese Stunde ein Gegenstand des öffentlichen Gesprächs war. Wenigstens acht Tage lang hörte man von nichts sprechen als von Koreff und Schneider und Schneider und Koreff. Hier standen geniale Dilettanten und rissen die Musik herunter; dort stand ein Haufen schlechter Poeten und schulmeisterte den Text. Was mich betrifft, so amüsierte mich diese Oper ganz außerordentlich. Mich erheiterte das bunte Märchen, das der kunstbegabte Dichter so lieblich und kindlich schlicht entfaltete, mich ergötzte der anmutige Kontrast vom ernsten Abendlande und dem heitern Orient, und wie die verwunderlichsten Bilder, in loser Verknüpfung, abenteuerlich dahingaukelten, regte sich in mir der Geist der blühenden Romantik. – Es ist immer ein ungeheurer Spektakel in Berlin,[520] wenn eine neue Oper gegeben wird, und hier kam noch der Umstand hinzu, daß der Musikdirektor Schneider und der Geheimrat Ritter Koreff so allgemein bekannt sind. Letztern verlieren wir bald, da er sich schon längst zu einer großen Reise ins Ausland vorbereitet. Das ist ein Verlust für unsere Stadt, da dieser Mann sich auszeichnet durch gesellige Tugenden, angenehme Persönlichkeit und Großartigkeit der Gesinnung.
Was man in Berlin singt, das wissen Sie jetzt, und ich komme zur Frage: Was spricht man in Berlin? – Ich habe vorsätzlich erst vom Singen gesprochen, da ich überzeugt bin, daß die Menschen erst gesungen haben, ehe sie sprechen lernten, so wie die metrische Sprache der Prosa voranging. Wirklich, ich glaube, daß Adam und Eva sich in schmelzenden Adagios Liebeserklärungen machten und in Rezitativen ausschimpften. Ob Adam auch zu letztern den Takt schlug? Wahrscheinlich. Dieses Taktschlagen ist bei unserm Berliner Pöbel durch Tradition noch geblieben, obschon das Singen dabei außer Gebrauch kam. Wie die Kanarienvögel zwitscherten unsere Ureltern in den Tälen Kaschimirs. Wie haben wir uns ausgebildet! Ob die Vögel einst ebenfalls zum Sprechen gelangen werden? Die Hunde und die Schweine sind auf gutem Wege; ihr Bellen und Grunzen ist ein Übergang vom Singen zum ordentlichen Sprechen. Erstere werden reden die Sprache von Oc, die andern die Sprache von Oui. Die Bären sind gegen uns übrigen Deutsche in der Kultur noch sehr zurückgeblieben, und obschon sie in der Tanzkunst mit uns wetteifern, so ist ihr Brummen, wenn wir es mit andern deutschen Mundarten vergleichen, durchaus noch keine Sprache zu nennen. Die Esel und die Schafe hatten es einst schon bis zum Sprechen gebracht, hatten ihre klassische Literatur, hielten vortreffliche Reden über die reine Eselhaftigkeit im geschlossenen Hammeltume, über die Idee eines Schafskopfs und über die Herrlichkeit des Altböckischen. Aber wie es nach dem Kreislauf der Dinge zu geschehen pflegt, sie sind in der Kultur wieder so tief gesunken, daß sie ihre Sprache verloren und bloß das gemütliche »I-A« und das kindlich-fromme »Bäh« behielten.[521]
Wie komme ich aber vom »I-A« der Langohrigen und vom »Bäh« der Dickwolligen zu den Werken von Sir Walter Scott? Denn von diesen muß ich jetzt sprechen, weil ganz Berlin davon spricht, weil sie der »Jungfernkranz« der Lesewelt sind, weil man sie überall liest, bewundert, bekrittelt, herunterreißt und wieder liest. Von der Gräfin bis zum Nähmädchen, vom Grafen bis zum Laufjungen liest alles die Romane des großen Schotten; besonders unsre gefühlvollen Damen. Diese legen sich nieder mit »Waverley«, stehen auf mit »Robin dem Roten« und haben den ganzen Tag den »Zwerg« in den Fingern. Der Roman »Kenilworth« hat gar besonders Furore gemacht. Da hier sehr wenige mit vollkommner Kenntnis des Englischen gesegnet sind, so muß sich der größte Teil unserer Lesewelt mit französischen und deutschen Übersetzungen behelfen. Daran fehlt es auch nicht. Von dem letzten Scottischen Roman »Der Pirat« sind vier Übersetzungen auf einmal angekündigt. Zwei davon kommen hier heraus; die der Frau von Montenglaut bei Schlesinger und die des Doktor Spieker bei Duncker und Humblot. Die dritte Übersetzung ist die von Lotz in Hamburg, und die vierte wird in der Taschenausgabe der Gebr. Schumann in Zwickau enthalten sein. Daß es bei solchen Umständen an einiger Reibung nicht fehlen wird, ist vorauszusehen. Frau von Hohenhausen ist jetzt mit der Übersetzung des Scottischen »Ivanhoe« beschäftigt, und von der trefflichen Übersetzerin Byrons können wir auch eine treffliche Übersetzung Scotts erwarten. Ich glaube sogar, daß diese noch vorzüglicher ausfallen wird, da in dem sanften, für reine Ideale empfänglichen Gemüte der schönen Frau die frömmig heitern, unverzerrten Gestalten des freundlichen Scotten sich weit klarer abspiegeln werden als die düstern Höllenbilder des mürrischen, herzkranken Engländers. In keine schönern und zartern Hände konnte die schöne, zarte Rebekka geraten, und die gefühlvolle Dichterin braucht hier nur mit dem Herzen zu übersetzen.
Auf eine ausgezeichnete Weise wurde Scotts Name kürzlich hier gefeiert. Bei einem Feste war eine glänzende Maskerade,[522] wo die meisten Helden der Scottischen Romane in ihrer charakteristischen Äußerlichkeit erschienen. Von dieser Festlichkeit und diesen Bildern sprach man hier wieder acht Tage lang. Besonders trug man sich damit herum, daß der Sohn von Walter Scott, der sich just hier befindet, als schottischer Hochländer gekleidet und, ganz wie es jenes Kostüm verlangt, nacktbeinig, ohne Hosen, bloß ein Schurz tragend, das bis auf die Mitte der Lenden reichte, bei diesem glänzenden Feste paradierte. Dieser junge Mensch, ein englischer Husarenoffizier, wird hier sehr gefeiert und genießt hier den Ruhm seines Vaters. – Wo sind die Söhne Schillers? Wo sind die Söhne unserer großen Dichter, die, wenn auch nicht ohne Hosen, doch vielleicht ohne Hemd herumgehn? Wo sind endlich unsre großen Dichter selbst? Still, still, das ist eine partie honteuse.
Ich will nicht ungerecht sein und hier unerwähnt lassen die Verehrung, die man hier dem Namen Goethe zollt – der deutsche Dichter, von dem man hier am meisten spricht. Aber, Hand aufs Herz, mag das feine, weltkluge Betragen unseres Goethe nicht das meiste dazu beigetragen haben, daß seine äußere Stellung so glänzend ist und daß er in so hohem Maße die Affektion unserer Großen genießt? Fern sei es von mir, den alten Herrn eines kleinlichen Charakters zu zeihen. Goethe ist ein großer Mann in einem seidnen Rock. Am großartigsten hat er sich noch kürzlich bewiesen gegen seine kunstsinnigen Landsleute, die ihm im edlen Weichtilde Frankfurts ein Monument setzen wollten und ganz Deutschland zu Geldbeiträgen aufforderten. Hier wurde über diesen Gegenstand erstaunlich viel diskutiert, und meine Wenigkeit schrieb folgendes mit Beifall beehrte Sonett:
Hört zu, ihr deutschen Männer, Mädchen, Frauen,
Und sammelt Subskribenten unverdrossen;
Die Bürger Frankfurts haben jetzt beschlossen,
Ein Ehrendenkmal Goethen zu erbauen.
›Zur Meßzeit wird der fremde Krämer schauen‹ –
So denken sie –, ›daß wir des Manns Genossen,[523]
Daß unserm Miste solche Blum' entsprossen,
Und blindlings wird man uns im Handel trauen.‹
Oh, laßt dem Dichter seine Lorbeerreiser,
Ihr Handelsherrn! Behaltet euer Geld.
Ein Denkmal hat sich Goethe selbst gesetzt.
Im Windelnschmutz war er euch nah, doch jetzt
Trennt euch von Goethe eine ganze Welt,
Euch, die ein Flüßlein trennt vom Sachsenhäuser!
Der große Mann machte, wie bekannt ist, allen Diskussionen dadurch ein Ende, daß er seinen Landsleuten mit der Erklärung, »er sei gar kein Frankfurter«, das Frankfurter Bürgerrecht zurückschickte.
Letzteres soll seitdem – um Frankfurtisch zu sprechen – neunundneunzig Prozent im Werte gesunken sein, und die Frankfurter Juden haben jetzt bessere Aussicht zu dieser schönen Akquisition. Aber – um wieder Frankfurtisch zu sprechen – stehen die Rothschilde und die Bethmänner nicht längst al pari? Der Kaufmann hat in der ganzen Welt dieselbe Religion. Sein Kontor ist seine Kirche, sein Schreibpult ist sein Betstuhl, sein Memorial ist seine Bibel, sein Warenlager ist sein Allerheiligstes, die Börsenglocke ist seine Betglocke, sein Gold ist sein Gott, der Kredit ist sein Glauben.
Ich habe hier Gelegenheit, von zwei Neuigkeiten zu sprechen: erstens von der neuen Börsenhalle, die nach dem Vorbilde der Hamburger eingerichtet ist und vor einigen Wochen eröffnet wurde, und zweitens von dem alten, neu aufgewärmten Projekte der Judenbekehrung. Aber ich übergehe beides, da ich in der neuen Halle noch nicht war und die Juden ein gar zu trauriger Gegenstand sind. Ich werde freilich am Ende auf dieselben zurückkommen müssen, wenn ich von ihrem neuen Kultus spreche, der von Berlin besonders ausgegangen ist. Ich kann es jetzt noch nicht, weil ich es immer versäumt habe, dem neuen mosaischen Gottesdienste einmal beizuwohnen. Auch über die neue Liturgie, die schon längst in der Domkirche eingeführt[524] und Hauptgegenstand des Stadtgespräches ist, will ich nicht schreiben, weil sonst mein Brief zu einem Buche anschwellen würde. Sie hat eine Menge Gegner. Schleiermacher nennt man als den vorzüglichsten. Ich habe unlängst einer seiner Predigten beigewohnt, wo er mit der Kraft eines Luther sprach und wo es nicht an verblümten Ausfällen gegen die Liturgie fehlte. Ich muß gestehen, keine sonderlich gottseligen Gefühle werden durch seine Predigten in mir erregt; aber ich finde mich im bessern Sinne dadurch erbaut, erkräftigt und wie durch Stachelworte aufgegeißelt vom weichen Flaumenbette des schlaffen Indifferentismus. Dieser Mann braucht nur das schwarze Kirchengewand abzuwerfen, und er steht da als Priester der Wahrheit.
Ungemeines Aufsehen erregten die heftigen Ausfälle gegen die hiesige Theologische Fakultät in der Anzeige der Schrift »Gegen die de Wettesche Aktensammlung« (in der »Vossischen Zeitung«) und in der Entgegnung auf die Erklärung der Fakultät (ebendaselbst). Als Verfasser jener Schrift nennt man allgemein Beckedorff. Aus wessen Feder jene Anzeige und Entgegnung geflossen ist, weiß man nicht genau. Einige nennen Kamptz, andere Beckedorff selbst, andere Klindworth, andere Buchholz, andere andere. Die Hand eines gewandten Diplomaten ist in jenen Aufsätzen nicht zu verkennen. Wie man sagt, ist Schleiermacher mit einer Entgegnung beschäftigt, und es wird dem gewaltigen Sprecher leicht werden, seinen Antagonisten niederzureden. Daß die Theologische Fakultät auf solche Angriffe antworten muß, versteht sich von selbst, und das ganze Publikum sieht mit gespannter Erwartung dieser großen Antwort entgegen.
Man ist hier sehr gespannt auf die zwei Supplementbände zum Brockhausischen Konversationslexikon, aus dem sehr natürlichen Grunde, weil sie, laut dem Inhaltsverzeichnisse der Ankündigung, die Biographien einer Menge öffentlicher Charaktere enthalten werden, die, teils in Berlin, teils im Auslande lebend, gewöhnliche Gegenstände der hiesigen Konversation sind. Soeben erhalte ich die erste Lieferung von A bis[525] Bomz (ausgegeben den 1. März 1822) und falle mit Begierde auf die Artikel: Albrecht (Geh. Kabinettsrat), Alopäus, Altenstein, Ancillon, Prinz August (v. Preußen) usw. Unter den Namen, die unsere dortigen Freunde interessieren möchten, nenne ich: Akkum, Arndt, Begasse, Benzenberg und Beugnot, der brave Franzose, der den Bewohnern des Großherzogtums Berg, trotz seiner haßerregenden Stellung, so manche schöne Beweise eines edeln und großen Charakters gegeben hat und jetzt in Frankreich so wacker kämpft für Wahrheit und Recht.
Die Maßregeln gegen den Brockhausischen Verlag sind noch immer in Wirksamkeit. Brockhaus war vorigen Sommer hier und suchte seine Differenzen mit unserer Regierung auszugleichen. Seine Bemühungen müssen fruchtlos gewesen sein. – Brockhaus ist ein Mann von angenehmer Persönlichkeit. Seine äußere Repräsentation, sein scharfblickender Ernst und seine feste Freimütigkeit lassen in ihm jenen Mann erkennen, der die Wissenschaften und den Meinungskampf nicht mit gewöhnlichen Buchhändleraugen betrachtet.
Die griechischen Angelegenheiten sind hier, wie überall, tüchtig durchgesprochen worden, und das Griechenfeuer ist ziemlich erloschen. Die Jugend zeigte sich am meisten enthusiastisch für Hellas; alte, vernünftigere Leute schüttelten die grauen Köpfe. Gar besonders glüheten und flammten die Philologen. Es muß den Griechen sehr viel geholfen haben, daß sie von unsern Tyrtäen auf eine so poetische Weise erinnert wurden an die Tage von Marathon, Salamis und Platää. Unser Professor Zeune, der, wie der Optikus Amuel bemerkt, nicht allein Brillen trägt, sondern auch Brillen zu beurteilen weiß, hatte sich am meisten tätig gezeigt. Der Hauptmann Fabeck, der, wie Sie aus öffentlichen Blättern ersehen hatten, von hier aus, ohne viel tyrtäische Lieder zu singen, nach Griechenland gereist ist, soll dort ganz erstaunliche Taten verrichtet haben und ist, um auf seinen Lorbeern zu ruhen, wieder nach Deutschland zurückgekommen.
Es ist jetzt bestimmt, daß das Kleistische Schauspiel »Der Prinz von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin« nicht auf[526] unserer Bühne erscheinen wird, und zwar, wie ich höre, weil eine edle Dame glaubt, daß ihr Ahnherr in einer unedeln Gestalt darin erscheine. Dieses Stück ist noch immer ein Erisapfel in unsern ästhetischen Gesellschaften. Was mich betrifft, so stimme ich dafür, daß es gleichsam vom Genius der Poesie selbst geschrieben ist und daß es mehr Wert hat als all jene Farcen und Spektakelstücke und Houwaldsche Rühreier, die man uns täglich auftischt. »Anna Boleyn«, die Tragödie des sehr talentvollen Dichters Gehe, der sich jetzt just hier befindet, wird einstudiert. Herr Rellstab hat unserer Intendanz ein Trauerspiel angeboten, das den Titel führen wird »Karl der Kühne von Burgund«. Ob dieses Stück angenommen worden, weiß ich nicht.
Es wurde hier viel darüber geschwatzt, als man hörte, daß bei Wilmanns in Frankfurt der neue Hoffmannsche Roman »Meister Floh und seine Gesellen« auf Requisition unserer Regierung konfisziert worden sei. Letztere hatte nämlich erfahren, das fünfte Kapitel dieses Romans persifliere die Kommission, welche die Untersuchung der demagogischen Umtriebe leitet. Daß unserer Regierung an solchen Persiflagen wenig gelegen sei, hatte sie längst bewiesen, da unter ihren Augen, hier in Berlin, bei Reimer, der Jean Paulsche »Komet« mit Erlaubnis der Zensur gedruckt wurde und, wie Ihnen vielleicht bekannt ist, in der Vorrede zum zweiten Teile dieses Romans die Umtriebeuntersuchungen aufs heilloseste lächerlich gemacht werden. Bei unserm Hoffmann mochte man aber höheren Ortes gegründetes Recht gehabt haben, einen ähnlichen Spaß übelzunehmen. Durch das Zutrauen des Königs war der Kammergerichtsrat Hoffmann selbst Mitglied jener Untersuchungskommission; er wenigstens durfte durch keine unzeitigen Späße das Ansehn derselben zu schwächen suchen, ohne eine tadelhafte Unziemlichkeit zu begehen. Hoffmann ist daher jetzt zur Rechenschaft gezogen worden. Der »Floh« wird aber jetzt mit einigen Abänderungen gedruckt werden. Hoffmann ist jetzt krank und leidet an einem schlimmen Nasenübel. – In meinen nächsten Briefen schreibe ich Ihnen vielleicht[527] mehr über diesen Schriftsteller, den ich zu sehr liebe und verehre, um schonend von ihm zu sprechen.
Herr von Savigny wird diesen Sommer Institutionen lesen. Die Possenreißer, die vorm Brandenburger Tor ihr Wesen trieben, haben schlechte Geschäfte gemacht und sind längst abgereist. Blondin ist hier und wird reiten und springen. Der Kopfabschneider Schuhmann erfüllt die Berliner mit Verwunderung und Entsetzen. Aber Bosco, Bosco, Bartolomeo Bosco sollten Sie sehen! Das ist ein echter Schüler Pinettis! Der kann zerbrochene Uhren noch schneller kurieren als der Uhrmacher Labinski, der weiß die Karten zu mischen und Puppen tanzen zu lassen! Schade, daß der Kerl keine Theologie studiert hat. Er ist ein ehemaliger italienischer Offizier, noch sehr jung, männlich, kräftig, trägt anliegende Jacke und Hosen von schwarzem Seidenzeug und, was die Hauptsache ist, wenn er seine Künste macht, sind seine Arme fast ganz entblößt. Weibliche Augen sollen sich an letztern noch weit mehr als an seinen Kunststücken erbauen. Er ist wirklich ein netter Kerl, das muß man gestehen, wenn man die bewegliche Figur sieht im Scheine einiger fünfzig langen Wachskerzen, die, wie ein funkelnder Lichterwald, vor seinem, mit seltsamen Gauklerapparaten besetzten langen Tische aufgepflanzt stehen. Er hat seinen Schauplatz vom Jagorschen Saale nach dem Englischen Hause verlegt und ist noch immer mit erstaunlich vielem Zuspruche gesegnet.
Ich habe gestern im »Café Royal« den Kammermusikus gesprochen. Er hat mir eine Menge kleiner Neuigkeiten erzählt, wovon ich die wenigsten im Gedächtnis behielt. Versteht sich, daß die meisten aus der musikalischen Chronique scandaleuse sind. Den 20. ist Prüfung bei Dr. Stöpel, der nach der Logierschen Methode Klavierspielen und Generalbaß lehrt. Graf Brühl wird von seiner Krankheit bald ganz hergestellt sein. Walter aus Karlsruh' wird noch in einer neuen Posse, »Staberles Hochzeit«, auftreten. Herr und Madame Wolff geben jetzt Gastrollen in Leipzig und Dresden. Michael Beer hat in Italien eine neue Tragödie geschrieben: »Die Bräute von Aragonien«, und[528] von Meyerbeer wird jetzt in Mailand eine neue Oper gegeben. Spontini komponiert jetzt Koreffs »Sappho«. Mehrere Menschenfreunde wollen hier eine Anstalt für verwahrloste Knaben stiften, ähnlich der des Geheimrats Falk in Weimar. Kosmeli hat in der Schüppelschen Buchhandlung »Harmlose Bemerkungen auf einer Reise durch einen Teil Rußlands und der Türkei« herausgegeben, die so ganz harmlos nicht sein sollen, weil dieser originelle Kopf überall mit eignen Augen die Dinge sieht und das Gesehene unverblümt und freisinnig ausspricht. Die Lesebibliotheken werden von seiten der Polizei einer Revision unterworfen, und sie müssen ihre Kataloge einliefern; alle ganz obszöne Bücher, wie die meisten Romane von Althing, A. v. Schaden und dergleichen, werden weggenommen. Letzterer, der jetzt nach Prag gereist ist, hat soeben herausgegeben: »Licht und Schattenseiten von Berlin«, eine Broschüre, die viele Unwahrheiten enthalten soll und vielen Unwillen erregt. Der Fabrikant Fritsche hat eine neue Art Wachslichter erfunden, die ein Drittel wohlfeiler sind als die gewöhnlichen. Auch für die nächste Ziehung der Prämienstaatsschuldscheine werden bedeutende Geschäfte in Promessen gemacht. Das Bankierhaus L. Lipke ;& Comp. hat allein schon beinahe 10000 Stück abgesetzt. Böttiger und Tieck werden hier erwartet. Die geistreiche Fanny Tarnow lebt jetzt hier. Die neue »Berliner Monatschrift« ist seit Januar eingegangen. Der General Menu Menutuli hat aus Italien das Manuskript seines Reisejournals hergeschickt an den Pr. Ideler, damit derselbe es zum Druck befördere. Pr. Bopp, dessen Vorlesungen über das Sanskrit noch immer viel Aufsehn erregen, schreibt jetzt ein großes Werk über allgemeine Sprachkunde. Ungefähr dreißig Studenten, worunter sehr viele Polen, sind wegen demagogischer Umtriebe arretiert worden. Schadow hat ein Modell zu einer Statue des großen Friedrichs vollendet. Der Tod des jungen Schadow in Rom hat hier viel Teilnahme erregt. Wilhelm Schadow, der Maler, lieferte neulich ein vortreffliches Bild, die Prinzessin Wilhelmine mit ihren Kindern darstellend. Wilhelm Hensel wird erst diesen Mai nach Italien reisen. Kolbe ist beschäftigt[529] mit den Zeichnungen der Glasmalereien für das Schloß zu Marienburg. Schinkel zeichnet die Skizzen der Dekorationen zu Spontinis »Milton«. Dieses ist eine schon alte Oper in einem Akte, die hier nächstens zum erstenmal gegeben werden soll. Der Bildhauer Tieck arbeitet am Modell der Statue des Glaubens, welche in einer von den beiden Nischen am Eingang des Doms aufgestellt wird. Rauch ist noch immer beschäftigt mit den Basreliefs zu Bülows Statue; diese und die schon fertige Statue Scharnhorsts werden an beiden Seiten des neuen Wachthauses (zwischen dem Universitätsgebäude und dem Zeughause) aufgestellt. – Die ständischen Arbeiten gehn, dem äußern Anscheine nach, rasch vorwärts. Die Notabeln von Ost- und Westpreußen werden dieser Tage von unserer Regierung entlassen und alsdann durch die Notabeln unserer sächsischen Provinzen ersetzt werden. Die Notabeln der Rheinprovinzen, sagt man, sollen die letzten sein, die herberufen werden. Von den Verhandlungen der Notabeln mit der Regierung erfährt man nichts, da sie, wie man sagt, Juramentum silentii abgelegt haben. – Unsere Differenzen mit Hessen, wegen Verletzung des Territorialrechts bei dem Prinzessinraube in Bonn, scheinen nicht beigelegt zu sein; es will sogar verlauten, als sei unser Gesandte am Kasseler Hofe zurückberufen. – Es wird hier ein neuer sächsischer Gesandte erwartet. Der hiesige portugiesische Gesandte, Graf Lobrau, ist jetzt definitiv von seiner Regierung entlassen; ein neuer portugiesischer Gesandte wird täglich erwartet. Unser preußischer Gesandte für Portugal, Graf von Flemming, der Neffe des Staatskanzlers, ist noch immer hier. Unsere Gesandten bei dem königl. sächsischen und bei dem großherzoglich darmstädtischen Hofe, Herr v. Jordan und Baron v. Otterstedt, sind ebenfalls noch hier. Ein neuer französischer Gesandte wird hier erwartet. – Von der Heirat des schwedischen Prinzen Oskar mit der schönen Fürstin Elise Radziwill wird hier viel gesprochen. Von der Verbindung unseres Kronprinzen mit einer deutschen Fürstentochter verlautet nichts weiter. Großen Festlichkeiten sieht man hier entgegen bei Gelegenheit der Vermählung der Prinzessin Alexandrine.1[530] – Die Assembleen bei den Ministern sind jetzt geschlossen; die einzigen, die noch fortdauern, sind die, welche dienstags bei dem Fürsten Wittgenstein stattfinden. Unser Staatskanzler befindet sich jetzt ganz hergestellt und ist teils hier, teils in Glienicke. – Zur Ostermesse erscheinen: »Jahrbücher der königl. preuß. Universitäten«. Der Bibliothekar Spieker gibt das Festspiel »Lalla Rookh« heraus. – Der Riese, der auf der Königsstraße zu sehen war, ist jetzt auf der Pfaueninsel. – Devrient ist noch immer nicht ganz hergestellt. Boucher und seine Frau geben jetzt Konzerte in Wien. Maria von Webers neue Opern heißen »Euryanthe«, Text von Helmine von Chézy, und »Die beiden Pintos«, Text von Hofr. Winkler. Bernhard Romberg ist hier.
Ach Gott! es ist eine schlimme Sache mit Notizenschreiben. Die wichtigsten darf man oft nicht mitteilen, wenn man sie nicht verbürgen kann. Kleine Klatschereien darf man ebenfalls nicht schreiben; erstens, weil sie oft zu tief in Familienverhältnisse eingreifen, und zweitens und hauptsächlich, weil die, welche in Berlin am amüsantesten sind, oft in der Provinz langweilig und läppisch klingen. Um des lieben Himmels willen, was interessiert es die Damen in Dülmen, wenn ich erzähle, daß jene Tänzerin jetzt im Dualis sprechen könnte und jener Leutnant auffallend falsche Waden und Lenden trägt? Was kümmert's diese Damen, ob ich in jener Tänzerin eine oder zwei Personen annehme und ob ich jenen Leutnant aus zwei Drittel Watte und ein Drittel Fleisch oder aus zwei Drittel Fleisch und ein Drittel Watte bestehen lasse? Was soll man endlich Notizen über Menschen schreiben, von denen man gar keine Notiz nehmen sollte?
Wie man diesen Winter hier lebte, läßt sich von selbst erraten. Das bedarf keiner besondern Schilderung, da Winterunterhaltungen in jeder Residenz dieselben sind. Oper, Theater, Konzerte, Assembleen, Bälle, Tees (sowohl dansant als médisant), kleine Maskeraden, Liebhabereikomödien, große Redouten[531] usw., das sind wohl unsere vorzüglichsten Abendunterhaltungen im Winter. Es ist hier ungemein viel geselliges Leben, aber es ist in lauter Fetzen zerrissen. Es ist ein Nebeneinander vieler kleinen Kreise, die sich immer mehr zusammenzuziehen als auszubreiten suchen. Man betrachte nur die verschiedenen Bälle hier; man sollte glauben, Berlin bestände aus lauter Innungen. Der Hof und die Minister, das diplomatische Korps, die Zivilbeamten, die Kaufleute, die Offiziere usw. usw., alle geben sie eigene Bälle, worauf nur ein zu ihrem Kreise gehöriges Personal erscheint. Bei einigen Ministern und Gesandten sind die Assembleen eigentlich große Tees, die an bestimmten Tagen in der Woche gegeben werden und woraus sich durch einen mehr oder minder großen Zusammenfluß von Gästen ein wirklicher Ball entwickelt. Alle Bälle der vornehmen Klasse streben, mit mehr oder minderm Glücke, den Hofbällen oder fürstlichen Bällen ähnlich zu sein. Auf letztern herrscht jetzt fast im ganzen gebildeten Europa derselbe Ton, oder vielmehr, sie sind den Pariser Bällen nachgebildet. Folglich haben unsere hiesigen Bälle nichts Charakteristisches; wie verwunderlich es auch oft aussehen mag, wenn vielleicht ein von seiner Gage lebender Sekondeleutnant und ein mit Läppchen und Geflitter mosaikartig aufgeputztes Kommißbrotfräulein sich auf solchen Bällen in entsetzlich vornehmen Formen bewegen und die rührend kümmerlichen Gesichter puppenspielmäßig kontrastieren mit dem angeschnallten, steifen Hofkothurn.
Einen einzigen, allen Ständen gemeinsamen Ball gibt es hier seit einiger Zeit, nämlich die Subskriptionsbälle oder die scherzhaft »unmaskierte Maskeraden« genannten Bälle im Konzertsaale des Neuen Schauspielhauses. Der König und der Hof beehren dieselben mit ihrer Gegenwart, letzterer eröffnet sie gewöhnlich, und für ein geringes Entree kann jeder anständige Mensch daran teilnehmen. Über diese Bälle und die Hoffestlichkeiten spricht sehr schön die geist- und gemütreiche Baronin Karoline Fouqué in ihren »Briefen über Berlin«, die ich wegen der Tiefe der Anschauung, die darin herrscht, Ihnen nicht genug empfehlen kann. Dieses Jahr fielen die Subskriptionsbälle[532] nicht so glänzend aus wie voriges Jahr, da sie damals noch den Reiz der Neuheit hatten. Die Bälle der großen Staatsbeamten hingegen waren diesen Winter besonders brillant. Meine Wohnung liegt zwischen lauter Fürsten- und Ministerhotels, und ich habe deshalb oft des Abends nicht arbeiten können vor all dem Wagengerassel und Pferdegetrampel und Lärmen. Da war zuweilen die ganze Straße gesperrt von lauter Equipagen; die unzähligen Laternchen der Wagen beleuchteten die galonierten Rotröcke, die rufend und fluchend dazwischen herumliefen, und aus den Beletagefenstern des Hotels, wo die Musik rauschte, gossen kristallene Kronleuchter ihr freudiges Brillantlicht.
Wenig Schnee und folglich auch fast gar kein Schlittengeklingel und Peitschengeknall hatten wir dieses Jahr. Wie in allen protestantischen Städten spielt hier Weihnachten die Hauptrolle in der großen Winterkomödie. Schon eine Woche vorher ist alles beschäftigt mit Einkauf von Weihnachtsgeschenken. Alle Modemagazine und Bijouterie- und Quincailleriehandlungen haben ihre schönsten Artikel – wie unsere Stutzer ihre gelehrten Kenntnisse – leuchtend ausgestellt; auf dem Schloßplatze stehen eine Menge hölzerner Buden mit Putz-, Haushaltung- und Spielsachen; und die beweglichen Berlinerinnen flattern, wie Schmetterlinge, von Laden zu Laden und kaufen und schwatzen und äugeln und zeigen ihren Geschmack und zeigen sich selber den lauschenden Anbetern. Aber des Abends geht der Spaß erst recht los; dann sieht man unsere Holden oft mit der ganzen respektiven Familie, mit Vater, Mutter, Tante, Schwesterchen und Brüderchen, von einem Konditorladen nach dem andern wallfahrten, als wären es Passionsstationen. Dort zahlen die lieben Leutchen ihre zwei Kurantgroschen Entree und besehen sich con amore die »Ausstellung«, eine Menge Zucker- oder Drageepuppen, die, harmonisch nebeneinander aufgestellt, rings beleuchtet und von vier perspektivisch bemalten Wänden eingepfercht, ein hübsches Gemälde bilden. Der Hauptwitz ist nun, daß diese Zuckerpüppchen zuweilen wirkliche, allgemein bekannte Personen vorstellen.[533] Ich habe eine Menge dieser Konditorladen mit durchgewandert, da ich nichts Ergötzlicheres kenne, als unbemerkt zuzuschauen, wie sich die Berlinerinnen freuen, wie diese gefühlvolle Busen vor Entzücken stürmisch wallen und wie diese naiven Seelen himmelhoch aufjauchzen: »Ne, des is schene!« Bei Fuchs waren in der heurigen Ausstellung Bilder aus »Lalla Rookh«, wie man sie vorig Jahr auf dem bekannten Hoffeste im Schlosse sah. Es war mir unmöglich, von dieser Herrlichkeit bei Fuchs etwas zu sehen, da die holden Damenköpfchen eine undurchdringliche Mauer bildeten vor dem viereckigen Zuckergemälde. Ich will Sie nicht langweilen, mein Lieber, mit der Beurteilung der Ausstellung bei allen Konditoren; der Kriegsrat Karl Müchler, der, wie man sagt, Berliner Korrespondent in der »Eleganten Welt« ist, hat bereits in diesem Blatte eine solche Rezension geliefert.
Von den Redouten im Jagorschen Saale läßt sich nichts Erhebliches sagen, außer daß bei denselben die schöne Einrichtung getroffen ist, daß es jedem, der sich dort zu Tode zu ennuyieren fürchtet, ganz unverwehrt bleibt, sich wieder zu entfernen. Die Redouten im Opernhause sind sehr schön und großartig. Wenn dergleichen gegeben werden, ist das ganze Parterre mit der Bühne vereinigt, und das gibt einen ungeheuern Saal, der oben durch eine Menge ovaler Lampenleuchter erhellt wird. Diese brennenden Kreise sehen fast aus wie Sonnensysteme, die man in astronomischen Kompendien abgebildet findet, sie überraschen und verwirren das Auge des Hinaufschauenden und gießen ihren blendenden Schimmer auf die buntscheckige, funkelnde Menschenmenge, die, fast die Musik überlärmend, tänzelnd und hüpfend und drängend im Saale hin und her wogt. Jeder muß hier in einem Maskenanzuge erscheinen, und niemanden ist es erlaubt, unten im großen Tanzsaale die Maske vom Gesicht zu nehmen. Ich weiß nicht, in welchen Städten dieses auch der Fall wäre. Nur in den Gängen und in den Logen des ersten und zweiten Ranges darf man die Larve ablegen. Die niedre Volksklasse bezahlt ein kleines Entree und kann, von der Galerie aus, auf all diese[534] Herrlichkeit herabschauen. In der großen königl. Loge sieht man den Hof, größtenteils unmaskiert; dann und wann steigen Glieder desselben in den Saal hinunter und mischen sich in die rauschende Maskenmenge. Diese besteht aus Menschen von allen Ständen. Schwer ist hier zu entscheiden, ob der Kerl ein Graf oder ein Schneidergesell ist; an der äußern Repräsentation würde dieses wohl zu erkennen sein, nimmermehr an dem Anzuge. Fast alle Männer tragen hier nur einfache seidene Dominos und lange Klapphüte. Dieses läßt sich leicht aus dem großstädtischen Egoismus erklären. Jeder will sich hier amüsieren und nicht als Charaktermaske andern zum Amüsement dienen. Die Damen sind aus demselben Grunde ganz einfach maskiert, meistens als Fledermäuse. Eine Menge femmes entretenues und Priesterinnen der ordinären Venus sieht man in dieser Gestalt herumflirren und Erwerbsintrigen anknüpfen. »Ich kenne dir«, flüstert dort eine solche Vorbeiflirrende. »Ich kenne dir auch«, ist die Antwort. »Je te connais, beau masque«, ruft hier eine Chauve-souris einem jungen Wüstlinge entgegen. »Si tu me connais, ma belle, tu n'es pas grande chose«, entgegnet der Bösewicht ganz laut, und die blamierte Donna verschwindet wie ein Wind.
Aber was ist daran gelegen, wer unter der Maske steckt? Man will sich freuen, und zur Freude bedarf man nur Menschen. Und der Mensch ist man erst recht auf dem Maskenballe, wo die wächserne Larve unsere gewöhnliche Fleischlarve bedeckt, wo das schlichte Du die urgesellschaftliche Vertraulichkeit herstellt, wo ein alle Ansprüche verhüllender Domino die schönste Gleichheit hervorbringt und wo die schönste Freiheit herrscht – Maskenfreiheit. Für mich hat eine Redoute immer etwas höchst Ergötzliches. Wenn die Pauken donnern und die Trompeten erschmettern und liebliche Flöten- und Geigenstimmen lockend dazwischen tönen, dann stürze ich mich wie ein toller Schwimmer in die tosende, bunt beleuchtete Menschenflut und tanze und renne und scherze und necke jeden und lache und schwatze, was mir in den Kopf kömmt. Auf der letzten Redoute war ich besonders freudig, ich hätte auf dem[535] Kopfe gehen mögen, ein bacchantischer Geist hatte mein ganzes Wesen ergriffen, und wär mein Todfeind mir in den Weg gekommen, ich hätte ihm gesagt: »Morgen wollen wir uns schießen, aber heute will ich dich recht herzlich abküssen.« Die reinste Lustigkeit ist die Liebe, Gott ist die Liebe, Gott ist die reinste Lustigkeit! »Tu es beau! tu es charmant! tu es l'objet de ma flamme! je t'adore, ma belle!« Das waren die Worte, die meine Lippen hundertmal unwillkürlich wiederholten. Und allen Leuten drückte ich die Hand und zog vor allen hübsch den Hut ab; und alle Menschen waren auch so höflich gegen mich. Nur ein deutscher Jüngling wurde grob und schimpfte über mein Nachäffen des welschen Babeltums und donnerte im urteutonischen Bierbaß: »Auf einer teutschen Mummerei soll der Teutsche Teutsch sprechen!« O deutscher Jüngling, wie finde ich dich und deine Worte sündlich und läppisch in solchen Momenten, wo meine Seele die ganze Welt mit Liebe umfaßt, wo ich Russen und Türken jauchzend umarmen würde und wo ich weinend hinsinken möchte an die Bruderbrust des gefesselten Afrikaners! Ich liebe Deutschland und die Deutschen; aber ich liebe nicht minder die Bewohner des übrigen Teils der Erde, deren Zahl vierzigmal größer ist als die der Deutschen. Die Liebe gibt dem Menschen seinen Wert. Gottlob! ich bin also vierzigmal mehr wert als jene, die sich nicht aus dem Sumpfe der Nationalselbstsucht hervorwinden können und die nur Deutschland und Deutsche lieben.
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