Caput XXVI

[423] Und die Mumma? Ach, die Mumma

Ist ein Weib! Gebrechlichkeit

Ist ihr Name! Ach, die Weiber

Sind wie Porzellan gebrechlich.


Als des Schicksals Hand sie trennte

Von dem glorreich edlen Gatten,

Starb sie nicht des Kummertodes,

Ging sie nicht in Trübsinn unter –
[423]

Nein, im Gegenteil, sie setzte

Lustig fort ihr Leben, tanzte

Nach wie vor, beim Publiko

Buhlend um den Tagesbeifall.


Eine feste Stellung, eine

Lebenslängliche Versorgung,

Hat sie endlich zu Paris

Im Jardin des Plantes gefunden.


Als ich dorten vor'gen Sonntag

Mich erging mit Julietten,

Und ihr die Natur erklärte,

Die Gewächse und die Bestien,


Die Giraffe und die Zeder

Von dem Libanon, das große

Dromedar, die Goldfasanen,

Auch das Zebra – im Gespräche


Blieben wir am Ende stehen

An der Brüstung jener Grube,

Wo die Bären residieren –

Heil'ger Herr, was sahn wir dort!


Ein gewalt'ger Wüstenbär

Aus Sibirien, schneeweißhaaricht,

Spielte dort ein überzartes

Liebesspiel mit einer Bärin.


Diese aber war die Mumma!

War die Gattin Atta Trolls!

Ich erkannte sie am zärtlich

Feuchten Glanze ihres Auges.
[424]

Ja, sie war es! Sie, des Südens

Schwarze Tochter! Sie, die Mumma,

Lebt mit einem Russen jetzt,

Einem nordischen Barbaren!


Schmunzelnd sprach zu mir ein Neger,

Der zu uns herangetreten:

»Gibt es wohl ein schönres Schauspiel,

Als zwei Liebende zu sehn?«


Ich entgegnete: »Mit wem

Hab ich hier die Ehr' zu sprechen?«

Jener aber rief verwundert:

»Kennen Sie mich gar nicht wieder?


Ich bin ja der Mohrenfürst,

Der bei Freiligrath getrommelt.

Damals ging's mir schlecht, in Deutschland

Fand ich mich sehr isoliert.


Aber hier, wo ich als Wärter

Angestellt, wo ich die Pflanzen

Meines Tropenvaterlandes

Und auch Löw' und Tiger finde:


Hier ist mir gemütlich wohler

Als bei euch auf deutschen Messen,

Wo ich täglich trommeln mußte

Und so schlecht gefüttert wurde!


Hab mich jüngst vermählt mit einer

Blonden Köchin aus dem Elsaß.

Ganz und gar in ihren Armen

Wird mir heimatlich zumute!
[425]

Ihre Füße mahnen mich

An die holden Elefanten.

Wenn sie spricht französisch, klingt mir's

Wie die schwarze Muttersprache.


Manchmal keift sie, und ich denke

An das Rasseln jener Trommel,

Die mit Schädeln war behangen;

Schlang' und Leu entflohn davor.


Doch im Mondschein, sehr empfindsam,

Weint sie wie ein Krokodil,

Das aus lauem Strom hervorblickt,

Um die Kühle zu genießen.


Und sie gibt mir gute Bissen!

Ich gedeih! Mit meinem alten,

Afrikanischen App'tit,

Wie am Niger, freß ich wieder!


Hab mir schon ein rundes Bäuchlein

Angemästet. Aus dem Hemde

Schaut's hervor, wie 'n schwarzer Mond,

Der aus weißen Wolken tritt.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 423-426.
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