Caput V

[358] In der Höhle, bei den Seinen,

Liegt gemütskrank auf dem Rücken

Atta Troll, nachdenklich saugt er

An den Tatzen, saugt und brummt:


»Mumma, Mumma, schwarze Perle,

Die ich in dem Meer des Lebens

Aufgefischt, im Meer des Lebens

Hab ich wieder dich verloren!
[358]

Werd ich nie dich wiedersehen,

Oder nur jenseits des Grabes,

Wo von Erdenzotteln frei

Sich verkläret deine Seele?


Ach! vorher möcht ich noch einmal

Lecken an der holden Schnauze

Meiner Mumma, die so süße,

Wie mit Honigseim bestrichen!


Möchte auch noch einmal schnüffeln

Den Geruch, der eigentümlich

Meiner teuren schwarzen Mumma,

Und wie Rosenduft so lieblich!


Aber ach! die Mumma schmachtet

In den Fesseln jener Brut,

Die den Namen Menschen führet,

Und sich Herrn der Schöpfung dünkelt.


Tod und Hölle! Diese Menschen,

Diese Erzaristokraten,

Schaun auf das gesamte Tierreich

Frech und adelstolz herunter,


Rauben Weiber uns und Kinder,

Fesseln uns, mißhandeln, töten

Uns sogar, um zu verschachern

Unsre Haut und unsern Leichnam!


Und sie glauben sich berechtigt,

Solche Untat auszuüben

Ganz besonders gegen Bären,

Und sie nennen's Menschenrechte!
[359]

Menschenrechte! Menschenrechte!

Wer hat euch damit belehnt?

Nimmer tat es die Natur,

Diese ist nicht unnatürlich.


Menschenrechte! Wer gab euch

Diese Privilegien?

Wahrlich nimmer die Vernunft,

Die ist nicht so unvernünftig!


Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil gesotten

Und gebraten eure Speisen?

Wir verzehren roh die unsern,


Doch das Resultat am Ende

Ist dasselbe – Nein, es adelt

Nicht die Atzung; der ist edel,

Welcher edel fühlt und handelt.


Menschen, seid ihr etwa besser,

Weil ihr Wissenschaft und Künste

Mit Erfolg betreibt? Wir andre

Sind nicht auf den Kopf gefallen.


Gibt es nicht gelehrte Hunde?

Und auch Pferde, welche rechnen

Wie Kommerzienräte? Trommeln

Nicht die Hasen ganz vorzüglich?


Hat sich nicht in Hydrostatik

Mancher Biber ausgezeichnet?

Und verdankt man nicht den Störchen

Die Erfindung der Klistiere?
[360]

Schreiben Esel nicht Kritiken?

Spielen Affen nicht Komödie?

Gibt es eine größre Mimin,

Als Batavia, die Meerkatz'?


Singen nicht die Nachtigallen?

Ist der Freiligrath kein Dichter?

Wer besäng den Löwen besser

Als sein Landsmann, das Kamel?


In der Tanzkunst hab ich selber

Es so weit gebracht wie Raumer

In der Schreibkunst – schreibt er besser,

Als ich tanze, ich der Bär?


Menschen, warum seid ihr besser

Als wir andre? Aufrecht tragt ihr

Zwar das Haupt, jedoch im Haupte

Kriechen niedrig die Gedanken.


Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil eu'r Fell

Glatt und gleißend? Diesen Vorzug

Müßt ihr mit den Schlangen teilen.


Menschenvolk, zweibein'ge Schlangen,

Ich begreife wohl, warum ihr

Hosen tragt! Mit fremder Wolle

Deckt ihr eure Schlangennacktheit.


Kinder! hütet euch vor jenen

Unbehaarten Mißgeschöpfen!

Meine Töchter! Traut nur keinem

Untier, welches Hosen trägt!«
[361]

Weiter will ich nicht berichten,

Wie der Bär in seinem frechen

Gleichheitsschwindel räsonierte

Auf das menschliche Geschlecht.


Denn am Ende bin ich selber

Auch ein Mensch, und wiederholen

Will ich nimmer die Sottisen,

Die am Ende sehr beleid'gend.


Ja, ich bin ein Mensch, bin besser

Als die andern Säugetiere;

Die Intressen der Geburt

Werd ich nimmermehr verleugnen.


Und im Kampf mit andern Bestien

Werd ich immer treulich kämpfen

Für die Menschheit, für die heil'gen

Angebornen Menschenrechte.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 358-362.
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