Caput VIII

[455] Von Köllen bis Hagen kostet die Post

Fünf Taler sechs Groschen preußisch.

Die Diligence war leider besetzt,

Und ich kam in die offene Beichais'.


Ein Spätherbstmorgen, feucht und grau,

Im Schlamme keuchte der Wagen;

Doch trotz des schlechten Wetters und Wegs

Durchströmte mich süßes Behagen.
[455]

Das ist ja meine Heimatluft!

Die glühende Wange empfand es!

Und dieser Landstraßenkot, er ist

Der Dreck meines Vaterlandes!


Die Pferde wedelten mit dem Schwanz

So traulich wie alte Bekannte,

Und ihre Mistküchlein dünkten mir schön

Wie die Äpfel der Atalante!


Wir fuhren durch Mühlheim. Die Stadt ist nett,

Die Menschen still und fleißig.

War dort zuletzt im Monat Mai

Des Jahres einunddreißig.


Damals stand alles im Blütenschmuck

Und die Sonnenlichter lachten,

Die Vögel sangen sehnsuchtvoll,

Und die Menschen hofften und dachten –


Sie dachten: ›Die magere Ritterschaft

Wird bald von hinnen reisen,

Und der Abschiedstrunk wird ihnen kredenzt

Aus langen Flaschen von Eisen!


Und die Freiheit kommt mit Spiel und Tanz,

Mit der Fahne, der weißblauroten;

Vielleicht holt sie sogar aus dem Grab

Den Bonaparte, den Toten!‹


Ach Gott! die Ritter sind immer noch hier,

Und manche dieser Gäuche,

Die spindeldürre gekommen ins Land,

Die haben jetzt dicke Bäuche.
[456]

Die blassen Kanaillen, die ausgesehn

Wie Liebe, Glauben und Hoffen,

Sie haben seitdem in unserm Wein

Sich rote Nasen gesoffen – – –


Und die Freiheit hat sich den Fuß verrenkt,

Kann nicht mehr springen und stürmen;

Die Trikolore in Paris

Schaut traurig herab von den Türmen.


Der Kaiser ist auferstanden seitdem,

Doch die englischen Würmer haben

Aus ihm einen stillen Mann gemacht,

Und er ließ sich wieder begraben.


Hab selber sein Leichenbegängnis gesehn,

Ich sah den goldenen Wagen

Und die goldenen Siegesgöttinnen drauf,

Die den goldenen Sarg getragen.


Den Elysäischen Feldern entlang,

Durch des Triumphes Bogen,

Wohl durch den Nebel, wohl über den Schnee

Kam langsam der Zug gezogen.


Mißtönend schauerlich war die Musik.

Die Musikanten starrten

Vor Kälte. Wehmütig grüßten mich

Die Adler der Standarten.


Die Menschen schauten so geisterhaft

In alter Erinnrung verloren –

Der imperiale Märchentraum

War wieder heraufbeschworen.
[457]

Ich weinte an jenem Tag. Mir sind

Die Tränen ins Auge gekommen,

Als ich den verschollenen Liebesruf,

Das »Vive l'Empereur!«, vernommen.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 455-458.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutschland. Ein Wintermärchen
Deutschland: Ein Wintermärchen
Deutschland. Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)
Deutschland: Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)
Deutschland. Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon