[364] Petersburg. Ein Zimmer. An der rechten Wand ein Bett, mit dem Kopfende zum Zuschauer gekehrt. In derselben Wand weiter vorn eine Tür. Im Hintergrunde eine Holztreppe, die zu einer Tür hinaufführt. Links ein Tisch. In der linken Wand ziemlich hoch oben ein halbrundes Fenster.
Hinten auf der ersten Stufe der Treppe stehend Vater Warlaám, sich verabschiedend von Alexéj, der an das Geländer gelehnt zum Geistlichen emporsieht.
ALEXÉJ.
Habt Dank und denkt an mich, wenn Euch die Zeit
Nicht beßre Bilder vor das Auge stellt.
Besucht mich, wenn Ihr könnt. Ihr habt mir Gutes
Getan ... und wenn Euch Furcht vor mir entfernt –
Vor meinem Vater, mein ich – seid gewiß,
Das braucht Euch nicht zu kümmern, ja, ich weiß,
Er gönnt die seltne Stunde mir, die rein
Von Mißtraun ist und Angst. Man lügt so viel[364]
Am Hof und in der Welt, versteckt sich immer
Und nennt das Finstre hell. Zuweilen aber
Braucht man das andre, braucht es, was mit Euch
Geschützt von Eurem Kleid, ins Zimmer tritt,
Und braucht es um so mehr, je länger es
Nicht kommen durfte. Daß es heute kam,
Muß ich Euch danken und ich tu's: habt Dank
Und immer: Dank!
Der Priester verneigt sich in sichtlicher Verwirrung, macht das Zeichen des Kreuzes über Alexéj und geht hastig ab. Alexéj sieht ihm nach. Afanássjitsch kommt die Treppe herab.
ALEXÉJ.
Du, Alter? komm zu mir.
Sahst du Afróssja?
AFANÁSSJITSCH mürrisch.
Ja. Mit Costa.
ALEXÉJ.
Jetzt?
AFANÁSSJITSCH.
Was weiß ich! früher.
ALEXÉJ lächelt.
Nun, was hast du, Alter?
Du willst mich wieder schelten, so wie damals,
Als ich ein Kind war. Tu's.
AFANÁSSJITSCH.
Daß Ihr da lacht,
Ist Sünde! ja, das ist's! ich sage, Sünde!
Das nennt man: Gott versuchen, ja, bei uns
Im Dorf, das was Ihr tut! macht, was Ihr wollt,
Spielt nur um Euer Blut, was kümmert's mich!
Bin ich schon alt, ich kann viel Arbeit tun
Und finde leicht mein Brot. Euch brauch ich nicht.
Und treibt Ihr's auch so weit, bis man Euch köpft –
Treibt's immerzu! mich kümmert's nicht so viel –
Nur zu! nur zu!
ALEXÉJ.
Sei still und hör –
AFANÁSSJITSCH.
Genug,
Genug. Wer hat Euch nur den Trotz gelehrt,
Wer Euch die Unvernunft? ich will Euch sagen,
Wie das im Dorf geschieht – ein Beispiel – seht:
Das ist ein Bauer – und da sein Sohn –
Der Sohn hat ihm den Schimmel abgetrieben –
Nun wird der Bauer zornig – und der Sohn –
Was tut der Sohn? stellt er sich auf den Kopf
Wie Ihr? schlägt er ein Rad wie Ihr? spricht er
Wie Ihr von Stolz, von Würde? nein, er geht
Zum Alten hin und sagt? verzeih mir, Vater –
Und der, der Alte, sieht ihn an und spricht:[365]
Du bist ein Hundesohn, doch – Gott verzeiht.
So, Herr, geschieht's bei uns.
Costa ist eingetreten, bleibt oben auf dem Treppenabsatz stehen, hört zu.
ALEXÉJ.
Du bist sehr klug.
Das nächste Mal befolg ich deinen Rat,
In dieser Sache dient mein Kopf mir besser,
Doch das begreifst du nicht.
AFANÁSSJITSCH.
Erlebt nur erst
Das nächste Mal! doch vorher seid Ihr tot!
Ich will das nicht verstehn! bei uns im Dorf
Schlägt man mit Stöcken um sich, kratzt und beißt
Eh man sich köpfen läßt – Ihr aber geht
Mitten hinein und alle Türen, Herr,
Zur Rettung stehen offen und Ihr seht
Sie nicht, Ihr geht vorbei und ich, ich soll
Das ansehn, Herr, und soll –
Er wendet sich ab und geht, mit den Tränen kämpfend.
ALEXÉJ.
Du meinst es gut
Und kannst mir doch nicht helfen. Rufe mir
Afróssja, wenn du gehst. Komm, sei nur ruhig,
Wir sprechen noch darüber.
COSTA ruft von oben.
Herr –
ALEXÉJ.
Da bist du –
Wo ist Afróssja? geht nur, Alter, geh,
Sieh nach und rufe sie.
Afanássjitsch geht ab, fährt sich zornig mit dem Ärmel über die Augen.
ALEXÉJ.
Du warst mit ihr?
COSTA zögert ein wenig.
Ich war's. Dann ging sie fort.
ALEXÉJ.
Sie ist nicht hier,
Das siehst du doch – wo aber steckt sie?
COSTA.
Herr,
Da war ein Knäuel roter Wolle –
ALEXÉJ.
Wolle?
COSTA.
Nun ja. Und diesen Knäuel warf sie, Herr,
Nach mir –
ALEXÉJ.
Wie das?
COSTA.
Im Scherz – der aber sprang
An mir vorbei und dann hinab die Treppe –[366]
ALEXÉJ lauscht, schüttelt dann den Kopf.
's ist nichts. Und dann?
COSTA.
Sie lief dem Knäuel nach
Hinab die Treppe, Herr, und kam nicht wieder.
ALEXÉJ.
Sie ging wohl zu den Mägden.
COSTA.
Herr, ich sah
Afróssja dann im Hof vom Fenster aus,
Sie ging die Wand entlang des Schlosses, Herr,
Und neben ihr –
ALEXÉJ.
Und neben ihr?
COSTA.
Tolstoí.
Ich weiß nicht, wie das kam. Er traf sie wohl
Am Fuß der Treppe.
ALEXÉJ.
Was? und ging mit ihm?
Tolstoí?
COSTA.
Da ging ich denn zurück, um Euch
Zu fragen, Herr.
ALEXÉJ.
Ich weiß ja nichts. Um mich
Zu fragen! Costa! ich begreife nicht
Wie das geschehen konnte. Und sie ging
Freiwillig mit? er zwang sie nicht? so hilf
Mir doch, ich finde das nicht aus
Was da dahinter steckt – steh nicht so so da,
Denk nach und hilf mir.
COSTA.
War der Priester nicht
Bei Euch?
ALEXÉJ.
Der Beichtiger – was ist's mit dem?
COSTA.
Herr, der gefiel mir nicht.
ALEXÉJ.
Es ist so dumpf –
Zieh doch das Fenster auf –
Costa geht zur Wand links und zieht an einer Schnur, das Fenster springt auf.
mir ist – als wäre
Da etwas Fürchterliches – hinter mir –
Unnennbar – etwas – das die Hände hebt –
Grad hinter mir – dies Häßliche – o – Luft –
Das Fenster ist zu klein – hilf mir – die Luft –
Ich habe keinen Atem – hier die Tür –
Er läuft nach rechts zur Tür, reißt sie auf, fährt zurück, jäh erschreckend.
Soldaten! was bedeutet – Costa –
[367] Ein Soldat zeigt sich in der Tür, winkt nach rückwärts, man hört ein leises Rasseln wie von Gewehren.
Sprich,
Was tust du hier? wer hat euch, herbestellt?
Ich geh nicht aus, ich brauche keine Wache –
SOLDAT.
Zaréwitsch, gnädiger Herr, wir haben strengen
Befehl des Zaren –
ALEXÉJ.
Ihr – was ist geschehn? –
Seit wann? – begreifst du, Costa?
COSTA zum Soldaten.
Guter Freund,
Wie lautet der Befehl?
SOLDAT.
Des Prinzen Hoheit
Verläßt dies Zimmer nicht –
COSTA.
Ei was –
SOLDAT.
Wir haften
Mit unsren Köpfen.
ALEXÉJ winkt heftig ab.
Geh nur – es ist gut.
Der Soldat tritt zurück, die Tür fällt zu.
Still, Costa, still – ich muß doch sehn –
Er geht nach hinten und hastig die Treppe hinauf,
öffnet die Tür. Ihm entgegen ein Offizier.
OFFIZIER.
Ihr müßt
Zurück, mein Prinz –
ALEXÉJ.
Herr Kamerad,
Erklärt mir doch –
OFFIZIER.
Hier ist ein schriftlicher
Befehl –
ALEXÉJ.
Ich bitte, laßt! Ihr habt Befehl,
Ich weiß und will es glauben ... sagt mir nur ...
Ich habe Sorge, Herr, um eine Frau
Die mir zu teuer ist als daß ich lang
Die Furcht ertragen könnte ... man hat sie
Von mir gelockt, man läßt mich nicht zu ihr,
Wo ist sie, sagt?
OFFIZIER.
Ich traf sie im Gespräch –
Es ist kein Grund zur Sorge – mit Tolstoí
Und einigen mehr ...
ALEXÉJ.
Nein, sagt mir mehr davon:
Sie sprach mit ihm? sie weinte? und man hat
Mit Fragen sie gequält?[368]
OFFIZIER.
Beruhigt Euch –
ALEXÉJ.
Man hat sie nicht gequält? komm zu mir, Costa,
Kannst du's verstehn? man spürt sie aus, vielleicht
Mit List, sie wird betrogen – Herr, mein Gott,
Wann endet dies! wird diese Stunde nie
Vorübergehn! muß ich hier angebunden
In einer Zelle –
OFFIZIER.
Habt Geduld, mein Prinz,
Hier kommt der Staatsrat selbst, er wird Euch sagen –
ALEXÉJ.
Willkommen! o willkommen!
Er läuft die Treppe hinab und wartet. Tolstoí kommt von oben, eine Rolle in der Hand. Der Offizier tritt zurück.
TOLSTOÍ.
Prinz, vergebt
Wenn ich mit ernster Nachricht ... wollt verstehn
Daß ich als Mensch ...
ALEXÉJ.
Spart das! sagt alles! sagt!
TOLSTOÍ verneigt sich. Nachdem die Untersuchung beweiskräftig dargetan, daß Ihr, Zaréwitsch, des Hochverrats schuldig seid; nachdem der Zar, unser Herr, in seiner Güte die Begnadigung an eine einzige Bedingung geknüpft: Euer volles und rückhaltloses Geständnis, mein Prinz; nachdem Ihr den Kern der Verschwörung, das Einvernehmen mit Eurer Mutter, verschwiegen, da sich doch ein solches Einvernehmen unwiderleglich erwiesen hat ...
ALEXÉJ.
Erwiesen! Wahnsinn! träumt Ihr? sagt, wie hätte
Sich das erwiesen?
TOLSTOÍ.
Ihr, mein Prinz, Ihr selbst
Gestandet –
ALEXÉJ.
Ich!
TOLSTOÍ.
– vor einer Stunde selbst
Gestandet unsrem wohlbewährten Diener,
Dem Priester Warlaám –
ALEXÉJ fassungslos.
Ihr greift hinein –
In das, was heilig ist – in das Geheimnis
Der Beichte greift ihr – Menschen, was ist euch
Dann unanrührbar noch –
TOLSTOÍ.
Die Beichte schützt,
Und ihr Geheimnis, Hochverräter nicht –
Das, müßt Ihr wissen, ist Gesetz.
ALEXÉJ.
Was noch?[369]
Was nennt ihr noch Gesetz? ich will es glauben,
Was ihr auch sagen mögt, nennt mir noch einen
Verfluchten Greuel den ihr mit dem Namen
Nicht des Gesetzes schmückt ...
TOLSTOÍ kühl.
Ich fahre fort:
Nachdem solches Geständnis noch bekräftigt worden ist durch die freie, das ist unerzwungene Aussage der schönen Freundin des Prinzen, des Mädchens Afrossínja ...
ALEXÉJ schreit auf.
Nein! nein! nein! nein!
TOLSTOÍ.
Zaréwitsch, fragt sie selbst.
Erlaubt mir fortzufahren.
ALEXÉJ.
Hängt Euch, Herr!
Was könnt Ihr mir noch sagen! schlingt den Wisch
In Euch hinein! was bringt er mir, das ich
Zu hören noch vermöchte! wär's mein Tod,
Mir gleich! sei's was es sei – ich will's nicht hören –
Nichts mehr kann es mir sein – es ist nur eins
Zu tun – sie fragen! fragen!
TOLSTOÍ.
Hört mich, Prinz!
Alexéj ist die Treppe hinaufgeeilt, stößt die Tür auf, blickt hinaus.
ALEXÉJ.
Afróssja, her zu mir! den Weg ihr frei!
Zu mir, Afróssja! o, du weißt noch nicht
Was du getan! so komm! komm nur zu mir,
Ich will's dir sagen –
TOLSTOÍ.
Ob hier nicht der Arzt –?
Afróssja ist in der Tür erschienen, Alexéj zieht sie mit sich die Treppe hinab bis in die Mitte des Zimmers, läßt sie los, sie fällt in einen Sessel, verbirgt das Gesicht in den Kissen.
ALEXÉJ.
Noch weißt du nicht, es glänzt dir noch nicht auf
Was du getan? du hast mich hingegeben
In ihre schmutzigen Hände, hast –
AFRÓSSJA.
Hör auf!
Sie sagten mir –
ALEXÉJ.
Doch Worte nur? das war
Dir schon genug, da warfst du mich von dir
Vor ihre Füße hin –
AFRÓSSJA.
Sie wüßten alles
Schon durch den Priester, sagten sie –[370]
ALEXÉJ.
Wer aber
Hat dir gesagt daß sie nicht logen?
AFRÓSSJA.
Wer?
Ich wollte –
ALEXÉJ.
Was?
AFRÓSSJA.
Dich retten – und es war
Kein andrer Weg –
ALEXÉJ.
Verraten hast du mich,
Verdorben und verkauft! was kümmert jetzt
Die Rettung dieses Leibes mich. Wär ich
Nicht krank, ich sagte dir ...
COSTA.
Herr, seid Ihr krank?
TOLSTOÍ geht rasch ab.
Ich sende gleich den Arzt. Gib acht auf ihn,
Dem Zaren muß ich's melden.
ALEXÉJ ohne darauf zu achten.
Das hast du,
Geliebte, du, getan. War ich nicht krank,
Ich sagte dir ...
Er denkt nach mit zuckenden Lippen, dann kniet er plötzlich neben ihr nieder.
ich bin dir ja, mein Kind,
Wie einer von der Straße, den du nie
Vorher gesehn – die Lippen kennst du wohl
Und ihre Worte – was von innen aber
Empor die Worte zu den Lippen treibt
Das Heimliche, das Dunkle, das Versteckte
Sahst du noch nie – das, was ich bin, ich selbst –
Du sahst es nie – so ist's – ich träume nicht
Ob auch das Fieber ... wähle wen du willst
Dir ist er fremd wie ich, du kennst ihn nicht,
Weißt nichts von ihm, weißt nichts von mir – und kannst
Nicht hören was ich sage. Fand ich nur
Die Laute die dich zwängen! höre mich,
Ich fühle wohl, dies ist verwirrt – nur höre –
Es leuchtet doch vielleicht aus der Verwirrung –
Nur höre ... laß mich nahe sein ... nur höre ...
Er spricht stammelnd und fiebernd auf sie ein. Indessen ist der Vorhang gefallen.
Verwandlung. Das Schlafgemach des Zaren. Ein dunkles enges Zimmer. Links das Bett. Rechts ein Tisch und eine Bank, hinter[371] dieser ein Wandschrank. An der einen Seite des Tisches ein
Sessel. Im Hintergrund die Tür, welche offen steht: man sieht ein Stück des schmalen bläulich beleuchteten Ganges. Über dem Tisch eine große laternenförmige Hängelampe, die ein gelbrötliches Licht verbreitet.
Auf der Bank Katharina. Neben ihr, an den Tisch gelehnt, Mons. Draußen auf dem Gang gehen einige Hofdamen langsam auf und nieder.
MONS. Und stets von neuem schön! und stets von neuem Kalt, hart und grausam!
KATHARINA.
Still doch, hörst du nichts?
MONS.
Ich liebe solches Dunkel, wo ringsum
Das Ungewisse wartet, still und schlafend
Und nur ganz leicht bedeckt: ein kurzes Wort,
Ein Seufzen stört es auf, schon läßt es heimlich
Die Decke niedergleiten, schlüpft hervor
Und tritt heran und hat mit einemmal
Gestalt und Sprache ... Herrin, liebt Ihr's nicht?
KATHARINA.
Du bist ein Knabe. Nein, ich mag es nicht.
Ich traf in solchem Dunkel allzuoft
Ein Wesen an mit Blicken ohne Süße
Und einem Mund aus dem die Kälte blies ...
Einst kommt es auch zu dir.
MONS.
Ich will's begrüßen
Mit einem Kuß, dann lächelt es vielleicht.
KATHARINA.
So jung noch bist du wärst du's nicht!
MONS.
So jung
Weil's Euch gefällt und Euer.
KATHARINA.
Still, nicht hier.
MONS.
Da springt es wieder auf in Eurem Blick
Was ich nicht liebe. Herrin, weiß ich doch
In wessen Schatten ich versinken muß
Wenn Ihr so blickt: dann steht in Eurer Seele
Der alte große Zar
KATHARINA.
Spricht nicht von ihm!
Er ist nicht jung, das ist's! die Falten stehen
Ihm wohl, die auf der Stirn und hier und hier
Und doch betrog ich ihn.
MONS.
Dann wieder mich.
KATHARINA fremd, fast hochmütig.
Betrügen dich?[372]
MONS.
Seht, das ertrag ich nicht
Viel lieber wär ich alt und würde so
Betrogen, so wie er!
Stimmen und Schritte.
ich will, ich will
Das nicht ertragen
KATHARINA.
Still, er kommt!
MONS.
Ich tue
Doch immer, was Ihr wollt.
KATHARINA.
So muß es bleiben.
Peter und Gordon kommen, gefolgt von den sieben Abgeordneten der Städte, darunter der Alte.
Geschäfte noch so spät?
PETER.
Versprochen ist's,
Die muß ich hören. Gehst du nicht zu Bett?
KATHARINA.
Wenn du befiehlst
PETER.
Hab gute Nacht.
Katharina wendet sich zur Tür.
Ich muß
Noch viel bedenken, laß mich nur allein
Heut bin ich kein Gesell. Gut Nacht.
KATHARINA.
Gut Nacht.
Sie geht ab mit Mons und ihren Damen. Peter setzt sich. Die Abgeordneten kommen vor. Gordon steht vorn links.
PETER.
Noch einmal denn, was wollt ihr?
DER ALTE.
Herr, das Leben
Für den Zaréwitsch.
PETER.
Was, nicht mehr?
DER ALTE.
Das Erbe
Nach Eurem Tod.
ALLE.
Das Reich.
PETER.
Wer spricht zu mir
Ich meine, wessen Stimme
DER ALTE.
Herr, des Volkes.
PETER.
Kurzweg des ganzen Volkes! wer sammelte
Die Stimmen?
DER ALTE.
Herr, die Städte sammelten,
Die Dorfgemeinden ...
PETER.
Gut. Zu Gordon:
Es ward geprüft?
GORDON.
Geprüft. Er sagt die Wahrheit.
PETER.
Dieses Häuflein[373]
Steht für die Mehrheit?
GORDON.
Für die Mehrheit, Herr.
PETER.
So sprecht.
DER ALTE.
Den Prinzen gebt uns, Herr, zurück
Der unser ist.
PETER.
Der euer ist?
DER ALTE.
Er kennt
Und liebt uns, Herr, und weiß um unsre Not.
Er ist ganz so wie wir. Das alte Recht
Der Erstgeburt ist sein.
PETER.
Das tat er ab.
DER ALTE.
Und wär es das! Herr, gebt ihn uns zurück
Um unsrer Hoffnung willen.
PETER.
Hoffnung?
DER ALTE.
Seht,
Er ist von unsrer Art. In ihm erkennt
Das ganze Volk sich wieder.
PETER.
Und in mir?
DER ALTE.
Wie sag ich's Euch? was denkt Ihr, Herr? was soll ich –?
PETER.
Mir zu entwischen suchst du, alter Mann.
Du glaubst, noch sah ich falsches Lächeln nicht
Und solches Flackern in der Menschen Augen?
Die Zeichen kenn ich! suche nicht umher
Nach Ausflucht und nach List! wie sagtest du?
Um eurer Hoffnung willen? welche Hoffnung?
Ei, sag mir, welche Hoffnung?
DER ALTE.
Herr, er weiß –
Er weiß um unsre Not – das alte Recht
Der Erstgeburt – er gibt uns was wir brauchen.
PETER.
Zu Asche brennt er alles was ich gab
Und bläst darauf. Die Häuser, die ich baute,
Wirft er in Staub und läßt aus meinen Quadern
Kapellen türmen für den trägen Sinn
Der ernten will und vor der Saat sich scheut –
Das braucht ihr Toren! und mit dieser Hand
Soll ich die Axt euch geben, die sich einst
Auf meinen Baum hebt! soll ich Sehender
Euch Blinden glauben, die, das Haupt gehüllt
In dumpfe Meßgewänder, Tag und Nacht
Nicht unterscheiden und den Glanz nicht kennen,
Der von der Sonne kommt.[374]
DER ALTE.
Vom Westen nicht,
Von dort nicht kommt der Glanz.
PETER.
Zum Überdruß
Ward mir das Lied. Genug. Sagt mir noch eins:
Was hab ich zu befürchten, sprecht, wenn ihr
Das Nein hinbringt zu denen die euch sandten?
DER ALTE.
Was Ihr zu fürchten –?
PETER.
Nun, ihr werdet wohl
Nicht gleich mit Blitz und Donner – nennt mir denn
Was ich erwarten muß.
DER ALTE.
Erwarten, Herr?
PETER.
Erwarten, Herr – befürchten, Herr – was würgst du
An meinen Worten?
DER ALTE.
Nun wohlan, ich stehe
Für nichts, mein gnädiger Herr.
PETER.
Du stehst für nichts?
DER ALTE.
Nein wahrlich, Herr, für nichts. Es könnte sein,
Daß Euer Nein zur Fackel würde, Euch
Und uns ein Feuer zu entfachen, weit
Hinjagend mit den Winden, keiner Flut
Sich fügend mehr.
PETER steht plötzlich auf.
Du drohst?
DER ALTE.
Gott schütze mich.
Ich drohe nicht. Ich sage was geschieht.
PETER.
Doch also Blitz und Donner. Zeigst du mir
In deinem Spiegel weit hinrollende
Empörung, die den Feuerwagen schleppt
An Ketten, und den Mord und Pest und Hunger
Weit über meine Länder – läßt im Spiegel
Den Tod mich sehn, den schwindeltiefen Sturz
Und sagst: ich drohe nicht!
Sehr heftig.
o feige Herzen
Tragt eure Lüge heim und spinnt euch ein
In Niedrigkeit und gärt in euren Dünsten!
GORDON rasch flüsternd.
Du, Alter, warst ein Narr.
DIE ALTEN durcheinander.
Herr, wenn wir fehlten –
Wir haben Euch erzürnt – laßt uns den Fehl
Verbessern – hört uns, Herr!
[375] Peter hebt die Hand. Eine kurze Stille. Er ist nun ganz gefaßt, blickt finster vor sich hin.
PETER.
Habt ihr gehört?
Der Prinz ist krank.
ALLE.
Wie, krank? erkrankt?
PETER.
Es heißt,
Ein Fieber ist's – kommt morgen hin zu ihm,
Dort will ich Antwort geben.
Gordon macht eine heftige Bewegung. Peter sieht hin, runzelt die Stirn.
DER ALTE.
Herr, vergönnt
Ein Wort der Hoffnung –
PETER.
Morgen. Sagt ich's nicht?
Gordon geleitet die Alten hinaus und wendet sich um.
GORDON.
Jetzt weiß ich keine Hilfe mehr. Befehlt Ihr
Den Diener, Herr?
PETER.
Der ging zur Kirche. Laß.
GORDON.
Ich geh nicht gern von Euch.
PETER.
Du hilfst mir nicht.
Geh nur und laß mich, Gordon. Gute Nacht.
Gordon geht zögernd ab, zieht die Tür hinter sich zu. Nach einem Schweigen.
PETER.
Allein muß ich's bedenken – und beschließen –
Allein muß ich es tun. Aus dieser Stille
Muß die Entschließung wachsen und wenn mir
Der Morgen wieder in das Fenster blinzt
Ist alles ganz vorbei – so oder so –
Getan und ganz vorbei.
Ich säße lieber
In meiner Werkstatt, wo die Späne knistern,
Am Ofen singend fromme Winterlieder,
Nicht mehr im Sinn als eines Kahnes Bug,
Die Schaufel eines Ruders – und es käme
Nicht andre Sorge mir, als wie das Holz
Standhielte jedem Druck der schweren Wasser –
Und dennoch ... nein ...
Er hat sich gesetzt.
die Lampe brennt nicht hell,
Ich sehe morgen nach, es ist vielleicht
Ein Griff nur mit der Zange – und wie seltsam
Hier in der Kammer Licht und Dunkel kämpfen,[376]
Hier flackert's, kriecht am Boden hin – und weiter
Liegt starres Dunkel – und ich seh hinein
Und seh und seh, ich muß es tun – und mehr:
Allein muß ich es tun, kein andrer darf
Mir helfen, keiner darf es wissen – so
Nur ist sie mein, die Tat – kein andrer soll
Sie tragen. Hier ...
Er steht auf, öffnet den Wandschrank, sieht sich um.
wäre einer hier – und horchte –
Und spähte – nichts – ich höre nichts – die Flamme
Saust leise nur, sehr leise, in der Lampe ...
Er greift in den Schrank.
Hier ist ein Fläschchen, das ich bei mir trug
Im Lager – und ich sehe noch ringsum
Die Türkenmonde blitzen auf den Fahnen –
Und ihre Zelte lagen stumm und blinkend
Wie Totensteine da – da kam die Rettung
Von Katharina –
Er steckt das Fläschchen in die Tasche des Rockes, zieht dann den Rock aus, wirft ihn auf die Bank, schließt den Wandschrank ... nun fährt er plötzlich zusammen.
horch –
Die Tür geht langsam und knarrend auf, dann Totenstille ... Peter starrt und lauscht wie gebannt.
Was tappt umher und stößt die Türen auf
Und schiebt sich lautlos weiter?
Laut.
wer? wer da?
Gib Antwort!
Horcht angestrengt.
nichts – ist jemand hier? gib Antwort!
Doch ist es hier – doch – doch – nur zeige dich –
Und wär's die fürchterlichste Mißgestalt,
Die Fürstin aller Fratzen – zeige dich –
Er lauscht wieder, hält es dann nicht mehr aus, nimmt vom Tisch eine Glocke und schellt heftig und lange, lauscht von neuem und schüttelt wieder die Glocke, die einen schrillen und zitternden Klang gibt ... horcht und wartet ...
Da – Schritte – jetzt – ein Mensch – es kommt – es kommt –
Man hört eine Tür gehen, dann rasche leichte Schritte – Iwánuschka stürzt herein, seinen Schafspelz hinter sich her schleifend.
[377]
Wer bist du? wer? – Gott sei gelobt! – wer bist du?
Wo ist mein Diener? wo?
IWÁNUSCHKA.
Mein Vater ging
Zur Kirche –
PETER.
So –
IWÁNUSCHKA.
Und ist noch nicht zurück.
PETER.
Ja – ich vergaß – du bist sein Sohn? schon gut,
Nun kommt es mir, ich sah dich schon – dein Name –
Laß sehn, ob ich ihn weiß – Luká? –
IWÁNUSCHKA.
Iwán –
Iwánuschka –
PETER.
Ganz recht. Komm her zu mir,
Sprich, hast du nichts gehört? im Gang da draußen?
War keiner an der Türe?
IWÁNUSCHKA.
Niemand, Herr.
Ich sah und hörte nichts. Kein Mensch ist hier
In diesem Flügel, Herr, als du und ich –
PETER.
Du mußt dich setzen, Kind – nimm deinen Pelz –
Ich tu ihn fest um dich – hier streicht es kühl
Vom Gang herein – du mußt dich setzen – so –
Ich schließe nur die Tür – denk nicht daran,
Daß ich der Zar bin – und nun wollen wir
Zusammen sitzen, ich erzähle dir
Dann was du willst. Erst aber seh ich nach
Im Schrank – wart nur, hier liegt ein Brot – es gibt
Auch süßen Wein und Gläser – sitz und trink,
Wir wollen wachen, sprechen, immer sprechen,
Sonst ist die Stille mir zu groß – doch du
Bist müde, Kind?
IWÁNUSCHKA.
Nicht müde –
PETER.
Morgen nimmst du
Den Schlaf zurück, den du mir heute schenkst –
Still, hörst du nicht Musik?
IWÁNUSCHKA.
Nein, Herr, ich nicht.
PETER.
So steckt es wohl in mir. Stark ist der Wein
Und mir ist wohl. Von einer Königin
Kann ich erzählen – nein, ein König war's,
Der hatte einen Sohn – ja – einen Sohn –
Was sagst du?
IWÁNUSCHKA.
Herr, wenn du erzählen willst –
PETER.
Was willst du wissen?
IWÁNUSCHKA.
– so erzähle mir –[378]
PETER.
Was soll es sein?
IWÁNUSCHKA.
– wie du den Schweden schlugst –!
Er sieht den Zaren an, erwartungsvoll und mit glühenden Wangen.
PETER.
Das kam ganz anders als du denkst. Paß auf,
Ich war es nicht –
IWÁNUSCHKA.
Du nicht?
PETER.
Gott schlug den Schweden.
Iwánuschka zieht den Pelz fester um sich.
Da waren Blitze rings und finstrer Dampf
Und über allem lag ein Lärm wie Donner,
Daß man die eigne Stimme nicht vernahm,
Und aus dem Tosen kam es über mich,
Daß ich die Stelle wußte, wo der Schwede
Zu treffen war – der Blitz ward eine Stimme
Und Stimme war der Rauch – da schien es mir,
Als hebe sich das Blut und redete
Mit dem Geheul des Heers und der Geschütze
Zu mir – und da ich's wußte, gab ich nur
Das Zeichen mit dem Stab und in dem Rauch
Verschwanden meine Reiter. Und ich hielt
Den Sieg schon in der Hand, das wußt ich wieder,
Die Klarheit schlang sich so um meine Stirn,
Daß ich nichts andres sah, als nur den Sieg,
Der in schwarzroten Wänden vor mir stand
So wie in einem Saal – ich ging voran,
Hinüber und hinein, das Heer mit mir –
Und durch den Dampf und über aufgewühlte
Zerfetzte Erde, über Gras und Blut,
Hinein! da war es über mir wie jetzt –
Wie eben jetzt –
Er hat sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen.
IWÁNUSCHKA.
Und weiter?
PETER.
Nur die Stille
Ist da – und ich – sonst keiner –
IWÁNUSCHKA.
Träumst du, Herr?
PETER.
Da fragt mich einer: träumst du, Herr? – und ich
Bin wach – wie Er – ich stehe in der Esse,
Wo Er das Leben schmiedet – und den Tod –
Und warte, bis Er spricht –
IWÁNUSCHKA.
Wen meinst du?[379]
PETER.
Warten. – –
Dann aber – tun!
IWÁNUSCHKA.
Und weiter?
Peter sitzt da mit geschlossenen Augen, ruhig atmend.
weiter ... weiter ...
Er beugt sich noch vorn, sieht den Zaren an. Dann legt er den Finger auf die Lippen, steigt auf den Stuhl und löscht die Lampe aus, setzt sich wieder, hüllt sich in seinen Pelz.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro