10. Zaida an Zaid
Spanisch

[30] [Vgl. zu Nr. 8.]


Hör, was ich dir melde, Zaid!

Geh nicht mehr durch meine Strasse,

Sprich nicht mehr mit meinen Weibern,

Noch mit meinen Sklaven sprich mehr!


Frage nicht mehr, was ich mache?

Noch wer komm, mich zu besuchen?

Welche Feste mich ergözen?

Welche Farben mir gefallen?


Gnug an der, die deinetwegen

Jezo meine Wangen färbet!

Daß ich einen Mohren kannte,

Der so wenig weiß zu leben. –
[30]

Ich gesteh es, du bist tapfer,

Spaltest, trennest, reissest nieder,

Hast der Christen mehr erleget,

Als Blutstropfen in dir fliessen!


Bist ein wackrer schöner Reuter,

Tanzest, singest, spielest lieblich,

Bist so fein, so wohlerzogen,

Wie man sich es nur kann denken;


Weiß und roth, daß nichts darüber!

Stammest von berühmten Ahnen,

Bist die Krone stets im Streite,

Bist die Zier in Scherz und Spielen!


Viel verlier' ich mit dir, Zaid!

Wie ich viel mit dir gewann,

Und – wärst du nur stumm gebohren,

Wär' es dich zu lieben möglich.


Aber um des Einen willen,

Muß ich, Zaid, dich verlieren,

Da, Verschwender deiner Seele,

Du dir selbst dein Glück ja raubest.


Denn in Reden dich zu zähmen,

Thäte es ja wahrlich Noth, dir

Auf die Brust ein Schloß zu sezen,

Auf die Lippen einen Kadi.


Viel vermögen bei den Damen

Tapfre Männer Deinesgleichen;

Denn sie lieben tapfre Männer,

Die zerstreuen, haun und spalten.


Aber kurz und gut, Freund Zaid,

Wenn von solchen Gunsterweisen[31]

Du dir etwa Tafel giebest;

Rath ich dir: genieß und schweige!


Köstlich wars, was du genossest,

Glücklich wärest du, o Zaid,

Wüstest du, dir zu erhalten,

Was du zu gewinnen wustest.


Aber warest du doch neulich

Kaum heraus aus Tarfes Garten,

Als du ja von deinem Unglück

Und von meinem so beredt warst!


Einem mißgeschaffnen Mohren

Zeigtest du, ich weiß es, jene

Flechte, die von meinen Haaren

Ich dir auf den Turban steckte.


Nicht verlang' ich sie zurücke,

Noch, daß du das Nichts behaltest,

Aber wisse, Mohr! Du hast sie

Jezt zum Zeichen meiner Ungunst!


Auch hab' ich es wohl erfahren,

Wie du ihn für jene Lügen,

Lügen, die für Wahrheit gelten,

Nun herausgefodert habest.


Wahrlich, ein so närrisch Unglück

Macht mich lachen wider Willen,

Wahrest selbst nicht dein Geheimniß;

Und ein andrer soll es wahren?


Ich will nichts entschuldigt hören;

Nochmals will ich dir nur melden,

Daß du jezt zum leztenmale

Mich hier siehst, und ich dich spreche.
[32]

Also die verschämte Mohrin

Sprach zum stolzen Bencerrajen;

Sprach noch, da sie weg sich wandte:

»Wers so macht, wird so gelohnet!«

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 30-33.
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